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Kurz

Herr Kurz ist in seinem Element.

»Das kann ich leider nicht genehmigen. Sie müssen verstehen, die Sachlage ist hier ganz eindeutig.«

In wohl verborgener Aufmerksamkeit studiert Herr Kurz die Reaktionen des ihm gegenübersitzenden Paares.

»Sehen Sie, der Bebauungsplan lässt mir in diesem Punkt nicht den geringsten Spielraum.«

Herr Kurz blättert in dem ihm in allen Einzelheiten vertrauten Regelwerk und deutet auf den entsprechenden Passus.

»Hier, zum Beispiel: Zäune, Begrenzungsmauern inklusive Heckenhinterpflanzungen sind bis zu einer maximalen Höhe von einem Meter zulässig

Das Paar in seinem Büro ist jung, vielleicht Ende Zwanzig, beide sind gut aussehend.

Herr Kurz kennt die Ausgangslage zur Genüge: Sie haben sich gefunden, zwei aufstrebende Persönlichkeiten, die nun die gefühlte Einzigartigkeit ihrer Liebesbeziehung, eigentlich löblich, in langfristiger Lebensplanung mit dem Bau eines Eigenheimes krönen wollen.

Sie wollen dort leben, Kinder haben und einen Freundeskreis, vielleicht auch einen Hund.

Für Herr Kurz ist das prinzipiell auch in Ordnung so.

Sie haben sich inzwischen mit der Finanzierung auseinander gesetzt, hatten schon schlaflose Nächte ob der Tragbarkeit der finanziellen Belastung und den heimlichen Zweifeln an der Stabilität ihrer Liebe, an ihren Kräften und an ihrem Durchhaltevermögen.

Man sieht ihnen die Spannung an, ohne Zweifel – aber auch das Hochgefühl, etwas Wichtiges zu tun, etwas Bleibendes zu schaffen, ja, ihrer Welt und auch ihrer Umgebung nun ihren Stempel aufzudrücken.

Ein natürlicher Impuls, in der Tat.

Herr Kurz indessen sieht seine Aufgabe darin, diesen Impuls mit dem Wohl der Allgemeinheit zu synchronisieren.

Die beiden geraten durch seinen negativen Bescheid nun emotional unter Druck. Herr Kurz registriert, dass sie unterschiedlich auf seine Ablehnung reagieren, aber das ist naturgemäß immer so.

Der junge Mann ist jetzt voller unterdrückter Aggression. Herr Kurz ist sich sicher, dass der Mann nun seine Hilflosigkeit spürt; er selbst bietet ihm aber durch seine korrekte, verbindliche Art auch keine Gelegenheit, seine Wut zu entladen.

Letzteres wäre tatsächlich auch sinnlos, denn Herr Kurz ist unangreifbar.

Er ist der Amtsleiter des Ortes, und Bürgermeister Streibel, die Polithure, der scheinbar joviale Machtmensch, schaltet sich als ihm ausschließlich weisungsbefugte Instanz nur in den seltensten Fällen ein.

Dann zum Beispiel, wenn ein Antragsteller mächtige Befürworter aus dem Gemeindeleben findet.

Solche Fälle werden allerdings im Vorfeld – diskret und ohne Reibungsverluste – abgeklärt.

Das Paar hier hatte keine Fürsprecher.

Der junge Mann wäre nun sicherlich gerne energisch aufgetreten, nicht zuletzt um seinem Rollenbild in der Beziehung gerecht zu werden, Herr Kurz weiß das, aber der junge Bauherr hat in dieser Situation nichts Verwertbares in der Hand. Er kocht sichtlich.

Die junge Frau hingegen ist wachsam. Sie spürt die Spannung ihres Partners, und sie ist sich gewahr, dass er die Situation durch sein Aufbrausen nur verschlimmern würde.

Herr Kurz registriert befriedigt, dass sie ihre Hand besänftigend auf den Unterarm ihres Geliebten legt. Die junge Frau hat erkannt, dass sie hier bei Herrn Kurz, wenn überhaupt, nur mit Bitten etwas erreichen kann.

Die junge Frau ist nicht weniger angespannt als ihr Partner, denn ihr ist natürlich auch bewusst, was für sie beide auf dem Spiel steht. Die Verwirklichung ihres Lebenstraumes, erkauft durch lebenslange finanzielle Bindung, ist in Gefahr.

Sie kann aber anerkennen, dass sie Herrn Kurz jetzt ausgeliefert sind.

Herr Kurz betrachtet sie mit Interesse, sie ist hübsch. Eine junge Frau mit Stil und einer gewissen Erziehung. Blond, dezent geschminkt und gut geformt. Nicht zu aufreizend gekleidet, eine Frau eindeutig aus dem höheren Preissegment.

Herr Kurz überlegt sich, wie weit sie wohl gehen würde, um ihren Lebenstraum zu retten.

Das Konzept des Hauses ist in der Tat ehrgeizig, das Gebäudes flach und lang gestreckt im japanisierenden Stil, hohe Mauern zum Sichtschutz, sicherlich ist ein japanischer Garten vorgesehen, womöglich noch ein Gartenhäuschen im Teehausstil. Ein Domizil für den gehobenen Lebensanspruch.

Herr Kurz, der ein regionaltypisches Dorfbild bevorzugt, ist nicht begeistert von solchen Individualitäten und hat vorsorglich entsprechenden Einfluss auf den Bebauungsplan genommen.

»Aber die unzulässige Einfriedung durch zu hohe Mauern ist noch das kleinere Problem in Ihrem Bauvorhaben.«

Herr Kurz setzt nun den großen Katheder an.

»Dachneigung, Firstrichtung und der fehlende Kniestock, das alles ist leider nicht ortstypisch, verstehen Sie.«

Mit Genugtuung registriert Herr Kurz, wie die junge Frau sich innerlich windet. Er nimmt jedes Schlucken, jedes Zucken ihrer Augen wahr, wie sie sich auf die Lippen beißt, wie ihre Finger nervös mit dem Verschluss ihrer Handtasche spielen.

Auf, zu.

Auf, zu.

Auf, zu.

Es hätte genauso gut auch der Knopf ihrer engen Edeljeans sein können, die Symbolik ist Herrn Kurz nicht fremd.

Die engen Jeans, die sich um schlanke, sicherlich weiche und duftende Schenkel schmiegen, die duftenden Schenkel, die an einer noch mehr duftenden Stelle zusammenfinden.

Ob ihre Scham auch blond ist? Oder ist sie rasiert?

Früher, da hätte er sich Phantasien gemacht, wie sie ihn bebend und verschämt um eine Unterredung unter vier Augen gebeten hätte, natürlich ohne das Wissen ihres hilflosen Gatten.

Wie er ihr seine Bedingungen diktiert hätte.

Ihr zögerndes Ausziehen dann und das Anlegen der Ledermanschetten.

Wie er sie von allen Seiten gemustert hätte.

Ihren Kniefall.

Seine barschen Befehle, denen sie sich, widerwillig zwar, aber mit immer routinierterem Gehorsam unterworfen hätte.

Ihre Dienste an seiner Lust …

Das tut er heute nicht mehr, das braucht er nicht mehr.

Ihm genügt der intensive Augenblick.

Das innerliche Schwanken der Frau, die widersprüchlichen Signale, die sie alle gleichzeitig aussendet, das einladende Lecken der Lippen, den in echter Scham niedergeschlagene Blick, die beschwichtigende Geste, welche den überforderten Ehemann in Schach hält, das hart nach oben angewinkelte Fußgelenk, welches ihre Wut und ihre Abwehr verrät.

Er weiß, was er ihr antut, und das genügt ihm.

»Gibt es denn gar keine Möglichkeit, dass Sie das Bauvorhaben in dieser Form genehmigen?«

Ihre Stimme ist köstlich, belegt durch die Überwindung, ihn zu bitten, bebend vor Scham, sorgfältig bemüht, keinen Unmut auszudrücken.

Herr Kurz jauchzt innerlich.

»Leider nein«, sagt er väterlich tröstend. »Die Bestimmungen sind bedauerlicherweise ganz und gar eindeutig.«

Natürlich schickt er die beiden mit zerstörten Träumen wieder weg.

Er hat die Macht dazu.

Ja, Herr Kurz ist in seinem Element, und er sitzt sicher im Sattel.

Er nutzt lediglich seinen Ermessensspielraum, und er kennt die Vorschriften – alle Vorschriften.

Er macht keine Fehler, er ist loyal zu seinen Vorgesetzten, und er kann genau dosieren, wann er seine Macht ausspielt und wann besser nicht.

Und sollte er tatsächlich eines Tages doch seinen Posten verlieren, nun, zum Beispiel, weil auf seinem Dienstrechner diese unsäglichen Dateien gefunden werden, Sie wissen schon, welche ich meine, dann bräuchte er sich um sein Lebenselixier trotzdem keine Sorgen zu machen.

Sein Rahmen wäre zwar beschnitten, das stimmt wohl, aber auch im Verein werden solche wie er immer gebraucht und finden ihr Betätigungsfeld.

Und wenn alle Stricke reißen, dann gibt es inzwischen immer noch das Internet.

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