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Schwanencocktail

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Nachmittags kaufe ich mir auf dem Nachhauseweg in der Bahnhofspassage eine Frühlingsrolle. Die ist in der Mitte noch halb gefroren, also beiße ich in die kalte Rolle, ohne mich zu beschweren und rede mir ein, alles sei gut. Ich sollte die Rolle in den Papierkorb werfen, dann täten meine Zähne jetzt weniger weh. Öffentliche Papierkörbe sind selten geworden – oder sie sind überfüllt. Ich schiebe mir den letzten Rest kalte, vom Antauen labberige Frühlingsrolle in den Mund und biege in die Einkaufszone ab. Ich brauche ein T-Shirt. In der Modeabteilung treffe ich Leander. Er hat studiert und schreibt einen wissenschaftlichen Artikel über Frank Wedekind und seine Tochter Kadidia. „Hallo Leander“, sage ich. Im Moment unserer Begegnung kommt mir sein Blick vor wie aus Vom Winde verweht – oder ist das The Look of Love? Leander echauffiert sich über die Billigmode im Stadtzentrum. Doch er steht nun selbst in so einem Laden vor aufgestapelter Synthetik, die lieber Kaschmir wäre, und wird dabei von mir überrascht. Ich könne beinahe jede weibliche Märchengestalt verkörpern, die Zöpfe hat, meint er. Dazu passt ein weißes T-Shirt gut. Ich schlage ihm nach zwanzig Minuten Gespräch einen Kaffee bei Pelzig vor, um der Kaufhausluft zu entkommen. Das Café Pelzig ist seine Sache, die Inneneinrichtung ist konservativ, ein wenig schwermütig. Bei der Schwüle draußen sitzen und den Anblick nackter, wenig gepflegter Beine ertragen zu können, zeugt laut Leander von Elefantenmentalität. Es muss ein Kaffee drinnen sein.

Die Dame bei Pelzig nimmt unsere Bestellungen entgegen. Wir wechseln das Thema passend zur Einrichtung. Wie kondoliere ich jemandem takt- und vor allem stilvoll. Leander meint, man müsse die eigentliche Absicht unter dem Dekor verschwinden lassen. Dekor ist der Schlüssel zum Trost. Mit stilvollen und individuellen Trauerkarten ein Denkmal setzen. Weg mit langen und fett gedruckten Überschriften, dafür mehr Spezielles – kurz – und vor allem lyrisch. Die Leistung der Menschheit bestehe in ihrer Fähigkeit, Träume zu illustrieren. Unter Leanders Händen könnte selbst Stroh zu Gold werden, wäre er nicht so bequem. Ich stochere mit dem Strohhalm in Leda herum, einer alkoholfreien Spezialität von Pelzig mit Plastikschwan, von der man auch im Frühling garantiert keine Schmetterlinge in den Bauch bekommt. Dabei stelle ich Leander Fragen zu seinen Geschäftsideen, damit er nicht auf den Gedanken kommt, meinem trivialen Alltag auf den Zahn zu fühlen. Er wischt sich die Finger an der Serviette ab und legt noch ein Stück Zucker in den Kaffee. Cocktails wie Leda verabscheut er. „Diese Unentschiedenheit zwischen Tag und Nacht hat so was Debiles. Ich brauche Klarheit.“ Unter Klarheit versteht er schwarzen Kaffee mit zwei Stück Zucker. Die Größe der Tasse rechnet er mit ein. „Es wird Zeit, dass mir jemand meine Manschettenknöpfe finanziert. Du und deine Reife…“ Nett sagt er das, reif statt kurz vorm Verfaulen. Mir fallen die abgelaufenen Bananen im Kühlschrank ein, ich erwähne sie, ohne darüber nachzudenken. Leander greift es auf. „Mit etwas mehr Übung könntest du ganze Tagungssäle in Bananenduftmeere verwandeln. Erholen Sie sich beim Duft einer tropischen Oase.“ Bisher war mir übertriebener Obstgeruch beim Betreten meiner Wohnung eher verdächtig. Jetzt erzähle ich Leander diese Banalität, und er führt mir einen neuen Goldesel vor. Ich kontere nicht, ich fröne Leda. Kompostkunst ist nun wirklich nur ökologisch korrekt. Leanders Antwort darauf kommt mir vor, als sei sein Geist augenblicklich zu einem Ballon mutiert, aus dem man die Luft entlassen hat. Wahrscheinlich liegt das an dem wissenschaftlichen Geplänkel seiner Arbeitsumgebung, an den fruchtlosen Recherchen in dunklen Archiven, dem schwer zu interpretierenden Schriftmaterial. Frank Wedekind. Kenner nennen ihn den Meister des Erotischen. Bei näherer Betrachtung zerbröselt er. Leander fürchtet um seine Männlichkeit. „Gedanken sind die Mutter der Impotenz“, sagt er, als wir vom Tisch aufstehen.

Leander verabschiedet sich, klassisch-höflich. Packt in Gesten, was auf Trauerkarten nicht festzuhalten wäre. Und nach Pelzig freue ich mich auf die frische Luft. Zum Glück habe ich eine Arbeit, über die ich abends nicht mehr nachdenken muss.

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