Читать книгу Der Prinz aus Ayn - Gianna Fröhlich - Страница 7
1
ОглавлениеFarida hatte es sich im Zelt bequem gemacht. Sie flocht ihre brennenden Haare zu einem Zopf, während sie gedankenverloren hinausstarrte und Aziz dabei zusah, wie er seine morgendlichen Liegestütze machte. Er war groß geworden, fast ein Hüne. Mittlerweile überragte er jedes Clanmitglied um einen Kopf und in den Jahren hatte er einiges an Muskeln zugelegt. Tahira und Majid hatten ihm alles beigebracht, was er wissen musste. Ein paar Jahre lang hatte Aziz sogar mit ihnen zusammen in einem Zelt gelebt, um sich abzuhärten, während sie durch die Wüste innerhalb ihres Gebiets gezogen waren. Kein privilegierter Sohn des Clanführers: Tahira hatte ihn gestählt, ihn ausgebildet. Nun war es soweit. Heute würde er den Clan verlassen und zwanzig Monde lang allein in der Wüste leben.
Farida stand auf und trat aus dem Zelt hinaus. Es dauerte einen Moment, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Nur vor wenigen Augenblicken war die Sonne aufgegangen und schon jetzt war es so grell, als wäre es Mittag.
Aziz bemerkte die Aasimar nicht, während sie langsam auf ihn zulief. Mit einigen mystischen Bewegungen band sie die Magie, bevor ein kleiner Wasserschwall auf Aziz’ Rücken niederprasselte.
Aziz hielt inne, setzte sich verdutzt auf und sah sie mit großen Augen an. „Warum …?“
Ich dachte, du brauchst mal eine Abkühlung, deutete Farida mit ihren Händen, lächelte, ging in Richtung Oase und tat so, als wäre nichts gewesen.
Vorsichtig kniete sie sich neben die Wasserstelle, um einige Schlucke mithilfe einer Schale zu trinken, bevor sie aufstand und zu Aziz sah, der wieder in seine Übungen vertieft war. Sie lächelte in sich hinein.
„Farida!“ Sie hörte es nicht, doch sie sah, dass Tahira sich ihr näherte. Noch bevor die beiden sich unterhalten konnten, kam der Clanführer Majid aus seinem Zelt. Die Verabschiedung sollte nun beginnen.
Aziz erhob sich. Farida konnte immer noch einige Wassertropfen erkennen, die seinen nackten Oberkörper hinunterrannen. Entweder war es Schweiß oder ihr Zauber.
Der Clan versammelte sich um Aziz und seinen Vater. Aziz’ fünf Schwestern sahen ihren Bruder erhobenen Hauptes an. Er war auf dem Weg, ein vollwertiger Krieger des Stammes zu werden.
„Wlyehd Aziz Ibn Majid Ibn Khalis bin Thamim al Ayn“, sprach sein Vater mit feierlicher Stimme. „Heute ist der Tag, an dem du für zwanzig Monde von unserem Clan verbannt wirst. Du hast eine gute Ausbildung genossen. Nun musst du beweisen, aus welchem Holz du geschnitzt bist, ob du es wert bist, ein Krieger dieses Stammes zu sein und ihn zu gegebener Zeit als Khan zu führen.“
Würdevoll überreichte Majid seinem Sohn einen Wasserschlauch. „Um deinen Durst zu stillen.“ Dann händigte er ihm seinen eigenen Säbel aus. „Um dich zu verteidigen.“ Und schließlich gab er ihm einen Teppich. „Und um dich auszuruhen.“ Majid lächelte. „Mehr benötigst du in der Wüste nicht, denn alles andere hast du gelernt. Gehe nun, lasse dich von unserer Mystikerin segnen, bevor du für zwanzig Monde den Stamm verlässt.“
Aziz nickte seinem Vater zu. Der Clan machte ihm den Weg frei, damit er zu Farida schreiten konnte. Ihre Haare brannten in der Hitze der Wüste. Sie lächelte ihn an.
Anmutig schritt Aziz auf sie zu und neigte sein Haupt vor ihr. Früher hatten die Mystikerinnen immer eine Rede gehalten, doch Farida redete nicht gern. Stattdessen segnete sie die Ausziehenden, damit ihnen auf der Reise kein Unheil zukäme.
Farida erhob auch bei Aziz ihren Stab, an dessen Ende ein Traumfänger befestigt war. Mystisch tanzte sie um ihn herum und schwang ihren Stab so schnell, dass er in Tausenden von Farben schillerte. Schließlich hielt sie vor ihm an. Es war der Moment, in dem sie ihm etwas in Zeichensprache mitteilen würde. So wie sie es schon all die Jahre getan hatte.
Doch stattdessen beugte Farida sich vor und flüsterte ihm etwas mit ihrer melodischen Stimme ins Ohr. Eine Stimme, die nur ausgewählte Clanmitglieder jemals gehört hatten.
Aziz musste unwillkürlich lächeln.
Noch einmal atmete er tief durch, bevor er sich umdrehen und seinem Clan für mehr als ein Jahr lang den Rücken zukehren würde.
„Was hast du ihm gesagt?“, fragte Tahira ihren Schützling interessiert.
Farida sah Aziz nach und ignorierte Tahiras Frage, als hätte sie gar nichts mitbekommen.
Farida zog sich nach dem Fest zurück in ihr Zelt. Es dauerte nicht lange, da schlich ihr jemand hinterher. Das kleine Mädchen hatte einen zierlichen Körperbau und große, braune Augen, um jedes Detail ihrer Umgebung Tag für Tag aufs Neue zu bestaunen. Eigentlich hätte sie heute eines ihrer hübschen Kleider anziehen sollen, aber sie trug nichts außer einer weit geschnittenen Hose. Ihr Oberkörper war nackt. Die pechschwarzen Haare trug sie kurz geschnittenen, sodass sie beinah aussah wie ein Junge. Farida war der Meinung, dass sie Ähnlichkeit mit ihrem großen Bruder Aziz hätte, auch wenn das Mädchen ihm nicht wie aus dem Gesicht geschnitten war.
Das Mädchen huschte durch das Zelt und lugte immer wieder hervor, um zu sehen, was Farida gerade tat.
„Hilal, es gehört sich nicht, sich in fremde Zelte zu schleichen“, ermahnte Farida sie mit ihrer himmlischen Stimme. „Erst recht nicht, wenn man eine Kriegerin ist.“
Hilal trat beschämt hervor, die Hände auf dem Rücken und das Gesicht zu Boden gewandt.
„Entschuldige“, murmelte sie.
Farida schmunzelte, trat an das Mädchen heran und reichte ihr ein mit Honig überzogenes Gebäckstück.
Das hast du gesucht, oder?
Hilals Augen wurden groß. „Ja.“ Sie nahm sich den Keks und biss gierig hinein. „Danke.“
Keine Ursache. Farida lächelte das kleine Mädchen an.
Hilals Blick jedoch ging nach draußen zur Düne. Dabei ließ sie das Gebäck sinken. „Wohin geht er, Farida?“, fragte sie, nachdem sie sich zu ihr umgedreht hatte, sodass Farida ihre Lippen lesen konnte.
Dahin, wo der Wind ihn führt, antwortete Farida geduldig.
„Warum muss er zwanzig Monde lang wegbleiben? Mama hat gesagt, dass ich das nicht machen muss“, murrte Hilal.
Prinz Aziz ist ein Krieger. Jeder Krieger zieht aus, um sich und dem Clan zu beweisen, dass er ein vollwertiges Mitglied ist. Dass er würdig ist, erklärte Farida Hilal und kniete sich zu ihr.
„Er ist würdig“, entgegnete Hilal trotzig. „Würdiger als alle anderen.“
Das ist er, versicherte Farida ihr lächelnd.
„Und Jola musste auch nicht ausziehen! Und Nara!“ Hilal runzelte die Stirn.
Deine Schwestern sind wie du Prinzessinnen, erinnerte Farida das kleine Mädchen. Sie ergriff ein weißes Laken, das sie auffächerte und um Hilal drapierte, während diese laut lachte. Farida drehte sie schneller und immer schneller auf der Stelle, dann hielt sie inne, sodass Hilal sich selbst im großen Spiegel betrachten konnte. Farida hielt sie halb im Arm wie eine große Schwester.
„Was sieht du, Hilal?“, fragte Farida leise.
„Mich.“
„Eine kleine Prinzessin“, flüsterte Farida. „Und wenn du weiter übst, jeden Tag, wie du es deinem Bruder versprochen hast, wirst du eine große Kriegerin wie Tahira. Und dann wirst du auch ausziehen und dich beweisen.“
Hilal lächelte. Sie betrachtete sich eine Weile, dann drückte sie sich an Farida und ihr Blick wurde traurig. „Ich vermisse Aziz.“
Farida nickte. „Ich weiß.“ Sie küsste das Mädchen auf den Schopf. „Aber die Zeit wird vorübergehen und er wird schneller wieder hier sein, als du denkst. Und dann werden wir feiern, dass er würdig ist.“ Hilal lächelte, drehte sich um und umarmte Farida stürmisch.