Читать книгу Der Prinz aus Ayn - Gianna Fröhlich - Страница 8
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ОглавлениеDie Oase lag still da. Einige Händler waren vorbeigekommen und tränkten ihre Kamele, während Majid gerade mit ihnen in seinem Zelt Geschäfte machte.
Seit dem Tod ihrer Eltern trug Farida in der Öffentlichkeit immer einen Schleier. Sie hüllte sich komplett in schlichtes Weiß, sodass nur noch ihre Augen zu sehen waren. Sie versuchte keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, daher versteckte sie ihre Haare, ihre helle Haut und auch ihren wunderbar, nahezu himmlisch schön geformten Körper unter dem weiten Gewand. Sie war von schlichter Eleganz, verwendete keinen Schmuck und trug niemals Farbe. Am liebsten blieb sie im Zelt, wenn die Händler im Clan waren, doch da eines der Kinder krank war und sie an seinem Bett Wache hielt, musste sie manchmal nach draußen, um frisches Wasser zu holen.
Farida strich dem kleinen Jungen mit dem kalten Wasser den Schweiß vom Gesicht. Sie konnte seine Krankheit nicht heilen, auch wenn sie es gern getan hätte.
„Wie geht es ihm?“, erkundigte sich seine Mutter besorgt.
Besser, antwortete Farida. Ich habe geheilt, was möglich war, aber sein Körper ist immer noch schwach von der Krankheit.
Die Mutter nickte besorgt.
Farida stand langsam auf, um frisches Wasser zu holen. Sie hätte es auch herbeizaubern können, doch sie hoffte, dass das Wasser der Oase, das bereits ihre Vorfahren geheilt hatte, dem Jungen mehr Kraft geben würde.
Bedächtig schritt sie hinaus, vorbei an Tahiras Zelt, an dem des Clanführers und an dem seiner Töchter, hinüber zum Wasserloch, um dort den Krug mit neuem Wasser zu füllen.
„Ich wusste nicht, dass ihr eine Sklavin habt“, sprach einer der Händler, als Farida sich wieder zurück zu dem kranken Jungen aufmachte.
„Sie ist unsere Mystikerin“, entgegnete Majid verärgert.
Der Händler fuhr herum und entschuldigte sich gebührend.
Farida seufzte. Wie konnten die Händler nur so einfältig sein? Doch andererseits war sie ganz froh darum. Es war besser, nicht erkannt zu werden. Besser, dass niemand wusste, wer sie war. Was sie war.
In der Ferne tauchte eine Gestalt auf.
Farida hielt inne. Ein weiterer Händler? Eine Karawane? Die Gestalt war allein – und sie kam immer näher.
Vielleicht ein Reisender? Oder jemand, der sich verirrt hatte und nun Wasser suchte?
Farida war fast am Zelt angekommen, als ihr ein Gedanke kam und sie schmunzeln musste.
Zwanzig Monde waren vergangen und nun kehrte er zurück nach Hause.
Aziz trug keine Rüstung. Seine Haut war braungebrannt. Der Oberkörper war nackt, nur eine kurze weiße Hose bekleidete ihn, auf der mit rotem Faden das Zeichen von Ayn gestickt war. Seinen Säbel trug er in einer Scheide, das Haar war beinah schulterlang und durchnässt vom Schweiß. Er hatte einen Leinensack mit all seinen Habseligkeiten geschultert. In seinem Gesicht war ein breites Grinsen zu erkennen, während er über eine Sanddüne auf das Dorf zuschritt.
Farida betrat das Zelt und setzte sich an das Krankenbett, um den Jungen mit dem kühlenden Nass zu erfrischen.
„Habt Ihr etwas gesehen? Ich dachte nur, weil Ihr innegehalten habt“, fragte die Mutter des Jungen neugierig.
Prinz Aziz kommt nach Hause.
Die Frau lächelte erleichtert. „Ein gutes Omen.“ Sie stand auf, um den Erstgeborenen des Clanführers gebührend zu begrüßen.
Farida sah sich kurz um. Sie war allein.
Der kleine Junge öffnete müde die Augen.
„Ganz ruhig“, sprach Farida sanft. Sie sah das Erstaunen in seinen Augen. Er hörte ihre Stimme zum ersten Mal. „Morgen schon wirst du wieder aufstehen können.“
Der Junge nickte. Er glaubte daran, was Farida ihm sagte.
Aziz wurde von allen freundlich begrüßt, man reichte ihm Essen, klopfte ihm auf die Schulter und nickte ihm anerkennend zu. Mit wachem Blick und geschwollener Brust trat er schließlich in das Zelt des Khans, um dort seine Mutter zu finden, die seelenruhig am Boden arbeitete. Sie war gerade dabei, die Kleidung des Khans zu flicken.
Aziz trat an sie heran, kniete sich neben sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dila schmunzelte und drückte ihren Sohn kurz an sich. „Mein großer Krieger ist nach Hause zurückgekehrt.“
„Das bin ich“, stimmt Aziz ihr zu und setzte sich neben sie.
Dila ließ ihren Blick über ihren Sohn schweifen, um erleichtert festzustellen, dass er unversehrt war.
„Eine grauenvolle Prüfung für eine liebende Mutter. Ich hoffe, dass sie dich vorangebracht hat.“
„Ich würde die Erfahrung nicht missen wollen“, gab Aziz schmunzelnd zurück. „Was habe ich verpasst?“
Dila seufzte tief. „Dein Vater hat einen Sohn Khan Haidars bei uns einkehren lassen. Einen kleinen Poeten – ausgerechnet. Kein guter Krieger, aber Khan Majid wollte Khan Haidar nicht vor den Kopf stoßen.“
Aziz nickte ruhig. Es war immerhin Tradition, die Söhne fremder Clans für die Zeit, in der sie zum Mann werden sollten und in der sie für zwanzig Monde von ihrem Clan verstoßen waren, bei sich aufzunehmen.
„Er hat Jola dazu auserkoren, seine Frau zu werden“, erklärte Dila und verdrehte die Augen. „Nächste Woche soll der Wettstreit um deine Schwester stattfinden. Und seitdem ist das hübsche Biest kaum mehr zu bändigen.“ Sie zischte. Jola und sie waren nie sonderlich gut miteinander zurechtgekommen. Jola war wirklich ausgesprochen hübsch und humorvoll, dafür jedoch nicht so weitsichtig, wie Dila sich ihre Töchter wünschte. „Nara ist am Boden zerstört, weil sie als älteste Schwester unverheiratet ist, während Jola sich auf eine Hochzeit freuen darf. Eigensinniges Kamel. Das hat sie von ihrem Vater!“ Dila widmete sich grummelnd ihrer Arbeit. „Und Shirin hat festgestellt, dass sie teleportieren kann. Ständig taucht sie in den unpassendsten Moment irgendwo auf oder verschwindet wieder – das ist noch schlimmer als damals, als sie ununterbrochen sämtliche Farben der Zelte verändert hat! Was lehrt sie dieser Magier jeden Tag, die freche Maus?“
Aziz schwieg und lauschte seiner zeternden Mutter mit einem Schmunzeln. Es tat gut, zu wissen, dass sie sich in all der Zeit nicht verändert hatte.
„Ach, wären sie nur Phila ein wenig ähnlicher“, seufzte Dila schließlich. „Oh und Farida …“
„Aziz!“ Majid hatte das Zelt betreten und augenblicklich erhob sich Aziz, um von seinem Vater überschwänglich umarmt zu werden. „Lass dich ansehen! Du bist größer geworden“, scherzte Majid und grinste. „Oder vielleicht auch nur älter.“ Er klopfte seinem Sohn anerkennend auf die Schulter. „Schön, dass du wieder hier bist.“
„Danke. Es freut mich, wieder zurück zu sein. Und auch, dass du für Jola einen Mann gefunden hast“, erklärte Aziz.
„Ach.“ Majid machte ein entnervtes Gesicht und eine wegwerfende Bewegung. „Jola wollte schon vor einem Monat verheiratet werden, aber das war unmöglich, weil du nicht beim Clan warst. Es gab ein Gekeife, das kann ich dir sagen! Deine Mutter und sie sprechen seitdem nur noch das Nötigste miteinander.“
„Hübsches Biest“, zischte Dila, die Augen stur auf die Kleidung ihres Mannes gerichtet.
„Und von Nara will ich gar nicht anfangen. Ich muss mich wohl auf die Suche nach potenziellen Ehemännern für sie machen oder es kommt zu einem Aufstand.“ Majid verdrehte die Augen. „Und Phila wächst mir über den Kopf. Sie …“ Dila sah interessiert auf. Sie glich einer Katze, die nur darauf wartete, dass die Maus in die Falle tappte. Majid nahm den Blick wahr und musste grinsen. „Sie kommt ganz nach ihrer wunderbaren Mutter.“
Dila feixte. „Gut gesprochen, mein Khan.“
„Wenn Phila oder Shirin jemals geeignete Ehemänner finden, musst du sie gewinnen lassen oder die beiden werden es dir auf ihre Art und Weise heimzahlen. So wie bei dem Poeten übrigens. Jola hat Angst, dass du ihm die Nase brechen könntest.“ Majid verdrehte die Augen.
„Aziz!“, schrie eine Mädchenstimme und der Prinz blickte zum Zelteingang. Seine jüngste Schwester rannte auf ihn zu und stürzte sich in seine Arme, um sich fest an ihn zu drücken. „Hey, kleiner Halbmond.“
„Du warst viel zu lange weg“, beschwerte sich Hilal, die nicht mal daran dachte, ihren Bruder loszulassen.
„Zwanzig Monde. Nicht mehr oder weniger“, entgegnete Aziz ruhig. „Hast du geübt?“
„Jeden Tag“, erklärte Hilal stolz.
Aziz sah zum Zelteingang, in dem sich seine restlichen Schwestern eingefunden hatten. Ganz links stand die bildhübsche Jola mit ihrem langen schwarzen Haar, das ihren Rücken wie Wasser hinunterfloss. Sie war zur Frau geworden, die einst drahtige Gestalt war sinnlicher Weiblichkeit gewichen. Sie hatte ein absolut symmetrisches Gesicht, volle Lippen und einen verachtungsvollen Blick, der jedoch bei dem Anblick ihres Bruders etwas weicher wurde. Neben ihr stand Shirin, ein Buch über Magie an sich gepresst. Sie war jetzt schon so groß wie Jola, hatte eine hohe Stirn und die schmalen Lippen ihrer Mutter, wodurch ihr leichter Überbiss noch ein wenig mehr zur Geltung kam.
Nara hingegen glich eher wieder Jola: Sie war klein und recht hübsch, wenn auch nicht so bildschön wie ihre Schwester, da sie die etwas kleinere und pummeligere Gestalt ihrer Mutter geerbt hatte. In diesem Moment hatte sie die Arme vor dem Körper verschränkt, während ihr enttäuschter Blick ihren Vater traf, in der Hoffnung, dass dieser trotz allem noch die Hochzeit zwischen Jola und diesem Poeten absagen würde.
Die letzte Schwester, Phila, trat vor. Sie trug ihre Haare halblang, hatte einen deutlich massiveren Körperbau als die anderen, war dafür jedoch keine schlechte Kämpferin. Ganz im Gegensatz zu Jola und Nara, die selbst gegen einen Maulesel verlieren würden.
„Ein Jahr kann eine kurze Zeit sein, wenn man unverhofft interessante Menschen kennenlernt“, erklärte Phila lächelnd, ehe sie sich streckte und ihrem Bruder einen Kuss auf sie Wange gab. Da Aziz kniete, konnte sie so tatsächlich seine Wange erreichen.
Hilal ließ endlich von Aziz ab, sodass er sie absetzen und die drei anderen Schwestern ebenfalls begrüßen konnte.
„Gut, dass du da bist“, erklärte Jola. „Ich muss dir meinen Zukünftigen vorstellen.“
„Du musst ihm die Nase brechen“, zischte Nara augenblicklich.
„Hast du einen vergessenen Zauber für mich gefunden?“, fragte Shirin hoffnungsvoll.
„Aziz muss mit mir trainieren“, rief Hilal und versuchte, Aziz an der Hand aus dem Zelt zu ziehen. „Komm mit, Aziz!“
„Der Prinz wird heute feiern und sich nicht um die Belanglosigkeiten der Prinzessinnen kümmern“, stellte Majid klar, in einer Stimmlage, die keinen Widerspruch duldete.
Aziz lächelte, als seine Schwestern verstummten und entschuldigend zu Boden sahen. Er holte ein Stück Pergament aus seiner Hose, faltete es auf und reichte es Phila. „Ein Rätsel.“
Philas Augen leuchteten voller Vorfreude, während sie über das alte, vergilbte Papier huschten. In der Zwischenzeit hatte Aziz noch ein Pergament hervorgeholt, das er nun Shirin reichte. „Ein Zauber. Angeblich schwer, aber keineswegs unmöglich.“
Shirin grinste und schnappte sich den Zettel, um ihn zu studieren.
„Ich freue mich auf die Hochzeit“, erklärte Aziz Jola. „Und ich werde deinen zukünftigen Ehegatten nicht verunstalten.“
„Danke.“ Jola seufzte erleichtert, umarmte Aziz und schwebte lächelnd aus dem Zelt, dicht gefolgt von Shirin, die ihrem Lehrmeister den Zauber zeigen wollte.
„Nara, du willst doch keinen dahergelaufenen Poeten heiraten“, wandte Aziz sich nun an die älteste Schwester. „Die Traditionen sind dir wichtig. Du hast immer gesagt, dass du die Frau eines Khans werden willst. Wird Jolas Mann ein Khan?“
„Nein“, antwortete Nara und verlor dabei an Wut.
„Du freust dich auf eine Hochzeit mit einem großen Wettstreit zwischen würdigen Männern, die nur um dich kämpfen. Ein Kampf, bei dem du nicht weißt, wer gewinnen wird“, erinnerte Aziz sie an ihre einstigen Träume. „Dann heiratet Jola nun einmal vor dir. Was macht es schon? Du bekommst, was du dir wünschst. Und unser Vater wird alles dafür in die Wege leiten, das weißt du doch.“
Nara schien besänftigt, denn sie ließ ihre Arme sinken und lächelte.
„Na also“, schloss Aziz und zwinkerte. „Freu dich für Jola. Du würdest nie einen Poeten heiraten wollen.“
Nara grinste. „Nein. Ich will einen stattlichen Khan.“ Sie nickte Aziz zu und verließ das Zelt, während sie nach Jola rief.
Nun wandte sich Aziz zu Hilal. „Wir werden kämpfen. Sobald ich mein Tattoo habe, üben wir.“ Hilal grinste überglücklich und nickte eifrig.
„Und jetzt geh und such dir einen Partner zum Aufwärmen“, riet Aziz ihr und holte aus seinem Leinensack ein kleines meisterhaft gearbeitetes Schwert heraus, das mit Juwelen besetzt und mit Gold beschlagen war, wodurch es mehr an ein Kunstwerk als an eine Waffe erinnerte. „Und ich erwarte, dass du bis zu unserem Kampf mit deiner neuen Waffe umgehen kannst.“
„Danke!“ Hilals Grinsen wurde noch breiter, sie drückte ihren Bruder erneut an sich und huschte aus dem Zelt.
Majid seufzte tief. „Deine Schwestern machen dich noch vorzeitig zum Khan. Wie schaffst du es nur, jede von ihnen stets zur Ruhe zu bringen?“
Aziz schmunzelte. „Das bleibt mein Geheimnis, denn nur so stelle ich sicher, dass ich noch lange Prinz unter meinem ehrwürdigen Khan bleiben kann.“
Majid lachte. „Es tut gut, dass du wieder da bist. Und ich freue mich, dass du ein vollwertiges Mitglied unseres Stammes wirst. Und eines Tages wirst du ein weiser und mächtiger Khan sein, mein Sohn. Ich bin stolz auf dich.“
Tahira legte ihre Hand sanft auf Faridas Schulter, bevor sie sich neben sie setzte.
„Du hast genug am Bett des Jungen gewacht. Geh raus und feiere ein wenig mit den anderen.“ Farida sah Tahira freundlich an.
Du bist seine Tante. Du solltest feiern gehen.
„Wenn die Mystikerin nicht feiert, ist das kein gutes Omen.“
Farida lächelte. Ich bleibe noch einen Moment. Er schläft mir noch zu unruhig. Sie sah den kleinen Jungen an, bevor sie ihm wieder den Schweiß aus dem Gesicht wischte.
„Es muss für seine Mutter schlimm sein, ihn so krank daliegen zu sehen. Bei meinen Neffen und Nichten habe ich stundenlang wach gelegen und gehofft, dass es ihnen bald wieder gut geht“, sprach Tahira, während sie den Jungen ansah. „Du warst nie krank – gepriesen sei der große Skorpion.“
Seine Mutter weiß, dass er wieder auf dem Weg der Besserung ist.
Tahira lächelte und nickte. „Ich hätte auch gern Kinder gehabt.“ Farida sah sie an und strich ihr sanft über die Schulter.
„Aber ich könnte einfach keinen Mann haben, der mir nicht das Wasser reichen kann.“
Dafür hast du deinen Neffen und deine Nichten. Aziz, Nara, Jola, Shirin, Phila und Hilal.
„Und dich.“ Tahira drückte Farida an sich. „So und jetzt geh raus und hab ein wenig Spaß.“
Farida nickte und erhob sich, um aus dem Zelt zu gehen. Sie sah den Jungen an, bis sie die Zeltplane schloss und sich umwandte. Aziz stand direkt hinter ihr. Er lächelte, als hätte er sie bereits begrüßt.
Hallo.
„Ich habe mich schon gefragt, wo unsere Mystikerin bleibt“, sprach Aziz, bevor er schnell hinzufügte: „Mein Vater hat mich geschickt, um dich zu holen.“
Farida sah sich um. Niemand war in ihrer Nähe.
„Wie war es?“, fragte sie leise, falls doch jemand in Hörweite sein sollte.
„Interessant“, antwortete Aziz nur. Ihre Stimme klang so melodisch wie eh und je. Dennoch kam es ihm so vor, als hätte er sie Jahrtausende nicht gehört und sich nach ihrem Klang verzehrt.
„Wo warst du?“, erkundigte sich Farida neugierig.
„Überall und nirgendwo. Und erlebt habe ich viel.“ Er lächelte. Seine Hände lagen auf dem Rücken und er bewahrte den angemessenen Abstand zwischen ihnen. „Und du? Bist du ein vollwertiges Mitglied des Stammes geworden?“ Farida nickte und erhob ihre linke Hand. Auf dem Rücken war das Tattoo des Stammes zu sehen.
Pechschwarz zierte es ihre helle Haut: ein stilisierter Skorpionstachel. „Ich dachte immer, dass es auf jeder Hand etwas Besonderes geben sollte.“ Sie drehte ihre rechte Hand so, dass Aziz die Handinnenfläche sehen konnte. Da war eine merkwürdige Narbe. Ein Zeichen, das Farida schon seit ihrer Geburt trug. Es zeigte mehrere Wellen und bisher hatte es angeblich jede rechte Hand der Mystikerinnen von Ayn gezeichnet.
„Wasser. Zeichen des Lebens“, sprach Aziz. Farida nahm ihre Hände wieder herunter.
„Sollen wir?“, fragte Aziz und nickte in Richtung Oase.
„Natürlich.“ Farida strich sich eine Strähne ihrer brennenden Haare aus dem Gesicht. Gemeinsam schritten sie zum Fest.
„Deine Schwestern haben dich vermisst“, erklärte Farida leise.
„Nur meine Schwestern?“, hakte Aziz nach und beobachtete Farida von der Seite.
„Natürlich hat dich der gesamte Clan vermisst, deine Mutter, deine Tante, dein Vater. Aber vor allem deine Schwestern. Und unter ihnen vor allem Hilal“, antwortete Farida. „Sie hat die Tage gezählt, bis du zurückkommst.“
„Was ist mit dir?“, fragte Aziz und tat pikiert. „Hast du den Prinzen nicht vermisst?“
Farida warf ihm einen kurzen Blick zu. Die Mystikerin ist froh, ihren Beschützer wieder in ihrer Nähe zu wissen.
Und du?
Ich freue mich, dass du wieder hier bist. Wirklich. Farida lächelte ihn an.
Warum musste ich dich dann holen kommen?
Weil ich Feste nicht mag, das weißt du doch, erinnerte sie ihn. Ich bin taub, ich weiß nie, worüber irgendwer in meiner Nähe redet, und ständig habe ich das Gefühl, dass ich irgendetwas von den Gesprächen verpasse. Manchmal fühle ich mich dabei einfach ausgegrenzt. Du weißt, dass ich mich freue, dass du wieder da bist und dass du heute ein vollwertiges Mitglied des Stammes wirst. Auch wenn ich mir erhofft hatte, dass du deine Idee überdenkst und dir eine andere Stelle aussuchst. Nimm es nicht auf die leichte Schulter. Das Gift ist potenter, als die meisten ahnen.
Ich werde das schaffen. Aziz lächelte großspurig. Ich bin immerhin der nächste Khan.
Ein Sturkopf bist du, zeigte Farida. Ein Dickschädel. Du wirst noch sehen, was du davon hast.
Aziz schmunzelte nur. „Die Mystikerin des Clans“, sprach er schließlich laut, als sie sich der feiernden Menge näherten. „Malak Farida bint Laila bin Nafisa bint Zahra al Ayn.“
Farida lächelte und setzte sich auf einen der Teppiche in die Runde des Festes. Sie fühlte sich sichtlich unwohl.
Schließlich war es soweit. Aziz würde nun zu einem vollwertigen Krieger des Stammes erhoben werden. Nachdem Majid eine Rede gehalten hatte, stand Aziz auf. Mit stählerner Brust schritt er in die Mitte des Kreises und legte sich auf den Teppich der Vorfahren.
Die meisten Krieger ließen sich das Zeichen des Stammes auf die Hände tätowieren, einige ins Gesicht. Aziz jedoch hatte sich für seinen Rücken entschieden.
Farida stand auf und schritt würdevoll auf ihn zu. An ihrer Hand hatte es schon unendlich geschmerzt, wie würde es nur auf dem ganzen Rücken sein? Die Farbe war getränkt in das Gift des großen Skorpions. Ein Tropfen zu viel und Aziz würde die Nacht nicht überleben.
Feierlich tauchte Farida einen Pinsel in die schwarze Farbe und malte das Symbol des Clans großflächig auf seinen durchtrainierten Rücken. Die Farbe war kalt, doch Aziz zeigte keine Reaktion. Er hatte seinen Kopf auf seine Unterarme gelegt und starrte stoisch in das lodernde Feuer.
Nun würde der schmerzhafte Teil kommen.
Farida sah auf. Tahira und Majid nickten anerkennend, Aziz’ Schwestern sahen ihn ehrfürchtig an. Zwei von ihnen trugen bereits ihr Zeichen und wussten, welche Schmerzen Aziz nun aushalten musste. Nara griff sich unwillkürlich an die Innenseite ihres Handgelenks, Jola rutschte unbehaglich hin und her. Dila blickte gen Boden, ihr Sohn tat ihr leid.
Farida nahm das Werkzeug in die Hand. Eine Art Stempel mit Tausenden von kleinen Nadeln würde sich gleich in seinen Körper bohren, damit die Farbe unter die Haut gelangte. Sie setzte den Stempel an der ersten Stelle auf. Drei Mal hatte Farida es über sich ergehen lassen müssen, bis ihr Tattoo endlich fertig war – und dabei hatte sie bei jeder Sitzung nur zwei Stempel gebraucht. Aziz würde auf jeden Fall fünf Sitzungen brauchen – und mindestens zwölf Mal musste sie den Stempel in ihn rammen.
Farida hob das Werkzeug hoch in die Luft, sodass es alle sehen konnten. Mit großen Augen betrachteten sie den im Schein des Feuers glänzenden Stempel.
Zur Sicherheit rückte Farida noch näher an Aziz und legte ihre Hand auf seine Schulter, um ihn gegebenenfalls zu heilen. Dann ließ sie den Stempel nach unten sausen, drückte ihn fest in seinen Rücken hinein, bevor sie ihn wieder herauszog. Blut tropfte von den Nadeln. Farida atmete tief durch und stach erneut zu.
Aziz blieb völlig regungslos, bis sie mit der ersten Sitzung fertig waren. Danach hatte er zur Feier des Tages einen Krug Rosenwasser bekommen, bevor sein Rücken begutachtet wurde.
Tahira stützte ihn, als er sich endlich in sein Zelt zurückziehen durfte. Sie legte ihn auf seinem Bett ab und nickte ihm anerkennend zu. „Jetzt bist du ein wahrer Krieger der Ayn.“
Aziz nickte ebenfalls, bevor seine Tante das Zelt verließ. Der Alkohol half zwar, aber noch immer brannte sein Rücken wie Feuer. Er hatte das Gefühl, dass die unzähligen Nadelstiche immer wieder neue Wunden verursachen würden, und das Gemisch aus Farbe und Gift darin brannte enorm.
Leise wurde die Zeltplane wieder geöffnet und Farida schritt ins Zelt. Sie kniete sich neben ihn und sah ihn mitleidig an.
„Lass mich bitte einen Teil der Wunden heilen“, flüsterte sie leise mit ihrer himmlischen Stimme.
„Nein“, entgegnete Aziz mit Nachdruck.
„Ich heile nicht alles, nur …“
Aziz schüttelte den Kopf. „Es war meine Entscheidung. Ich bin jetzt ein vollwertiges Mitglied des Stammes und als solches muss ich diese Qualen über mich ergehen lassen.“ Er sah sie an. „Es ist eine Frage der Ehre. Hast du deine Wunden damals geheilt?“
Farida betrachtete ihre Hand und verneinte seufzend. „Aber die Wunde war auch nicht so groß wie bei dir.“
Aziz schüttelte den Kopf. „Na, siehst du. Nur weil ich der Erstgeborene des Clanführers bin, sollst du keine Ausnahme machen.“
„Darum geht es nicht. Es geht um diese eine große Wunde. Sie bereitet mir Sorgen. Sie blutet …“
„Nein. Wenn du sie heilst, verletzt du meine Ehre.“ Aziz blickte zum Zeltausgang. „Geh bitte.“
Farida erhob sich. „Du Dickschädel.“
Aziz sah, wie sie den Raum verließ. Er schloss die Augen und versuchte zu schlafen.
Farida erwachte und fühlte sich unausgeschlafen. Sie hatte die ganze Nacht am Bett des kranken Jungen verbracht und war wohl darüber eingeschlafen.
Jemand stupste sie leicht an und als sie aufsah, blickte sie direkt in das Gesicht ihres kleinen Patienten. Er grinste sie freudig an.
„Ich bin wieder gesund.“
Farida lächelte und setzte sich auf. Sie sah sich den Jungen noch einmal genauestens an.
Na gut, du darfst aufstehen.
„Juhu!“ Der Junge sprang sofort auf und rannte aus dem Zelt.
„Geht es ihm wirklich schon wieder so gut?“, fragte seine Mutter besorgt.
Ja. Er sollte sich heute früher ins Bett legen, ansonsten ist alles in Ordnung. Die Krankheit hat er überstanden.
Farida erhob sich, nickte der Mutter zu und trat verschlafen aus dem Zelt. Die Sonne würde in wenigen Augenblicken aufgehen und der Clan war größtenteils noch nicht aufgestanden.
Farida schritt zum Wasserloch und machte sich frisch, bevor ein Schatten neben ihr auftauchte. Khan Majid.
Farida richtete sich auf und neigte ihr Haupt kurz.
„Du musst dich nicht verbeugen“, sprach Majid, das sagte er ihr immer. „Es geht um Aziz. Könntest du nach ihm sehen?“
Farida nickte und schritt eilig in das Zelt des Clanführers. An Aziz’ Bett hatten sich schon Tahira und seine Mutter Dila versammelt.
„Es ist nichts“, brummte Aziz verärgert, als Farida an sein Bett trat. Dabei warf er ihr einen genervten Blick zu.
Im Raum brachen Diskussionen aus und Farida war froh, dass sie nichts davon hörte und dass sie sich nur Aziz’ Wunde widmen konnte. Sie schien zu heilen, jedoch hatten sich einige Stellen im Lendenwirbelbereich schon leicht entzündet.
Farida strich über die geschundene Haut. Wie gern hätte sie ihn von seinem Leid erlöst.
Tahira tippte Farida auf die Schulter und diese drehte sich zu den anderen um.
„Was ist mit der Wunde?“
Farida sah zu Aziz und wieder zurück. Sein Blick war stoisch. Er wollte unter keinen Umständen geheilt werden, das war nur allzu deutlich zu erkennen. Und sicherlich ging er davon aus, dass Farida ihnen nun eröffnete, dass die Entzündungen geheilt werden mussten.
„Du musst ihn heilen, oder?“, erkundigte sich Dila besorgt.
Farida hätte am liebsten genickt, aber sie wusste, wie wichtig es Aziz war, diese Qualen allein durchzustehen.
Nein. Ich werde die Wunde spülen und es beobachten. Nur um sicherzugehen.
„Ich sagte doch, dass du dir zu große Sorgen machst!“, rief Majid und er und seine Frau verließen diskutierend das Zelt.
Tahira klopfte ihrem Neffen anerkennend auf die Schulter. Er würde die Schmerzen durchstehen. Wie jeder vor ihm. Dann verließ auch sie das Zelt.
„Es muss geheilt werden, richtig?“ Aziz starrte in Richtung Zeltwand.
„Es wäre besser.“ Farida seufzte. „Das tut jetzt nur ein bisschen weh …“
Aziz nickte und sie machte sich daran, den Grind an den entzündeten Stellen zu entfernen, bevor sie die Wunden mit Wasser auswusch. Aziz verzog wieder keine Miene.
Farida arbeitete sehr gründlich und so dauerte es seine Zeit, bis sie fertig war. Anschließend kniete sie sich neben Aziz, der die Augen geschlossen hatte. Ihr Blick huschte über seinen Rücken. Die Wunde sah nicht gut aus. Und heute würde er die nächste Sitzung aushalten müssen.
Aziz ergriff ihre Hand und Farida erschrak ein wenig. Sicherlich hatte er zuvor etwas gesagt, aber natürlich hatte sie nichts gehört.
„Versprich es mir“, verlangte er.
„Was?“, fragte Farida verwirrt.
„Dass du keine Magie benutzt“, wiederholte Aziz.
„Nein“, Farida schüttelte entsetzt den Kopf. „Wenn du daran stirbst …“
„Dann habe ich es nicht verdient, diesen Clan als Anführer zu leiten“, beendete Aziz ihren Satz mit Nachdruck.
„Stirb nicht.“ Farida betrachtete ihn mit einem ernsten Gesichtsausdruck.
„Das habe ich nicht vor.“
„Versprich du mir das und ich gebe dir mein Versprechen.“
„Gut. Versprochen. Ich sterbe nicht.“ Aziz lächelte. „Wie könnte ich auch? Ich bin doch dein Beschützer.“
Farida sah sich um. Das Zelt war geschlossen. Niemand konnte sie sehen. Hastig formte sie einige mystische Gesten, bevor sie sich hinunter zu Aziz lehnte. „Dein Versprechen für meines“, raunte sie ihm ins Ohr, ehe sie ihre Finger auf seine Stirn legte und die Augen schloss. Aziz spürte, wie die Magie die Luft um ihn herum zum Zittern brachte. Er sah Farida fasziniert an. Ihre Magie war so anders als alles, was er kannte.
Farida jedoch begutachtete seine Wunde. „Ich mache mir trotzdem große Sorgen.“ Sie seufzte und fuhr sich durch die brennenden Harre.
„Erzähl mir von Jola“, bat Aziz sie. „Hat sie es gut überstanden, als sie das Zeichen des Clans erhalten hat?“
Farida nickte. „Sie hat ein recht kleines Zeichen, es musste nicht oft nachgestochen werden. Bei ihrer Feier war ihr Verlobter anwesend. Dabei hat er sich wohl in sie verliebt und am Abend noch bei Khan Majid vorgesprochen.“
„Wo hat sie es sich stechen lassen?“, erkundigte Aziz sich.
Farida errötete leicht. „Rechter Innenschenkel. Ziemlich weit oben.“
Aziz verdrehte die Augen. „Typisch Jola. Wo auch sonst …“
„Sie wollte sogar eine ganz andere Stelle, aber deine Mutter und der Khan haben es verboten.“ Farida wurde noch ein wenig röter im Gesicht. Sie räusperte sich, erhob sich anschließend und nickte ihm zu.
„Geht es dir gut?“, fragte Aziz unvermittelt.
Farida war wie vor den Kopf gestoßen. „Das fragst du mich? Ich liege nicht auf einer Pritsche mit einer riesigen Wunde quer über dem Rücken.“
Aziz schmunzelte und nickte. „Ja, das stimmt. Du bist nur so … anders.“
„Du warst zwanzig Monde lang weg“, erinnerte sie ihn. „Nicht nur du hast dich verändert.“
„Das stimmt“, gab Aziz zu, „und dennoch …“ Er ließ die Worte verklingen.
„Ruh dich noch ein wenig aus“, riet Farida ihm schließlich und sie lächelten sich kurz zu, ehe sie den Raum verließ.