Читать книгу Der Prinz aus Ayn - Gianna Fröhlich - Страница 9
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ОглавлениеFarida wurde unsanft aus ihrer Ruhe gerissen. Tahira schüttelte sie.
„Komm … Aziz … Zelt …“ Sie redete so schnell, dass Farida ihre Lippen so gut wie gar nicht lesen konnte. Dennoch stand sie hastig auf und folgte Tahira hinein in Aziz’ Zelt. Majid und seine Frau liefen nervös umher. Während Dila allem Anschein nach vergebens versuchte, ihrem Sohn zu helfen, war Majid vollkommen überfordert. Er trat an Farida heran und redete auf sie ein. „Fünf Sitzungen hat er überstanden. Jeden Tag eine! Und jetzt ist er nicht mehr ansprechbar! Er kommt nicht zu sich. Die Wunde sieht schlimm aus und er hat Fieber und …“
Farida genügten diese Informationen. Sie schritt hinüber zu Aziz, kniete sich neben ihn und hob die blutgetränkten Laken hoch, um seinen Rücken zu begutachten. Der Anblick war alarmierend.
„Frisches Wasser“, verlangte sie und Aziz’ Mutter verließ den Raum. „Ich brauche meine Kräuter“, wies sie weiter an und Tahira eilte nach draußen. „Und so viele saubere Tücher wie nur möglich.“ Nun verließ Majid den Raum.
Farida fasste an Aziz’ Stirn. Tatsächlich glühte er. Er musste hohes Fieber haben. Sie überprüfte seine Atmung. Sie war vorhanden und gleichmäßig.
Die drei kamen wieder ins Zelt gestürmt und brachten ihr, wonach sie verlangt hatte. „Verlasst das Zelt jetzt bitte, damit ich in Ruhe arbeiten kann.“
Farida wusste, dass sie sicherlich gerade protestierten und ihr helfen wollten, aber sie ignorierte es. Während sie das Krankenlager verließen, zerstieß Farida einige Kräuter, gab diese ins Wasser und tunkte schließlich den Lappen hinein. Ganz langsam wusch sie Aziz’ Rücken. Die Wunde eiterte an einigen Stellen und hatte sich dunkel verfärbt, aber die Wirkung der Kräuter sollte dabei helfen, dass sie schneller heilen würde. Farida legte eine Hand auf Aziz’ Wange. „Wach auf“, verlangte sie und tatsächlich schlug der Prinz die Augen auf.
Er lächelte gequält. „Mir ist etwas warm. Und mein Rücken …“ Er wollte sich anders hinlegen, brach den Versuch jedoch ab. Aziz war viel zu schwach. „Und du willst mich heilen, oder?“
Farida schüttelte langsam den Kopf. „Ich habe dir versprochen, es nicht zu tun, wenn du nicht stirbst. Würde ich dich heilen und mein Versprechen brechen …“ Sie ließ es unausgesprochen.
„Und jetzt?“, fragte Aziz nach einiger Zeit.
„Jetzt pflege ich dich gesund“, stellte Farida klar.
„Das kannst du auch ohne Magie?“ Aziz schmunzelte. „Gut zu wissen.“ Er schloss erschöpft seine Augen.
„Mit Magie wäre es leichter“, erklärte Farida seufzend.
„Meine Familie möchte, dass du mich heilst, oder?“, murmelte Aziz.
„Natürlich.“ Farida betrachtete seinen Rücken. „Aber deine Ehre ist dir wichtiger. Also brich dein Versprechen nicht.“
Aziz lächelte gequält. „Habe ich nicht vor.“ Seine Augenlider wurden schwer und er schlief ein.
Als er wieder erwachte, war es bereits dunkel. Draußen prasselte ein Feuer und neben seinem Nachtlager saß Farida und meditierte – wie immer, wenn sie schlief oder zumindest so tat. Aziz bewegte sich leicht. Sein gesamter Rücken war scheinbar einbalsamiert und durch irgendetwas betäubt. Er hob seine Hand und berührte Farida sanft am Knie. Augenblicklich schlug sie die Augen auf. „Du musst nicht neben mir Wache halten“, meinte Aziz und lächelte.
Farida ignorierte seine Worte: „Wie geht es dir?“
„Besser. Alles fühlt sich taub an“, erklärte Aziz.
Farida nickte und fühlte seine Stirn. „Dein Fieber ist ein bisschen zurückgegangen, aber du bist immer noch warm. Ich habe deinen Rücken mit Kräutern und Ölen eingerieben, das betäubt den Schmerz. Aber es war keinerlei Magie im Spiel – wie versprochen. Ich helfe deinem Körper nur, indem ich das Fieber ein wenig senke und den Schmerz lindere. Du bekämpfst das Skorpiongift immer noch selbst.“
„Danke.“ Aziz gähnte. „Hast du etwas zu trinken für mich? Ich fühle mich, als würde ich verdursten.“ Farida reichte ihm eine Karaffe, die er in wenigen Zügen leerte.
„Willst du noch mehr?“, fragte sie fürsorglich.
Aziz nickte, hielt sie aber zurück, als sie aufstehen und es holen wollte. „Zaubere es doch herbei.“
„Das Wasser der Oase hat uns immer gute Dienste geleistet“, erinnerte Farida ihn. „Es wird deinen Durst am besten stillen.“
„Schade. Dein Wasser ist so schön kühl.“
„Keine Zauberei“, stellte Farida klar und schubste ihm leicht gegen den Kopf. „Dir geht es schon wieder viel zu gut, mein Prinz.“
Aziz lachte leise und sah ihrer zauberhaften Gestalt nach. Kaum war sie aus seinem Blickfeld verschwunden, richtete Aziz seinen Blick auf eine größere Truhe. „Komm raus, Hilal.“
Seine kleine Schwester erhob sich und sah ertappt zu Boden. „Woher wusstest du …?“
„Hilal, du solltest längst schlafen. In deinem Zelt. Es ist mitten in der Nacht“, unterbrach Aziz ihre Frage.
„Ich kann nicht. Ein Krieger muss doch an deinem Lager Wache halten“, flüsterte Hilal entsetzt, während sie ihr neues Schwert umklammerte und an Aziz herantrat. „Was, wenn du stirbst?“
Aziz betrachtete sie eindringlich. „Ich werde nicht sterben.“
Hilal schluchzte. „Du hattest hohes Fieber. Selbst Mama und Papa hatten Angst um dich. Und ich habe geträumt, dass du nicht mehr aufwachst.“ Nun weinte sie.
„Ach, kleiner Halbmond.“ Er bemühte sich, so weit zur Seite zu rutschen, dass sie sich neben ihn legen konnte. Aziz wischte ihre Tränen weg. „Dann schlaf neben mir, wenn dich das beruhigt.“
Hilal nickte, steckte ihr Schwert weg und legte es auf den Boden. Anschließend legte sie sich zu ihrem Bruder, rückte ganz nah an ihn heran und schloss die Augen. Bald darauf ging ihr Atem ruhig und gleichmäßig.
„Du solltest dich auskurieren. Allein.“ Farida stand kopfschüttelnd vor dem Nachtlager.
„Lass sie schlafen, Farida“, bat Aziz sie. „Wenn sie beruhigt ist, bin ich es auch.“ Er lächelte sie an.
Farida seufzte. Sie reichte Aziz den Wasserschlauch, ehe sie um Hilal eine zweite Decke schlang, um sie in der kalten Wüstennacht warmzuhalten.
„Irgendwann muss sie dich gehen lassen“, erinnerte Farida Aziz mit leiser Stimme.
„Ja. Aber bis dahin lass sie doch noch Kind sein“, gab Aziz zurück und streichelte seine Schwester. „Gute Nacht, kleine Kriegerin.“
Ein Schrei riss Aziz aus dem Schlaf. Er war laut und markerschütternd und er kam aus seiner direkten Umgebung. Augenblicklich sprang er auf, schnappte sich seinen Säbel, der immer neben seinem Nachtlager bereitlag, ignorierte das Schwindelgefühl und hastete zum Zelteingang. Wieder ein Schrei, jedoch von einer anderen Person. Und dieses Mal wusste er, dass dieser Schrei Hilal zuzuordnen war.
Aziz stürmte nach draußen. Eine Gestalt huschte gerade aus dem Zelt neben seinem und verschwand in Richtung Oase, wo sie von der Finsternis der Nacht verschluckt wurde. Er könnte ihr später nachjagen, zunächst gab es Wichtigeres zu tun. In höchster Alarmbereitschaft betrat Aziz das Zelt mit erhobenem Säbel, als Shirin für Licht sorgte, indem sie eine kleine blaue Flamme auf ihren Handinnenflächen tanzen ließ.
Auf dem Boden lag ein junger Mann, den Aziz augenblicklich als Kabil identifizierte – Jolas Verlobten. Der Mann wand sich unter Qualen, während Blut aus seinem Bauch hervorquoll und den Boden rot färbte. Jola kniete schluchzend neben ihm. Beide hatten nackte Oberkörper, Jolas Haare waren vollkommen zerstreut.
Aziz Blick huschte durch den Raum. Shirin und Phila sahen erschrocken zu Kabil, Nara stand dicht am Zelteingang, die Hand entsetzt vor den Mund geschlagen.
Aziz ließ seinen Säbel sinken und legte ihn auf Shirins Bett ab. Er packte eines der Felle, trat an Kabil heran und drückte es auf die Wunde, wobei er das Geschrei des Poeten ignorierte. „Phila, hol Farida. Shirin, komm näher, ich brauche Licht. Nara, entzünde so viele Öllampen wie möglich. Jola, hör auf zu heulen, er wird nicht sterben.“ Er warf der Letztgenannten einen kühlen Blick zu und diese schluckte, verstummte jedoch. „Zieh dir etwas an, sofort!“, wies er sie ruppig an. Schweigend griff Jola nach ihrem Oberteil und zog es sich über, keinen Augenblick zu früh. Majid und Tahira betraten mit erhobenen Waffen das Zelt, dicht gefolgt von Dila, während Phila nach draußen huschte. Augenblicklich ließen der Khan und seine Schwester ihre Waffen sinken.
„Wo ist der Eindringling?“, fragte Tahira verwirrt.
„Was ist passiert?“, kam es beinah gleichzeitig von Majid.
„Kabil ist verletzt. Die Wunde ist allerdings nicht tief“, erklärte Aziz nüchtern.
Tahira schüttelte den Kopf. „Wie konnten wir bei der Wache jemanden übersehen?“
„Wo ist Hilal?“, fragte Majid plötzlich alarmiert, der den Blick durch den Raum schweifen ließ und feststellen musste, dass seine jüngste Tochter fehlte.
„Sie hat bei mir geschlafen“, erklärte Aziz nur, was der Wahrheit entsprach. Er war sich jedoch bewusst, dass sie Kabil verletzt haben musste.
„Aziz, du sollst sie nicht bei dir schlafen lassen“, tadelte Tahira ihren Neffen. „Sie ist alt genug, um allein zu schlafen. Und außerdem ist sie ein Mädchen.“
„Das ist jetzt unwichtig“, zischte Dila und trat zu Jola, um sicherzugehen, dass ihr nichts fehlte, ehe sie sich den anderen beiden Töchtern zuwandte.
Phila kam in diesem Moment zurück ins Zelt, dicht gefolgt von Farida, die sich sofort zu Kabil kniete. Nara hatte mittlerweile die meisten Öllampen entzündet, sodass Shirin ihr Feuer löschen konnte.
„Shirin, Phila, geht mit eurer Mutter in mein Zelt“, wies Majid die drei an. „Tahira, du bleibst hier bei Nara, Jola, Farida und Kabil. Ich werde draußen mit den Kriegern nach dem Eindringling suchen.“
Aziz erhob sich, er spürte, wie ihm schwindelig wurde, verdrängte das Gefühl jedoch. „Ich sehe nach Hilal.“ Er nahm seine Waffe mit.
Majid nickte ihm zu und Aziz folgte ihm aus dem Zelt. Phila nahm augenblicklich seine Hand. Sie sah ihn aus großen braun-grünen Augen an, während sie ihn ein wenig zur Seite zog. Shirin ging unbekümmert zusammen mit ihrer Mutter in das Zelt des Khans hinein.
„Aziz, der Khan wird niemanden finden“, flüsterte Phila leise.
„Ich weiß“, entgegnete Aziz.
„Hilal ist vielleicht verletzt. Jola hat sie geschubst“, erzählte Phila immer noch im Flüsterton. „Was sage ich Mama?“
„Die Wahrheit“, riet Aziz ihr. „Sie wird es ohnehin bald erfahren, wenn sie es nicht jetzt schon weiß.“ Phila nickte und drückte seine Hand. Aziz tat es ihr gleich, ehe sie sich gehen ließen und Phila ihrer Schwester Shirin folgte.
Aziz ging auf direktem Weg zur Oase. Er musste nicht lange suchen: Hilal saß am Wasser und schluchzte mit hängenden Schultern.
„Kleiner Halbmond“, sprach Aziz sie an, als er sich ihr näherte.
Hilal wandte sich um, verzog ihr tränennasses Gesicht und weinte nur noch mehr. Dabei hielt sie ihr linkes Handgelenk fest umklammert.
Aziz kam zu ihr, legte seinen Säbel in den Sand, nahm sie in die Arme und begutachtete anschließend ihren verletzten Arm. Es war merkwürdig verdreht.
„Komm, Farida wird das heilen.“ Aziz bündelte all seine Kräfte und nahm Hilal hoch auf seinen Arm, die sich an ihren großen Bruder drückte, um Geborgenheit zu finden. Anschließend hob er seinen Säbel wieder auf.
„Ich dachte, dass …“ Sie schluchzte.
„Ich kann es mir denken“, kam es von Aziz.
„Nara hat am Eingang geschlafen“, berichtete Hilal trotzdem weiter. „Und Jola hat gestöhnt vor Schmerzen.“ Sie schluchzte. „Ich wollte ihn nicht töten.“
„Du hast ihn nicht getötet“, erklärte Aziz ruhig. „Er lebt. Farida heilt ihn.“
Hilal versuchte sich zu beruhigen, schniefte jedoch weiterhin. „Jola hat mich geschubst. Dabei wollte ich sie nur beschützen.“ Hilal holte stockend Luft. „Ich dachte, dass er ihr wehtut.“
Aziz schwieg. Er war mittlerweile wieder am Zelt seiner Schwestern angekommen. Kurz lugte er nach drinnen. Farida war nicht mehr hier. Nur noch Jola und Nara saßen dort. Jola weinte fast so bitterlich wie Hilal.
„Farida sagt, dass er sich nur ausruhen muss“, sprach Nara ihrer Schwester Mut zu. „Vermutlich wird er nicht einmal eine Narbe davontragen.“
„Hilal hätte einfach bei Aziz bleiben sollen“, zischte Jola wütend.
„Du hättest einfach allein in deinem Bett schlafen sollen“, kam es streng von Aziz, der eingetreten war.
Jola und Nara sahen auf und hastig wischte Jola sich die Tränen aus dem Gesicht. „Hör auf, zu heulen, Hilal! Du bist an allem schuld!“
Hilal weinte nur noch mehr.
„Sie wollte dich beschützen“, kam es von Aziz. „Als Dank ist jetzt ihr Handgelenk gebrochen.“
Jola stockte und stand auf. „Das … das wollte ich nicht.“ Sie trat an die beiden heran und streichelte über Hilals Rücken. „Tut mir leid, Hilal.“
Hilal schüttelte ihre Hand ab und drückte sich noch fester an Aziz.
„Aziz, ich …“, setzte Nara an, aber er schüttelte den Kopf.
„Erklärt das unserer Mutter. Sie wird sicherlich schon längst wissen, was passiert ist. Und ich bin gespannt, wie ihr das unserem Vater, dem Khan, erklären wollt. Er sucht nämlich noch immer nach dem Eindringling.“
Jola und Nara warfen sich einen kurzen Blick zu.
„Wo ist Farida?“, erkundigte sich Aziz.
„Tahira hat Kabil in sein Zelt gebracht. Farida wollte dort nach ihm sehen und dann in ihr eigenes Zelt zurückkehren“, erzählte Nara.
„Es tut mir leid“, erklärte Jola verzweifelt. „Ich dachte nicht, dass Hilal zu uns kommt. Und Shirin und Phila schliefen tief und fest.“
„Jola, wenn du nur manchmal dein Gehirn benutzen würdest, hättest du weitaus weniger Probleme. Und wir auch.“ Aziz verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. „Du wirst ihn ja bald heiraten, jetzt gedulde dich einfach noch ein paar Tage.“
„Ich gedulde mich schon viel zu lange“, murrte Jola genervt. „Du weißt nicht, wie das ist. Und außerdem bist du daran schuld, dass es so lange dauert. Nur weil du das Tattoo quer über dem ganzen Rücken tragen musst.“
Aziz hob die Augenbrauen. „Jola, fang an, endlich die Verantwortung für deine Taten zu tragen. Ich gehe jetzt zu Farida, um Hilal heilen zu lassen. Und du suchst die Einsicht der Götter und allen voran die des großen Skorpions, dass sie dich zur Vernunft kommen lassen.“ Er wandte sich absichtlich so schnell ab, damit ihm Jolas Reaktion auf seine Worte erspart blieb.
Wie erwartet war Farida bereits in ihr Zelt zurückgekehrt. Sie zerstampfte gerade einige Kräuter mit Blickrichtung zum Zeltausgang, als Aziz mit Hilal auf dem Arm eintrat, sodass Farida die beiden direkt wahrnahm. „Was ist passiert?“
„Längere Geschichte. Hilals Handgelenk sieht gebrochen aus.“ Aziz setzte Hilal ab.
Farida bedeutete dem Mädchen, zu ihr zu kommen und den linken Arm auszustrecken. Behutsam inspizierte die Mystikerin das Handgelenk.
„Aziz, kannst du dich bitte in mein Nachtlager legen?“, fragte sie dabei auf einmal.
Aziz, der leicht geschwankt war, sah sie verwundert an, während er die schwarzen Punkte aus seinem Blickfeld blinzelte. „Wie bitte?“
„Du bist immer noch nicht vollkommen genesen“, erinnerte Farida ihn und nickte zu ihrem Nachtlager. „Du wirst gleich zusammenbrechen.“
Aziz spürte, dass sie recht hatte. Ihm war tatsächlich ungewohnt schwindelig. Ohne Proteste schritt er an Farida vorbei und legte sich in ihr Nachtlager. Die Welt um ihn herum drehte sich ein wenig und ein leichtes Schwindelgefühl überkam ihn, während es unheilvoll in seinen Ohren klingelte.
Farida versorgte Hilal, indem sie zunächst das Handgelenk richtete und es dann heilte. Das kleine Mädchen war sehr tapfer, sie schrie nicht, als Farida ihre Fraktur behandelte. Anschließend bedankte sie sich höflich und rieb sich müde die Augen. Fragend sah sie zu Aziz. „Darf ich bei dir schlafen? Ich will nicht zurück zu den anderen.“
Aziz bedeutete ihr, sich zu ihm zu legen. Dieser Aufforderung kam Hilal augenblicklich nach. Sie legte sich auf den Bauch und lächelte, als Aziz sie zudeckte. „Schlaf gut, meine kleine Kriegerin.“ Sie atmete tief durch und beobachtete Farida dabei, wie sie Kräutermischungen zubereitete. Ihre Augen wurden immer schwerer, ehe sie schließlich zufielen.
Aziz und Farida schwiegen lange Zeit, bis sie sich sicher waren, dass Hilal schlief.
„Kabil?“, fragte Aziz leise, als Farida wieder zu ihm sah.
„Eine Stichverletzung. Nichts Schlimmes. Seine Organe sind unverletzt. Ein Krieger würde längst wieder herumlaufen, aber ein Poet muss jammernd in seinem Zelt liegen. Dabei kann er gar keine Schmerzen mehr haben, ich habe alles geheilt. Da bleibt nicht mal eine Narbe übrig.“ Farida verdrehte die Augen.
Hilal hat die beiden erwischt. Sie dachte, dass er ein Eindringling sei, und wollte Jola beschützen, erzählte Aziz mit seinen Händen, damit es niemand außerhalb des Zelts mitbekommen konnte.
Ich hätte Jola ein bisschen mehr Verstand zugetraut, gab Farida zurück.
Ich hätte ihr ein wenig mehr Geduld zugetraut, kam es schmunzelnd von Aziz. Bei dem Verstand habe ich bereits aufgegeben, mir Hoffnungen zu machen.
Farida grinste. Gut, dass mein Prinz seine Schwestern so gut kennt. Ich werde mit ihr reden.
Gut, dass meine Mystikerin eine so gute Heilerin ist. Kabil steht unter unserem Schutz. Wie hätten wir seinem Vater erklären sollen, was geschehen ist?
Farida nickte stumm, während sie aufstand und sich Aziz näherte. Sie begutachtete seinen Rücken und überprüfte die Temperatur seiner Stirn. „Du bist erschöpft. Du solltest schlafen.“
In deinem Nachtlager? Tahira tadelt mich schon immer, weil Hilal bei mir schläft. Aziz verdrehte genervt die Augen.
„Ich fürchte, dass dir keine Wahl bleibt. Du bist ganz bleich und entkräftet. Dieser Aufruhr war zu viel für deinen Körper. Du kämpfst immer noch gegen eine große Menge Gift an, vergiss das nicht. Nur weil ich deine Schmerzen betäubt habe, heißt das nicht, dass dein Körper gesund ist“, meinte Farida. „Tahira wird es verstehen müssen.“
Aziz nickte und gähnte. „Niemand gönnt dem Prinzen Ruhe, wenn er sie braucht. Nicht einmal seine Schwestern.“
Farida schmunzelte. „In diesem Zelt darfst du zur Ruhe kommen. Schlaf gut, Prinz Aziz.“
Jola begutachtete die Stickerei in ihrer Hand und versuchte ihren Bruder so gut wie möglich zu ignorieren, der soeben in ihr Zelt getreten war. Es erwies sich als unmöglich. Aziz war ein Riese, man konnte ihn einfach nicht übersehen. Und sicherlich half es auch nicht, dass er sich neben sie setzte und sie herausfordernd ansah.
„Was?!“, zischte Jola schließlich.
Aziz grinste. „Ich dachte, dass du gleich platzt, wenn du noch länger innehältst.“
„Nun, wie du siehst, bin ich nicht geplatzt. Also? Was willst du? Eine weitere Standpauke?“
„Weitere?“
„Ich hatte schon eine von Mama, Papa, Tahira und Farida.“
„Farida?“ Aziz war tatsächlich überrascht.
„Ja, sie ist meine beste Freundin, Aziz. Natürlich reden wir von Zeit zu Zeit.“ Jola verdrehte die Augen.
„Und sie hat dir tatsächlich eine Standpauke gehalten?“
„Wenn du es unbedingt wissen musst: Wir haben darüber diskutiert, welches Verhalten angemessen wäre. Wie damals, als dieser Zauberer hierherkam, der Farida unbedingt heiraten wollte.“ Jola verdrehte die Augen. „Ich meinte ja, dass sie ihn einfach lächerlich machen sollte. Sie sagte, dass sie als Mystikerin immer respektvoll handeln müsste.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Papa hat ihn abgewiesen.“
Aziz sah gedankenverloren aus dem Zelt. „Davon hat mir niemand erzählt.“
„Du hast auch nicht erzählt, was du zwanzig Monde lang gemacht hast. Hilal ist ziemlich enttäuscht, sie hätte gern deine Geschichte gehört und sie jedem im Clan tausendmal erzählt.“ Jola zuckte erneut mit den Schultern.
„Farida hat sich verändert. Ihr alle habt das“, murmelte Aziz. „Selbst Hilal.“
„Du warst über ein Jahr lang weg, Aziz.“ Jola sah ihn mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an. „Ich liebe Kabil. Ich will ihn heiraten. Ich sehne mich danach, mit ihm zusammen zu sein. Und ich bin kein Prinz, der diesen Traditionen für zwanzig Monate lang entfliehen kann.“
„Jedem steht der Weg des Kriegers offen. Auch der Tochter des Khans“, erinnerte Aziz sie ruhig. Jola verdrehte die Augen und legte ihre Stickerei beiseite. „Du weißt um meine Kampfesstärke.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nara wünscht sich ebenfalls eine Hochzeit, Aziz. Du musst mit unserem Vater reden, dass er nach geeigneten Männern für sie sucht. Wir sind nicht mehr deine kleinen Schwestern, die vor allem und jedem beschützt werden müssen. Auch wir sind erwachsen geworden. Shirin beherrscht so viele neue Zauber, Phila diskutiert philosophische Gedanken mit unserer Mutter. Selbst Hilal hat Sticken gelernt, auch wenn das noch lange nicht an so etwas herankommt.“ Jola deutete auf ihre Stickerei. „Du und Vater, ihr müsst endlich von dem Gedanken abkommen, dass wir noch kleine Mädchen sind. Und das gilt auch für Farida. Sie ist unsere Mystikerin. Und sie weiß um diese Stellung. Sie trägt sie mit Würde – mehr als je zuvor. In der Zeit, in der du weg warst, sind wir alle gereift, Aziz. Und wir können sprechen und unseren Willen formulieren, wenn man uns nur zuhört.“
Aziz lächelte. „Ja, ich merke schon, dass du dir ein wenig von der Rhetorik unserer Mutter abgeschaut hast.“
„Irgendetwas geht auch in meinen Kopf“, zog Jola ihren Bruder auf.
Aziz seufzte. „Kabil bedeutet dir viel. Ich kann verstehen, dass du dich auf deine Hochzeit freust. Und in einigen Tagen wird es soweit sein. Gedulde dich noch einen Augenblick und genieße die Zeit mit deiner Familie, denn danach wirst du unseren Clan verlassen und bei deinem Ehemann leben.“
Jola legte ihren Kopf auf seine Schulter und lächelte traurig. „Ich weiß. Ich werde euch vermissen.“
„Und was Nara angeht, … ich werde mit unserem Khan reden, versprochen.“
„Danke. Und wegen Farida?“
„Was ist mir ihr?“
Jola blickte ihn durchdringend an. „Der Schutz bricht, Aziz“, flüsterte sie ganz leise. „Vater hat sicher mit dir geredet.“
Aziz nickte stumm.
„Farida muss heiraten, aber … selbst zwanzig Monde könnten nicht ändern, wer sie ist, weißt du? Sie ist nicht wie ich. Und nicht so wie du. Sie weiß, dass sie heiraten muss und dennoch …“ Jola ließ ihre Stimme verklingen, ehe sie wieder ansetzte. „Sie ist unsere Mystikerin. Durch und durch. Sie wird die Tradition ehren und tun, was notwendig ist.“
Aziz nickte langsam. „Wir sollten nie vergessen, dass sie ein Geschenk ist. Und als solches sollte sie auch behandelt werden. Mit Respekt und Ehre.“
Aziz betrat Faridas Zelt, die gerade einen älteren Mann heilte, der sich das Bein gebrochen hatte.
„Du wolltest dir die Wunde noch ein letztes Mal ansehen“, meinte Aziz und setzte sich auf den Teppich.
Farida nickte, beendete jedoch zunächst die Heilung des Mannes. Sie verabschiedete sich von ihm, bevor sie sich Aziz zuwandte.
Anschließend begutachtete sie die Wunde an seinem Rücken.
„Und das ohne Magie“, sprach er voller Stolz.
„Halt still!“, wies sie ihn an.
Und du wolltest mich mit Magie heilen, sprach Aziz mit seinen Händen.
Farida lächelte in sich hinein und strich ein letztes Mal über das Tattoo. „Ja. Alles in Ordnung.“
Aziz drehte sich zu ihr um. „Sagte ich doch.
Farida verdrehte die Augen. „Angeber.“
Aziz zuckte mit den Schultern und erhob sich. „Ich halte Schmerzen aus, wie es ein Krieger der Ayn eben tun sollte.“
Farida stand ebenfalls auf. Sie sah ihm in die Augen. „Du bist ein ganz starker Krieger.“
„Mach dich nicht lustig.“
„Entschuldige.“ Farida sah zu Boden.
Aziz drehte sich rasch um. So wie er reagierte, musste ihn draußen jemand gerufen haben. Er grinste ihr noch einmal zu, bevor er das Zelt verließ.
Kabil hatte sich mittlerweile vollständig von den Strapazen erholt. Zur Sicherheit war Tahira dennoch als seine persönliche Leibwache eingesetzt worden. Aziz war sich sicher, dass diese Idee von Dila stammte, die wiederum Jola nicht mehr aus den Augen ließ und sich bei ihren Töchtern ein Nachtlager aufgebaut hatte.
Alle Beteiligten waren froh, dass es nach der Hochzeitsnacht endlich vorbei war. Heute Nacht würde Jola Kabil ehelichen. Endlich, nach so langer Zeit – zumindest, wenn man die beiden fragte. Nachdem Kabil sich im Gesangswettbewerb mit seinen Kontrahenten gemessen hatte, hatte Aziz ihn zu einem Wettbewerb herausgefordert, bei dem die beiden jeweils einer Frau eine wunderschöne Frisur flechten sollten. Obwohl Kabil sich von Beginn an als klaren Gewinner sah, musste er sich wirklich anstrengen. Aziz hatte einen schlichten, aber perfekten Zopf geflochten – etwas, das ihm wohl kaum jemand zugetraut hätte. Dennoch gewann Kabil mit einem eleganten Fischgrätenzopf, sodass Aziz ihn als würdig für seine Schwester betrachten konnte. Er war froh, als Kabil endlich in das Hochzeitszelt trat und dort mit einem erleichterten Freudenschrei von Jola empfangen wurde.
Während des üppigen Hochzeitsessens saß Aziz neben Phila, die den Platz Hilal weggeschnappt hatte, um mit ihrem Bruder zu sprechen. „Ich bin froh, dass die beiden endlich geheiratet haben.“
„So?“ Aziz warf ihr einen fragenden Blick zu.
„Ja. Mama verlässt endlich unser Zelt.“
Aziz lachte laut auf. „Und ich dachte schon, dass du deine Schwester loswerden willst.“
Hilal nahm auf der anderen Seite neben Shirin Platz, die ihren Teller aus Langeweile bunt färbte. Sie warf Phila einen wütenden Blick zu, weil sie nun neben Aziz saß. Phila streckte ihr die Zunge heraus.
Aziz schüttelte schmunzelnd den Kopf und nahm sich etwas Fleisch.
„Wenn ich einmal heirate, versprichst du mir, dass du meinen Zukünftigen auf Intelligenz testest?“, fragte Phila Aziz schließlich aus heiterem Himmel. „Ich könnte es niemals ertragen, wenn er dumm wäre wie Kabil.“
Aziz grinste. „Ich werde jeden Mann auf eine bestimmte Art und Weise testen, damit ich sicher sein kann, dass ihr zufrieden seid.“
Phila nickte erleichtert. „Ich hatte genau das gehofft, aber ich wollte es noch einmal deutlich machen. Übrigens habe ich das Rätsel gelöst.“
„Sehr gut“, lobte Aziz sie. „Wie lautet die Antwort?“
„Sie lautet Sesam. Und du solltest unseren Eltern gestehen, wo du warst.“ Sie hob eine Augenbraue.
„Das habe ich längst“, erklärte Aziz. „Und die Antwort ist richtig.“
„Gut so. Ich hätte keine Lust gehabt, wieder zu petzen. Das mit Kabil und Jola hat mir gereicht.“ Phila schnaubte. „Und natürlich ist das die richtige Antwort. Denkst du, ich würde sie dir geben, wenn ich mir nicht sicher wäre?“
„Du hast recht. Es tut mir leid, Prinzessin. Das wird nie wieder vorkommen.“ Aziz neigte seinen Kopf. „Wie konnte ich nur so etwas sagen?“
Phila lachte und knuffte ihn in die Seite. „Hör auf.“ Sie sah ihn an. „Ich bin froh, dass du mein Bruder bist. Es wäre schlimm, wenn Hilal nur eine Vernünftige unter ihren Geschwistern hätte.“
Aziz grinste. „Wen nennst du hier vernünftig? Wenn das Tahira hört, bekommst du eine Belehrung, die sich mindestens über zwei Stunden hinzieht.“
Phila kicherte. „Ja. Vermutlich.“ Sie sah hinüber zum Hochzeitszelt. „Ich werde sie trotzdem vermissen. Meine dümmste Schwester.“ Sie seufzte. „Ich habe sie dennoch gern.“
„Sie wird nicht verschwinden“, erinnerte er sie. Er erkannte die Tränen in ihren Augen, legte den Arm um sie und zog sie an sich heran, damit sie unbemerkt einige Tränen verdrücken konnte. Phila wischte sich hastig über das Gesicht, ehe sie zu Aziz aufsah.
„Hat keiner gesehen, dass du um sie trauerst“, sprach Aziz so leise, dass es niemand sonst mitbekam.
Phila lächelte. „Danke.“ Sie drückte ihren Bruder fest, dann setzte sie sich wieder richtig hin und tat so, als wäre nichts geschehen.
„Mein Khan“, begrüßte Farida Majid und sank in eine kurze Verbeugung.
„Farida“, begrüßte Majid sie, als sie ihn wieder ansah. „Meine Mystikerin, ich hoffe, dass du die Feier genießen konntest.“
Farida lächelte entschuldigend. „Wie Ihr wisst, mag ich keine großen Feste, mein Khan. Es ist schwer für mich, den Gesprächen zu folgen. Aber ich habe mich für Jola sehr gefreut.“
„So wie wir alle“, stimmte Majid zu, bevor sein Gesichtsausdruck ernst wurde. „Farida, ich fürchte, dass wir uns dem Zeitpunkt nähern, an dem uns die Zeit langsam durch die Hände rinnt. Wir müssen das Ritual bald erneuen.“ Er warf ihr einen entschuldigenden Blick zu.
Farida war wie versteinert. War es soweit? Jetzt schon?
„Meine Mystikerin, ich weiß, dass …“ Majid suchte nach Worten. Er wusste nicht, wie er es ihr sagen sollte. „Wir haben noch ein wenig Zeit“, schloss er schließlich. „Aber nicht ewig.“ Farida nickte stumm.
„Meine Mystikerin, ich respektiere dich. Wenn du sagst, dass du nicht bereit bist, dann wird es nicht stattfinden.“ Majid wählte seine Worte mit Bedacht.
„Mein Khan, ich weiß, dass es ein Angebot ist, das ich ausschlagen muss“, gab Farida zurück.
„Farida, ich wünschte, es wäre anders.“ Majid seufzte. „Du warst nie wie Nara oder Jola. Viel mehr wie Shirin. In sich gekehrt und verschlossen. Wenn es in meiner Macht stünde, würde ich warten, bis du auf mich zukommst. Bis du mich darum bittest. So wie Jola mich bat.“
„Ich weiß“, flüsterte Farida.
„Du bist mehr als meine Mystikerin, Farida“, erinnerte Majid sie trotz allem. „Du gehörst zu meiner Familie. Du bist Tahiras Ziehtochter und damit meine Nichte.“
Farida lächelte und nickte.
„Tahira ist nicht sonderlich begeistert“, murmelte Majid. „Ich bin es ja selbst nicht …“
„Mein Khan, ich bin die Mystikerin. Ich weiß, dass es Zeit wird“, erklärte Farida mit ruhiger Stimme. „Und mein Khan muss seinen Clan beschützen. Ich muss die Clans der Wüste schützen. Das Ritual muss erneuert werden. Und ich werde bereit sein.“
Majid nickte sichtlich erleichtert. „Falls es irgendetwas gibt, was ich tun kann, lass es mich wissen.“
„Das werde ich“, versprach Farida.
Farida sah der Sonne zu, wie sie in der Wüste versank. Sie konnte die Kälte fühlen, die sich über die Wüste legte. Die Dunkelheit und die mit ihr verbundenen Gefahren.
Eine Hand legte sich auf Faridas Schulter. Es war Tahira. „Du solltest bei Anbruch der Dunkelheit nicht so weit außerhalb des Clans sein.“
Es tut mir leid.
„Worüber denkst du nach?“, fragte Tahira.
Majid sagte, dass wir bald einen Mann für mich finden müssen, aber ich habe das Gefühl, dass es noch nicht soweit ist.
„Was meinst du damit?“
Farida zuckte mit den Schultern. Ich weiß es nicht, ich habe einfach das Gefühl, dass es noch dauert.
„Komm, wir gehen zum Clan. Du legst dich hin. Vielleicht fehlt dir einfach ein bisschen Schlaf.“ Farida folgte Tahira zurück zu den anderen, wünschte ihr eine gute Nacht, bevor sie in ihr Zelt ging und sich zur Ruhe begab.
Ihre Augen fielen sofort zu und sie hatte das Gefühl, dass sie weit weg getragen wurde. Weiter, immer weiter. Durch die Wüste hindurch, bis hinauf in den Himmel.
Farida stand direkt auf einer der seltenen Wolken weit über der Wüste. Und dort, direkt vor ihr, konnte sie eine Gestalt erkennen. Es war eine Frau, die so wunderschön war, dass sie nicht mehr irdisch sein konnte. Ihre Haut war strahlend weiß und ihre Augen blutrot. Sie hatte Flügel, die Flammen waren und zu leuchten schienen. Die Frau lächelte und sprach zu ihr. Es war seltsam. Normalerweise konnte Farida nicht einmal in ihren Träumen hören, doch diese Frau verstand sie, als wäre sie nicht taub.
„Farida“, sprach die wunderschöne Frau und lächelte freundlich.
Dann drehte sie sich von ihr weg und flog. Farida rannte ihr hinterher, sprang von Wolke zu Wolke, bis die Frau stoppte und mit ausgestreckter Hand hinunter auf eine riesige Karawane wies.
„Folge der Karawane und du wirst finden, wonach du suchst.“
„Wonach suche ich denn?“, fragte Farida verzweifelt.
„Nach deiner Vergangenheit. Nach dem Geburtsort deines Vaters. Nach Kelmarun.“
Die Frau verschwand in einer Flammensäule und Farida wachte erschrocken auf. Ihr Herz raste und ihr Atem ging schnell. Was war das für ein Traum gewesen?
Farida atmete tief durch, bevor sie an Majid herantrat.
Khan Majid, kann ich mit Euch reden?
„Natürlich, meine Mystikerin.“ Majid bedeutete ihr, ihm in sein Zelt zu folgen. „Was willst du mit mir besprechen?“
Farida sah sich um. Keiner außer ihr war anwesend. Sie konnte reden.
Genau wie die anderen war Majid beinah verzaubert von Faridas Stimme. So hell, so melodisch, so himmlisch.
„Mein Khan, ich bin gekommen, weil ich einen immer wiederkehrenden Traum habe.“
„Was träumst du?“
„Ich träume von einer Frau … eine Frau mit Flügeln, die in Flammen stehen. Sie zeigt mir eine Karawane, der ich mich anschließen soll.“
„Eine Karawane?“
„Ja. Sie sagt, ich soll ihr folgen. Nach Kelmarun. Dort würde ich finden, wonach ich suche. Dort bekäme ich Informationen bezüglich meiner Vergangenheit. Ich könnte den Geburtsort meines Vaters finden.“
Majid sah grübelnd zu Boden.
„Ich glaube, es ist ein Hinweis. Ein Traum, den mir die Götter schicken. Ich habe das Gefühl, ihm folgen zu müssen. Es fühlt sich an, als würden sie mich dazu drängen. Jede Nacht träume ich diesen Traum und immer, wenn ich aufwache, fühle ich mich benommen, leer und als sei jeglicher Funke Magie aus mir entflohen. Ich habe Angst, dass ich meine Fähigkeiten verlieren könnte, wenn ich dem Willen der Götter nicht nachgebe.“
„Das heißt, du willst diesem Traum folgen?“
Farida nickte zaghaft.
„Ich verstehe“, sprach Majid bloß.
„Ich weiß, dass ich ein Omen für den Clan bin, ich weiß, dass ich hierhin gehöre, und ich weiß, wie wichtig ich bin. Das Ritual muss erneuert werden, aber die Götter scheinen mir zu sagen, dass es noch warten muss.“
„Wenn die Götter es so wollen, dann werde ich ihnen nicht im Wege stehen“, sprach Majid mit fester Stimme. „Aber allein kannst du nicht ausziehen.“ Er seufzte. „Ich werde darüber nachdenken und dir heute Abend meine Entscheidung mitteilen.“
„Danke.“
Farida packte ihre Habseligkeiten zusammen. Sie war sich sicher, dass der Khan sie ziehen lassen würde. Sie musste einfach wissen, was diese merkwürdige Frau von ihr wollte und wer sie war.
Aziz setzte sich auf einmal neben sie.
„Du willst weg?“
Sie sah ihn vorwurfsvoll an. „Hast du gelauscht?“
„Mein Vater hat es mir erzählt.“
Farida packte weitere Dinge in ihren Rucksack. „Ich träume seit Wochen davon. Seit dein Vater mir eröffnet hat, dass ein Mann für mich gefunden werden muss.“
„Vielleicht wartet der Mann dort.“
Farida nickte stumm, aber wenig überzeugt. Mittlerweile hatte sie fertig gepackt.
Aziz seufzte. Schon längst hatte er ihre Nervosität erkannt. Er setzte sich hinter sie und legte ihr zuerst die Hände auf die Schultern, bevor er sanft durch ihre Haare glitt. Obwohl sie in Flammen standen, waren sie doch nie heiß gewesen. Man konnte sich daran nicht verbrennen – magisches Feuer. Und immer, wenn Farida als Kind ängstlich gewesen war, hatte ihre Mutter ihr die Haare frisiert. Als Aziz bei ihnen im Zelt gewohnt hatte und Tahira mal nicht da war, war es an ihm gewesen, Faridas Albträume zu verscheuchen und ihr die Haare zu flechten. Er erinnerte sich noch gut daran, dass Farida damals geträumt hatte, sie würde ertrinken oder verbrennen. Und das Einzige, was sie wirklich beruhigt hatte, war das Flechten ihrer Haare.
Aziz band ihre Haare nun ebenfalls gekonnt zusammen und Farida merkte, wie sie dabei langsam zur Ruhe kam und sämtliche Anspannung von ihr abfiel. Schließlich sah Aziz sie an. „Alles in Ordnung?“
Farida zuckte mit den Schultern.
„Wenn dir die Götter sagen, dass du gehen sollst, dann ist es der richtige Weg“, fuhr er fort.
„Ich habe Angst davor, den Clan zu verlassen.“ Farida spürte, wie ihre Stimme fast versagte. Sie sah ihn mit großen Augen an und hoffte, dass er verstand, was sie meinte.
„Wir würden dich nie allein gehen lassen.“ Aziz stand auf. „Du musst keine Angst haben.“ Farida nickte und sah ihm nach, als er das Zelt verließ.
Vielleicht hatte sie aus einem anderen Grund Angst. Angst vor dem, was vor ihr lag. Angst vor dem, was sie zurückließ. Und auch Angst davor, was geschehen würde, sollte sie ihre Fähigkeiten tatsächlich verlieren. Was wäre, wenn sie nie wieder zu ihrem Clan zurückkehren könnte?
„Daher wird unsere Mystikerin unseren Clan verlassen“, sprach Majid mit fester Stimme.
Die Clanmitglieder hatten ihm gebannt zugehört und saßen nun still da, um zu erfahren, was Majid ihnen noch verkünden würde – niemals würden sie sich gegen sein Urteil auflehnen.
„Und um ihren Schutz zu gewährleisten, wird sie von einem Beschützer begleitet.“ Er sah in die Runde. „Normalerweise wäre dies die Aufgabe des mächtigsten Kriegers, doch ich kann hier leider nicht weg.“ Die Menge lachte leise auf, als Majid kurz lächelte. „Auch meine Schwester kann ich nicht mitschicken, schließlich brauche ich einen starken Krieger an meiner Seite. Außerdem würde sie zu sehr auffallen, weil sie nichts außer das Leben im Clan kennt.“ Er grinste seine Schwester an, die ihm einen bösen Blick zuwarf. „Nein, ehrlich: Tahira ist eine sehr gute Kriegerin, doch als Beschützer würde sie auffallen. Wir brauchen einen jungen Krieger, dem man abnimmt, dass er nicht nur ihr Beschützer ist, sondern vielleicht sogar ihr Ehemann oder Meister. Jemand, der gut mit Worten umzugehen weiß und der sich auch stets angemessen benimmt.“ Er atmete tief durch. „Daher habe ich mich entschlossen, meinen erstgeborenen Sohn mitzuschicken, um unsere Mystikerin zu beschützen.“
Aziz erhob sich geehrt. „Danke, dass du so viel Vertrauen zu mir hast, Vater.“
Majid nickte ihm zu. „Enttäusche mich nicht, mein Sohn. Komme gemeinsam mit ihr zurück oder bleibe für immer fern.“
Aziz nickte. „Ich verspreche es.“
„Beschütze sie vor allem Übel, vor jedem, der sich ihr mit falschen Absichten nähert. Lasse sie niemals allein und verteidige sie – wenn nötig – mit deinem eigenen Leben“, schärfte Majid ihm ein.
„Ich verspreche es“, wiederholte Aziz.
Majid legte anerkennend die Hand auf die Schulter seines Sohnes. „Dann wünsche ich euch beiden alles Glück dieser Welt. Möget ihr bald wieder zu uns zurückkehren. Der große Skorpion wird über euch wachen.“
Aziz nickte und gesellte sich zu Farida, die nun vortrat.
Ich danke euch allen, dass ihr mich gehen lasst, damit ich finden kann, wonach ich suche.
Farida drückte Tahira an sich, bevor sie sich vor Majid verneigte. Sie trat neben Aziz. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Menschen winkten ihnen zum Abschied, selbst Hilal nickte ihnen verschmitzt lächelnd zu.
Sie verließen das Dorf und schritten die angrenzende Düne empor.
„Weißt du eigentlich, dass ich noch nie unsere Clangrenzen verlassen habe?“ Farida sah Aziz unter ihrem Schleier an.
„Dann wird es wohl höchste Zeit“, scherzte Aziz.
Ein letztes Mal drehte Farida sich um und sah hinunter zu den Zelten. Hinunter zu ihrer Familie. Es schmerzte, sie allein zurückzulassen. Was, wenn etwas Schlimmes passierte, während sie nicht da waren? Was, wenn jemand ihre Hilfe benötigte?
Aziz legte ihr die Hand auf die Schulter, sodass sie ihn ansah. „Wir werden zurückkommen“, stellte er klar und rückte seinen Leinensack zurecht. „Komm.“
Farida schloss kurz die Augen und folgte ihrem Gefährten die Düne nach unten.
„Wohin gehen wir?“, fragte sie leise.
„Nach Itakesh“, antwortete Aziz und seine Miene verdunkelte sich. „Die größte und wildeste Stadt der Wüste.“
„Warum Itakesh?“
„Du hast gesagt, du hättest eine Karawane gesehen, oder?“, fragte er neugierig und Farida nickte. „Jede Karawane startet in Itakesh – oder endet dort.“ Aziz hielt inne. „Farida, das wird kein Spaziergang.“
„Ich weiß“, murmelte Farida mürrisch. Sie war kein kleines naives Kind mehr, das man auf so etwas hätte aufmerksam machen müssen. Genervt lief sie weiter, doch Aziz stellte sich ihr in den Weg.
„Ich meine das ernst. Itakesh ist etwas, das du nicht kennst. Es ist rau und kann sehr ungemütlich sein. Du solltest tun, was ich dir sage, sonst verrätst du, was du wirklich bist.“
Farida nickte stumm.
„Von jetzt an solltest du kein Wort mehr sprechen, es sei denn, wir sind unter uns.“
Erneut nickte sie stumm. Sie wusste, worauf sie sich eingelassen hatte – oder zumindest glaubte sie, es zu wissen.
„Ich entscheide, was wir tun. Ich entscheide, wohin wir gehen. Und wenn ich sage, dass es zu gefährlich ist, dann solltest du auf mein Urteil vertrauen.“
Wieder ein Nicken.
„Du wirst dich benehmen, als wärst du meine Dienerin. Kein Augenkontakt zu Fremden, bevor ich sie nicht als vertrauenswürdig eingestuft habe. Du wirst nur in meinem Zelt schlafen und gehst nirgendwohin, wo ich dich nicht im Auge behalten kann. Du wirst niemanden heilen, sonst fällt noch auf, was du bist, und das könnte unser Todesurteil sein.“ Aziz’ Gesicht war ernst geworden. So kannte Farida ihn nicht. Er schien sich wirklich Sorgen zu machen.
„Hast du verstanden?“
„Ja“, flüsterte Farida leise und endlich wurde sein Gesichtsausdruck wieder klarer, freundlicher.
„Gut. Ich habe geschworen, dass dir nichts passiert, und ich pflege es, meine Versprechen zu halten.“ Er schritt voran. „Komm jetzt.“
Farida beeilte sich, mit ihm Schritt zu halten.
„Wie weit ist der Weg nach Itakesh?“
Aziz schmunzelte. „In deinem Tempo? Da brauchen wir mindestens einen Monat.“
Sie waren eine ganze Weile in einem gleichmäßigen Tempo unterwegs, als Aziz plötzlich innehielt. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verhärtet, er schüttelte missbilligend den Kopf. „Ich wusste es.“ Farida warf ihm einen fragenden Blick zu. Aziz jedoch sah hinauf zu der Düne, die sie gerade hinter sich gelassen hatten, und als sie seinem Blick folgte, erkannte sie Hilal, die in diesem Augenblick oben auf der Düne auftauchte. Sie blieb kurz stehen, halb ertappt, halb froh, endlich wahrgenommen zu werden.
„Ich habe meine Mutter vorgewarnt. Aber trotzdem hat sie es geschafft, sich davonzustehlen“, murrte Aziz, während Hilal näherkam.
„Hallo“, begrüßte Hilal sie schon von weitem, während sie grinsend auf sie zuschritt. Sie sah aus wie eine Miniaturausgabe von Aziz mit ihren weiten Hosen, dem kunstvollen Schwert und den schwarzen Haaren. „Danke, dass ihr auf mich gewartet habt.“
„Hilal“, kam es tadelnd von Aziz, „was machst du hier?“
„Ich komme mit“, erklärte sie entschlossen.
„Du kommst nicht mit“, entgegnete Aziz und kniete sich zu ihr.
„Das ist unfair!“, rief Hilal wütend. „Ich will Farida beschützen. Ich will nicht schon wieder zurückbleiben! Du kannst nicht schon wieder gehen!“
„Kleiner Halbmond, ein Krieger muss immer im Clan bleiben. Und wenn ich weg bin, dann musst du dort die Stellung halten“, erklärte Aziz ruhig. „Du musst doch auf unsere Schwestern achtgeben, nicht dass sich wieder jemand in ihr Zelt schleicht.“
Hilal sah enttäuscht zu Boden. „Ja, aber was ist mit Farida? Und der Reise?“
Aziz hob ihr Kinn. „Hilal …“
„Gut“, unterbrach sie ihn ungehalten. „Dann gehe ich jetzt eben auf meine zwanzig Monde lange Reise, um mich zu beweisen.“ Sie warf ihm einen trotzigen Blick zu.
Aziz schmunzelte. „Diese Reise müsstest du allein beschreiten, geliebte Schwester.“ Hilal verzog das Gesicht.
Aziz legte eine Hand auf ihre Schulter, sodass sie wieder zu ihm sah. „Wenn alle anderen Schwestern verheiratet sind, nehme ich dich mit nach Itakesh. Nur du und ich.“
Hilals Augen wurden groß. „Versprochen?“
„Versprochen. Und du versprichst mir, dass du hierbleibst und auf Nara, Phila und Shirin aufpasst, ja?“ Aziz betrachtete seine jüngste Schwester eindringlich.
Hilal nickte stumm. Hinter ihr auf der Düne tauchte ein Kamel auf. Khan Majid ritt direkt auf sie zu.
Aziz erhob sich. „Ein schnelles Wiedersehen, mein Khan.“
Majid ließ das Kamel neben ihnen zum Stehen kommen. „Ja, Prinz Aziz. Ich fürchte, dass an dieser Reise nur zwei Mitglieder des Clans beteiligt sein können.“ Er warf Hilal einen strengen Blick zu, dem sie gekonnt auswich, indem sie trotzig zu Boden starrte.
Aziz trat an sie heran. „Hilal, denk an dein Versprechen.“
Sie seufzte und nickte, ehe ihr Bruder sie hochhob und auf das Kamel vor ihren Vater setzte.
„Wir kommen doch wieder, mach nicht so ein Gesicht“, wies Aziz sie an.
Hilal versuchte, ein freundlicheres Gesicht aufzusetzen. Es blieb jedoch bei dem Versuch.
Majid nickte seinem Sohn und der Mystikerin zu. „Ihr werdet finden, wonach Farida sucht.“
„Das werden wir“, gab Aziz zurück. „Und ich halte meine Versprechen.“
„Ich weiß. Sonst hätte ich euch niemals gehen lassen“, erklärte Majid lächelnd. „Passt auf euch auf. Wir brauchen euch beide unversehrt.“
„Ja. Wir passen auf“, meinte Aziz. Sie nickten sich zum Abschied zu und Majid ritt mit seiner jüngsten Tochter zurück.
„Hoffentlich bleibt Hilal jetzt da“, flüsterte Farida leise.
Aziz sah sie an. „Sie wird. Sie hat es versprochen. Komm, lass uns weiter gehen. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.“