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Belize im Griff der Pandemie

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Fast zwei Jahrzehnte war ich im Pharmabereich mit dem Impfstoffwesen beschäftigt. Dadurch waren mir die Gefahren einer weltweiten Pandemie und deren Auswirkungen bekannt. Von 1999 bis 2016 nahm ich regelmäßig an Sitzungen der Sanitätsdirektionen in Österreich teil. Ich bekam mit, wie und was Ärzte, Apotheker und Politiker über bestehende Pläne im Pandemiefall diskutieren. Es wurde zum Beispiel besprochen, wie große Lebensmittel-Kühlhäuser im Notfall zu Leichenhallen umfunktioniert werden und welche Lebensmittel für die Bevölkerung vorrätig sein sollten. An die Sicherstellung von Toilettenpapier wurde damals nicht gedacht. Panikreaktionen und das Plündern von Kaufhausregalen wurde schon besprochen.

Wie man im Jahr 2020 gesehen hat, kann man menschliches Verhalten in Ausnahmesituationen nur theoretisch steuern. Vorrangig ging es bei diesen Sitzungen um die Gefahr einer Influenza-Pandemie, bei der sich herkömmliche Influenza-Viren so verändern, dass sich ihre hohe Ansteckungsgefahr mit der Letalität von Tierstämmen kombiniert.

Aber auch schon damals wurde von den Medizinern und Virologen immer wieder darauf hingewiesen, dass andere Viren zur Gefahr werden könnten. Dabei wurden Corona-Viren an oberster Stelle genannt. Die Mutationsgefahr durch SARS- und MERS-Ausbrüche war bereits bestätigt. Aufgrund meines Insiderwissens könnte ich mich als Infektionsexperten bezeichnen. Dennoch war ich nicht im Entferntesten auf das vorbereitet, was folgen sollte.

Als ich noch am Festland von Belize die ersten Meldungen aus China las, nahm ich an, die Welt würde dies ebenso schnell in den Griff bekommen, wie das bei SARS im Jahr 2000 und bei MERS im Jahr 2012 der Fall gewesen war. Das Ausmaß und die Dauer der neuen anrollenden Pandemie war nur für wenige vorstellbar. Auch für mich nicht.

Die Organisation meiner Gäste war vor dem Ausrufen der Covid-19-Pandemie durch die WHO im Februar 2020 noch nicht verändert. Mein eigenes Haus auf der Insel war zwar im Prinzip fertig, aber die Solar- und Wassertechnik konnte ich mir noch nicht leisten. Der Plan war, dies im April 2020 umzusetzen, nachdem ich wieder ausreichend Liquidität durch die Mieteinnahmen sichergestellt haben sollte.

Insofern plante ich, die ersten Wochen auf der Insel etwas spartanisch und noch ohne Küche durchzustehen. Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Denn drei Jahre zuvor – als mein Gästehaus gebaut wurde – lebte ich für einige Wochen auf einem erhöhten Fußboden und nur einer Plane über dem Kopf. Dagegen sollte mir mein neues Haus trotz fehlender Küche wie ein Luxushotel vorkommen. Dementsprechend entspannt hatte ich bereits rechtzeitig meinen Mietvertrag auf dem Festland gekündigt.

So einfach von heute auf morgen auszuziehen und die Miete nicht mehr zu zahlen, geht natürlich auch in Belize nicht. Es wäre gegenüber meiner langjährigen Vermieterin unfair gewesen. Illegal sowieso. Ich hatte Linda, eine äußerst nette Dame aus den USA, die im Stockwerk über mir lebte, im November 2019 auf mein Ausziehen vorbereitet. Durch den Umzug auf die Insel würden nicht unbedeutende Organisationsprobleme entstehen. Allein der Berg der vielen Strand-Badetücher, der Badezimmer- und Handtücher und der Bettwäsche hatte Himalayahöhe. Diesen konnte ich in meinem Apartment jederzeit völlig stressfrei in die Waschmaschine werfen und anschließend im Wäschetrockner den duftenden und fluffigen Feinschliff geben.

Ein Wäschetrockner auf der Insel war trotz intensiver Beratungen mit meinem deutschen Technik-Guru Daniel, der auf Solartechnik spezialisiert war, nicht möglich. Er würde nicht nur die Menge der via Solarpanelen gesammelten Sonnenenergie, sondern auch die Kapazität des starken und teuren Inverters, der den Batterie-Gleichstrom in Wechselstrom umwandelt, sprengen. Dementsprechend plante ich den Bau einer Wäschekammer mit Waschmaschine unter meinem neuen Haus – allerdings ohne Wäschetrockner.

Man fragt sich natürlich, warum jemand einen Wäschetrockner verwenden will, wenn er unter der gleißenden Tropensonne lebt. Zum einen ist es mit der hohen Luftfeuchtigkeit gar nicht so einfach, Wäsche wirklich trocken zu bekommen. Zum anderen nehmen feuchte Textilien einen unangenehmen, fast sauren Geruch an. Dazu gibt es je nach Jahreszeit mehrmals täglich heftige kurze Tropenschauer, und man wäre chancenlos, unter Zeitdruck Hotelwäsche trocken zu bekommen. Und dann gibt es noch den biologischen Faktor: Die Insel, die mit Mangroven überwachsen ist, beherbergt den Großteil der Sandfliegenpopulation des Planeten. Irgendwo zwischen sieben und hundert Quadrillionen Exemplaren. Biologen mögen mich gerne korrigieren, aber erst, nachdem sie einige Tage bei Windstille im Freien verharrt haben. Und diese nahezu unsichtbaren, stechenden Biester – damit meine ich die Sandfliegen und nicht die geschätzten Biologen – will man keinesfalls in die Bettwäsche der Urlaubsgäste schmuggeln. Dennoch war ein elektrisch betriebener Wäschetrockner auf der Insel technisch nicht umsetzbar. Ein gasbetriebener Trockner kam für mich aufgrund des ökologischen Aspekts meiner Lodge nicht infrage.

Eine Waschmaschine war in der Planung jedoch fixer Bestandteil. Zunächst müsste aber mein professionelles Reinigungsteam die Wäsche auf das Festland mitnehmen, wo sie gegen Bezahlung gereinigt würde, bis ich mir die Wäschekammer leisten könnte. Meine eigenen Textilien würde ich für ein paar Wochen in einem Eimer waschen. Das sollte mir die paar Male nicht das Genick brechen. Die Betonung lag auf ein paar Male.

Das alles sollte jedoch nebensächlich sein. Denn mein erster Plan, als ich noch in meinem Büro in Europa saß, sah weder Solarpanele noch Wasserpumpen vor. In meinem Kopf gab es nur eine Strohhütte, einen Holzsteg und meinen damals noch nicht existierenden Hund.

Während auch alles andere meine wildesten Träume überstiegen hatte, war mein süßes Border-Collie-Mädchen Mali der Lotto-Jackpot. Mali hatte in direkter Nachbarschaft in Placencia ihr Zuhause. Sie bellte den ganzen Tag und nutzte jede Chance auszubrechen. Sobald sie mich mit ihren eineinhalb Jahren entdeckte, wich sie mir nicht mehr von der Seite. Relativ schnell hatten dann die Besitzer und ich beschlossen, dass es besser für Mali wäre, von mir adoptiert zu werden. In Wahrheit hatte Mali mich adoptiert.

Es war wundervoll zu sehen, wie selig sie bei mir war. Kein Bellen und kein Ausreißen mehr. Ganz im Gegenteil: Sie wollte immer und überall mit mir zusammen sein. Border-Collies sind Hütehunde und benötigen eine Aufgabe. Aus Mangel an einer privaten Schafherde hatte Mali innerhalb weniger Tage gelernt, mit mir Volleyball zu spielen und Frisbees in der Luft zu fangen. Nach unseren gemeinsamen Jahren in Placencia und dem stundenlangen Spielen und Laufen am Sandstrand sollte sie nun mit mir auf die Insel übersiedeln. Was mir natürlich Kopfzerbrechen bereitete, ob sie dort noch genügend Auslauf bekommen würde.

Aber auch diesbezüglich war ich entspannt, wusste ich inzwischen, dass für Mali nur eines zählte: das Zusammensein mit mir. Wie eingangs erwähnt, in meinem Kopf war immer dieses Bild, wo ich an einem Dock mit meiner Angel sitze und neben mir mein Hund, der mir nicht von der Seite weicht. Die Realität hatte diesen Traum bald in den Schatten gestellt.

Während ich von einem geordneten Umzug auf die Insel am 1. April 2020 ausging, wurde die Corona-Virus-Lage im Februar global gesehen immer angespannter. In Belize und auch in den USA wurde noch keine echte Bedrohung wahrgenommen. Vor allem in den USA wurde von einem „China-Virus“ gesprochen. Da war mein Neuro-Transmitter-Level bereits spürbar in Alarmzustand versetzt. Was, wenn das doch nicht unter Kontrolle gebracht werden kann? Werden eventuell sogar Flüge gestrichen? Oder könnte es sein, dass Urlauber Belize nicht mehr verlassen können? Zu diesem Zeitpunkt waren gestrichene Flüge noch völlig unvorstellbar, aber ich begann mich damit zumindest theoretisch auseinanderzusetzen.

Dann ging es Schlag auf Schlag. Ich hatte eine reizende Gästegruppe aus meinem Heimatland Österreich auf der Insel zu Gast, vier junge Leute aus dem Bundesland Kärnten. Während der wenigen Tage ihres Aufenthalts machte ich mir immer größere Sorgen, dass sie in Belize stranden könnten. Ich war dann heilfroh, als sie Mitte Februar 2020 noch gut zurück nach Österreich kamen. Dann wurde es von Gästegruppe zu Gästegruppe immer mehr ein Abwiegen, ob diese noch anreisen sollten. Mitte März zog ich die Notbremse.

Trotz all der Gedanken um das benötigte Geld für das neue Haus konnte ich nicht mehr anders, als meinen Gästen von der Anreise abzuraten. Es wurde einfach zu unsicher, ob eine Rückreise noch gewährleistet wäre. Bald wurde dann in der Tat unser internationaler Flughafen gesperrt, alle Einreisen verboten und für Ausreisende nur noch Rückholflüge durchgeführt.

Belize war von der Außenwelt und ich von meiner alten Heimat abgeschnitten. Alle Luft-, Land- und Seegrenzen wurden dichtgemacht. Obwohl in Belize noch kein Covid-19-Fall aufgetreten war, sah sich das Land nicht in der Lage, bei einem Einschleppen des Virus die Bevölkerung mit ihren wenigen Krankenhausbetten medizinisch zu versorgen. In Belize gab es zu diesem Zeitpunkt nur sechs Intensivbetten und ein Einschleppen des Virus hätte das Gesundheitssystem völlig überlastet.

Ich hatte mir schon lange keinen Flug mehr nach Europa leisten können, da ich jeden Cent in mein Projekt steckte. Nun aber, 10.000 Kilometer von meiner Familie entfernt, war ich sozusagen gefangen. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte Belize nicht verlassen können.

Meinem Umzug auf die Insel stand nach dem völligen Ausfall des Tourismus nichts mehr im Weg. Selbst wenn mein neues Haus noch keine Küche und keine Strom- und Wasserversorgung hatte, das Gästehaus würde vermutlich für ein paar Monate leer stehen. Also packte ich meine Sachen auf den Truck und auf mein Boot, verabschiedete mich unter Tränen von meiner lieb gewonnenen Vermieterin Linda und ließ das Festland hinter mir.

Mit meinem Hund an Bord startete ich nun in ein neues Leben. Jenes Leben, das sich fünf Jahre zuvor in meinem klimatisierten Büro via Suchmaschine am Firmen-Computer schemenhaft entwickelt hatte und das in meinem Kopf noch immer romantische Bilder malte.

21 KUGELN IM PARADIES

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