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Von der Pandemie in die Pleite

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Ich hatte mir also tatsächlich auf meiner Insel in Belize das Paradies geschaffen. So wie ich es mir erträumt hatte. Es war einer der romantischsten und sichersten Plätze auf unserem Globus. Es war aber nicht der Garten Eden. Man konnte dort eine Pandemie aussitzen, aber es blieben so schnöde weltliche Notwendigkeiten wie das Bezahlen mit Geld.

Belize ist, obwohl – oder gerade weil – es sich um ein Entwicklungsland handelt, um vieles teurer als die meisten europäischen Länder oder auch das benachbarte Mexiko. Mein Insel-Internet, das wie beschrieben mit einer Satellitenschüssel funktionierte, kostete mich satte 220 Euro pro Monat. Es gab günstigere Lösungen, aber diese hatten sich für gut zahlende Gäste als unbrauchbar herausgestellt.

In der ersten Zeit meiner Vermietung versuchte ich die Internetverbindung über einen kleinen mobilen Receiver herzustellen, doch die Verbindung riss ständig ab. In Summe war der Datenverbrauch meiner Gäste so teuer, dass die Lösung mit der Satellitenschüssel die günstigere Alternative war. Und nachdem ich nicht genau wusste, wann ich wieder Gäste haben würde, wollte ich nicht riskieren, erneut Monate auf eine Neuinstallation der Satellitenschüssel zu warten. Denn bei einer Abmeldung wäre sie sofort abgebaut und bei einem anderen Kunden wieder aufgebaut worden.

Ich biss in den paradiesischen Apfel und richtete meine gesamte Technik auf diese konstant schnelle Internet-Verbindung aus. Meine Solaranlage war inzwischen netzbasiert und ebenso meine beiden Sicherheitskameras, die ich einerseits zur Abschreckung verwendete und mir anderseits einen Blick auf jene Bereiche ermöglichten, in denen ich mich nicht aufhielt. Meine Technik hatte inzwischen einen Wert von rund 50.000 US-Dollar und, wenn diese jemand stehlen sollte, wollte ich den Dieb zumindest auf Video haben. Wobei diese Vorstellung völlig absurd schien. Ich war auf meiner Insel so abgelegen und isoliert, dass ich die meiste Zeit nackt herumlief. Außer den Einsiedlerkrebsen gab es keine weiteren Mitbewohner. Den nächsten Nachbarn konnte man nur mit dem Boot oder per Kajak erreichen.

Das zurückhaltende Tragen von Kleidung hatte auch noch einen anderen Grund. Besser gesagt, zwei Gründe. Kleidung, die man trägt, wird abgenützt und geht somit früher kaputt. Selbst am Festland trug ich seit Jahren keine Schuhe mehr, und damit meine ich, wirklich keine Schuhe. Sogar meine Gäste holte ich barfuß von unserem kleinen Flughafen ab, was für die meisten ein richtiger Kick war. Sie wussten gleich, sie starten nun in einen ausgefallenen Urlaub. Heißer Asphalt, Kieselsteine, selbst größere Glasscherben, machten meinen ehemaligen Pharma-Manager-Füßen nichts mehr aus. Meine Fußsohlen waren dick und nahezu unverwundbar geworden.

Ausschlaggebend dafür war, dass ich in meinem ersten Jahr so gut wie jede Woche neue Flip-Flops kaufen musste. Diese für die Tropen praktische Besohlung hielt entsprechend der minderwertigen Ware einfach nichts aus. So beschloss ich, nach dem ersten Jahr dem belizianischen Spruch zu folgen: no shoes, no shirt, no problem.

Der erste Grund war also klar. Wenn man nichts anhat, geht auch nichts kaputt. Der zweite Grund bestand aus einer Mischung aus Faulheit, Sparen von Regenwasser und Waschmittel und meiner langsam in die Jahre gekommenen Wirbelsäule. Ich hatte wie zuvor beschrieben keine Waschmaschine. Was sich in der ersten Woche meiner Insel-Quarantäne noch als belustigend und abenteuerlich angefühlt hatte, wurde spätestens nach einem Monat zu einer mehr als ungeliebten Tätigkeit. Das Waschen meiner Wäsche in einem Eimer.

Ich probierte viel, um meine Wäsche wirklich sauber zu bekommen, aber ich fand nie eine wirklich zufriedenstellende Technik. Kneten, rubbeln, wringen, durch die Luft schleudern, mit einem PVC-Rohr massakrieren ... ich versuchte alles. Erst da wurde mir klar, welch Wunderding eine Waschmaschine ist. Und es war nicht nur die Sauberkeit ein Faktor, es war auch der Geruch. Nach einiger Zeit roch einfach alles nur noch muffig, egal wie viel Duft- und Waschmittel ich dem Regenwasser beimischte.

Insofern versuchte ich das Tragen von Kleidung auf ein Minimum zu reduzieren, um bei meinen Besuchen auf dem Festland halbwegs saubere und nicht übel stinkende Wäsche tragen zu können. Es gab jedoch manchmal einen entscheidenden Grund, doch Kleidung zu tragen. Es waren diese unsichtbaren kleinen Quälgeister, namens Sandfliegen. Davon gab es unterschiedliche Spezies, die jeweils auf andere Körperregionen spezialisiert schienen. An manchen Tagen konnte man in der Früh nicht einmal atmen, so voll war die Luft mit diesen Biestern. Dann wiederum waren die Knöchel Ziel einer anderen Spezialeinheit. Es war der einzige biologische Faktor, an den ich mich nie gewöhnen konnte.

Meine Gäste waren zum Glück nicht so extrem von diesen fliegenden und hüpfenden Terroristen bedroht, lag die Öko-Lodge doch relativ frei der steten Meeresbrise zugewandt. Mein eigenes Haus hingegen lag in den Mangroven versteckt. Je nach Wind- und Wetterlage wurde mein Zuhause am Abend zur Hangover-Zone des Sandfliegen-Raves erkoren. Es war zwar nicht mehr so, dass ich wie in meinem ersten Jahr in Belize entzündete Stellen mit maximalem Juckreiz am ganzen Körper bekam. Man kann sich aber vorstellen, wie unangenehm es ist, wenn jede unbedeckte Körperstelle innerhalb von Sekunden von hunderten kleinen Insekten gestochen wird. Dagegen wird man einfach nie immun. In manchen Stunden des Tages war es daher unmöglich, ohne Kleidung zurechtzukommen.

Sparen war das Gebot der Stunde, des Monats und, wie sich später herausstellen sollte, des gesamten Jahres. Für meine Psyche war diese Situation mehr als herausfordernd. Ich saß auf einer Goldgrube. Ich wusste, dass ich mein Gästehaus dank der Optimierungen um 600 US-Dollar pro Nacht vermieten konnte, hatte meine Fixkosten auf wenige hundert US-Dollar reduziert und war dennoch aufgrund der Pandemie in einer aussichtslosen finanziellen Situation.

Das Internet war die eine Geschichte. Es gab aber noch andere Verpflichtungen. Auch wenn ich nur einmal pro Monat auf das Festland fuhr, um Gemüse, Reis, Nudeln und Mehl zu kaufen, so benötigten diese Fahrten Benzin für das Boot. Bei gemächlicher Fahrt verbrauchte der Motor satte 40 Liter pro Stunde. Und wenn ich schon am Festland war, dann verwendete ich auch meinen Truck, um von der Freilandfarm frisches und günstiges Fleisch für Mali zu kaufen. Mali war bei all diesen Fahrten natürlich immer dabei. Nie hätte ich sie allein auf der Insel gelassen. Sie genoss die Bootsfahrten über das Karibische Meer genauso wie meine Urlauber. Stets in das Wasser blickend und den Wasserspritzern glückselig hinterherhechelnd.

Die Geschichte mit dem Sushi aus dem Meer ist zwar nicht gelogen, aber Malis Hauptnahrung bestand hauptsächlich aus einem artgerechten unwiderstehlichen Fleisch-Blut-Knochen-Organe-Mix, den der Fleischer der Freilandfarm extra für Hunde sammelte. Behandelt wurde dieser Hundeleckerbissen wie jedes Fleisch, das es in Belize zu kaufen gab. Es wurde aufgrund der hohen Tropentemperaturen immer sofort eingefroren. Die Menge an Fleisch reichte meist für zwei Monate, denn zusammen mit etwas Reis und hundegerechtem Gemüse kam ich mit den paar Packungen, die ich ja ebenfalls dank Solarenergie auf der Insel im Tiefkühlfach aufbewahren konnte, eine gefühlte Ewigkeit aus.

Nicht selten war ich neidisch. Mali hatte immer eine perfekte Mahlzeit parat, während ich mir mein Futter im Meer selbst fangen musste. Bei aller Sparsamkeit kam dennoch ständig etwas dazwischen. Ein Problem mit dem Auto hier, ein Problem mit dem Boot da. Vor allem das Boot machte mir zu schaffen. Jedes kleine Problem war mit Unmengen von Kosten verbunden, um einen meiner Mechaniker entweder auf die Insel zu bestellen oder zu ihm hinzufahren. Auch das war für mich ein Grund, das Boot so gut wie nie zu bewegen. Natürlich wäre es cool gewesen, zu benachbarten Inseln ohne Touristen zu fahren und das Meer für mich allein zu haben. Aber das war finanziell nicht drin. Zudem gab es immer wieder Gebühren zu zahlen: Kapitänslizenz, Grundsteuern, Bootslizenz, Umweltbehörde, Autoversicherung. Gefühlsmäßig waren jeden Monat Beträge von bis zu 3.000 Euro zu zahlen. Und das, obwohl ich so kostengünstig wie nur möglich lebte.

Meinen Freunden konnte ich daher auch nicht mehr die versprochenen Zinsen für das ausgeborgte Geld bezahlen. Ohne ihr Entgegenkommen und ihre monatliche Aufstockung meines Schuldenstandes hätte ich keine Chance gehabt. Und als ob das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, die Landerosion hatte im Mai 2020 plötzlich eine schlagartige mittelschwere Katastrophe ausgelöst.

Jedes Jahr im April und Mai steigt der Meeresspiegel, ebenso von Oktober bis Dezember. Bisher hatte ich es vermieden, meine Insel mit schwerem Gerät aufzufüllen. Es kostete mich im Jahr 2017 mehrere Monate, mit meinem kleinen Boot und der Hilfe meines Freundes Breeze, das Land vor dem Gästehaus so weit mit Sand aufzuschütten, dass man, ohne nasse Füße zu bekommen, darauf spazieren konnte.

Mitten in der Pandemie, ohne Einkommen, spülte es mir die Insel weg. Ohne Sturmflut, einfach nur durch den höheren Gezeitenstand. Mein gesamter Technikraum stand unter Wasser. Die wenigen gepflanzten Palmen am Meeresrand wurden alle unterspült, und sämtliche Pflanzen zeigten ein völlig surreales Bild. Es sah aus, wie wenn jemand mit einer Computeranimation ein Horrorszenario simulieren würde. Nachdem das Land an die dreißig Zentimeter an Höhe verloren hatte, war nur noch das starke Wurzelgeflecht und die Pflanze darüber zu sehen. Wie wenn die gesamte Pflanze schweben würde. Überlebt hatte das keine meiner Pflanzen und, was noch viel schlimmer war, mein Haus stand nun auch zur Hälfte im Meer. Innerhalb weniger Tage wären die Holzpfosten angegriffen worden. Das Salzwasser hätte selbst die dicksten Bolzen und Schrauben in Kürze korrodiert. Eine Woche später wäre mein Gästehaus und auch ich zusammengebrochen.

Verzweifelt wendete ich mich an meinen Freund Charly, der bereits Unsummen in mein Projekt gesteckt hatte und noch immer mit mir an den Erfolg glaubte. Ohne Pandemie hätten wir diesen Erfolg bereits gefeiert. Nun aber standen wir und ebenso Bonelli, mein anderer Freund und Investor, vor dem totalen Absturz. Es dauerte nur ein einziges Telefonat und dann war klar: Mein Projekt, mein Traum, mein Paradies hatte sein Ende gefunden.

Wir, oder besser gesagt Charly, griffen noch einmal tief in die Tasche. Innerhalb eines Tages mussten wir die Insel aufschütten lassen, um das Gästehaus zu retten. Mein Freund Breeze, der inzwischen der Kapitän einer Barke des größten Bauunternehmens in Placencia war, rückte bereits am Folgetag mit schwerem Gerät an. Bagger fuhren über meine Insel, wo es bisher nicht einmal ein Fahrrad gab. Es wurden Nägel mit Köpfen gemacht. Trotz meiner Verzweiflung war für mich wichtig, der Umwelt nicht zu schaden. Wir hielten uns an alle Genehmigungen. Nachdem ich intensives Wissen über mein Ökosystem gesammelt hatte, konnte ich die Vorgaben des Umweltministeriums noch deutlich umweltschonender umsetzen. Es wurde nicht eine Mangrove geknickt. Innerhalb von nur zwei Tagen hatte ich plötzlich eine karibische Trauminsel vor meiner Nase, ohne auch nur einen einzigen Quadratmeter ökologisch verändert zu haben.

Alles was geschah, baute das verlorene Land neu auf und wurde mit wunderschönem natürlichem Meeressand aus Placencia überdeckt. Dem gleichen Sand, den auch meine geschützten Papageifische vor Ort produzierten. Als Draufgabe hatte ich dann aber noch etwas im Köcher, wovon ich drei Jahre zuvor keine Ahnung hatte: Mangroven!

Diesmal sollten nicht Steine oder Felsen die Wassergrenze sein, sondern kleine Sprösslinge von Mangroven, die es auf meiner Insel überall gab. Ich mischte abwechselnd Sprösslinge von roten Mangroven mit weißen und schwarzen, um die Diversität der unterschiedlichen Wurzelformen entlang der neuen Begrenzung zu gewährleisten. Diese neuen Wurzeln sollten in wenigen Monaten dann besser als jede Mauer sein und gleichzeitig den kleinen Fischen noch mehr Schutz bieten. Das Gästehaus war durch die Aufschüttung gerettet und der Wert des Grundstücks massiv gestiegen. Es war ein mit großen Opfern errungener Erfolg und blieb trotzdem nur ein Pyrrhussieg.

Mein neuer Schuldenstand war einstweilen über der Baumgrenze. Ich konnte ihn mit Mieteinnahmen nicht decken. Die Pandemie hatte mich ausgeknockt und meinen Traum zerstört. Ich musste alles verkaufen. Und zwar umgehend.

21 KUGELN IM PARADIES

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