Читать книгу Null - Gine Cornelia Pedersen - Страница 10
ОглавлениеIch bin sechzehn Jahre alt
Ich habe Mama dazu überredet, dass ich von zu Hause ausziehen und auf ein Gymnasium gehen darf
Ich bin glücklich und frei und habe keinen Wesenskern
Habe mir einen Sommerjob in einem Freibad besorgt
Meine Arbeitskleidung sieht absolut lächerlich aus und ist gelb und blau, und man muss ein Baseballcap tragen
Ich verweigere das Cap
Der Chef sagt, entweder das Cap oder der Job
Ich verdiene sechzig Kronen die Stunde
Verkaufe Softeis und muss Pädos in Speedos beobachten
Kleinen Scheißern zuhören, die ihre Mütter nerven, ob sie ein Softeis oder einen Hotdog kriegen
Als Ausgleich für die ungerechten Arbeitsbedingungen stehle ich aus der Kasse
Ich stehle im großen Stil
Fühle mich wie Robin Hood
Stecke mir Scheine in den BH und in die Schuhe
Zu Tausenden
Mit dem Geld kaufe ich Hasch, Bier, Limo, CDs und Bustickets
Gehe nicht ran, wenn mein Freund anruft
Ich fahre nach Tønsberg zu einem Kumpel
Dort treffe ich andere Kiffer
Ich werde nie dicht genug
Rauche alle unter den Tisch
Fahre mit dem Bus woanders hin und kiffe dort weiter
Ich habe beschlossen, auf alles zu scheißen und die ganze Zeit das zu tun, was ich will
Ich mache mit meinem Freund Schluss
Wir sind seit zwei Jahren zusammen, und er findet, es wird langsam Zeit, übers Heiraten nachzudenken
Ich finde, er sollte mal sein Hirn checken lassen
Er wird sauer und schlägt im Auto aufs Armaturenbrett
Ich sage, ich bin zu jung, um mich für ein solches Leben zu entscheiden, und dass wir uns jetzt trennen müssen
Er krümmt sich zusammen
Ich frage, was los ist
Er packt mich am Handgelenk und sagt, dass ich ihn nicht verlassen kann
Dass er ohne mich nicht leben kann
Er fragt, ob wir miteinander sterben wollen
Dem Ganzen ein Ende machen, ein für alle Mal
Ich sage, dass ich noch jung bin, und dass es dumm wäre, jetzt das Handtuch zu werfen
Ich drehe mich weg und will die Autotür aufmachen
Er hält mich am Handgelenk fest
Lässt nicht los
Hält mich fester, zieht mich näher zu sich
„Du kannst jetzt loslassen“, sage ich
Er fährt los
Ich frage ruhig, was er da macht, und sage ihm, er soll mich aussteigen lassen
Er verriegelt die Türen
Schaut geradeaus, mein Handgelenk in der einen Hand und das Lenkrad in der anderen
Fährt in Richtung Hauptstraße
Er fährt hundertfünfzig
Ich versuche, an banale Dinge zu denken
Dass ich nur noch zwei Zigaretten habe, dass ich vor Ladenschluss welche kaufen muss
Dass ich vor dem Schlafengehen duschen muss
Dass ich mir später zu Hause ein paar Leberwurstbrote schmieren werde
Ich werde sterben
Ich nehme das Handy heraus, um Mama anzurufen
Er reißt es mir aus der Hand und wirft es aus dem Fenster
Ich flehe um mein Leben
Schreie, dass ich ihn liebe und dass ich den Rest meines Lebens mit ihm zusammen sein will
Er sagt, genau das wirst du jetzt auch
Ich begreife, dass es zu spät ist
Höre den Motor heulen
Wir fahren am Haus einer Freundin vorbei
In der Küche brennt Licht
Ich kann den Küchentisch sehen, und jemanden beim Abspülbecken
Ich denke an Mama
Ich schreie
Denke, das ist mein Todesschrei
Die Urstimme
Der Ursprung von allem
Das Ende von allem
Bald ist nichts mehr
Kein Geräusch oder Gedanke
Ich kann nicht glauben, dass ich mit dem Geruch von Wunderbaum in der Nase sterben werde
Ich begreife, dass Sterben eine unwirkliche Erfahrung ist
Ich fühle mich bereit
Lasse los
Auch er schreit
Ich sehe die Felswand
Vergrabe mein Gesicht in den Händen
Ich bin fünf und an einem Strand in Brasilien
Ich bin acht und auf einer tieftraurigen Beerdigung
Ich bin zehn und sitze an meinem Geburtstag auf einem Polizeipferd
Ich bin vierzehn und verliere meine Unschuld auf einem Feld
Er tritt auf die Bremse
Das Auto dreht sich
Steht still
Ich habe immer noch mein Gesicht in den Händen
Ich schaue ihn an
Er sitzt einfach da
Legt den Rückwärtsgang ein und wendet
Fährt in ruhigem Tempo zurück
Zündet sich eine Zigarette an
Ich fange an zu lachen
Er entschuldigt sich und sagt, dass er nicht derart die Kontrolle hätte verlieren dürfen
Das Lachen artet aus
Es tut mir im Bauch weh
Er sagt, mein Lachen macht ihn fertig
Das Lachen ist hysterisch
Ich kann nicht aufhören zu lachen
Er hält vor meinem Haus
Sagt, dass er sich jetzt umbringen wird und ich ihn niemals wiedersehen werde
Ich lache noch mehr
Er fängt an, vor und zurück zu wippen
Ich höre auf zu lachen
Nehme ihm den Autoschlüssel weg
Sage, dass er sich nicht umbringen darf und dass er gern mit reinkommen kann
Er kann nicht laufen, sagt er
Ich muss ihn beim Reingehen stützen
Er legt sich in mein Bett und rollt sich zusammen wie ein Embryo
Ich lege mich auf den Boden
Frage, ob bei ihm alles in Ordnung ist
„Monster“, sagt er
Er sagt das Wort Monster eine Stunde lang vor sich hin und wippt dabei
Mit geballten Fäusten
Er tut mir leid
Schließlich lässt er das Wippen und das Monster sein
Er geht, ohne etwas zu sagen
Ich reiße die Bettwäsche runter
Zerschneide sie
Das Leben ergibt keinen Sinn
Das Leben ist kein
Das hier ist verdammt noch mal kein
Ich werde es jetzt rausbringen
Es muss raus
Sollen es doch die anderen haben
Ich will es nicht
Ich will es nicht