Читать книгу Das Leben des Antonio Filarete, Benozzo Gozzoli, Vittore Carpaccio und weiterer Künstler - Giorgio Vasari - Страница 18
Einleitung zum Leben des Paolo Romano und Meister Mino sowie des Chimenti Camicia
ОглавлениеIn der vorliegenden Vita werden diverse, hauptsächlich in Rom tätige Bildhauer und Architekten aus der zweiten Hälfte des Quattrocento vorgestellt, die Vasari entweder dem Pontifikat von Pius II. (1458−1464) oder jenem von Sixtus IV. (1471−1484) zuordnet. Beide Zeitspannen werden als kulturelle Blütephasen Roms und als Perioden der städtebaulichen Erneuerung gedeutet. Geht es im Auftakt im wesentlichen um Paolo Romano, der als der seinerzeit fähigste Bildhauer Roms ins Rampenlicht tritt, so handelt eine längere abschließende Passage von dem im Titel nicht erwähnten Florentiner Architekten Baccio Pontelli, den Vasari zum favorisierten Baumeister von Papst Sixtus IV. erklärt. Zwischen beiden Abschnitten richtet sich Vasaris Blick nach Ungarn, an den Hof von König Matthias Corvinus. In diesem kurzen Intermezzo wird über einen bis heute historisch kaum faßbaren Florentiner Künstler namens Chimenti Camicia berichtet, der für den ungarischen Herrscher eine Reihe von prachtvollen Bauten errichtet haben soll.
In der Editio princeps bildeten die verhältnismäßig kurzen Biographien des Paolo Romano und des Chimenti Camicia keinen zusammenhängenden Text. Sie folgten jedoch unmittelbar aufeinander. Was Vasari außer der zeitlichen Koinzidenz dazu bewogen haben könnte, beide Lebensbeschreibungen trotz ihrer offensichtlichen Inkohärenz in der 1568er Ausgabe der Vite miteinander zu verknüpfen, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Denkbar wäre, daß er beides unter dem Leitmotiv der ›magnificenza‹ verstanden wissen wollte – einen Begriff, den Vasari in der 1550er Version der Chimenti-Camicia-Vita in Zusammenhang mit den für Sixtus IV. gestalteten Bauten explizit nennt und der sowohl die ungeheure Pracht und Würde von Gebäuden zum Ausdruck bringt, die beim Betrachter Staunen und Bewunderung hervorrufen sollen, als auch die Größe und Generosität des Auftraggebers widerspiegeln soll.1 In Anlehnung an Sueton hatte schon der Humanist und Historiker Raffaello Maffei in seiner 1506 erschienenen Enzyklopädie Commentariorum rerum urbanarum libri XXXVIII bemerkt, daß Papst Sixtus IV. Rom von einer Stadt aus Ziegeln in eine Stadt aus Stein verwandelt habe, so wie seinerzeit Augustus aus der vormals mit Steinen erbauten Tibermetropole eine Stadt aus Marmor gemacht hätte.2 Der Begriff der ›magnificenza‹ kommt zwar in der 1568er Version der Vita nicht mehr vor, doch hallt dessen weiter Bedeutungsraum vielerorts unterschwellig noch nach.
Unter den wenigen Werken, die Vasari dem römischen Marmorbildhauer Paolo zuschreibt, der mit Paolo Taccone identifiziert werden kann, kommt der um 1464 für Pius II. geschaffenen überlebensgroßen Statue des Apostels Paulus ein besonderer Rang zu. Sie ist gewissermaßen der Dreh- und Angelpunkt des ersten Abschnitts. Vasari erklärt sie brevi manu zum Hauptwerk Paolo Romanos, in erster Linie wohl aufgrund ihrer späteren Wertschätzung durch den Medici-Papst Clemens VII., der die hohe Qualität des seinerzeit in ›Dornröschenschlaf‹ versunkenen Werks erkannt haben soll. Ihm sei es zu verdanken gewesen, daß die Statue an den Anfang der Engelsbrücke, sozusagen ins Blickfeld der Öffentlichkeit, versetzt wurde und dort ein zwillingshaftes Pendant erhielt. Zwischen 1530 und 1534 schuf Lorenzetto im Auftrag von Clemens VII. die Marmorstatue des Apostels Petrus. Beide auf mannshohen Sockeln stehende Kolossalfiguren mit ihren als Antithese formulierten Motti »HINC RETRIBUTIO SUPERBIS« (»Von hier Vergeltung den Hochmütigen«; Inschrift der Paulusstatue) und »HINC HUMILIBUS VENIA« (»Von hier Vergebung den Demütigen«; Inschrift der Petrusstatue) dienten an der Schwelle zum Borgo Leonino als eine Art ›Grenzwächter‹ und waren zu Vasaris Zeiten nicht zuletzt durch die Verbreitung einer in Kupfer gestochenen Zeichnung Maarten van Heemskerks weit über die Grenzen Roms hinaus bekannt und berühmt.3
Die einst für Pius II. geschaffene Statue des Apostelfürsten sei, so Vasari, die Frucht eines künstlerischen Wettstreits unter den beiden Bildhauern Paolo Romano und einem gewissen Mino del Regno gewesen, eine Bezeichnung, die vielleicht seine Herkunft aus dem Königreich Neapel andeuten soll (Pepe 1966). Dieser Künstler, dessen Identität historisch nicht faßbar ist und von Vasari zuweilen mit jener des Mino da Fiesole verwechselt wird, trägt die Züge eines überheblichen, zutiefst von Neid zerfressenen Kontrahenten Paolo Romanos, während letzterer das genaue Gegenteil davon verkörpert, ja gewissermaßen als die Humilitas selbst daherkommt. Bereits in der früheren Version wurde die Vita von einem längeren moralisierenden Prolog über den angeblich von Mino ins Leben gerufenen Künstleragon eingeleitet. Der Begriff ›superbia‹ ‒ ein Laster, das in Dantes Divina Commedia als eines der schwerwiegendsten Übel gilt ‒ wird aber erst in der 1568er Edition explizit genannt und läßt in diesem Zusammenhang an eine berühmte Formulierung des Augustinus in seiner allegorischen Deutung des Kampfes zwischen David und Goliath denken »provocavit superbia humilitatem«.4 Wie zu erwarten, geht Mino, der in Konkurrenz zu Paolo wahrscheinlich eine Petrusfigur schuf, aus dem künstlerischen Kräftemessen als Verlierer hervor.5 Daß diese reizvolle Geschichte wohl Vasaris Phantasie zu verdanken ist, muß nicht eigens betont werden. Sie könnte in nuce vielleicht auf ein Relief im Tympanon von San Giacomo degli Spagnoli zurückgehen, das zwei wappenhaltende Engel und darunter die eingemeißelten Inschriften »OPUS PAULI« und »OPUS MINI« zeigt.6 Zwar wird dieses Werk mit keinem Wort in der Vita erwähnt, man darf jedoch davon ausgehen, daß dem Biographen die Fassade des Gotteshauses nicht unbekannt war, zumal er die damalige Nationalkirche der Spanier beiläufig erwähnt. Zieht man außerdem in Betracht, daß ein anderes gleichmotivisches Paar, die kolossalen Dioskuren auf dem römischen Quirinal mit ihren Sockelinschriften »OPUS FIDIAE« und »OPUS PRAXITELIS«, eine bedeutende Inspirationsquelle für die frühneuzeitliche Wettstreitkultur boten,7 so gewinnt die These unmittelbar an Überzeugungskraft. Petrarca hatte in diversen Schriften – wohl aufgrund der eingemeißelten Namen von zwei der bedeutendsten Bildhauer der Antike – die beiden zwillingshaften Rossebändiger, ihre hohe künstlerische Qualität und wohl auch ihr kolossales Erscheinungsbild als das sichtbare Resultat eines agonalen Kampfgeistes gedeutet.8 Dementsprechend könnte der Anblick der beiden kolossalen Statuen der Apostelfürsten Petrus und Paulus Vasari zu seiner kurzweiligen Anekdote inspiriert haben.
Die Paulusstatue, die mit ihrem blanken Schwert und der unter Clemens VII. angebrachten Sockelinschrift den Dargestellten als Kämpfer gegen die Hochmütigen ausweist, gerät dabei zu einem metaphorischen Selbstbildnis Paolo Romanos. Der Bildhauer trägt nicht nur den gleichen Namen wie der Heilige, Vasari dichtet ihm auch gemeinhin mit dem Apostel assoziierte Charaktereigenschaften wie Demut, Aufrichtigkeit und Bescheidenheit an. Und es ist bestimmt kein Zufall, daß das der Vita vorangestellte Holzschnittbildnis des Künstlers mit der hohen, in Falten gelegten Stirn, den tiefliegenden Augen und dem Bart eine gewisse Ähnlichkeit mit den Gesichtszügen der von ihm geschaffenen Paulusfigur aufweist.9 Paolos angeblicher Widersacher, dessen Name Mino per se schon etwas Geringeres zu implizieren scheint, wird dagegen von Vasari als jemand charakterisiert, der viel weniger getaugt hätte (»Mino di molto minor valore«) und mit Worten tüchtiger gewesen sei als mit Werken (»più con le parole che con l’opre valeva«).
Daß Vasari wie Dante mit Namen eine tiefere Bedeutung verknüpft, ist in anderen Kontexten schon wiederholt betont worden und offenbart sich auch im weiteren Verlauf dieser Vita, wenn im abschließenden Teil von dem aus Florenz stammenden Architekten Baccio Pontelli die Rede ist. Schon in der Edition von 1550 war jener zum Architekten des Della-Rovere-Papstes Sixtus IV. stilisiert worden. Vasari schrieb ihm nicht nur den Neubau von Santa Maria del Popolo und des Ospedale di Santo Spirito in Sassia zu, sondern auch die Konstruktion der Vatikanischen Bibliothek, der Sixtinischen Kapelle, des Ponte Sisto und aller Kirchen, die der Papst anläßlich des Heiligen Jahres 1475 angeblich wiederherstellen oder neu errichten ließ. Diese in der ersten Ausgabe im einzelnen nicht aufgeführten Kirchenbauten ergänzt Vasari später durch die Nennung von Santi Apostoli, San Pietro in Vincoli und San Sisto, allesamt Kirchen, die zwar nicht unmittelbar vom Papst in Auftrag gegeben wurden, wie Vasari behauptet, die aber seinerzeit unter der Obhut zweier bedeutender Kardinäle standen, Pietro Riario und Giuliano della Rovere, beides Neffen von Sixtus IV.10 Sosehr Vasari hinsichtlich der Datierung dieser Werke im großen und ganzen recht zu geben ist, so wenig darf man ihn wörtlich nehmen, wenn es um die Zuschreibung der genannten Werke an Baccio Pontelli geht. Dokumente bezeugen, daß sich der Künstler in den 1470er Jahren in Pisa aufhielt, wo er sich als legnaiuolo seinen Lebensunterhalt verdiente, und daß er vor 1480 kaum Gelegenheit gehabt haben dürfte, Rom kennenzulernen, geschweige denn sich als päpstlicher Architekt einen Namen zu machen. Für Sixtus IV. persönlich war Pontelli in Wirklichkeit so gut wie gar nicht tätig. Die einzige in dieser Hinsicht bezeugte Tätigkeit ist die Inspektion der Festung von Civitavecchia im Jahre 1483. Ein päpstlicher Auftraggeber, zu dem Pontelli statt dessen eine engere Bindung hatte, war Innozenz VIII., der den Künstler 1487 zum Oberaufseher der päpstlichen Festungen in den Marken ernannte.11 Welche Intention Vasari mit seinen Zuschreibungen an Baccio Pontelli verfolgt, ist evident: Die renovatio urbis Romae unter Sixtus IV. ist nicht auf die Leistung einheimischer Baumeister zurückzuführen, sondern verdankt sich einzig und allein der Fähigkeit eines Florentiner Architekten. In Vasaris Modell der Entwicklung der Künste demonstriert Pontellis kurze Lebensbeschreibung zusammen mit den Viten von Bernardo Rossellino, Giuliano da Maiano und Francesco di Giorgio Martini in der seconda età die Überlegenheit der toskanischen Baukunst.12
Zwei Ergänzungen in der 1568er Version der Vita sind im Hinblick auf Vasaris gewandeltes Architekturverständnis besonders aufschlußreich. Einerseits bemerkt er in Zusammenhang mit dem Ponte Sisto, daß die Brücke dank kräftiger Widerlager und einer ausgeklügelten Verteilung der Lasten eine enorme Festigkeit und robuste Fundamente besäße. Andererseits fügt er am Ende der Vita ein weiteres vermeintliches Werk Pontellis hinzu, dessen verstärkende und stützende Funktion er ebenfalls rühmt. Dabei handelt es sich um die als »puntone« bezeichnete mächtige Substruktion der Klosteranlage von San Francesco in Assisi, das einzige Werk außerhalb Roms, das Vasari wohl aufgrund einer dort vorhandenen Statue des Papstes Sixtus IV. dem Florentiner Architekten zuschreibt. Es ist gut möglich, daß gerade in der zweiten Ausgabe der Vite – nach Gründung der Accademia del Disegno und zu einem Zeitpunkt, als Vasari in seiner Eigenschaft als Architekt von Herzog Cosimo I., insbesondere beim Bau der Uffizien und der Konstruktion des Corridoio Vasariano über den Arno, mit dem Problem der Festigkeit und Widerstandskraft von Gebäuden konfrontiert war13 – der Name Pontelli, in dem das Wort »ponte« (Brücke) enthalten ist und der an den Terminus »puntello« (Stütze, Stützbalken) erinnert, Anlaß zu den Ergänzungen gab. Auffällig ist nicht nur, daß Vasari den Namen des Architekten Pintelli (1550) korrekterweise in Pontelli ändert, sondern auch daß der Begriff »puntello« in seinen verschiedenen Schreibweisen und Derivaten (puntegli, puntellato) erst in der 1568er Edition der Vite in wachsendem Maße zum Einsatz kommt. Hatte Vasari ihn in der ersten Ausgabe bloß in Kapitel IV seiner Einführung in die Baukunst bei der Konstruktion von Gewölben in der Bedeutung eines hölzernen Stützpfeilers eingeführt, so ist der Terminus achtzehn Jahre später in diversen bautechnischen Zusammenhängen in den Lebensbeschreibungen von Giovanni Pisano, Michelozzo, Filippino Lippi, Antonio da Sangallo d. J. und Aristotele da Sangallo als verstärkendes oder stützendes Element – sei es aus Holz oder Stein – zu finden. Dieses Phänomen läßt sich zweifellos mit einer intensiveren theoretischen Auseinandersetzung Vasaris mit der Architektur erklären, insbesondere vor dem Hintergrund der damaligen Auseinandersetzungen um die Statuten der Accademia del Disegno, in denen es um die Zulassungskriterien für Architekten und in diesem Kontext um die Differenzierung des Architekturverständnisses ging. Vincenzo Borghini, der erste luogotenente der Accademia und zudem ein enger Vertrauter Vasaris, plädierte dafür, diejenige Seite der Architektur, die rein auf das Nützliche und Notwendige ausgerichtet sei, von jenem Bereich der Baukunst abzugrenzen, dessen oberstes Ziel die Pracht und Schönheit von Gebäuden sei und deshalb ein Surplus zu ersterem darstelle.14 Indem Vasari also in der späteren Version der Vita mehr die Festigkeit und Widerstandskraft der von Pontelli errichteten Bauten betont, läßt er keinen Zweifel daran, daß er dessen Œuvre weniger vom Ästhetischen als vom Nützlichen und Notwendigen her gedeutet wissen möchte. Tatsächlich erwähnt Vasari nur ein einziges Mal, daß eines der Bauwerke, nämlich der für Domenico della Rovere errichtete Palazzo dei Penitenzieri, seinerzeit als ein sehr schönes und wohlgeplantes Gebäude galt. Der Begriff der ›magnificenza‹ –1550 noch explizit erwähnt – fällt, wie gesagt, in der späteren Fassung konsequenterweise weg. Und auch die ursprüngliche Formulierung, daß Baccio es seinem Talent in der Architektur (»per lo ingegno suo nella archiettura«) zu verdanken habe, von Papst Sixtus IV. bei jedem seiner Bauprojekte eingesetzt zu werden, ist in der 1568er Version dahingehend abgeändert, daß statt des künstlerisch-kreativen Aspekts nun die manuelle praktische Seite in den Vordergrund rückt: Dank der reichen Erfahrung in architektonischen Belangen (»per la buona pratica che ebbe nelle cose d’architettura«) sei Pontelli zum favorisierten Baumeister besagten Papstes avanciert. Es muß an dieser Stelle betont werden, daß es Vasari nicht um eine generelle Abwertung von Pontellis Leistung ging. Im Gegenteil: Gemessen an den Erfordernissen seiner Zeit gebührt ihm durchaus ein Platz im Olymp der Baukünstler. Das im Verhältnis zur Editio princeps zurückgenommene Lob Vasaris ist vielmehr der Notwendigkeit geschuldet, eine klare Trennungslinie zu ziehen zwischen den Architekten des Quattrocento und jenen der terza età, die sich gemäß den von Borghini ins Feld geführten Kriterien mehr über das schmückende Element zu definieren haben. Pontelli ist, wie sein Name schon suggeriert, in Vasaris Augen zur Zeit des Pontifikats von Sixtus IV. im Bereich der Architektur ein mächtiger stützender Pfeiler, einer, der bei öffentlichen und privaten Bauten in Rom die damaligen Ansprüche seines Auftraggebers zu befriedigen und in Stein umzusetzen weiß, auch wenn Vasari 1567, nachdem die Vita und der gesamte zweite Band offensichtlich schon im Druck vorlag, bei einer im Auftrag von Papst Pius V. durchgeführten Inspektion des Ponte Sisto in einem Brief an Borghini eingestand, daß die Brücke seinerzeit als einsturzgefährdet galt.
SF
Bibl.: Caglioti 1991; Zuraw 2005, Meneses 2013.