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3. Kapitel

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Nach dem Gespräch mit Marina Ferdinand blieben Guderian der Abend, die Nacht und der folgende Vormittag, um Dinge zu erledigen. Während er den alten Corolla zurück in die Stadt lenkte, versuchte er, eine Reihenfolge festzulegen.

Der erste Anlaufpunkt nach der Bank – es gelang ihm eben noch, vor Schließen der Filiale den Scheck einzureichen – war ein Hacker in einer öden Seitenstraße von Sachsenhausen. Guderian hatte ihn schon mehrfach um gut bezahlte Gefälligkeiten gebeten; diesmal setzten sie den Gegenwert der Recherchen nach einigem Gefeilsche auf einen Tausender fest.

»Aber nur, weil du es bist«, sagte Guderian.

Der Hacker mit dem mißtönenden Namen Kunz Binz grinste abfällig. »Du kommst zu mir, weil ich es bin, zahlst, weil ich es bin, gehst, weil ich es bin. Was würdest du machen, wenn ich es nicht wäre?«

»Dann wärst du ein anderer, und dann brauchte es dich nicht zu interessieren.«

»Ah bah. Sehr witzig.«

Nicht weit von der Behausung des Hackers gab es einen größeren Getränkeladen. Guderian lief halb unschlüssig zwischen den Regalen entlang, entschied sich dann für einen Barack und einen Gran Duque de Alba und ließ beide Flaschen in Seidenpapier wickeln.

Die zweite Anlaufadresse, wenn man es so nennen wollte, war eine heruntergekommene Sporthalle, wo hin und wieder dubiose Geschäfte gemacht wurden und ein paar Amateurboxer trainierten oder einander die Gesichter zerschlugen, was aufs Gleiche hinauskam. Der Aufpasser, ein Riese mit dem Spitznamen Gulasch, nickte Guderian zu, als er sich der schweren Stahltür näherte, auf der DUSCHEN stand.

»Sei gegrüßt, frommer Mann«, sagte Guderian.

Gulasch verzog das Gesicht, antwortete aber nicht. Er besaß ungeheure Muskelberge, die Fett zu sein schienen; vor Jahren hatte man ihm bei einer geringfügigen Meinungsverschiedenheit ein Brandzeichen auf der Stirn verpaßt, mit dem über einer Kerze erhitzten Silberkreuz des großmütterlichen Rosenkranzes, den Gulasch um den Hals trug.

Am Ende des Gangs, an dem rechts und links die Duschkabinen lagen, klopfte Guderian zweimal mit kurzer, zweimal mit langer und wieder zweimal mit kurzer Pause an etwas, das Wand schien und sich nach wenigen Sekunden öffnete.

Hinter der verkleideten Tür saßen sechs Männer um einen mit grünem Filz bespannten Tisch und pokerten. Soweit Guderian es mit einem Blick sehen konnte, waren die Einsätze noch im dreistelligen Bereich.

Der kleine mausartige Mann mit Kinnbart, der geöffnet hatte, schloß den Eingang wieder.

»Was willst du?« sagte er; seine Stimme war ein leises Quäken.

Guderian erinnerte sich nicht mehr genau an die Geschichte, wie er zu diesem seltsamen Organ gekommen war – gründliches Gurgeln mit verdünnter Salzsäure, eine Messerstecherei, bei der Kehle und Stimmbänder verletzt worden waren, oder etwas Ähnliches.

»Wo finde ich Gustav?«

Der Mausmann deutete mit dem Kinn zur rückwärtigen Wand des Spielsalons. »Er streichelt seine Fifis.«

Guderian seufzte lautlos. »Na schön. Danke. Läßt du mich durch?«

Der Kleine zupfte eine Kette aus der Hosentasche; daran hing ein Schlüssel, mit dem er eine weitere kaum sichtbare Tür öffnete.

»Geh außen rum zurück, okay? Du störst.«

Hinter der Tür lag ein lichtloser Gang; Guderian ertastete sich den Weg zur letzten Tür, die sich auf einen Innenhof öffnete. In der Ferne, hier und da von Gebüsch und Baumgruppen teilweise verdeckt, waren Hangars und Lagergebäude zu ahnen, die zum labyrinthischen Komplex des Rhein-Main-Flughafens gehörten.

Davor, teils im Innenhof, teils außerhalb, war ein durch mehrere solide Lagen Stacheldraht gesichertes Areal. Ein schwerer Mann mit Handschuhen, die ihm bis über die Ellenbogen reichten, tänzelte dort mit drei Mastiffs der tödlichen Sorte herum. Im Moment schienen die Hunde bestens gelaunt, balgten sich mit ihrem Herrn und setzten die Zähne nur sanft ein.

Der Herr war ein Kroate, den alle Gustav nannten, weil sein richtiger Name nicht in Umlauf war, aber angeblich so ähnlich klang. Er wandte den Kopf.

»Willst du mit meine kleine Kärrle spiele?« sagte er; in den härteren Heimatakzent mischten sich verwischte Klänge seiner hessischen Zweitheimat. »Oder hast du Anliegen, Junge?«

»Vor allem hab ich dir was mitgebracht; kriegst du aber nur, wenn du mir die Bestien vom Leib hältst.«

Gustav knurrte etwas; die Kampfhunde fletschten die Zähne und liefen zu den halbierten alten Weinfässern, in denen sie Regenzeiten und andere Kalamitäten verbrachten.

»Ssso. Laß sehn.« Der Kroate kam durch das Törchen im Drahtzaun, das schmaler zu sein schien als er. Guderian sah, daß er seitwärts ging. Als er vor ihm stand, streckte er die linke Hand aus. Die Handschuhe behielt er an.

Guderian langte in die Plastiktüte und holte nacheinander die Flaschen heraus. Gustav zerfetzte das Seidenpapier; ein Windstoß wehte Bruchstückchen in den Zwinger, und einer der Hunde tänzelte auf den Hinterbeinen, wobei er nach dem fliegenden Papierchen schnappte.

»Barack, gutt. Und – ah, spanische Brandy, was? Was mit Spanije vor, Gudderrijan?«

»Ein Auftrag. Lebensversicherung. Jemand ist möglicherweise tot, vielleicht aber auch nicht.«

Gustav nickte. »Wie wir alle. Früher oder später. Irgendwie, könnt man sagen.«

»Keiner weiß einen Grund, den Mann umzubringen; offenbar hat niemand was davon. Ich fliege morgen Mittag; kannst du bis dahin mal die Ohren spitzen? Ob er zum Beispiel ausgeschrieben ist?«

Gustav zuckte mit den Schultern. »Höre, ja, aber keine große Frage stelle, ich. Wie heiß?«

»Gregor Ferdinand.«

Guderian nannte noch ein paar Einzelheiten; als er sich von dem Kroaten verabschiedet hatte und über sumpfige Feldwege zu seinem Wagen zurückging, sagte er sich, daß er nicht damit rechnete, viel zu erfahren. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, genau genommen, um einer Sache sicher zu sein, der er sich bereits sicher war: daß Ferdinand, wenn ihm in Spanien wirklich etwas relativ Endgültiges zugestoßen sein sollte, dafür offenbar kein Motiv in Frankfurt zurückgelassen hatte.

In seinem Apartment – zwei Räume plus Bad, wobei die Wohnküche auch als Büro diente und das Schlafzimmer bis auf einen Futong, eine Kleidertruhe und ein paar Bücher leer war – tigerte er eine Weile auf und ab. Er genoß den Anblick erleuchteter Fenster im Silo gegenüber, wo man in fünfundzwanzig Etagen zu je vier Wohnungen an die zweihundert Menschen hielt.

Der von Guderian so getaufte Große Masturbator im elften Stock war entweder noch nicht zu Hause oder mit anderen Dingen beschäftigt, die Dunkelheit erheischten. Der alte Herr im zehnten Stock links stand auf seinem winzigen Balkon zwischen dreiunddreißig Blumentöpfen und schien zu meditieren. Die hübsche Eurasierin, die sich manchmal solo für und manchmal in Begleitung gegen ihn auszog, aber jeglichen übers Optische hinausgehenden Kontakt verweigerte, saß am Tisch in ihrer kleinen Küche und aß.

Ein gewöhnlicher Abend, dachte Guderian; keiner lebt, keiner stirbt, und was soll ich heute essen?

Er packte die leichte Reisetasche; das nahm nicht viel Zeit in Anspruch. Socken, Unterwäsche, eine Reservehose, ein paar leichte Hemden – im Sommer würde er in Andalusien und der Extremadura keine Wintersachen brauchen.

Beim Packen wartete er darauf, daß das Telefon klingelte, aber offenbar hatte an diesem Abend niemand das Bedürfnis, ihm Ratschläge, Verwünschungen oder Segenssprüche aufzudrängen.

Mit kochender Rohmilch und Pulverkaffee braute er sich einen Abendtrunk, kontrollierte die Papiermenge im Faxgerät (seit einem Monat hatte ihm niemand mehr etwas mitteilen wollen), vergewisserte sich, daß alle antiken Anrufe auf dem Beantworter gelöscht waren, kaute einen Moment an der Nagelhaut des linken kleinen Fingers und verließ dann das Apartment in der vierzehnten Etage.

Er lief schnell, aber ohne sich zu verausgaben, zwei Abendrunden um den Block; danach ließ er sich mit gutem Appetit zu einem Teller Saté à la maison im Shanghaied nieder, dessen Besitzer – ein Portugiese aus Sintra – aus Macao zu stammen behauptete und eine kühne sino-gräko-iberische Kelle schwang.

»Flauer Dienstag.« Luiz winkte mit dem Gläsertuch. »Bei dir auch?« Er blickte leicht verdrossen auf die drei besetzten und elf leeren Tische.

»Ich hab keine Gäste.« »Ah, solltest du aber. Was machen die Heiratspläne?«

Guderian hob die Hände. »Der Herr möge mich sägen und verhüten. Ich bin für so was ganz ungeeignet.«

»Wie lange bist du jetzt in Frankfurt? Dreieinhalb Jahre? Und noch immer kein nettes hessisches Mädchen?«

Guderian schob den halbvollen Teller von sich. »Wenn du so weitermachst, kommt gleich alles, was ich bis jetzt gegessen hab, wieder auf den Teller.«

Luiz nickte, ohne eine Miene zu verziehen. »Farblich bestimmt interessant. Also nix Neues?«

»Nee. Kann ich jetzt weiter essen?«

»Und die nette junge Dame von neulich, die Rothaarige?«

»Hat ne neue Perücke und nen neuen Lover.«

»Du willst verreisen, hörte ich?«

»Wer erzählt denn so was?«

Luiz hob die Schultern. »Irgend jemand wird es wohl gewesen sein. Wohin geht’s? Privat?«

»Versicherung. Die haben mal wieder Zweifel.«

»Besser dreimal zweifeln als einmal verzweifeln, wie?«

Am Morgen weckte ihn das Telefon; es war nicht einmal acht Uhr. Guderian setzte sich auf und langte nach dem Hörer des Geräts, das neben dem Futong stand.

»Wer reitet so früh durch Nebel und Tang?« sagte er.

Am anderen Ende der Leitung herrschte einen Moment lang Schweigen – hörbares, beinahe fühlbares Schweigen. Dann räusperte sich jemand, und Guderian erkannte das Organ des Kroaten.

Gustav war Frühaufsteher, aber offenbar nicht gerade munter; er klang eher unwirsch. Oder besorgt?

»Hör zu. Nix mehr dein Ferdinand ausgeschrieben.«

»Nix mehr? War er also? Von wem?«

»Wo du hinfährst.«

»Spanien? Uha. Und seit wann nicht mehr?»

»Weiß nicht.«

»Na schön. Gut, danke, Gustav.«

Gustav räusperte sich noch einmal. »Du nix genau hinhören, was? Noch mal. Nich dein Ferdinand ausgeschrieben.«

»Ah. Wer denn?«

Gustav zögerte. Er knurrte etwas, dann sagte er: »Du. Solltest in Spanije bleiben. Schöne Friedhöfe, hör ich.«

Andalusischer Abgang

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