Читать книгу Bau Dir Dein Grundeinkommen - Gisela Enders - Страница 5
Ist Arbeit unser Lebenssinn?
ОглавлениеUnser Leben, ja unsere ganze Identität, wird stark von der Arbeit geprägt. Die meisten sagen nicht, ich gehe der und der Tätigkeit nach, sondern formulieren ganz klar: Ich bin .... Die eigene Identität wird maßgeblich vom Job bestimmt. Dabei spielt dann nicht nur die eigentliche Tätigkeit eine Rolle, sondern eben auch der Titel. Und der Eifer, mit dem wir der ganzen Verantwortung und unserer vermeintlichen Wichtigkeit gerecht werden. Viele können sich entsprechend nicht vorstellen, Teilzeit zu arbeiten. Sie müssen immer ansprechbar sein. Das reicht oft weit über die vereinbarten 40 Stunden hinaus.
War das schon immer so?
Man hat ja oft den Eindruck, dass wir mit unserem Arbeitsleben Gesetzmäßigkeiten abbilden, die schon immer so waren. Die eben auch so sein müssen. Weil es nicht anders vorstellbar ist. Ich habe mich ein bisschen auf die Suche gemacht, ob wir schon immer so gearbeitet haben. Schon allein ein kurzer Blick Richtung meiner eigenen Vorfahren spricht eine andere Sprache. Zumindest für uns Frauen hat sich dies erst in den letzten 50 Jahren grundlegend verändert. Wir dürfen arbeiten. Für viele ist dieses dürfen aber bereits zum müssen geworden. Aber schauen wir doch noch ein bisschen weiter in die Vergangenheit. Tatsächlich war die Welt schon immer irgendwie zweigeteilt. Die einen haben gearbeitet, die anderen nicht. Wobei sich auch dies erst herauskristallisiert hat. Viele Jahrtausende waren Menschen als Jäger und Sammlerinnen unterwegs. Sie haben sich von der Jagd und von Früchten ernährt. Der Lohn wurde als Kaninchen ausgezahlt, wahlweise auch als eine Handvoll Beeren. War es nicht genug, musste man noch ein bisschen arbeiten. War es zu viel, hat man die Gemeinschaft eingeladen und miteinander geteilt. Um nicht zu sagen, das gemeinsame Wirtschaften und Teilen war ohnehin lebensnotwendig. Ich nehme nicht an, dass hier jemand über eine Work-Life Balance nachgedacht hat. Zumal man ja auch nicht den ganzen Tag gejagt oder gesammelt hat, es also ohnehin viel freie Zeit gab. Das war normal, darüber hat wahrscheinlich keiner nachgedacht.
Im alten Griechenland oder im Rom der Antike wurde Arbeit als etwas Niedriges und Würdeloses erachtet, mit der sich ein Bürger möglichst nicht befasst hat. Der zivilisierte Mensch hat geredet, philosophiert, verhandelt und vielleicht noch Geschäfte abgeschlossen. Anstrengende, monotone Arbeit wurde von Sklaven verrichtet, weil Arbeit an sich als mühevoll, geistlos und als Ablenkung vom eigentlichen Leben angesehen wurde. Das eigentliche Leben wurde definitiv nicht als Arbeit angesehen, sondern lag in der Schulung des Geistes und des Körpers.
Wann also kam die Arbeit als sinnvolle Tätigkeit ins Spiel? Haben die Christen dies eingebracht? Die auch nicht. Zumindest die frühen Christen haben Arbeit auch als etwas Negatives angesehen. Das Joch der Arbeit, welches Adam von Gott auferlegt wurde, wurde klar als Strafe verstanden. Ein bisschen hat sich dies im Mittelalter geändert. Mönche erklärten in England körperliche Arbeit als eine Art des physischen Gebets. Solange die niederen Arbeiten sie nicht davon abhielten zu beten, haben sie dem Ansehen der Mönche nicht geschadet. Wobei hier sicherlich die Frage erlaubt ist, ob dies für alle Kirchenoberen galt, oder eben nur für bestimmte Mönche. In der Renaissance unterschied man immer noch zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, Handwerk bekam dabei aber eine immer größere Bedeutung und wurde sehr wertgeschätzt. Aber selbst Künstler erledigten nicht alle Arbeiten selber. Sie hatten die Ideen und legten den Grundstein für ein Kunstwerk an. Die eigentliche Durchführung einer Arbeit galt allerdings weiterhin als minderwertig und Fluch beladen und wurde gerne an „niedere Menschen“ delegiert. Wir haben also in unseren Vorzeiten bereits eine Arbeitsteilung. Es gab Menschen, die arbeiten mussten und andere haben dies nicht getan. Der Unterschied zu heute liegt in meinen Augen in der Wertigkeit von Arbeit oder Nicht-Arbeit. Es gab also Zeiten, in denen es ein Privileg war, nicht zu arbeiten und in denen Menschen, die sich dies erlauben konnten, sehr viel Wertschätzung zuteil kam. Das hat sich grundlegend geändert und diese Änderung kam mit den Protestanten.
Konkret mit Martin Luther und Johannes Calvin. Natürlich nicht sofort, aber sie legten den Grundstein. Sie definierten Arbeit als eine Tugend, die einem von Gott auferlegt wurde oder mit der man Gott gefallen konnte. Mit den Puritanern überquerte die protestantische Arbeitsethik den Atlantik. In leicht verweltlichter Form machte auch Benjamin Franklin sich diese zu eigen und propagierte unter anderem harte Arbeit als menschliche Tugend. Anfangs wurde die damit einhergehende abhängige Beschäftigung nur als temporärer Zweck angesehen. Für andere Lebensziele sollte Geld gespart werden. Beispielsweise um dann ein Stück Land zu kaufen oder ein eigenes Geschäft aufzumachen. Die Zufriedenheit wurde viel in Selbstbestimmung definiert. Mit der Industrialisierung wurden solche Möglichkeiten immer seltener, da mehr Arbeiter gebraucht wurden und diese sich auf fremdbestimmtes Arbeiten immer mehr einlassen sollten. Im Interesse der Arbeitgeber war es jetzt, dass alle Arbeiter möglichst ihr ganzes Leben schön brav in der Firma bleiben. Die Wertschätzung für Handwerker und andere Selbständige schwand, stattdessen wurde die abhängige Beschäftigung immer mehr als Normalität wahrgenommen.
Wie sieht unser Arbeitsleben heute aus?
Wir leben auch heute noch in einer Welt, die von diesem protestantischen Arbeitsethos geprägt ist. Er wird auch kaum noch hinterfragt, obwohl die protestantischen Gründe nicht mehr als Motivator fungieren. Von der Vorstellung, dass wir mit unserer Arbeit zum Gefallen Gottes unterwegs sind, sind wir inzwischen wohl relativ weit entfernt. Auch glaube ich nicht, dass viele Menschen im Büro ackern, damit sie für ihre Mühen im Jenseits belohnt werden.
Wir finden unseren Weg in die Berufswelt und sind erstmal froh, wenn wir einen Job gefunden haben. Wie die Bedingungen dann im Einzelnen sind, ist oft fast egal. Hauptsache Job. Morgens um 6.30 Uhr klingelt der Wecker, schnell unter die Dusche und ein bisschen Frühstück, auf dem Weg zur Arbeit treffen wir viel zu viele von den Anderen. Die auf demselben Weg sind. Wir stehen zu eng in der U-Bahn oder im Zug, wir warten an zugigen Haltestellen oder stehen im Stau. Auf der Arbeit setzen wir unsere professionelle Miene auf, sind nett zu Kunden, unterwürfig zum Chef, wissen oft nicht, wie wir unsere ganze Arbeit schaffen sollen und versuchen in zahlreichen Meetings die gute Laune zu behalten. Je nach Arbeitsbelastung und Arbeitskultur machen wir uns nachmittags oder abends auf den Weg zurück. Das machen wir 5 Tage die Woche, am Samstag kaufen wir ein bisschen ein oder belohnen uns für die Woche und am Sonntag fangen wir kollektiv an zu jammern, dass morgen wieder Montag ist. Sicherlich ist nicht jede Arbeitswoche bei jedem Menschen so. Aber wahrscheinlich viel zu Viele.
Und warum? Weil wir zunächst froh sind, dass wir einen Job haben. Weil wir uns an anderen Menschen orientieren, die es schon geschafft haben und wir uns schnell am Lebensstil der anderen messen. Also brauchen wir mit dem ersten Job auch eine größere Wohnung und ein besseres Auto. Die Kosten steigen mit jeder Gehaltserhöhung synchron mit. Unterbewusst leben die meisten ein Leben, welches sich immer noch steigern muss. Welches besser sein muss als das Leben der Eltern. Besser als das Leben der Nachbarin. Wer vergleicht sich schon mit einem deutlich ärmeren Menschen und generiert daraus Dankbarkeit und das Gefühl von Reichtum und Fülle?
Dazu kommt für die, die studiert haben oder eine andere kreditbasierte Ausbildung genossen haben, gleich der erste Zwang. Sie müssen ihren Ausbildungskredit zurückzahlen. Ein Blick in die reale Arbeitswelt nach dem Studium mit dem Ergebnis, dies nicht zu wollen, ist also schon mit einer erheblichen Hürde versehen. Wir fangen mit dem Berufsleben oft bereits verschuldet an, ein Ausstieg an dieser Stelle ist nicht vorgesehen.
Wir arbeiten also aus einer Mischung aus Sachzwängen, wie die Tilgung von Studienschulden, aus Gewohnheit, weil es eben alle tun und weil wir in unserer Konsumwelt mithalten wollen. Sachzwängen kann man strategisch ausweichen, aber ich gebe zu, das braucht oft kritischen Weitblick. Zumal ja alle so handeln, es bedarf eines kritischen Kopfes den Herdentrieb, die Gewohnheit zu hinterfragen. Dies gilt auch für unseren Konsum, wenn wir dann über ein erstes Gehalt verfügen. Die meisten Menschen bringen erschreckend wenig Geldbildung mit, wenn da regelmäßig Geld auf dem eigenen Konto liegt. Unser Lebensstil lässt sich beliebig jedem Gehalt anpassen, es werden immer neue spannende und manchmal völlig sinnentleerte Konsumwünsche generiert. Hauptsache, wir können mithalten oder eben noch ein bisschen besser dastehen als unser Umfeld. Unser Ego wird natürlich auch unterstützt, wenn wir auf einer Party sagen können, wir arbeiten als Geschäftsführerin, Anwältin oder als Feuerwehrmann. Wobei sich die Aussage selbst kritisch überprüfen lässt. In zweierlei Hinsicht. Einmal, in der Frage von Stolz oder auf der anderen Seite einem Gefühl von Peinlichkeit. Entspricht der eigene Job den eigenen Erwartungen? Oder ist es eher peinlich anderen Menschen zu sagen, was man beruflich macht? Benutzt man vielleicht sogar eine Bezeichnung, die die eigene Tätigkeit besonders hervorhebt, obwohl dies der Berufsalltag gar nicht hergibt. Ein Freund hat mir jahrelang erzählt, er arbeite in einer Keksfabrik. Das es Hundekekse waren, hat er mir immer verschwiegen. Für mich wäre es irrelevant gewesen, ihm war es offensichtlich peinlich. Eine weitere Überprüfung liegt in der Erweiterung der eigenen Identität. Sind wir wirklich nur Geschäftsführerin? Oder nicht auch Mutter, Tochter, Gärtnerin, Malerin, Freundin oder Reisende? Warum reduzieren wir uns auf eine Tätigkeit, eine Identitätsbezeichnung, nur weil wir mit dieser Geld verdienen? Wie abhängig machen wir uns mindestens unterbewusst davon, dass wir dann in dieser Tätigkeit gut sein müssen. Ich habe schon viele Führungskräfte begleitet, die überraschend gekündigt wurden. Die sich als den Kopf einer Einrichtung verstanden haben und der dazugehörige Vorstand dann doch anders entschieden hat. Je größer die Identität dort verhaftet war, desto schwieriger war der Weg nach draußen. Ganz zu schweigen von den Menschen, die sich so sehr mit ihrer Tätigkeit verbunden haben, dass sie heftige Signale des Körpers brauchen, um eine Pause einzulegen oder die, die auf dem Weg in die Rente zügig versterben. Bei Letzteren gab es keine Perspektive jenseits des Jobs, bei ersteren ist der Weg ein langer und steiniger, wieder zur Ruhe zu kommen und auch noch andere Perspektiven des Lebens zu entdecken.
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