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Ist Arbeit unser Lebenssinn?

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Unser Leben, ja unsere ganze Identität, wird stark von der Arbeit geprägt. Die meisten sagen nicht, ich gehe der und der Tätigkeit nach, sondern formulieren ganz klar: Ich bin .... Die eigene Identität wird maßgeb­lich vom Job bestimmt. Dabei spielt dann nicht nur die eigentliche Tätigkeit eine Rolle, sondern eben auch der Titel. Und der Eifer, mit dem wir der ganzen Verantwor­tung und unserer vermeintlichen Wichtigkeit gerecht werden. Viele können sich entsprechend nicht vorstel­len, Teilzeit zu arbeiten. Sie müssen immer ansprechbar sein. Das reicht oft weit über die vereinbarten 40 Stun­den hinaus.

War das schon immer so?

Man hat ja oft den Eindruck, dass wir mit unserem Arbeitsleben Gesetzmäßigkeiten abbilden, die schon immer so waren. Die eben auch so sein müssen. Weil es nicht anders vorstellbar ist. Ich habe mich ein bisschen auf die Suche gemacht, ob wir schon immer so gearbei­tet haben. Schon allein ein kurzer Blick Richtung mei­ner eigenen Vorfahren spricht eine andere Sprache. Zumindest für uns Frauen hat sich dies erst in den letz­ten 50 Jahren grundlegend verändert. Wir dürfen arbei­ten. Für viele ist dieses dürfen aber bereits zum müssen geworden. Aber schauen wir doch noch ein bisschen weiter in die Vergangenheit. Tatsächlich war die Welt schon immer irgendwie zweigeteilt. Die einen haben ge­arbeitet, die anderen nicht. Wobei sich auch dies erst herauskristallisiert hat. Viele Jahrtausende waren Men­schen als Jäger und Sammlerinnen unterwegs. Sie ha­ben sich von der Jagd und von Früchten ernährt. Der Lohn wurde als Kaninchen ausgezahlt, wahlweise auch als eine Handvoll Beeren. War es nicht genug, musste man noch ein bisschen arbeiten. War es zu viel, hat man die Gemeinschaft eingeladen und miteinander geteilt. Um nicht zu sagen, das gemeinsame Wirtschaften und Teilen war ohnehin lebensnotwendig. Ich nehme nicht an, dass hier jemand über eine Work-Life Balance nach­gedacht hat. Zumal man ja auch nicht den ganzen Tag gejagt oder gesammelt hat, es also ohnehin viel freie Zeit gab. Das war normal, darüber hat wahrscheinlich keiner nachgedacht.

Im alten Griechenland oder im Rom der Antike wurde Arbeit als etwas Niedriges und Würdeloses er­achtet, mit der sich ein Bürger möglichst nicht befasst hat. Der zivilisierte Mensch hat geredet, philosophiert, verhandelt und vielleicht noch Geschäfte abgeschlos­sen. Anstrengende, monotone Arbeit wurde von Skla­ven verrichtet, weil Arbeit an sich als mühevoll, geistlos und als Ablenkung vom eigentlichen Leben angesehen wurde. Das eigentliche Leben wurde definitiv nicht als Arbeit angesehen, sondern lag in der Schulung des Geistes und des Körpers.

Wann also kam die Arbeit als sinnvolle Tätigkeit ins Spiel? Haben die Christen dies eingebracht? Die auch nicht. Zumindest die frühen Christen haben Arbeit auch als etwas Negatives angesehen. Das Joch der Ar­beit, welches Adam von Gott auferlegt wurde, wurde klar als Strafe verstanden. Ein bisschen hat sich dies im Mittelalter geändert. Mönche erklärten in England kör­perliche Arbeit als eine Art des physischen Gebets. So­lange die niederen Arbeiten sie nicht davon abhielten zu beten, haben sie dem Ansehen der Mönche nicht ge­schadet. Wobei hier sicherlich die Frage erlaubt ist, ob dies für alle Kirchenoberen galt, oder eben nur für be­stimmte Mönche. In der Renaissance unterschied man immer noch zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, Handwerk bekam dabei aber eine immer größere Be­deutung und wurde sehr wertgeschätzt. Aber selbst Künstler erledigten nicht alle Arbeiten selber. Sie hatten die Ideen und legten den Grundstein für ein Kunstwerk an. Die eigentliche Durchführung einer Arbeit galt al­lerdings weiterhin als minderwertig und Fluch beladen und wurde gerne an „niedere Menschen“ delegiert. Wir haben also in unseren Vorzeiten bereits eine Arbeits­tei­lung. Es gab Menschen, die arbeiten mussten und an­dere haben dies nicht getan. Der Unterschied zu heute liegt in meinen Augen in der Wertigkeit von Arbeit oder Nicht-Arbeit. Es gab also Zeiten, in denen es ein Privileg war, nicht zu arbeiten und in denen Menschen, die sich dies erlauben konnten, sehr viel Wertschätzung zuteil kam. Das hat sich grundlegend geändert und diese Än­derung kam mit den Protes­tanten.

Konkret mit Martin Luther und Johannes Calvin. Na­türlich nicht sofort, aber sie legten den Grundstein. Sie definierten Arbeit als eine Tugend, die einem von Gott auferlegt wurde oder mit der man Gott gefallen konnte. Mit den Puritanern überquerte die protestanti­sche Ar­beitsethik den Atlantik. In leicht verweltlichter Form machte auch Benjamin Franklin sich diese zu eigen und propagierte unter anderem harte Arbeit als menschli­che Tugend. Anfangs wurde die damit einher­gehende abhängige Beschäftigung nur als temporärer Zweck an­gesehen. Für andere Lebensziele sollte Geld gespart werden. Beispielsweise um dann ein Stück Land zu kau­fen oder ein eigenes Geschäft aufzumachen. Die Zufrie­denheit wurde viel in Selbstbestimmung defi­niert. Mit der Industrialisierung wurden solche Möglichkeiten immer seltener, da mehr Arbeiter gebraucht wurden und diese sich auf fremdbestimmtes Arbeiten immer mehr einlassen sollten. Im Interesse der Arbeitgeber war es jetzt, dass alle Arbeiter möglichst ihr ganzes Le­ben schön brav in der Firma bleiben. Die Wertschät­zung für Handwerker und andere Selbstän­dige schwand, stattdessen wurde die abhängige Beschäf­ti­gung immer mehr als Normalität wahrgenommen.

Wie sieht unser Arbeitsleben heute aus?

Wir leben auch heute noch in einer Welt, die von die­sem protestantischen Arbeitsethos geprägt ist. Er wird auch kaum noch hinterfragt, obwohl die protestan­ti­schen Gründe nicht mehr als Motivator fungieren. Von der Vorstellung, dass wir mit unserer Arbeit zum Gefal­len Gottes unterwegs sind, sind wir inzwischen wohl re­lativ weit entfernt. Auch glaube ich nicht, dass viele Menschen im Büro ackern, damit sie für ihre Mühen im Jenseits belohnt werden.

Wir finden unseren Weg in die Berufswelt und sind erstmal froh, wenn wir einen Job gefunden haben. Wie die Bedingungen dann im Einzelnen sind, ist oft fast egal. Hauptsache Job. Morgens um 6.30 Uhr klingelt der Wecker, schnell unter die Dusche und ein bisschen Frühstück, auf dem Weg zur Arbeit treffen wir viel zu viele von den Anderen. Die auf demselben Weg sind. Wir stehen zu eng in der U-Bahn oder im Zug, wir war­ten an zugigen Haltestellen oder stehen im Stau. Auf der Arbeit setzen wir unsere profes­sionelle Miene auf, sind nett zu Kunden, unterwürfig zum Chef, wissen oft nicht, wie wir unsere ganze Arbeit schaffen sollen und versu­chen in zahlreichen Meetings die gute Laune zu behal­ten. Je nach Arbeitsbelastung und Arbeitskultur machen wir uns nachmittags oder abends auf den Weg zurück. Das machen wir 5 Tage die Woche, am Samstag kaufen wir ein bisschen ein oder belohnen uns für die Woche und am Sonntag fangen wir kollektiv an zu jam­mern, dass morgen wieder Montag ist. Sicherlich ist nicht jede Arbeitswoche bei jedem Menschen so. Aber wahrscheinlich viel zu Viele.

Und warum? Weil wir zunächst froh sind, dass wir einen Job haben. Weil wir uns an anderen Menschen orientieren, die es schon geschafft haben und wir uns schnell am Lebensstil der anderen messen. Also brau­chen wir mit dem ersten Job auch eine größere Woh­nung und ein besseres Auto. Die Kosten steigen mit jeder Gehaltserhöhung synchron mit. Unterbewusst leben die meisten ein Leben, welches sich immer noch steigern muss. Welches besser sein muss als das Leben der Eltern. Besser als das Leben der Nachbarin. Wer ver­gleicht sich schon mit einem deutlich ärmeren Men­schen und generiert daraus Dankbarkeit und das Gefühl von Reichtum und Fülle?

Dazu kommt für die, die studiert haben oder eine an­dere kreditbasierte Ausbildung genossen haben, gleich der erste Zwang. Sie müssen ihren Ausbildungskredit zurückzahlen. Ein Blick in die reale Arbeitswelt nach dem Studium mit dem Ergebnis, dies nicht zu wollen, ist also schon mit einer erheblichen Hürde versehen. Wir fangen mit dem Berufsleben oft bereits verschuldet an, ein Ausstieg an dieser Stelle ist nicht vorgesehen.

Wir arbeiten also aus einer Mischung aus Sachzwän­gen, wie die Tilgung von Studienschulden, aus Gewohn­heit, weil es eben alle tun und weil wir in unserer Konsumwelt mithalten wollen. Sachzwängen kann man strategisch ausweichen, aber ich gebe zu, das braucht oft kritischen Weitblick. Zumal ja alle so handeln, es bedarf eines kritischen Kopfes den Herdentrieb, die Gewohn­heit zu hinterfragen. Dies gilt auch für unseren Konsum, wenn wir dann über ein erstes Gehalt verfügen. Die meisten Menschen bringen erschreckend wenig Geld­bildung mit, wenn da regelmäßig Geld auf dem eigenen Konto liegt. Unser Lebensstil lässt sich beliebig jedem Gehalt anpassen, es werden immer neue spannende und manchmal völlig sinnentleerte Konsumwünsche generiert. Hauptsache, wir können mithalten oder eben noch ein bisschen besser dastehen als unser Umfeld. Unser Ego wird natürlich auch unterstützt, wenn wir auf einer Party sagen können, wir arbeiten als Geschäfts­führerin, Anwältin oder als Feuerwehrmann. Wobei sich die Aussage selbst kritisch überprüfen lässt. In zweierlei Hinsicht. Einmal, in der Frage von Stolz oder auf der anderen Seite einem Gefühl von Peinlichkeit. Entspricht der eigene Job den eigenen Erwartungen? Oder ist es eher peinlich anderen Menschen zu sagen, was man beruflich macht? Benutzt man vielleicht sogar eine Bezeichnung, die die eigene Tätigkeit besonders hervorhebt, obwohl dies der Berufsalltag gar nicht her­gibt. Ein Freund hat mir jahrelang erzählt, er arbeite in einer Keksfabrik. Das es Hundekekse waren, hat er mir immer verschwiegen. Für mich wäre es irrelevant gewe­sen, ihm war es offensichtlich peinlich. Eine weitere Überprüfung liegt in der Erweiterung der eigenen Iden­tität. Sind wir wirklich nur Geschäftsführerin? Oder nicht auch Mutter, Tochter, Gärtnerin, Malerin, Freun­din oder Reisende? Warum reduzieren wir uns auf eine Tätigkeit, eine Identitätsbezeichnung, nur weil wir mit dieser Geld verdienen? Wie abhängig machen wir uns mindestens unterbewusst davon, dass wir dann in dieser Tätigkeit gut sein müssen. Ich habe schon viele Füh­rungskräfte begleitet, die überraschend gekündigt wur­den. Die sich als den Kopf einer Einrichtung verstanden haben und der dazugehörige Vorstand dann doch an­ders entschieden hat. Je größer die Identität dort verhaf­tet war, desto schwieriger war der Weg nach draußen. Ganz zu schweigen von den Menschen, die sich so sehr mit ihrer Tätigkeit verbunden haben, dass sie heftige Signale des Körpers brauchen, um eine Pause einzule­gen oder die, die auf dem Weg in die Rente zügig verster­ben. Bei Letzteren gab es keine Perspektive jenseits des Jobs, bei ersteren ist der Weg ein langer und steiniger, wieder zur Ruhe zu kommen und auch noch andere Per­spektiven des Lebens zu entdecken.

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