Читать книгу Rucella Wurzelbein - Gisela Schießl - Страница 6
Auf dem Marktplatz
ОглавлениеAm nächsten Wochenende beschloss Rucella auf den Markt zu gehen, um einige Einkäufe zu erledigen. Sie brauchte dringend Petroleum, ein paar neue Hausschuhe, Gewürze, einen Reisigbesen und was sie sonst noch so fand. Am kommenden Samstag sollte es so weit sein. Zuerst wagte sie einen Blick aus dem Fenster.
„Hmm, hoffentlich beginnt es nicht zu regnen! Es sieht schon sehr danach aus!“
Sie schnürte ihre Stiefel, setzte ihren Hut auf, zog sich einen Wollumhang über und holte Geldstücke aus ihrem Geheimversteck. Beim Hinausgehen streifte sie sich noch den Weidenkorb über den Arm und stapfte dann durch den Wald Richtung Dorf. Plötzlich kam ein starker Wind auf und ihr Umhang wirbelte nur so hinter ihr her. Sie senkte den Kopf und hielt dabei ihren Hut fest. Sie kämpfte sich förmlich durch den Wind.
„Das wäre ein wunderbares Wetter um einen Drachen steigen zu lassen!“ fiel ihr ein.
Einen Drachen hatte sie ja schon seit vielen Jahren nicht mehr steigen lassen. Doch diesen Gedanken wollte sie sich unbedingt merken. Der Wind flachte wieder ab und so konnte Rucella ihren Marsch durch den Wald genießen. Sie schnupperte in die Luft und es roch frisch nach Harz und Erde. Der Duft von Moos und Rinde mischte sich darunter. In der Nähe konnte man einen Bach hören. Und auch die Vögel zwitscherten aufgeregt ihr Lied. Ein Specht klopfte die Rinde eines Baumes nach Futter ab. Ach, es war einfach herrlich!
„Nur schade, dass die Sonne nicht scheint. Es hätte so ein schöner Tag werden können!“
Rucella näherte sich bereits dem Dorf und ging geradewegs auf den großen Marktplatz zu. Überall waren kleine Buden und Stände aufgebaut. Da es in diesem Dorf keine Ladengeschäfte gab, boten die Leute ihre Waren in der Dorfmitte, auf dem Marktplatz an. Es wurde alles angeboten, was man braucht: Von Obst und Gemüse bis Fleisch und Brot, von Haushaltswaren bis zu Dekorationsartikeln. Auch lebende Tiere konnte man kaufen! Der Marktplatz war die einzige Attraktion, die das Dorf kannte. Viele Leute kamen auch eigens von anderen Dörfern, um ihre Einkäufe zu erledigen. Alle Händler machten sehr gute Geschäfte. Rucella versuchte sich erst einmal einen Überblick zu verschaffen. Dann ging sie geradewegs an den Stand mit Hausschuhen. Sie begutachtete die Ware, ging aber weiter. Bei einem ihrer gewohnten Stände kaufte sie dann ihre Gewürze. Und auch das Petroleum für ihre Öllampen und die Dochte hatte sie schnell gekauft. Einige Kinder kreuzten ihren Weg, tobten umher, lachten und schubsten sich gegenseitig. Dabei rempelten sie Rucella an, die in diesem Moment genussvoll an den frisch gekauften Zimtstangen roch.
Sie kam jedoch dermaßen ins Straucheln, dass sie sich beinahe die Zimtstangen in die Nase gerammt hätte. Nachdem sie ihre Balance wiedergefunden hatte, drehte sie sich, empört über den Vorfall, nach den Kindern um und rief hinterher:
„Könnt` ihr nicht aufpassen! Es sind auch andere Leute hier!“
Noch während sie ihre Zimtstangen wieder verpackte, drehte sich einer der Jungen frech um und streckte ihr doch tatsächlich die Zunge raus. Doch Rucella konnte es noch aus den Augenwinkeln wahrnehmen:
„Was für eine Unverschämtheit!“ ärgerte sich Rucella. „Der hatte sich doch tatsächlich noch nicht einmal entschuldigt! Na der kann noch `was erleben!“
Auf dem Weg, den die tobende Meute einschlug, zauberte Rucella kurzerhand eine Bananenschale und prompt rutschte der freche Junge darauf aus. Die Hose zerrissen, ein verdutztes Gesicht und eine Schramme zierte das Knie des Jungen. Rucella kümmerte das aber nicht weiter, drehte sich um und grinste hinterhältig.
„Man sollte einfach mehr Respekt gegenüber anderen Leuten haben“ bemerkte sie und setzte unbekümmert ihren Einkauf fort.
„Neue warme Hausschuhe sollte ich mir gönnen!“ meinte sie und zählte ihr Geld.
Bei mehreren Ständen machte sie Halt und probierte auch ein paar Hausschuhe an. Doch irgendwie schien nichts Passendes dabei zu sein.
Weil dem so war, ging Rucella zu einem Händler ihres Vertrauens und nahm stattdessen einige Besen in die Hand. Sie prüfte das Gewicht und auch die Fülle an Reisig. Natürlich hätte sie sich gerne auf jeden einzelnen gesetzt, um damit umherzufliegen, doch das war nicht möglich. Also musste sie sich etwas anderes einfallen lassen. Und zwar ohne zu zaubern! Zwei Besen waren am Schluss in der engeren Wahl: Ein altmodischer Rutenbesen und ein neumodischer Besen aus Tierhaaren. Aber wie sollte sie die Besen testen? – Sie schaute sich erst nach allen Seiten um und fing an, mit dem Tierhaarbesen den Boden zu kehren. Aufgebracht kam der Händler und schimpfte mit Rucella, von wegen, dass sie doch Neuware nicht zu gebrauchter Ware machen darf. Peinlich berührt entschuldigte sich Rucella und kaufte ohne zu testen dann doch den altmodischen Rutenbesen. Der kam ihrem Besen von der Form, dem Material, dem Gewicht usw. einfach am nächsten. Zufrieden und etwas müde sah sie sich noch weiter auf dem Markt um.
„Ich könnte ja so viele Sachen gebrauchen! Eine große Pfanne, eine schöne Tischdecke, leckere Bonbons …. – Unsinn! Alles nur Schnickschnack!“
Nachdem sie noch immer keine passenden Hausschuhe fand, beschloss Rucella den Heimweg anzutreten.
„Vielleicht gibt es beim nächsten Mal schöne Hausschuhe für mich!“ sagte sich Rucella mit müder Stimme.
Kaum war sie außer Sichtweite des Dorfes, schwang sie sich auf ihren neuen Besen und flog mit ihm nach Hause. Man mag es kaum glauben, doch es kam kein einziges Rucken oder Zucken vor. Der Besen tat genau das, was Rucella von ihm verlangte.
„Hmm, seltsam!“ bemerkte Rucella. „Ich muss doch einmal nachschauen, weshalb mein alter Besen solche Faxen machte. Dafür muss es ja schließlich einen Grund geben“.
Und dem wollte Rucella noch nachgehen.