Читать книгу Langsame Entfernung - Gisela Steineckert - Страница 14

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Eine neue Lage

Ich bin jetzt alt. Manche machen manches anders als ich, also falsch.

Ich bin alt, ich weiß alles besser: zum Beispiel, was sich lohnt, per Video oder DVD aufgenommen zu werden, wie man etwas vervielfältigt – gab’s ja früher nicht; ich bestücke meinen Geschirrspüler vernünftig und spüle alles vorher ab, denn schon ein Teeblatt kann das Scheißding ausschalten. Ich kann mit Phone, Laptop, Internet, Kopierer und all dem Zeug umgehen. Handynachrichten versende ich nicht und will auch keine Selfies machen oder sehen.

Wahrscheinlich könnte ich heute nicht mehr in zwei abgeblätterten Emailleschüsseln ohne Fit das Geschirr handhaben, ich kann nicht mehr sticken, stricken, flicken. Vermutlich auch nicht mehr aus zwei Kartoffeln, einer halben Zwiebel und einer halben Bockwurst ein Mahl für zwei Personen zubereiten. Das konnte ich, als ich es musste.

Wenn ich mich erinnere, besaß ich als Siebzehnjährige drei Kleider, eins immer hässlicher als das andere, auf Punktkarte gekauft.

In einem davon habe ich mit siebzehn Jahren, als Jungfrau! den falschen Mann geheiratet. Das könnte ich heute auch nicht mehr.

Ich staune, wie tüchtig ich musikalische Einfälle von einem Band auf meinem Gerät abhöre, das ist mehr als vierzig Jahre alt, kann nur noch, was es für die Arbeit soll. Ein Wunder, und ich kann mir mit Ratschlägen für herrliche Veränderungen die Wände tapezieren. Eines Tages! drohen mir meine Lieben. Ja, dann wird es wohl nicht mehr funktionieren, und ich kaufe mir etwas, das ich weder blindlings bedienen kann, noch wird es mir Töne schicken, zu denen mir sofort apfelblütengleich schöne Wörter einfallen. Mein Gerät humpelt, nimmt nix mehr einfach so auf, aber es ist meins, und nächstes Mal zähle ich für Annalen mal alle Lieder auf, die mit seiner Hilfe entstanden sind. Auch für Dirk, für Vroni, Jürgen oder Maschine.

Ich vergesse neuerdings vor lauter Fülle auch manches Wichtige.

Aber eines Tages, wenn ich mal viel Zeit habe, stelle ich mich mit einer Kiepe auf dem Rücken an den Wegrand und murmle meine Weisheiten. Vielleicht verkaufe ich sie auch, früher gab es an der Autobahn Pilze, die ich im Wald nie gefunden hätte. Bist du nicht Freund, hast du nicht Freund. Wer andre bescheißt, sollte hingucken, ob er dabei nicht seine eigenen Hosen anhat.

Meine Enkelin Laura benutzte zwei Sätze, die hat das Leben als Wahrheiten bestätigt. Der eine lautete:

»Schön hinsetzen.« Wir sollten den Raum nicht ohne ihr Einverständnis verlassen.

Das war doch wichtig. Der zweite Satz: »Alles muss so sein wie immer.« Klingt traditionalistisch, aber es ist eine unabdingbare Wahrheit, denn es meint, dass wir uns bleiben müssen, dass wir nie vergessen dürfen, woran wir glauben und was wir eigentlich auf dieser Erde wollen.

Und: Wer einen andern als Verräter abtut, ohne Genaues zu wissen und nur, weil jemand das gesagt hat, der verrät das Beste: eine Chance. Mehr ist beim vorsichtigen Schritt aus der Ungewissheit vielleicht nicht zu haben. Aber alles ist besser als die Einsamkeit.

Vielleicht könnte ich noch sagen: Schlag keinen Schwächeren und nie ein Kind. Dafür hält das Leben Strafen bereit, die überlebst du nicht wirklich.

Und wenn mir nichts mehr einfällt, da am Straßenrand, dann geh ich nach Hause, mit leerer Kiepe, und hoffe, dass ich nicht wieder was falsch gemacht habe. Mit dieser Angst hätte ich früher anfangen sollen.

Ach, das war ja in der DDR. Wie die war?

Eines Tages rief der König der Tiere die Affen zu sich. Er sagte: »Ihr müsst aufhören, die ganze Zeit herumzuhampeln und zu klettern. Ich verbiete es euch.«

Die Affen sagten: »Das geht nicht. Wir müssen hampeln und klettern. Wir haben immer gehampelt und sind immer geklettert. Wir müssen das tun.«

Der König der Tiere sagte: »Ich verbiete es euch trotzdem.«

Mal einfach gesagt: So war die DDR, auch so!

Also: Klettert, hampelt und springt rum. Wenn ihr müsst! Wenn nicht, dann macht, was ihr wollt. Erst mal. Nicht immer!

Langsame Entfernung

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