Читать книгу Wald und Wiese auf dem Teller - Gisula Tscharner - Страница 7

Einführung

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Dreifach haben wild wachsende Pflanzen mich beschenkt und gelehrt. Zuerst schlichen sie sich ein in meine Kochfreude, an die Bar und in die gastronomische Arbeit. Später lehrten sie mich den farbigen Rhythmus der Jahreszeiten. Und dann haben sie mich eingeweiht in ihr Aufsuchen, Bleiben und Verlassen von bestimmten Standorten. Beim Herumstreifen und Sammeln fallen mir Landschaftstypen auf, wo diese oder jene Pflanzenart besonders gut gedeiht, allein oder mit anderen Arten, die ebenfalls dorthin passen. Siedlungsgemeinschaften von Wildpflanzen über Jahre zu beobachten, ist höchst spannend und gibt zu denken. Da wird geholfen, geschädigt, gemobbt, überbordet, gestützt, verdrängt, gewartet, gehetzt, geliebt, gelebt ...

In diesem Buch werden Beispiele mitteleuropäischer Landschaftstypen vorgestellt – alpine, hügelige und flache – und entsprechend zugeordnet Wildpflanzen zum Essen und Trinken beschrieben; dazu gibt es rund 170 neue Rezepte. Nach den acht Jahreszeiten im Buch »Hexentrank und Wiesenschmaus« folgen hier die acht Lebensräume der Pflanzen.

Dieses Buch möchte ein Tor sein, durch das man lustvoll in die Wildnis hinaustreten, Neues kennenlernen und ausprobieren kann. Die meisten Rezepte konzentrieren sich auf jene Wildpflanzen, die uns so gehäuft oder im Übermaß umgeben, dass wir sie nicht mehr als »edle Wilde«, sondern als lästige Unkräuter empfinden. Haben diese zähen und frechen Lebenskünstler uns etwas mitzuteilen? Drängen sie sich vielleicht gerade deshalb so hartnäckig in die menschlichen Kulturräume? Dieser Frage gehe ich seit Jahren nach und habe dabei Erstaunliches beobachtet, das zum Nachdenken und zum Schmunzeln anregt. Dabei bin ich ehrfürchtiger geworden. Die Fotografien von Ulla Mayer-Raichle vermitteln diese Fragen und Botschaften in wunderschöner und erregender Weise. Für botanische Einzelheiten bietet der Buchhandel genügend Fachliteratur an.

Pflanzen in freier Wildbahn kennen die Erde viel länger als die Menschen. Sie lebten schon Millionen Jahre, bevor wir uns vom Tier zum aufrecht Gehenden entwickelt haben. Sie wissen mehr als wir über tiefere Zusammenhänge von Urzeit, Veränderung, Elementen und kosmischen Gegebenheiten. Sie haben Erfahrungen mit dem Klima, das sich immer wieder wandelt. Sie bewahren dieses Wissen in aller Stille; sich damit davonmachen können sie nicht. Unsere pflanzlichen Geschwister sind großzügige Gastgeberinnen; sie lehren und heilen gern, ohne sich dabei aufzudrängen, und ihre Giftwaffen sind bloß zum Schutz gegen Bedrohungen da – auch die Menschen haben schließlich ihre Tricks und Waffen. Die wild lebenden Pflanzen werden vermutlich besser überleben als wir Menschen – das stimmt mich positiv. Die Erde erlebe ich heute als Partnerin, nicht als Patientin.

Die acht Lebensräume, die diesem Buch die Grundstruktur geben, gibt es nicht offiziell; ich habe sie aufgrund jahrelanger Erfahrungen ausgewählt. Exakt abgrenzen lassen sie sich nicht, die Übergänge bleiben fließend. Rezepte mit sehr verbreiteten Pflanzen wie Löwenzahn oder Brennnessel kommen daher in mehreren Kapiteln vor. Vollständigkeit war ebenfalls nicht mein Ziel. Die Auswahl entspricht vielmehr dem Weg, den mich meine eigene Spürnase wies. Pro Jahr entdecke ich höchstens eine neue Pflanze. Oder eher: Sie findet mich. Und dann beginnt das gegenseitige Interesse und mein Ausprobieren. Schließlich kenne ich auch nicht alle Leute in meiner Gegend, sondern bloß jene, mit denen eine mehr oder weniger intensive Beziehung entstanden ist und wo die »Chemie« stimmt.

Innerhalb der Kapitel sind die Rezepte in jahreszeitlicher Folge angeordnet, jeweils mit dem Frühling beginnend. Der größte Teil der Rezepte ist alltagstauglich, das heißt einfach in der Zubereitung. Dabei werden Pflanzenfunde von Spaziergängen und aus der Umgebung des Hauses integriert. Daneben gibt es auch aufwendigere Rezepte, meist für größere Vorräte: Sie erfordern eine bewusste Entscheidung und genügend Zeit sowohl zum Sammeln und/oder Zubereiten wie auch für das Aufsuchen eines bestimmten Lebensraumes einer Pflanze. Vereinzelt habe ich auch Anregungen für rituelle Anlässe eingestreut. Ich kann mir heute gar keine Zeremonie mehr vorstellen ohne dazu passende Getränke und Knabbereien aus freier Wildbahn.

Einige Anregungen zum Umgang mit Wildpflanzen

 Sammeln und Ernten ist nicht dasselbe. Man erntet die Kartoffeln im Garten, den Weizen auf dem Feld, man erntet Beifall, das heißt: Man holt alles, nichts bleibt ungeerntet. Wildpflanzen aber lassen sich nicht gut und auch nicht gern ernten, sondern vielmehr sammeln. Aus der großen Menge, die ich nicht einmal selbst anpflanzen musste, nehme ich nur das Beste. Vieles ist schon überreif, manches noch nicht soweit. Sammeln meint Bündeln, das Wichtigste zusammenfassen.

 Massenweises Pflücken von Wildpflanzen und -pilzen ist grundsätzlich zu unterlassen, denn einzelne Arten sind geschützt.

 Anders als beim Ernten muss ich fürs Sammeln allein sein, damit ich mich ganz dem widmen kann, was auf mich wartet. Ich muss spüren, wie die grünen Kolleginnen mir an diesem Tag begegnen, welche von ihnen mit mir kommen möchten, welche die Kraft für sich selbst brauchen und welche mich zu neuen Erkenntnissen einladen.

 Fröhliche Lust ist beim Wildsammeln wichtiger als die Jagd nach Vitaminen und nach Heilmitteln aus der Naturapotheke. Himbeeren aus dem Garten, Risotto aus dem Laden und Schokolade vom Kiosk essen wir schließlich auch in erster Linie aus Lust und nicht als Medikament für oder gegen etwas. Als Brennnessel am Waldrand wäre ich traurig und neidisch, wenn mich bloß die verbissenen Gesundheitsfanatiker brauchen wollten und nicht auch ein paar Liebhaber ... Wildpflanzen sind Lebewesen und »nicht bloß Behälter für chemische Substanzen«, wie Wolf-Dieter Storl es treffend formuliert.

 Beim Wildsammeln beherrscht das Thema Fuchsbandwurm noch immer in unverhältnismäßiger Weise die Gemüter. Diese Gefahr besteht jedoch immer, auch bei Pflanzen, die gewaschen wurden, auch bei solchen aus dem Garten und vom Markt, denn der Fuchs kommt überall hin. Es besteht jedoch kein Grund zur Panik, wenn man sich die prozentuale Zahl der Ansteckungen im Vergleich mit anderen Alltagsgefahren, denen wir uns mehr oder weniger willentlich aussetzen, vor Augen hält. Wir leben immer lebensgefährlich. Vielleicht geht es dabei um etwas Tieferes, nämlich um die Entscheidung, welche Risiken ich zugunsten einer wichtigen Erkenntnis oder einfach eines schönen Erlebnisses einzugehen bereit bin. Heilung und Heiliges findet auch so statt.

Mit Ausnahme der Vorrats- und Grundrezepte sind sämtliche Rezepte für 4 Personen berechnet.

Zu den Maßangaben: 100 ml = 1 dl = 1⁄10 l

1 Tasse entspricht etwa 200 ml Inhalt.

Wald und Wiese auf dem Teller

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