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Reines Wiesengrün

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Augenweide und Tischleindeckdich


Gute Wiese, wo Blatt- und Grasgrün sich die Waage halten.

Das Wort tönt schlicht, fast etwas banal: Wiese. Große, grüne Flächen breiten sich schier endlos zwischen Siedlungen aus, bedecken Ebenen, Hügel und Berge und wirken fürs Auge beruhigend. Sie gehören zusammen mit den Äckern zu den wichtigsten Grundbedingungen der sesshaften Lebens-form, denn sie decken den menschlichen Milch- und Fleischbedarf. Wiesen lassen sich zum Mähen und Beweiden anlegen, sie bilden sich aber auch von selbst, und oft sprießen angesäte Grünpflanzen zusammen mit vor Ort heimischen wildlebenden Pflanzen. Halbwilde Matten werden so zu Naturgärten.

Wiesen gehören zur äußersten Hautschicht des Erdkörpers; sie bilden seine zarte Behaarung und schützen so die Oberfläche, wie beim menschlichen Körper auch. »Sich in seiner Haut wohl fühlen« – in der Sprache hat sich die Bedeutung der menschlichen Haut erhalten. Diese erzählt sehr direkt vom seelischen Befinden, denn hier findet der Austausch zwischen innen und außen statt, zwischen Mikround Makrokosmos.

Meine Coiffeuse, eine erfahrene Berufsfrau, bestätigte mir die Verbindung zwischen Seele und Haut: Haare würden aus Hautsubstanz gebildet; ein mikroskopischer Hautquerschnitt zeigt auch, wie das Haar in der Haut verankert ist, nämlich ähnlich wie eine Graspflanze im Humus. Sie merke sofort, wie es einem Kunden gehe, wenn sie sein Haar in Händen halte und die Kopfhaut etwas massiere. Darum liebe sie ihren Beruf so sehr, denn über Haut und Haar komme sie den Menschen sehr nahe. Sie biete deshalb zusätzlich auch Kopfmassagen an.

Ob die Erde sich wohl fühlt in ihrer Haut? Ob ihr Pflanzen- oder »Haar«-Kleid von innen her gut im Gleichgewicht gehalten und von außen liebevoll behandelt wird? Das frage ich mich manchmal, und ich frage es auch die Erde. Tastende Fragen halten wach, müssen nicht immer beantwortet werden.

In manchen Gegenden strotzt die Erdhaut vor Gesundheit, man sieht es den Fluren an, und dort verweilt man gern beim Sammeln. Je vielfältiger das Grün leuchtet und je mehr Pflanzenarten die Wiese beleben, umso stärker nehme ich ihre Persönlichkeit und die gütige Überlegenheit ihrer Seele wahr. Viel habe ich von ihr gelernt, an Überlebensfantasie, auch an Tricks, um mich an Gegebenheiten und schwierige Situationen anzupassen. Wildpflanzen können mit Klimaveränderungen umgehen, legen Energiereserven an, ständig entwickeln sie neue Strategien gegen neue Feinde. Ist die Erde so ohnmächtig, wie sie politisch gemacht wird? Vorläufig ernährt und heilt sie uns nach wie vor.

Mich erinnert sie immer wieder an organische Ähnlichkeiten bei Pflanzen, Tieren und Menschen.


Wiese bekleidet Kultur (Schloss Balzers).

Die Grüne Kraft

Grün berührt auf tiefere Weise als jede andere Farbe, es bedeutet Leben schlechthin. Grün liebkost die Seele. Wenn nach Winter- oder Trockenzeiten grünes Leben aus dem Boden schießt, bleibt kaum jemand unberührt. Es ist, wie wenn der Körper sich der Schicksalsgemeinschaft von Pflanzen- und Tierwelt bewusst würde, denn ich atme sofort tiefer ein. Ob dies wohl auch im christlichen Ostermythos anklingt, nach dem das Wunder des auferstehenden Lebens in der Jahreszeit des intensivsten Grüns geschieht? In solch großen Bögen hat schon vor 900 Jahren die heilige Hildegard gedacht und geschrieben. Als erste Christin mit öffentlicher Akzeptanz wagte sie, Natur und Glauben so direkt zu verbinden und wurde deswegen auch nicht verbrannt. Für sie wirkt die »Grünkraft« bis in alle seelischen und geistigen Dimensionen der Welt hinein und verkörpert die Güte Gottes.


Wald und Wiese ergänzen sich im Bedecken des Erdkörpers.

Grünes Erwachen »Wilde Wiese«

Die grüne Kraft tröstet mehr als Worte, sei es beim Verlust eines Menschen, der Gesundheit oder sonst etwas Wichtigem.

Früh im März über die noch fahlen Wiesen schlendern und mit den Augen nach den ersten grünen Pflanzen ausschauen. Schon dies tut gut. Kleinste Blättchen von Scharbockskraut, Bärlauch, Löwenzahn, Vogelmiere, Geißfuß, Brennnessel, Wegerich, Schafgarbe suchen, von Hand sorgfältig am Boden abknipsen und gleich essen. Dabei die verschiedenen Aromen entdecken und genießen. Anmerkung: Das Risiko durch Fuchsbandwurm krank zu werden, ist um ein Vielfaches geringer als jenes durch seelisches Verkümmern.


Abwechslungreiche Wiesen-Kulturlandschaft.

Rituelle Variante: Die Blätter in einem Stoffsack sammeln und nach Hause bringen, zu Familie oder Freunden. Eventuell waschen (Erdreste stören im Haus eher als draußen) und in eine schöne, edle Schale legen. Diese herumreichen oder in die Mitte stellen. Alle nähren sich so von der grünen Kraft. Das gemeinsame Essen schafft Verbindung.

Situationen:

 Anlässlich der Geburt oder Taufe eines Kindes zu dessen Begrüßung

 während eines Genesungsrituals

 rund ums Sterben: als aufbauende Gemeinschaftsspeise, zuhause oder im Rahmen der Abschiedszeremonie

Erster früh-grüner Teppich: Jeden Frühling berührt es mich neu und heftig: diese tiefgrünen Flecken, zartblättrige Jugend, die aus dem verschlafenen und winterfahlen Erdreich hervordrängt, und dies in den kurzen Sonnenstunden und vor dem Frost der Nacht.

An einem Aprilnachmittag – eine steife Brise fegte über die gerade erst erwachten, sprießenden Wiesen – kam es zu einer Begegnung zwischen Sammelweib und Landmann. Zuerst schüttelte der Bauer, wie manch einer zuvor an diesem Tag, den Kopf in meine Richtung. Dann aber stieg er vom Traktor, kam zu mir her und meinte: »Es wächst ja noch gar nichts, schau nur, wie niedrig die Wiese ist, was findest du denn da?« Da zeigte ich ihm meinen fast vollen Korb mit jungen Blättchen von Knoblauchrauke, Sauerampfer, Gundermann, wildem Lauch, Schafgarbe, Kerbel, Spitzwegerich, Bärenklau, Leimkraut, Gutem Heinrich. Er lachte und meinte, er sei doch kein Rindvieh, und die Wiese wäre eigentlich für die Tiere da. Ohne Kommentar nahm ich eine Handvoll der frischen Kräuter, wegen der Aromafülle von allen etwas, und bot sie ihm zum Probieren an. Er kaute sie langsam, und sein spöttisches Lachen verwandelte sich in ein staunendes Lächeln. »Das schmeckt ja wunderbar – he, ich fresse von der eigenen Wiese, das muss ich meiner Frau erzählen!«

Einige Wochen bevor die Gräser in die Höhe schießen und lange bevor die Gartenerde erwacht, wachsen genau jene Kräuter, die wir um diese Jahreszeit brauchen – zum Entschlacken, zum Schmieren der Gelenke und zum Ankurbeln des Kreislaufs, um die Verdauung nach dem Fasten wieder anzuregen. Dazu gehören Bärlauch, Brennnessel, Scharbockskraut, Huflattich, Brunnen - kresse, Nieswurz, Spitzwegerich, Wildlauch, Vogel-miere, Mädesüßtriebe, Löwenzahn, Bärenklau. Schon die Namen erinnern daran: Durch die lange und feuchtkalte Winterruhe entkräftet, wie auch die Menschen früher, fraßen die Bären als Erstes diese Kräuter. Oder war es umgekehrt? Es wachsen zur richtigen Zeit die Pflanzen, welche wir gerade dann brauchen. Unsere Ahnen haben ihr Heilpflanzenwissen zum großen Teil den Bären abgeschaut; im deutschen Sprachraum gibt es gegen sechzig Pflanzenbezeichnungen, die den »Bär« im Namen führen.

Die berühmte Neunkräutersuppe unserer Vorfahren – neuerdings wieder als spezielle Gemüsesuppe entdeckt – wurde zum Heilen und «Ent-wintern» gegessen. Als frische Delikatesse (siehe Fasten salat, Seite 20) sind diese ersten neuen Kräuter noch intensiver und lassen auch die einzelnen Aromen miteinander spielen. Wie die Bären, die sie wohl auch ungekocht fressen, genieße ich, was ich aus der Frühwiese gesammelt habe, roh.

Die »Grüne Neune«

Diese Suppe ist wohl eines der ältesten Gerichte, das die Menschen im Frühling zuzubereiten pflegten, um den Winter zu vertreiben. Später wurde daraus die Gründonnerstagssuppe. Ihre symbolische Heil- und Trostkraft liegt in der grünen Farbe und im Doppelsinn von »neu« und »neun«: Drei mal drei verweist auf eine sehr heilige Zahl, und neu sind die Pflanzen nach dem Winter.

Neunkräutersuppe

Klassisch werden die Zutaten zur Neunkräuter suppe ab dem 21. März gepflückt – mit Sorgfalt und mit Gedanken der Erneuerung:

Scharbockskraut, Brennnesseln, Geißfuß,

Wasserkresse, Gundermann, Sauerampfer,

Wiesenschaumkraut, Wegerich, Hopfensprossen

Die zarten Blätter in Butter leicht andünsten, mit Bouillon ablöschen und kurz aufkochen. Die Suppe wird als feierliches rituelles Mahl genossen, nur mit Wasser und Brot als Beilage. Die Schlichtheit erinnert auch daran, dass andere Menschen darben – gestern und heute.

Varianten: Ähnliche Suppen mit den am Ort vorhandenen Kräutern zubereiten. Das Angebot hängt von der Meereshöhe, vom Mineralgehalt des Bodens und vom örtlichen Klima ab.


Gundermann.


Scharbockskraut.


Spitzwegerich.

Geblümte Wiesenbrote

Die Grüne Neune lässt sich auch in frischer und bissiger Form genießen. Sie eignet sich auch für ein Schulprojekt in der Osterzeit, denn die Kinder können alles selbst machen und miterleben.

1 Salatsieb voll Blätter von jungem Grün, z.B. Scharbockskraut, Sauerampfer, Brennnessel, Bärlauch, Vogelmiere, Spitzwegerich, Knoblauchrauke, Gundermann, Geißfuß,

Schafgarbe, Leimkraut, Wildlauch

Sonnenblumen-, Distel- oder Rapsöl

Salz

frisches Brot

Magerquark

einige frische Blüten zum Garnieren, z.B. Wald-Veilchen, Schlüsselblume, rote Taubnessel, Goldnessel, Gänseblümchen

Bei der Auswahl auf ein ausgewogenes Verhältnis von Saurem und Bitterem, Aromatischem und Mildem achten. Die grünen Blättchen sehr fein hacken und mit etwas Salz und Öl gut vermischen; diese Paste hält sich einige Tage. Brotscheiben abschneiden, mit Magerquark bestreichen und dann etwas von der Wiesenpaste daraufgeben. Mit den verschiedenen farbigen Blüten garnieren. Sofort genießen.

Die Wiesenbrote können als Snack zwischendurch oder als ganzes Abendbrot serviert werden.

Wichtiger Tipp: Die Wiesenpaste nicht erwärmen, sonst wird sie bitter!

Variante: Für einen größeren Vorrat werden die Kräuter nicht von Hand gehackt, sondern im Blitzhacker (Cutter) zusammen mit Öl und Salz etwas feiner gemixt. Diese Paste ist dann länger haltbar, etwa 2 Monate. Im Kühlschrank lagern und hin und wieder umrühren, denn der große Wassergehalt der Blätter macht die Paste anfällig für Gären und Schimmeln.


Geblümte Wiesenbrote: Quarkbrot mit Wiesenpaste, garniert mit essbaren Blüten.

Fastensalat vor oder nach der Tagundnachtgleiche

Einfachstes Wildsammeln, das weder große Mengen noch lange Suchgänge erfordert, oder wenn es pressiert. Dieses Gericht ist leicht, schlicht, und schürt die Vorfreude auf noch mehr Grün.

3–4 Handvoll Frühlingskräuter aus nächster

Nähe, z.B. Scharbockskraut, Brennnesseln,

Löwenzahn, Sauerampfer

3–4 Esslöffel Olivenöl

1 Prise Salz

1 Spritzer Zitronensaft

1 Schuss milder Salatessig

700–900 g Kartoffeln, gekocht und ausgekühlt

Die Kräuterblätter von Hand sehr fein zerzupfen. Mit Öl, Salz, Zitronensaft und Essig gut verrühren und zugedeckt 1–2 Tage kalt stellen. Dann die grüne Masse gut mit den geschälten und in Scheiben geschnittenen Kartoffeln ver mischen.

Fette und magere Wiesen

Der Kreislauf von Nehmen und Geben beschränkt sich nicht aufs Ernten und Düngen im Kultur-land, sondern schließt sich auch beim Sammeln in der freien Wildbahn – in Form von Danken, Staunen, Aufmerksamkeit und Sorgfalt; ich kann nicht nur nehmen, ohne dafür etwas zu geben! Der Boden freut sich über eine solche innere Haltung wie der Himmel auch und wie alles Lebendige: Liebe ist eine Art Dünger.

Schon die Bezeichnung »mager« mahnt mich daran, dass solche Gebiete nicht für Ernten in großer Menge taugen und dies auch nicht sollen. Auf Magerwiesen wächst alles langsamer und unter speziellen Bedingungen. Magere Matten schenken uns Pflanzen zum Heilen, um uns zu berauschen und Blüten für nichtalltägliche Gaumengenüsse. In einer solchen Flora ist viel Himmel drin.

Für die alltägliche Verpflegung und zum Anlegen von Wintervorräten aber besuche ich gern die fetten Wiesen, welche die Mengen hergeben, die auch fürs Großvieh wie auch für die vielen Menschen ausreichen. Gut genährt oder »fett« heißt dabei: eine dicke Humusschicht, genügend Feuchtigkeit und Substanzen, die das Wachstum fördern. Dazu trägt der Kulturmensch ebenfalls bei und muss das sogar auf Wiesen und Äckern, wo regelmäßig und viel geerntet wird. Im eigenen Garten helfe ich mit gut gelagertem Mist, mit Brennnesseljauche, Gründüngungs-Zwischensaat und weiteren bewährten Methoden nach. Auch frischer Mist ist nicht des Teufels, obwohl er etliche Küchenkräuter verschreckt und sie zeitweilig vertreibt. Auf einer im Herbst mit Mist gedüngten Wiese sammelt man aber im Frühjahr darauf das Beste an Salat und Gemüse.

Wiesenkerbel

Die sattgrünen Büschel des Wiesenkerbels finden sich auf der ganz frühen Frühlingswiese: Sie bergen ein sehr zartes Aroma, solange die gefiederten Blättchen noch nicht voll entfaltet sind. Allein für sich und roh genossen gibt Kerbel im Mund nicht viel her, aber in einer Paste aus frischen Wiesenkräutern gehört er zu jenen Pflanzen, die verbinden und abrunden. Gekocht jedoch, in einer gebundenen Cremesuppe oder Kräutersauce, überrascht die Pflanze. Kerbel lässt sich nicht immer gut von ähnlichen und teilweise giftigen Pflanzen unterscheiden, vor allem vor der Blüte. Folgende Grundregel schützt bei Unsicherheiten vor Fehlgriffen: Kerbelblätter nur in einer richtigen Wiese pflücken, nicht an Wald und Heckenrändern!


Gemeines Leimkraut.


Blühender Kerbel in der Frühlingswiese.

Kerbel-Kartoffelpüree

1 kg mehlige Kartoffeln

25 g Butter

2 Zwiebeln, fein geschnitten

1 Salatsieb voll junger Kerbelblättchen 200–300 ml Wasser

Salz

200 g Reibkäse

Die Kartoffeln schälen und in Stücke schneiden. In Wasser weich kochen, dann abgießen, abtropfen lassen und zu Püree zerstampfen.

Inzwischen in einer Pfanne in der heißen Butter Zwiebeln und Kerbelblättchen andünsten, mit dem Wasser ablöschen (Menge je nach Trockenheit bzw. Feuchtigkeit des Kartoffelpürees anpassen) und 5–10 Minuten köcheln lassen. Abseits von der Herdplatte die pürierten Kartoffeln daruntermischen, würzen und den Käse darunterziehen. Die Masse in eine gefettete Gratinform füllen und diese mit Alufolie bedecken (es soll keine Kruste geben). Im Backofen bei 150 Grad etwa 30 Minuten backen.

Dazu passt ein gemischter Salat, mit Eiern, Pilzen, Wurst oder Speck angereichert.

Bärenklaugemüse

Ein feines, spezielles Aroma, von dem jede weitere Würzung ablenken würde.

1 großes Salatsieb voll junger Bärenklaublätter

und -stiele

1 Esslöffel Butter

Salz oder Kräutersalz

Die Blätter und Stiele in kochendem Wasser überwallen und in ein Sieb abschütten. In einer weiten Pfanne die Butter erwärmen und das abgetropfte Gemüse hineingeben. Leicht salzen und alles gut vermischen. Als Beilage wie Spinat servieren.


Junge, fleischige Bärenklaublätter auf nahrhaftem Boden.

Bärenklau

Unter den Doldengewächsen hat der Bärenklau die größten und saftigsten Blätter. Er ist in allen Höhenlagen zuhause und gedeiht auf voralpinen Wiesen und Bergwiesen wie auch an Garten- und Straßenrändern oder als Pioniergewächs in Aufforstungen. Von seinem leicht giftigen Verwandten, dem Riesenbärenklau, unterscheidet er sich sehr deutlich: Er ist viel kleiner und dunkelgrün, hat rundere Blätter und an den Blattstängeln weder Haare noch rote Punkte. Bärenklau liebt fetten Boden. Er wächst nach jedem Grasschnitt nach und bleibt zart bis in den späten Oktober. Mit normalem Spinat nimmt er’s locker auf, denn er enthält keine Oxalsäure. Solange die Blätter noch etwas zusammengefaltet und glänzend sind, ist der richtige Moment zum Pflücken.


Ausgereifte Sauerampfersamen.

Variante für »grüne« Gerichte: Einzelne Bärenklaublätter roh hacken und einem Omeletten- oder Spätzliteig beifügen oder zur Grünfärbung von Risotto, Käsesoufflé usw. verwenden. Diese Verwendung eignet sich gut, wenn nur wenige Blätter gefunden wurden.

Sauerampfer

Als Kinder saugten wir früher mit Genuss die Ampferstängel aus – die erfrischende Säure der Pflanze löschte sowohl den Durst wie auch die Neugier nach »Wildnis«. Junge Sauerampferblätter sind ein Traum; sie sind noch säuerlicher, noch zarter, noch grüner als die Stängel. Diese jugendlichen Blattprinzessinnen finden sich allerdings nur im Frühling. Sie wachsen dann in Büscheln direkt aus dem Boden, vom Stängel ist noch nichts zu sehen. Die länglichen Blättchen geben jedem Salat den grünen Pfiff des Frühlings und einer »wilden« Wiesenpaste die natürliche Portion Säure, ohne dass mit Zitronensaft nachgeholfen werden muss.


Sauerampferblüten und -blätter.

Achtung: Sauerampferblätter nicht als gekochtes Gemüse verwenden, denn durch Hitze verfärbt sich ihr Grün unappetitlich bräunlich.

Die unordentlichen, leicht rot gefärbten Fruchtstände sind zwar keine Augenweide, aber umso mehr eine kaum zu übertreffende Gaumenfreude.

Kalte Sauerampfersauce

Pikant durch natürliche Säure.

½ Salatsieb voll Sauerampferblätter

(vor der Stängelbildung geerntet)

1 altbackenes weißes Brötchen oder Weißbrot

1 Spritzer Zitronensaft

1 Spritzer Essig

½ Tasse Mayonnaise

Kräutersalz

Das Brot in Wasser einweichen und dann von Hand gut ausdrücken. Mit allen anderen Zutaten mixen. Die grüne Sauce hat etwas Erfrischendes und passt zu kaltem Fleisch aller Art sowie zu hartgekochten Eiern.

Geröstete Sauerampfersamen

Kurz bevor die Wiese gemäht wird, schaukeln die Samenplättchen hellgrün, rot oder zweifarbig kombiniert lustig an den hohen Stängeln.

Die flachen grünen oder dunkelrot geränderten Samenplättchen lassen sich leicht vom Stängel streifen. Auf einem Blech bei 180–200 Grad im Backofen kurz rösten, bis sie bräunlich sind. Sie schmecken fantastisch auf einem Butter-, Käse- oder Streichkäsebrot. Über den Salat oder das Morgenmüesli gestreut, ersetzen die nussigaromatischen Samen andere Kerne.

Tipp: Die Samen lassen sich auch einfrieren, dies aber besser vor dem Rösten.

Minze

Eine unergründliche Pflanze, denn sie liebt gut besonnte Orte am Fels genauso wie die nassen Ränder eines Bächleins oder Standorte in einer normalen mitteltrockenen Wiese. Die allerbeste Wildminze wächst im Verbund mit Dost und Brennnesseln und kann dort, anders als in den massigen Büscheln am Bach, ihre eigenständige Schönheit entfalten. Kerzengerade Stängel tragen makellose Blätter und rosa Blütenstände. Der Minze perfektes Spiel mit Schatten und Licht, Nass und Trocken verwirrt mich ebenso wie ihre Sturheit, wenn sie an einem schlechten Standort über Jahre, verkümmert und dem Tierfraß preisgegeben, in provozierender Beleidigung ausharrt. Schließlich könnte sie ja weiterwandern, wie es kultivierte Minzenkolonien, vor allem in Gärten, auf der Suche nach den besten Bodenbedingungen auch tun.

In meinem Garten lebte viele Jahre eine Kulturminze, die unsere Familie treu mit Tee versorgte. Sie wanderte jedes Jahr ein paar Zentimeter weiter, immer Richtung Osten, wo die anderen Gewürze wuchsen. Eines Sommers entdeckte ich in freier Wildbahn riesige Minzenvorkommen, die mich und meine Kundschaft seither im Übermaß beschenken. Im Jahr darauf wechselte die Minze in meinem Garten abrupt die Richtung um etwa 120 Grad und wanderte von da direkt auf die Betonmauer zu.

Sie wich dem Hindernis nicht aus und hatte den Freitod innerhalb von drei Jahren geschafft.

Von solchen Erlebnissen habe ich gelernt, wie empfindsam Pflanzenseelen sein können, wilde wie kultivierte. Seither teile ich mich mit Gedanken und Gefühlen den Pflanzen noch viel mehr mit; die Pflanzen im Garten haben es am allernötigsten, weil bei ihnen Heimatlosigkeit und Leistungsdruck enorm groß sind.

Minzen-Joghurtdrink

Der Schuss Wildnis im Minzduft gibt dem Joghurt doppelte Frische.

1 Becher (180 g) Joghurt nature

2–3 Esslöffel Minzsirup, kalt angesetzt nach

Grundrezept Seite 10

wenig Wasser

Joghurt, Sirup und Wasser gut vermischen (z.B. im Schüttelbecher). Kalt genießen.


Wilde Minze im Beginn des Pflückstadiums.

Heißer Tee »Winterufer«

Minze und Holderblüte haben sich vom Sommer her gehalten und erhellen als Getränk den dunklen, kalten Winter. Sie wärmen nach langem Draußensein.

2 Handvoll getrocknete wilde Minze

1 l Wasser

100 ml Holunderblüten-Dicksaft, nach

Grundrezept Seite 10

2–3 Spritzer Zitronensaft

Die Minze zerkleinern und ins kochende Wasser geben. Den Tee ziehen lassen und die Blätter danach absieben. Den Tee mit Holunderblütensaft süßen und mit etwas Zitronensaft abschmecken.


Rossminze: Blätter und Blüten sind verwendbar.

Pikante Minzpaste

Passt besonders gut zu Schaf- und Wildschweingerichten.

8–10 große oder 20 kleinere Minzenpflanzen,

Blätter abgezupft

300–400 ml Sonnenblumen-, Raps- oder Distelöl

1⁄2 Teelöffel Salz

Die Minzenblätter zu einer Paste verarbeiten (siehe Majoranpaste, Seite 27). Wichtig: Die Blätter von Hand und nicht allzu klein schneiden.

Die Minzpaste ist bereits nach 4–5 Wochen genussbereit. Haltbarkeit: 1 Jahr.

Minz-Weinbeeren-Sauce

Eine wilde Melodie zum Fleischgericht.

Braten, Ragout oder Geschnetzeltes

von Schaf- oder anderem Fleisch, angebraten,

gewürzt und in Flüssigkeit gar geschmort

1–2 Handvoll Sultaninen oder andere Weinbeeren

2–3 Esslöffel Minzpaste (siehe Rezept links) 100–150 ml Rahm

Das fertig gegarte Fleisch aus der Sauce nehmen und warm stellen (Geschnetzeltes kann in der Pfanne zur Seite geschoben werden). Die Sultaninen zur Sauce geben und abseits vom Herd 10 Minuten ziehen lassen. Dann die Minzpaste beifügen und die Sauce nochmals 5–10 Minuten erwärmen. Das Fleisch wieder zurück in die Sauce geben, diese mit dem Rahm verfeinern und alles nochmals gut warm werden lassen.

Minz-Ingwer-Sauce

Eine pikante Note zu Fleisch oder Reis.

Braten, Ragout oder Geschnetzeltes von Schaf oder Wildschwein, angebraten, gewürzt

und in Flüssigkeit knapp gar geschmort

2–3 Esslöffel Minzpaste (siehe Rezept links)

1–2 Teelöffel Zitronensaft

1 Teelöffel geraffelter frischer Ingwer oder

1 Teelöffel Ingwerpulver

100–150 ml Rahm

Das fast fertig gegarte Fleisch etwas zur Seite schieben. Minzpaste, Zitronensaft und Ingwer beifügen und noch 5–10 Minuten köcheln lassen. Zuletzt mit dem Rahm verfeinern und diesen nochmals gut warm werden lassen.

Variante: Für Minz-Ingwer-Reis wird ein körniger Reis in Bouillon gekocht und 15 Minuten vor Ende der Garzeit die Minzpaste sowie Zitronensaft und Ingwer beigefügt. Nach Belieben noch mit etwas Currypulver und zum Schluss mit ganz wenig Rahm verfeinern.

Kümmel

Eines der vielen Doldengewächse, die uns die Wiese bietet. Kümmel wächst immer erst nach dem zweiten Schnitt, also nach der ersten Heuernte und eher in höheren Lagen (bis 2000 Meter über Meer). Im Vergleich zum Wiesenkerbel sind die Blätter und Blüten des Kümmels viel kleiner und sehr locker angeordnet. Man muss die zarten Dolden, die fast keine mehr sind, schon kennen oder sehr gut nach ihnen suchen. Habe ich sie erst einmal wahrgenommen, sehe ich sie plötzlich weit verbreitet, wie einen zarten Schimmer im Emd.

Kümmel reift rasch, und bald wird aus dem unscheinbaren Blütenstängelchen ein brauner holziger Stiel mit dicken Samen an der Spitze. In diesem Stadium lassen sich die Kümmelsamen sehr gut von ähnlichen Fruchtständen anderer Doldengewächse unterscheiden: Man muss die Samen nur leicht zerreiben und an die Nase halten, um den typischen Kümmelduft zu erkennen. Erst wenn die Pflanze ganz trocken und dürr ist, entfaltet der Kümmel sein volles Aroma. Beim Ernten ist darauf zu achten, dass der Samen dürr ist, sonst kann er noch an einem trockenen, luftigen Ort (Estrich) nachgetrocknet werden. Später im Herbst lassen sich die Samen von den Stielen rebeln.

Jahrelang freute ich mich im Spätsommer auf den wilden Kümmel, der im Emd immer in großen Mengen blüht und fruchtet. Jedes Mal wollte ich warten, bis die Samen ganz reif wären, aber dann wurden die Wiesen immer schon geschnitten, bevor es so weit war. Etwas traurig gab ich den Kümmelwunsch auf und dachte nicht mehr daran. Zwei Jahre später fiel mir auf, dass unsere Wiese im Garten im Spätsommer einen braunen Flor trug – das war neu. Beim genauen Hinsehen erkannte ich, dass es reifer Kümmel war, der mir stolz entgegenlächelte. Seither ist er bei uns geblieben und erobert jedes Jahr ein weiteres Stück Wiese.

Kümmel gehört zum Gewürzbestand in jeder europäischen Küche. Wilder Kümmel ist doppelt so stark im Aroma, obwohl das Samenkorn nur halb so groß ist wie das der kultivierten Pflanze. Wiesenkümmel bloß gegen Blähungen im Kohlgemüse zu verwenden, finde ich schade. Er darf durchaus eine königliche Sonderbehandlung erhalten. Die folgenden Rezepte werden mit wildem Kümmel ausgewogener im Geschmack.

Kümmel-Blüten-Brötchen

Eine schnelle Begleitung zum Aperitif im Winter.

Frische Brotscheiben, in mundgerechte Stücke

geschnitten

Frischkäse als Brotaufstrich

Meersalz

Wiesenkümmelsamen

trockene Wildblüten vom Sommer

Die Brotstücke mit Frischkäse bestreichen. Mit etwas Salz bestreuen, wenig Kümmelsamen daraufgeben und mit trockenen Wild- oder Gartenblüten verschönern. Neben der Gaumenfreude bieten diese Kümmelbrötchen eine Verdauungshilfe für das nachfolgende Essen.


Blühender Kümmel im sommerreifen Wiesengras.

Variante: Kleine Kümmelbrötchen selber backen; die Samen lassen sich jedem Brotteig beimischen, am besten kombiniert mit Halbweiß- sowie wenig Roggenmehl.

Kümmelquark

Früher brauchte man Kümmel zum Konservieren. Offenbar halten seine ätherischen Öle Fliegen und andere Insekten ab.

1 Esslöffel Wiesenkümmel

500 g frischer Vollmilch- oder halbfetter Quark

2 Esslöffel fein geriebener Parmesan oder Sbrinz

Kräuter- oder Meersalz

Den Wiesenkümmel im Mörser sehr fein zerstoßen. Den Quark mit Kümmel, Käse und Salz sehr gut verrühren oder bei körnigem Quark noch besser von Hand eine Weile kneten. Den Kümmelquark kühl aufbewahren.

Eignet sich zur Verwendung in Suppen, Weißkohlgemüse, zu Kartoffeln in der Schale, als Brotaufstrich oder als würzende Zugabe zum Brotmehl. Variante: Zusammen mit den anderen Würzzutaten noch etwas geriebenen Knoblauch unter den Quark kneten. Die Kombination von Kümmel und Knoblauch ist sehr speziell und vermittelt einen Hauch von osteuropäischer Kochkultur.

Kümmelschnaps »Erdhöhle«

2 Esslöffel Kümmelsamen

500 ml Cognac

Die Kümmelsamen im Mörser etwas zerdrücken, dann zusammen mit dem Cognac in eine Flasche geben. Fest verschlossen und dunkel gelagert 2–4 Monate ziehen lassen. Etwa alle 3 Wochen die Flasche stürzen, damit der Kümmel nicht verklebt. Absieben und genießen!

Abschied vom Grün im Herbst

Je mehr die heimischen Gemüse- und Gewürzkräuter zugunsten von reinem Schnittgras aus einer Wiese weggedüngt werden – durch Kunstdünger werden sie ihrer Lebensbedingungen beraubt oder gar geschädigt –, umso schneller zieht sich die Grünkraft bei längerer Trockenheit zurück: Das Gras verdorrt sofort und wird zur gelben Steppe.

Bei unbehandelten Wiesen ist dies nicht weiter tragisch, weil – wie in allen Wüsten- und Savannengebieten auch – das Grün zurückkehrt, sobald die Erde wieder Wasser bekommt. Gräser jedoch haben kurze, kleine Wurzeln und wachsen nach der Aussaat eng zusammengepfercht. Zudem werden die Landmaschinen immer schwerer und pressen den Boden fest. Wen wundert’s da, dass das Gras als Erstes schlapp macht? Die vermeintlich robusten Grasgewächse erweisen sich so als schwächstes Glied in der Reihe der Wiesenpflanzen, vor allem in Monokulturen. Viel besser atmen und wurzeln sie, wenn sie sich mit Löwenzahn, Kerbel, Bärenklau und vielem anderem Geblätter verbünden können; sie profitieren auch von deren Schatten wie auch vom lockereren Boden.

Gras ist nicht nur bezüglich Trockenheit das schwächste Glied im Reich der grünen Wiesenpflanzen, sondern auch, wenn der erste Frost übers Land streicht. Im Gebirge reichen schon zwei bis drei kalte Septembernächte, und das robuste Alpengras, das die Bergflanken bis gegen 3000 Meter hinauf bekleidet, verliert sofort sein Grün und wird hellgelb bis orangerot. In den Niederungen wird es meist November, bis die Kälte zuschlägt; aber wenn es soweit ist, werden auch hier die Grasbüschel in Kürze matt und strohig.

Alles, was näher am warmen Erdkörper wächst, lacht sich noch eine Runde grün und breitet sein Blattwerk erst recht ausladend über den müde gewordenen Boden. Wilde Möhren, Wiesensalbei und Spitzwegerich breiten ihre schönen Blätter aus, zeigen ihre Rosetten in geometrischer Vollendung wie runde Kirchenfenster oder Schneekristalle. In die Höhe müssen sie nicht mehr wachsen – das Drängen nach oben, Liebemachen und Sich-Fort-pflanzen, dieser ganze Stress ist vorbei. Der Spitzwegerich bildet zum Abschluss noch den Himmel auf Erden nach, indem er kosmische Zahlenverhältnisse sichtbar macht: Die Anordnung der Blätter im Kreis entspricht einem Muster, das sich auch in den verschiedenen Planetenbewegungen findet, hier in dem sich rhythmisch verändernden Abstand des Planeten Venus zur Erde.

Trotz Abschiedsstimmung in der Natur finden sich aber noch immer kleine und kräftige Delikatessen.


Spitzwegerichrosette im Spätherbst: Kosmische Geometrie ist in der Blattanordnung sichtbar.

Martini-Rösti

Eine Verwendung für Blattpflanzen, die zwar noch sehr aromatisch, aber nicht mehr zart genug sind, um sie roh zu genießen. Solche Kräuter findet man im späten Frühling und im späten Herbst oder wenn junge Blätter infolge langer Trockenheit klein und zäh bleiben.

1 kg Kartoffeln, roh

4 Esslöffel Oliven- oder Sonnenblumenöl

2–4 Handvoll frischer Kräuter und »Unkräuter«

aus Wiese, Hecke, Garten

Salz

Die Kartoffeln in feine Scheiben schneiden (Schälen ist bei zarter Schale nicht nötig). Das Öl erhitzen und die Kartoffeln darin unter häufigem Wenden, damit sie nicht verkleben, 5 Minuten braten. Zudecken, die Hitze stark reduzieren und 10 Minuten weiterbraten. Dann die nicht allzu fein gehackten Kräuter und das Salz beifügen. Unter häufigem Wenden nochmals 10–15 Minuten dünsten, bis die Kartoffeln gar sind. Die Kräuter bleiben halbwegs knackig und behalten ihre grüne Farbe.

Tipp für den Winter: Auf gleiche Art kann man in Öl eingelegte Sommerkräuter verwenden, dann am Anfang nur 2 Esslöffel Öl nehmen.

Wald und Wiese auf dem Teller

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