Читать книгу SINN FLUT - Gloria Fröhlich - Страница 7
4. Kapitel
ОглавлениеEin feiner Mann in großer Not, war im Gebüsch verschwunden. Doch was sich ihm im Dickicht bot, das hat er nie verwunden. Vom Knie und Hüfte abgetrennt,
lag da ein Oberschenkel, und wie es nur ein Schlachter kennt, mit dunklem Blutgesprenkel. Das, was ihm in die Glieder fuhr, das ließ ihn rückwärts taumeln. Er stürzte – und sah über sich, noch andre Teile baumeln. Da hing ein bleicher, Muskelarm und blutleer auch ein Bein, zwei Hände waren nicht mehr warm, ein Mund konnt’ nicht mehr schrei’n. Der Torso an dem Buchenstamm, gehörte einem Mann und zog mit seinem Leichenduft, die Fliegenschwärme an.
Der feine Mann war sehr verstört, und ließ sich endlich warnen, kapierte, dass sich’s nicht gehört, an jeden Baum zu harnen. Da knackten laut im Unterholz,
viel klapperdürre Äste, der Mörder wartete schon sehr, auf „notdürftige“ Gäste. Der packte sich den feinen Mann und stach ihn lachend nieder, und im Gebüsch, da hingen dann, mehr blutverschmierte Glieder. Plumbum. Lösliche Verbindungen sind giftig! Die Bleiwand schützte ab morgen vor Strahlung aus dem weiß bezogenen Bett dahinter. „Möchten sie zum Abendbrot Grau- oder Schwarzbrot, Pfefferminz- oder Hagebuttentee?“ Wurst und Käse war Standard. Er fällte Entscheidungen, die so einfach zu entscheiden waren und sich aus Gewohnheit wie von selbst ergaben. Es gab Rubriken auf einem Zettel, auf dem sie nun lächelnd unter Schwarzbrot und Hagebuttentee ein Kreuz machte. Dann schloss sie die Tür hinter sich. Thomas Manns schwerer Zauberberg lag auf seinen Knien und trug ihn mit Spannung bis tief in die Nacht aus dieser, in eine andere, kranke Welt. 48 Stunden lang musste er ab morgen darauf verzichten, zu duschen! Diese Vorstellung war für ihn genauso schwer zu ertragen, wie eine Stunde nicht essen zu dürfen, nachdem der Zahnarzt neulich Grund dazu hatte, das anzuordnen. Die meisten Menschen hielten auch einen Imbiss im Theater für erforderlich, damit sie nach der Pause bis zum Schluss körperlich durchhielten.
48 Stunden verglichen mit 1 Stunde! Alle Vorkehrungen waren getroffen worden.
Die Untersuchungen hatten ergeben, dass er ein Idealfall für die Therapie war.
Ein wahrer Glücksfall für ihn und für den Arzt, einer Kapazität auf dem Gebiet, mit Beifall vom Hausarzt beklatscht! Den Weg hierher hatte er allein gehen müssen. Aber er war sowieso immer allein, und es hatte ihm nichts ausgemacht.
In diese Abteilung durch gesicherte Türen in einen Extratrakt des Krankenhauses, durften nur „Auserwählte!“So jemand, wie er! Niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, dass seine Schilddrüse jemals etwas mit dem Waffengesetz für Deutschland wegen des Dritten Reiches zu tun haben würde. Er atmete tief durch und schlief ein. Am nächsten Morgen wurde die Tür geöffnet und ein guter Tag gewünscht! Hatte er den? Mit energischen Schritten näherten sich drei in weißen Kitteln und standen wortlos und mit anspruchsvollen Gesichtern vor ihm.
Was war harmlos an diesem Vormittag? Sie bekommen genau soviel Strahlung, als wenn sie nach New York fliegen, stand in der Broschüre, die zum Mitmachen auffordern und als Beruhigung dienen sollte. So harmlos war das also?
Und der Arzt spielte Beipackzettel: „Die Augen müssen sie danach untersuchen lassen, damit sie nicht ihr Augenlicht verlieren! Da gibt es Tropfen! Aber bei ihnen erwarte ich keinerlei Nebenwirkungen oder Probleme – sie sind der ideale Patient für diese Behandlung! Die anfängliche Entspannung wegen der New Yorker Sache wurde durch den Schreck und die nachfolgende, grauenhafte Angst, vielleicht zu erblinden, abgelöst. Wer log denn nun und machte die Sache harmlos? Radio-Jod-Therapie! Damit auch mit einer geringen Menge
Radioaktivität keine Waffe hergestellt werden konnte, kontrollierten sechs Augen wenig später die Einnahme der kleinen, weißen Kapsel, die in einem Glasröhrchen von einem der weißen Kittel gehalten wurde. Aber wie sollte das Glasröhrchen vor der Strahlung, die von der Kapsel ausging, schützen, wenn doch eine einen Meter hohe Wand aus Plumbum nötig war? Unter den aufmerksamen Blicken der drei Weißkittel, nahm er die Magentablette, die schon am Abend vorher in einer Glasschale gebracht worden war, in den Mund und spülte sie in der Stille des Zimmers mit reichlich Wasser herunter. Die Chance, dass ihm übel werden würde, gab es nun nicht mehr. Und weil er, wie noch niemals in seinem Leben, gleichzeitig von drei Personen dieser Art, totale Beachtung fand, sah er verunsichert mit nassen Lippen und ausdruckslosen Augen in die ernsten Gesichter. Ein Weißkittel trat dann vor. Seine ausgestreckte Hand umschloss das Glasröhrchen, in dem die winzige Kapsel lauerte. Der Patient fühlte eine halbe Sekunde später den Durchmesser des Röhrchens an seinen Lippen, bevor die Kapsel in seinen Mund glitt. Er schluckte tapfer! Das leere Glasröhrchen senkte sich vor seinen Augen. Zufrieden tätschelte der Weißkittel ihm den Oberarm und verließ mit seinen Kollegen auf gar nicht leisen Sohlen das Zimmer. Er war wieder allein. Während der 48 Stunden Quarantäne führte er Selbstgespräche. Er musste über den Flur auf die Toilette gehen, in der die verseuchten Exkremente dieser Station gesammelt und speziell entsorgt wurden. Im Mehrbettzimmer nebenan wurde gelacht! Dort wurde kollektiv gestrahlt, während er es freiwillig allein tun wollte! Auch ihm ging es ausgesprochen gut. Wie würde er sich verseucht fühlen müssen? Schilddrüsenhemmer hatten über Wochen dafür gesorgt, dass sein Herz nicht mehr raste. Und während das radioaktive Jod die kranken Teile seiner Schilddrüse für immer zerstörte, wurde sein Haar fettig! In „Die Säulen der Erde“ von Ken Follett, hatte er gelesen, dass Menschen stanken, so dass sie kilometerweit zu riechen waren, wenn sie in Dörfern und nicht weit verteilt im Wald lebten. Das war normal ohne Deo, und wenn niemand verscharrte, was er ausschied, war das durchaus glaubwürdig! Wie würde er nach 48 Stunden ohne Deo und Dusche riechen? Hatte er überhaupt einen eigenen Geruch? Er erinnerte sich nicht! Die Kleidung, die er trug und die grüne Papiernetzhose, die er in dem Spind vorfand, sollte er nach seiner Entlassung im Zimmer zurücklassen. Die Sachen waren dann durch ihn verseucht und wurden nach Vorschrift entsorgt! Er bekam einen Anruf von draußen! Ein Freund! „Was machst du denn noch da, in Amerika schluckt man die Kapsel und geht sofort nach Hause!“ Er war sich sicher, das sei auch in Dänemark so! „Das ist nur in Deutschland so streng, wegen unserer Vergangenheit!“ „Ach, dann war das gar nicht so gefährlich? Die Information von draußen war tröstend. Beruhigt las er von morgens bis abends den Zauberberg. Am Abend vor seiner Entlassung wurde die Strahlung, die noch von ihm ausging, mit einem Gerät gemessen. Er strahlte zufrieden stellend in vibrierenden Tönen! Zufrieden stellend! Ging das überhaupt? Der Krankenpfleger kam unbesorgt hinter die Bleiwand an sein Bett, hatte Erbarmen und erlaubte ihm, zu duschen. Niemand wich vor ihm zurück, als an ihm am nächsten Morgen die Abschlussuntersuchung vorgenommen wurde. Sie ergab ein richtig gutes Ergebnis! Das Radio-Jod hatte ausgemerzt, was ihn jahrelang krank gemacht hatte! Radio-Jod, ein Segen für die Menschheit, ein Hoch auf die Wissenschaft! „Hunde und Katzen leben nicht dreißig Jahre, aber halten sie sich von kleinen Kindern fern. Nach einer Woche ist wieder alles in Ordnung“, gab man ihm auf den Weg. Er nickte und ging durch die Tür, die streng bewacht, für ihn, wie von Geisterhand, geöffnet wurde. Er sah den langen Gang entlang, auf dessen blank gebohnertem Fußboden die Deckenlampen in gleichmäßigen Abständen milchiges Licht verstreuten. Der Raum vor dem Ausgang war mit gesundem und krankem Leben gespickt. Ein Mann im Rollstuhl qualmte wie ein Schlot, mit dem guten Gefühl, dass sein Raucherbein amputiert, ihm nun keine Probleme mehr machte. Der Novembertag, der ihn draußen empfing, war grau und unfreundlich. Er verweilte wenige Augenblicke auf den feuchten Steinen vor der breiten Flügeltür, atmete die kalte Luft und hatte das Gefühl, dass er eine Ewigkeit hinter diesen Mauern verschwunden gewesen war. Die Erleichterung, das hier überstanden zu haben, überzog sein Gesicht mit einer außergewöhnlichen Heiterkeit, als er das erste Taxi heranwinkte, das vor dem Krankenhaus in der Schlange stand, die Tür öffnete und einstieg. Der Taxifahrer war freundlicher als das Wetter. „Na, sie strahlen ja “, polterte seine Stimme von vorn nach hinten. „Woher wissen sie das?“ „Wissen, ne, ne, mit Wissen kann ich da nicht dienen, aber ich komme mit so vielen Menschen zusammen, dass ich so etwas sehe, reine Menschenkenntnis, wissen se, da spricht quasi die langjährige Erfahrung, wo darf ich sie hinfahren?“ Im Traum, da griff der Tod nach mir und ließ mich Äpfel pflücken. Und wollte dann auch noch Gelee, mit dicken Schokostücken. Er wollte Wein und wollte Bier, Aufläufe und den Schinken schier! Shiitakecreme und Mascapone und Himbeerquark mit Kaffeebohne. Zum Sonntag sollt’ ich Braten rollen, und zum Advent, da wollt’ er Stollen. Er wollte Tee, wenn andre schliefen, Pantoffeln an den Knochenfüßen. Er wollt’ es sauber und auch warm und legte Wert auf meinen Charme. Er war sehr freundlich, welche Häme! Und zeigte lachend seine Zähne! Wenn ich auch noch den Rasen mähe und irgendwann dann nicht mehr kann, dann weiß ich, mit viel Ach und Wehe, der Tod im Traum, das war mein Mann! Frau: „Mit sechs Kindern ist es nicht einfach. Das fängt schon früh morgens an, was heißt früh, ich habe immer das Gefühl, es ist gerade eben erst nach Mitternacht, wenn es in den Kinderzimmern schon wieder rundgeht. Und abends, na, ich kann ihnen sagen, bis der letzte Zwerg eingeschlafen ist, ist es halb neun.“ „Und ihr Mann?“ „Ach, das Frühstück mache ich noch im Halbschlaf. Das merken die und nerven herum. Milch, Milchkaffee, eins will Kakao, das andere Orangensaft oder doch lieber Cola, ich weiß oft nicht, was ich zu zuerst machen soll.“ „Und ihr Mann? Hilft er?“ „Die Schulbrote mache ich schon lange nicht mehr nach Wunsch. Es gibt, was es gibt. Müsliriegel habe ich gestrichen, das ist mir zu teuer, so viel Geld, davon kann ich schon das Gemüse für das Mittagessen kaufen, wenigstens einen Teil davon.“ Und ihr Mann? Macht der auch?“ „Neulich wollten die wieder Zwiebelkuchen. Nein, habe ich gesagt, den gibt es nur, wenn wir zur Zwetschgenzeit in Bad Bevensen sind. Da wohnt nämlich die Oma, wissen sie, die hat einen Garten mit alten Obstbäumen und da gibt es immer richtig was zum Ernten. Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Pflaumen, Mirabellen! Und dann wird gebacken! Da machen wir alle mit, da haben wir rote Köpfe, im Haus riecht es lecker, und nachher sind alle satt vom Zwiebelkuchen! „Ich dachte Pflaumen, sie haben doch gesagt Pflaumen- und Apfelbäume… und ihr Mann, hilft der au…“ „Ihr Mann? Die Oma, die hat schon lange keinen Mann mehr, der hat sich im letzten Jahr dermaßen aufgeregt, weil sie ihm wieder gesagt hat, das Stück Kuchen mit Pflaumen auf seinem Teller sei Zwiebelkuchen. Diesmal hat sie ihn angeschrieen, du nennst mich doch auch alte Zwiebel wenn dir danach ist, da fragst du auch nicht, ob das richtig ist, also iss und halt den Mund! Er hat sie mit weit aufgerissenen Augen angesehen, noch einmal gejappt und fiel dann mit knallrotem Gesicht in die Pflaumen vom Zwiebelkuchen. Der war der Oma richtig gut gelungen, so richtig dick belegt und aufgegangen. Darum sah man auch nichts mehr von seinem Gesicht, nur noch den Hinterkopf, tragisch, sag ich ihnen. Der Opa – tot, mausetot, Herz- oder Hirnschlag, was alte Männer so kriegen, wenn sie sich aufregen! „Ach, du meine Güte, wie schrecklich, war das denn nun Zwiebelkuchen oder Pflaume?“ „Nein, nein, die Oma hat verschmitzt gelächelt und gesagt: „Na, hast jetzt die Nase voll von deinem Pflaumenkuchen?“
„Ich dachte Zwiebelkuchen…. in Bad Bevensen gibt es doch immer
Zwiebelkuchen, aber…“ „Nun habe ich nur von mir geredet. Und ihr Mann, was macht ihr Mann, erzählen sie mal, mag der auch so gern Zwiebelkuchen, dann kommen sie doch mal zur Pflaumenzeit nach Bad Bevensen.“ Des Tages Irrsinn ist vorbei, die Nacht kommt gut gelaunt. Der Traum beginnt mit einem Schrei und wird sofort bestaunt. Dann stellt der Schlaf sich wieder ein, ist tief und fest, wie immer. Und weiß erhellt der Mondenschein, das ausgekühlte Zimmer. Und draußen hallt der Krähenruf, sehr einsam durch die Welt, bis morgen früh das Einerlei, den neuen Tag entstellt.