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Alles war möglich in Kelsy Point – zumindest schien es so, als sie endlich in die Sackgasse einbogen, wo ihnen Winnie und die Kinder bereits zur Begrüßung entgegengerannt kamen. Cat hatte Winnie schon darauf vorbereitet, wie schwer Lucas zusammengeschlagen worden war, und so gab es keine überraschten Gesichter. Nur über den Vollgips am Bein mit der stählernen Laufschiene wurde gesprochen, und alle machten ihre Witze darüber, ehe sie sich mit kunstvollen Zeichnungen und ihrer Unterschrift darauf verewigten.

Lucas hatte das große solide Holzhaus, das völlig einsam am nördlichen Rand von Kelsy Point stand, bereits lange bevor er und Cat sich kennenlernten, erworben. Aber gleich bei ihrem ersten Besuch dort verliebte sie sich in das Haus. Und so kam zu den anderen Hochzeitsgeschenken – dem Segelboot und den Segelstunden – noch das Versprechen hinzu, alle zukünftigen Sommer in ihrem Strandhaus zu verbringen. Seine geschäftlichen Telefonate konnte er dort ebensogut wie in Greenfield erledigen, und auf dem kleinen Privatflughafen außerhalb von Clinton konnte man jederzeit einen Hubschrauber mieten.

Von dem riesigen Wohnraum mit der kirchenhohen Balkendecke, in die Oberlichte eingelassen waren, dem nahtlos sich daran anschließenden Eßbereich und der erst kürzlich neu gestalteten Küche führten dreieinhalb Meter breite Schiebetüren auf eine prachtvolle Terrasse aus Kiefernholz hinaus, die sich drei Meter über dem Sandstrand erhob und auf den Ozean blickte.

Unterhalb dieser Veranda befand sich der Keller, in dem außer den Anschlüssen für Waschmaschine und Wäschetrockner auch noch ein Badezimmer mit Dusche und Umkleideraum untergebracht waren, den die ganze Familie nur allzugern benutzte, wenn sie voller Sand vom Strand zurückkamen; im hinteren Teil des Kellers lag außerdem noch ein separater Raum für das Werkzeug.

Cat hatte eigentlich die Absicht gehabt, Lucas nach ihrer Heimkehr zunächst einmal stilvoll auf der Veranda unterzubringen und ihn dort auf einen der Liegestühle mit den dicken Polstern zu betten, aber er sah müde aus und schien Schmerzen zu haben; als sie ihn fragte, was ihm lieber wäre, beschloß er, sich fürs erste eine Weile zurückzuziehen.

Da das Elternschlafzimmer im ersten Stock lag, hatte Cat Winnie gebeten, das Gästezimmer im Parterre für Lucas herzurichten. Dort brachte sie ihn nun unter, zusammen mit ein paar Dutzend Kissen, einem Tablett mit Saft, Papiertüchern, der Fernbedienung für den Fernsehapparat und den Schmerzmitteln, die er jedoch nicht sofort nehmen wollte.

»Es wäre mir aber lieber, du würdest sie jetzt gleich nehmen«, sagte sie.

»Wenn ich sie brauche, dann nehme ich sie schon.«

Geschäftig fing sie an, in dem Zimmer herumzuräumen und alles so zu arrangieren, daß es in seiner Reichweite war.

»Sag mal, hast du denn nichts anderes zu tun?«

»Was soll das?« fragte sie, hielt in ihrer Bewegung inne und lächelte ihn unsicher an. »Versuchst du etwa, mich loszuwerden?«

»Hör mal, du mußt wirklich nicht so um mich herumglucken, mir geht es gut. Geh lieber und kümmere dich um deine eigenen Sachen.«

»Herumglucken? Seit wann bin ich eine Glucke?«

»Wieso ziehst du dir eigentlich keine andere Bluse an?«

Sie blickte an sich hinunter und stellte überrascht fest, daß sie noch immer dieselbe schmutzige Bluse ohne Knöpfe trug, die jetzt von Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurde. Bei diesem Anblick spürte sie wieder, wie sich diese Finger in ihre Wangen gruben, aber sie schüttelte das Gefühl schnell ab und ging zu einer der Kommoden, aus der sie saubere Shorts, ein T-Shirt und frische Unterwäsche herausholte.

Sie bewahrten zwar immer eine minimale Ausstattung an Kleidungsstücken im Strandhaus auf, aber der Großteil ihrer Garderobe und viele andere Dinge, die sie gebraucht hätten, befanden sich, in Schachteln verstaut, immer noch in ihrem Bronco. Wenn der Wagen nicht bald gefunden wurde, würde sie alles neu kaufen müssen. »Ich glaube, eine Dusche würde mir jetzt guttun«, sagte sie. »Winnie hat zwar gestern abend noch für uns eingekauft, aber ein paar Lebensmittel muß ich trotzdem noch holen. Ich habe mir gerade überlegt –« Sie wollte noch hinzufügen, daß sie überlege, deswegen im Queens Market, einem großen Supermarkt, dessen hohe Preise auch eine Lieferung ins Haus einschlossen, anzurufen, aber Lucas ließ ihr keine Chance.

»Gute Idee«, unterbrach er sie und ergriff die Gelegenheit, sie aus dem Zimmer zu schicken. »Winnie ist ja hier und kann auf mich aufpassen. Könntest du mir vielleicht eine von diesen leckeren kleinen Salamis mitbringen?«

Sie stutzte kurz und meinte dann lächelnd: »Okay. Was sonst noch?«

»Überrasch mich.«

»Möchtest du etwas zum Lesen?«

»Einen Playboy könntest du mir mitbringen.«

»Tut mir leid«, erwiderte sie und warf sich in Positur. »Aber den mußt du dir schon selber kaufen.«

Sie drückte sich die sauberen Kleidungsstücke vor die Brust, kniete sich auf die Matratze, beugte sich vor und küßte ihn. »Ich liebe dich, Lucas.«

Winnie war einverstanden, noch so lange zu bleiben und aufzupassen, bis sie wieder zurückkam, und Zack, der Einkäufen normalerweise haßte, bot sich an, sie zu begleiten. War es Cat bis dahin noch relativ gut gelungen, jeden Gedanken an den Überfall zu vermeiden, so änderte sich das jetzt abrupt. Zack, der eine Melodie vor sich hin pfiff, die sie nicht kannte, warf in jeder Straße, durch die sie fuhren, hastige Blicke nach rechts und links.

»Sie kommen bestimmt nicht wieder zurück«, sagte sie schließlich.

»Wer sagt das?«

»Ich sage das. Was diese Männer getan haben, nennt man einen bewaffneten Überfall auf einen Wagen. Darüber hat man gerade in der letzten Zeit viel in den Nachrichten gehört. Ein Verbrecher hält einen Autofahrer an, wirft ihn aus dem Wagen und macht sich damit aus dem Staub.« Zack warf einen raschen Blick auf die Türen des Jeeps, die nicht verriegelt waren. Trotz ihrer gestrigen Aussage dem Polizeichef gegenüber, daß sie von nun an die Türen immer verriegeln würde, sah für Cat im milden Sommerlicht dieses Tages alles gänzlich anders aus. Wie groß konnte das Risiko schon sein, daß ihr in diesem Leben so etwas noch einmal zustieß? Sie durfte sich außerdem nicht so gehenlassen, denn wenn sie das tat, dann würde sie den Kindern vielleicht niemals mehr erlauben, auch nur einen Schritt vor das Haus zu setzen. Trotzdem drückte Zack den Knopf auf seiner Seite hinunter, kniete sich auf seinen Sitz und tat dasselbe bei ihrer Tür.

»Du kennst doch das Sprichwort: ›Der Blitz schlägt nie zweimal in dasselbe Haus ein‹, oder?« fragte sie ihn.

»Schon.«

»Tja, ich denke, das gilt auch in diesem Fall. Wir haben schließlich nichts Unvorsichtiges getan und uns dadurch selbst in Gefahr gebracht. Es war schlicht und einfach Pech; wir waren eben zur falschen Zeit am falschen Ort. Uns ist zufälligerweise etwas ganz Gräßliches und Sinnloses zugestoßen, wie es hin und wieder im Leben passiert. Aber das ist jetzt vorbei. Wir haben es hinter uns, und es wird uns nie, nie wieder passieren.«

Es folgte eine längere Pause, ehe er wissen wollte: »Wenn diese Diebe nur das Auto haben wollten, warum haben sie dann Daddy so fest zusammengeschlagen?«

Sie verspürte eigentlich nur wenig Drang, darüber zu sprechen, was geschah, wenn ein kranker Geist außer Kontrolle geriet und der ursprüngliche Plan eskalierte. Welchen Sinn hatte das schon? Schließlich hatten sie noch Glück gehabt.

»Das war meinetwegen«, sagte sie zögernd. »Daddy glaubte, daß die Männer mir weh tun wollten, und ist deshalb auf einen von ihnen losgegangen.«

»Das war der Mann mit dem schwarzen Bart, der Earl hieß, richtig?«

»Ja.«

»Wollte er Sex mit dir machen?«

Sie warf ihm einen überraschten Blick zu. Sie hatte mit Zack noch nie über Sex gesprochen, was sie vielleicht hätte tun sollen. Mit Haley hatte sie bereits über dieses Thema geredet, als diese noch jünger gewesen war als Zack jetzt. Aber Haley war damit angekommen und hatte ihr Fragen gestellt. Zack bisher noch nicht.

»Was weißt du über Sex?«

Achselzuckend meinte er: »Ich weiß, was der Mann von dir wollte.«

»So? Und wer hat dir davon erzählt?«

»Die Kinder in der Schule reden andauernd über so etwas. Das war es doch, was Earl von dir wollte?«

Sie nickte ruhig. Aber ganz langsam kroch das altbekannte Gefühl der Beklemmung wieder ihren Nacken hinauf, dieselbe Panik wie letzte Nacht . . . Sie holte tief Luft, bis sie wieder klar im Kopf war; sie konnte es sich nicht erlauben, hier draußen allein mit Zack Opfer einer Angstattacke zu werden.

Sie zwang sich, an andere Dinge zu denken: an den Einkauf, der vor ihr lag, an die Überraschung, die sie Lucas mitbringen wollte . . . Sie würde ihm doch einen Playboy besorgen. Sie versuchte, sich laue Mondscheinnächte vorzustellen, versuchte an den Klang von Wellen zu denken, die an den Sand schwappten; sie malte sich aus, wie sie und Lucas allein auf der Veranda lagen, lange Spaziergänge am Strand unternahmen oder am Wasser entlangliefen, wie sie ihr Sunfish-Boot herausholten . . .

Ach ja, und sie durfte nicht vergessen, Lucas zu bitten, mit Zack einmal ein Gespräch über Sex zu führen – von Mann zu Mann.

* * *

Sie hatte bereits ein paar Hefte mit Kreuzworträtseln für sich und ein halbes Dutzend Sport- und Wirtschaftsmagazine für Lucas gekauft. Den Playboy würde sie in der Apotheke besorgen müssen. Aber dazu sollte sie nicht mehr kommen. Denn als Zack ihr gerade dabei half, die Einkaufstüten hinten im Wagen zu verstauen, blickte er plötzlich hoch und deutete ganz aufgeregt in eine Richtung.

»Schau, Ma, da ist Simon.«

Sie hielt in ihrer Tätigkeit inne und schaute ebenfalls in die Richtung; ob sie Simon jedoch ohne Zacks Hilfe bei hellem Tageslicht erkannt hätte, war sie sich nicht sicher. Doch er war es. Ein große Tüte mit Lebensmitteln auf dem Arm, steuerte er auf einen grünen Kleinbus zu.

»Du bleibst hier. Okay?« Schnell lief sie über den Parkplatz und war gerade in Rufweite, als Simon den Wagen zurücksetzte. »Halt, nicht wegfahren!« rief sie.

Er hörte sie rufen und wandte ihr sein Gesicht zu; ein rotes Schweißband hielt sein volles, sonnengebleichtes Haar aus der Stirn zurück. Er hatte blaue Augen, schmale blonde Augenbrauen und ein breites, sympathisches Lächeln. Er trug eine graue Jacke aus Sweatshirtstoff mit Kapuze; die Jacke war vorn offen, und die Kapuze hing locker über seinen Rücken.

»Wie geht es Ihrem Mann? Wie heißt er gleich noch mal?« fragte er mit rauher, sonorer Stimme.

Sie nickte. »Er heißt Lucas. Er hat Prellungen, Platzwunden, ein gebrochenes Bein. Aber er wird wieder gesund. Ich habe ihn heute nach Hause geholt.«

»Schön.«

»Na ja, so besonders geht es ihm auch wieder nicht –«

Er runzelte die Stirn und wartete ab.

»Er macht sich ziemlich viel Sorgen, weil er dich nicht mehr zu Gesicht bekommen hat. Um sich bei dir zu bedanken.«

Er schüttelte den Kopf. »Richten Sie ihm aus, daß das nicht nötig ist. Ich habe ja nicht viel mehr getan, als meine Klappe aufzureißen.«

»Du hast riskiert, selbst verletzt zu werden.«

»Habe ich das? Na, dann sollte ich vielleicht in Zukunft besser auf mich aufpassen und nicht so schnell mit dem Finger am Abzug sein.«

Er machte sich über sie lustig, aber so leicht wollte sie nicht lockerlassen. »Bitte. Es ist wichtig für ihn.«

Er seufzte und warf einen flehenden Blick Richtung Himmel. »Lieber Gott, mach bitte, daß diese nette Dame mich in Ruhe läßt.« Aber als seine Augen wieder zu Cat zurückkehrten, zwinkerte er ihr zu. »Wo soll’s denn hingehen?« fragte er.

Sie deutete auf den Cherokee-Jeep; Zack war mittlerweile auf den Beifahrersitz geklettert und wartete bereits ungeduldig. »Ich stehe gleich da drüben«, sagte sie. »Fahr mir einfach nach.«

Simon gingen die Augen über, als er aus seinem Kleinbus stieg und sich die Gegend um Kelsy Point ansah: das Haus, ihr Sunfish-Boot, Haleys Katamaran und den zehn Meter langen Kabinenkreuzer von Lucas, die alle am Bootssteg lagen, dazu meilenweit nichts als Sandstrand. Eine Viertelmeile die Küste aufwärts lag eine Mole, die sich über sechzig Meter ins Meer hinaus erstreckte. Cat konnte sich gut vorstellen, was Simon bei diesem Anblick empfand – sie war auch kaum aus dem Staunen herausgekommen, als Lucas sie vor vielen Jahren das erste Mal mit hierhergenommen hatte. Schließlich schüttelte Simon heftig den Kopf, als wolle er seine Benommenheit loswerden.

»Mann o Mann, ich bin in der Wüste groß geworden«, meinte er bewundernd. »Und von den Stränden im Westen habe ich auch nicht viel gesehen. Hier an der Ostküste war ich natürlich ein paarmal am Meer, aber nie an einem Ort wie diesen. Kommen hier viele Leute zum Sonnenbaden her?«

»Na ja, unsere Ecke ist eigentlich ziemlich abgelegen. Aber hin und wieder lassen sich schon mal ein paar Jogger und jüngere Leute bei uns blicken.«

Simon trug gleich vier ihrer Einkaufstüten auf einmal ins Haus und hätte auch noch alle anderen geholt, wenn Cat nicht darauf bestanden hätte, den Rest Haley und Zack zu überlassen. Sie hatte es eilig, Simon zu Lucas zu bringen, und hätte sich auch gar nicht lange damit aufgehalten, ihn Winnie vorzustellen, wenn diese sich nicht vor ihm aufgebaut hätte, sich die Hände an dem Geschirrtuch abtrocknend, das an ihrer Hüfte hing, und ihn mit einer Miene beäugend, als wäre ihr noch nie zuvor im Leben ein so gut aussehender, junger Mann begegnet.

»Stammst du hier aus der Gegend?« fragte sie, nachdem Cat ihn ihr vorgestellt hatte.

»Nein, Ma'am.«

»Und deine Familie?« Als er verneinend den Kopf schüttelte, meinte sie: »Seltsam, du kommst mir so bekannt vor.«

»Kann schon sein. Ich bin jetzt seit ungefähr zehn Tagen in der Stadt, zelte allerdings die meiste Zeit draußen im Staatspark.«

Widerwillig trat Winnie schließlich doch noch zur Seite, und Cat führte Simon zu dem kleinen Schlafzimmer; sie öffnete die Tür, ohne anzuklopfen. »Du wolltest doch, daß ich dir eine –«

Aber sie war diejenige, die eine Überraschung erleben sollte. Natürlich wußte sie über den Revolver Bescheid, den Lucas im unteren Schlafzimmerschrank in einer Holzkiste aufbewahrte, aber den hatte er noch nie herausgenommen. Jetzt saß er auf der Bettkante, den Revolver in der einen, einen alten Lappen in der anderen Hand.

»Was machst du da?«

»Wonach sieht das deiner Meinung nach aus?« erwiderte er; dann sah er hinter ihr den jungen Mann und legte die Waffe in die Kiste zurück, die auf seinem Nachttisch stand. »Und, möchtest du uns nicht miteinander bekanntmachen?« Er war etwas überrascht, schien sich aber sehr zu freuen.

Sie legte die Hand auf Simons Arm. »Aber natürlich«, beeilte sie sich zu sagen. »Lucas Marshall, Simon Bower.«

»Schön, dich endlich kennenzulernen, Simon«, sagte er.

Simon ging um Cat herum, stellte sich vor Lucas hin und gab ihm die Hand. »Sie sehen ja ziemlich übel zugerichtet aus, Mann.«

Lucas grinste. »Na, so was, fällt offensichtlich doch jemandem auf! Hier scheint nämlich keiner zu bemerken, wie ich aussehe. Ich fing schon an zu glauben, daß mit meinem Spiegel etwas nicht in Ordnung ist.«

Diese Bemerkung war eindeutig auf Cat gemünzt. Jedes Mal, wenn er sie daran erinnerte, wie übel zugerichtet er aussah, wich sie aus und versuchte, ihn auf bessere Zeiten zu vertrösten. Aber Cat war mit ihren Gedanken ganz bei dem Revolver. »Lucas, so gib mir doch bitte eine Antwort. Was hast du mit dem Ding da vor?«

»Cat, bitte, wir haben einen Gast. Wenn du etwas mit mir besprechen möchtest, dann später.« Er hob sein Glas und schwenkte leicht die blasse Flüssigkeit darin. Dann wandte er sich an Simon. »Was möchtest du denn trinken, mein Junge?«

Der junge Mann zuckte die Schultern.

»Ein Bier?«

»Ja, gerne.« Simon warf einen Blick zu Cat hinüber. »Wenn es Ihnen keine Umstände macht.«

»Selbstverständlich nicht«, entgegnete Cat und griff nach Lucas’ Glas. Der arme Junge war verlegen, und das war ihre Schuld. Sie hätte ihn nicht mitbringen sollen. Sie schaute kurz auf die Uhr und meinte: »Es ist schon fast eins, wie wär’s mit einem Happen zum Mittagessen?«

Haley hatte mittlerweile ungefragt die Lebensmittel weggeräumt und leerte gerade die letzte Tüte, als Cat in die Küche kam. »Danke für deine Hilfe, Schätzchen«, sagte sie.

»Kein Problem.«

»Wo ist Winnie?« Cat holte frisches Gemüse aus dem Kühlschrank und legte es auf die Küchentheke.

»Die ist unten im Keller und versucht den Wäschetrockner festzuhalten. Du weißt doch, daß er manchmal Schüttelanfälle bekommt.«

»Ja, richtig.« Eine der Arbeiten, die Lucas erledigen wollte.

»Wir werden jemanden kommen lassen müssen, der ihn repariert«, antwortete sie und wandte sich dann zu Haley um. »Wieso haben wir eigentlich schon wieder eine Trommel voll dreckiger Wäsche?«

»Zack hat letzte Nacht ins Bett gemacht. Aber das darf außer Winnie eigentlich keiner wissen.«

»Oh«, meinte Cat überrascht. Das war Zack seit seinem fünften Lebensjahr nicht mehr passiert, aber bei den Ereignissen vom Abend zuvor war es wahrscheinlich nur natürlich . . . Da genügte schon der geringste Auslöser. Cat wandte sich wieder der Küchentheke zu, holte eine Schüssel heraus und fing an, den Salat zu waschen. Als sie jedoch die Augen ihrer Tochter auf sich spürte, hörte sie damit auf und fragte schließlich: »Möchtest du über gestern abend reden?«

Haley schüttelte den Kopf und zuckte dann die Schultern.

»Was gibt es da zu reden?«

»Ich weiß nicht, das wollte ich eigentlich von dir hören. Wie du dich dabei gefühlt hast, vielleicht.«

»Ich hatte natürlich Angst. Du nicht?«

»Natürlich.«

»Aber jetzt ist alles ausgestanden. Das ist es doch, oder?«

Cat ließ fallen, was sie gerade in der Hand hatte, ging zu Haley, beugte sich über sie und nahm sie in den Arm. »Klar ist es das. Und Daddy geht es auch wieder gut. Ich weiß, er sieht zwar noch nicht so aus, aber –«

Haley entzog sich ihrer Umarmung. »Eigentlich möchte ich lieber doch nicht darüber sprechen. Okay?«

Cat richtete sich wieder auf und sah ihrer Tochter nach, die hinaus auf die Veranda und dann zum Strand hinunter lief. Jeder von ihnen schien seine eigene private Hölle zu durchleiden. Cats Hölle bestand darin, daß sie hatte mit ansehen müssen, wie man ihren Mann zusammenschlug, ohne dabei einen Finger rühren und ihm helfen zu können. Woraus bestand Haleys Hölle?

* * *

Lucas deutete Simon an, sich neben ihn auf das Bett zu setzen. Obwohl es am Abend zuvor schon fast zu dunkel gewesen war, um die Gesichtszüge des Jungen deutlich sehen zu können, hatte er Simon gleich im ersten Moment erkannt, als er in das Zimmer gekommen war. »Wo hat sie dich denn aufgegabelt?«

»Im Einkaufszentrum in Clinton, neben dem Stop&Shop-Markt. Ich war wegen eines Ersatzteils für mein Motorrad in der Stadt. Und weil ich schon dort war, dachte ich mir, daß ich bei der Gelegenheit auch gleich noch meine Lebensmittelvorräte aufstocken könnte.«

»Was hast du denn für ein Motorrad?«

»Oh, nichts Besonderes – eine Yamaha XJ600. Ein 85er Baujahr. Ich habe sie recht billig bekommen. Ich mußte zwar noch ziemlich viel an ihr machen, aber ich bin handwerklich recht geschickt. Sie läuft –« Er grinste. »Jedenfalls die meiste Zeit. Und wie geht es Ihnen so?« fragte er, geschickt das Thema wechselnd.

»Ich bin soweit in Ordnung. Und dafür muß ich mich bei dir bedanken. Du hast dich richtig heldenhaft verhalten.«

Der junge Mann steckte verlegen beide Hände in die Taschen seines Sweatshirts und schüttelte den Kopf. »Sie machen mehr aus der Sache, als dahintersteckt. Wie ich schon Ihrer Frau zu erklären versucht habe, habe ich eigentlich nichts anderes getan, als meine Klappe weit aufzureißen. Die Typen waren ja bereits abgehauen, als ich zu Ihnen kam. Ich habe die zwei gar nicht mehr zu Gesicht bekommen.«

»Du solltest nicht so bescheiden sein. Du hast es nämlich ganz richtig gemacht und dein Köpfchen benutzt. Mit einer Waffe zu drohen . . . Woher wußtest du eigentlich, daß die beiden kein Gewehr oder etwas Ähnliches hatten?«

»Das wußte ich nicht, ich habe es einfach geraten. Oder vielmehr gehofft. Dem Geschrei nach zu schließen . . . Na ja, da habe ich mir gedacht, daß es mehr als einer sein muß und daß es einfacher sein dürfte, den beiden einen Schrecken einzujagen, als es allein mit zwei Männern aufzunehmen.«

Lucas fiel es nicht schwer, sich die imposante Erscheinung von Warren wieder ins Gedächtnis zu rufen, der ihn aus dem Wagen gezerrt hatte. Lucas war schon über einsachtzig groß und wog fünfundachtzig Kilo, aber dieser Warren hatte ihn bestimmt noch um zehn Zentimeter und um dreißig Kilo übertroffen. Auch Simon konnte man nicht gerade als schmächtig bezeichnen, und er war mit Sicherheit auch in besserer Form als Lucas . . . Trotzdem wäre es auch für ihn kein leichtes gewesen, es mit diesem Kraftpaket aufzunehmen.

»Zum Glück war das ja auch nicht notwendig«, sagte Lucas. »Aber die Tatsache, daß du dazu bereit gewesen wärst, die zählt.« Simon preßte die Lippen zusammen und schaute verlegen auf seine Turnschuhe hinunter, so daß Lucas ihn fragte: »Wie alt bist du eigentlich?«

»Neunzehn. Wieso?«

»Nur so, aus Neugierde«, erwiderte Lucas und dachte sich, daß der Junge für sein Alter bereits reichlich Wagemut bewiesen hatte. »Aber sag mir lieber mal, Simon, was ich jetzt für dich tun kann?«

Der junge Mann blickte überrascht hoch. »Wie meinen Sie das?«

»Ich meine, gestern abend, da hast du für mich und meine Familie dein Leben riskiert. Das kann ich dir natürlich nicht ebenbürtig vergelten, aber irgend etwas würde ich schon gerne für dich tun.«

Simon schüttelte heftig den Kopf, zog die Schultern hoch und machte den Eindruck, als wäre er sich nicht sicher, ob er nun auf den Arm genommen wurde oder nicht. »Hören Sie, Mr. Marshall –«

»Nenn mich doch Lucas.«

»Okay. Hören Sie, Lucas, ich will wirklich nichts dafür haben. Können wir es nicht dabei belassen?«

»Womit verdienst du dir eigentlich dein Geld?«

»Ach, ich jobbe mal hier, mal da, wenn gerade Ebbe in meiner Kasse ist. Aber viel brauche ich auch nicht zum Leben.«

Lucas lehnte sich zurück; der Junge machte es ihm wirklich nicht leicht, und das in einer Zeit, in der einen viele seiner Altersgenossen nur aus dem einen Grund überfallen würden, weil man Turnschuhe trug, die sie selber haben wollten. Da es sogar auf den Baustellen seiner Firma häufig zu Diebstählen und Akten von Vandalismus gekommen war, war man bereits dazu übergegangen, nachts scharfe Wachhunde frei laufen zu lassen.

»Der hiesige Polizeichef hat mir erzählt, daß du draußen in Chatfield Hollow kampierst.« Simon nickte. »Hast du auch schon was geangelt?«

»Na klar. Tolle Barsche gibt es da.«

»Hast du es schon mal im Salzwasser probiert?«

»Nein, nie, nur im Süßwasser. Ich habe vorhin auch zu Ihrer Frau gesagt, daß ich so etwas wie das hier noch nie gesehen habe. Ich meine, dieses große Haus und alles, und dazu ein Privatstrand. Fast wie im Kino. Einfach umwerfend.«

»Ja, uns gefällt es hier auch sehr gut. Hast du schon mal ein Boot gelenkt, Simon?«

»Ja, ein paarmal. Ein Kumpel von mir aus Detroit hat mich seines auf dem See ausprobieren lassen.«

Lucas deutet mit dem Kopf zum Fenster. »Geh mal da rüber und schau hinaus. Da draußen liegt mein zehn Meter langer Kabinenkreuzer vor Anker.« Lucas brachte die Boote den Winter über in einem Jachthafen in der Nähe unter, ließ sie aber im Sommer bereits einige Tage vor ihrem Eintreffen zum Haus herüberbringen.

»Ja, das Schiffchen ist mir schon beim Herfahren aufgefallen«, meinte Simon und ging zum Fenster. Er stand da, die Hände tief in den Taschen seines Sweatshirts vergraben, und starrte hinaus. »Ein wirklich schönes Boot.«

»Meinst du, daß du damit umgehen könntest?«

Er nickte. »Na klar.« Er drehte sich zu Lucas um. »Wieso?«

»Ich dachte mir, du würdest es vielleicht gerne mal ausprobieren.«

Simon schaute wieder zu dem Boot, dann zu Lucas zurück. »Meinen Sie das im Ernst?«

»Ich mache keine Angebote, die ich nicht ernst meine.«

Es folgte eine lange Pause, ehe der Junge fragte: »Wann?«

»Wann immer du möchtest. Wie wäre es mit morgen?«

Simon nickte heftig und grinste. »Okay, ich bin dabei.«

»Und mach dir keine Gedanken wegen der Ausrüstung. Ich habe jede Menge Ruten, anderes Angelgerät und Köder draußen im Schuppen. Haley wird es dir zeigen. Sie ist selbst ein ganz guter Angler.«

»Sie meinen – Anglerin.«

»Wie bitte?«

»Ich sagte, Sie meinen Anglerin.«

Lucas nickte. »Okay, ich korrigiere mich. Haley hackt auch immer auf mir herum, was dieses feministische Zeug angeht. Ich bin wahrscheinlich zur falschen Zeit geboren. Zum Glück für mich sieht Cat über solche Dinge großzügig hinweg.«

Simons Miene wurde plötzlich ernster, als sein Blick auf die Holzkiste mit dem Smith-&-Wesson-Revolver, Kaliber 38, fiel. »Haben Sie Angst, daß es diese Gauner noch einmal bei Ihnen probieren?«

Hatte er tatsächlich Angst davor? Und würde er soweit gehen, sich das auch einzugestehen? Das war eine gute Frage von Simon. Wenn er die Sache rational betrachtete, konnte es darauf nur eine Antwort geben: Kriminelle wie diese zogen normalerweise einfach zu ihrem nächsten Opfer weiter. Und diese Antwort gab er auch Simon.

Obwohl Chief Cooper angedeutet hatte, es könne sich bei dem Überfall auch um einen persönlichen Racheakt gehandelt haben, war dies doch eher unwahrscheinlich. So kompliziert war sein Leben auch wieder nicht. Es drehte sich eigentlich nur noch um Cat und die Kinder, während er den Rest der Welt links liegen ließ, seit er vor vielen Jahren diesen 7-Eleven-Supermarkt betreten hatte. Seitdem gab es keine Frauengeschichten mehr, keine nächtelangen Pokerpartien, keine Trips nach Las Vegas und auch keine langen Nächte mehr auf Achse.

Das lag nicht allein an den großen braunen Augen, der schmalen Stupsnase und an den vielen Sommersprossen, die sie im Gegensatz zu anderen Frauen nie unter einer Lage Make-up versteckt hätte; oder vielleicht an ihren langen Beinen und ihrem sensationellen Körper. Es war vielmehr Cats natürliche, vertrauensvolle und überschwengliche Art, mit der sie an das Leben heranging.

Wenn, dann könnte schon eher ein geschäftlicher Grund dahinterstecken, da Center Construction sich im permanenten Wettbewerb um Ausschreibungen mit anderen Gesellschaften befand. Aber wahrscheinlich schleppte keiner seiner Mitbewerber einen derartigen Groll mit sich herum, daß er sich in einem Überfall wie dem von gestern abend entladen würde.

Seit Lucas danach wieder zu sich gekommen war, spürte er ein Kribbeln auf seiner Haut. Als ob diese Hundesöhne immer noch irgendwo in seiner Nähe wären. Man hatte seine Frau bedroht und ihn in Anwesenheit seiner ganzen Familie gedemütigt – man hatte ihn herumgeschubst und getreten wie einen armseligen Basketball.

Winnie, die gute Seele, die keinen Erfolg mit der Zähmung des Wäschetrockners hatte, half schließlich Cat, die Platte mit Antipasti zum Thunfischsalat vorzubereiten, ehe sie ging. Eigentlich wollte Cat das Mittagessen im Schlafzimmer servieren, aber Lucas schlug vor, daß er und Simon mit hinaus auf die Veranda kämen, da er bisher noch keine Gelegenheit gehabt hatte, mit den Kindern zusammenzusein.

»Bist du dir sicher?« fragte sie und dachte sich, daß er schlechter als zuvor aussah.

»Kein Problem.«

»Wie wär’s mit einem Mittel gegen die Schmerzen?«

»Mir geht es gut.«

Die Kinder schienen Simon zu mögen, und auch er ging ein wenig aus sich heraus, was vor allem daran lag, daß Zack ihm jede Menge neugieriger und indiskreter Fragen stellte. Dabei kam heraus, daß Simon bei einer Tante aufgewachsen war und sich auf ihren Wunsch hin – obwohl er noch gar nicht recht gewußt hatte, was er mit seiner Zukunft anfangen wollte – an der University of Arizona mit einem Stipendium eingeschrieben hatte. Doch noch im zweiten Jahr hatte er die Universität bereits wieder verlassen, um eine Weile durchs Land zu reisen, immer noch unsicher, ob ein Studium wirklich das Richtige für ihn wäre. Seitdem war er von Staat zu Staat gezogen und hatte sich – wenn man ihm so zuhörte – überall prächtig amüsiert.

»Simon wird morgen mit dem Kabinenkreuzer zum Fischen hinausfahren«, kündigte Lucas an und überraschte damit nicht nur die Kinder, sondern vor allem Cat. Lucas vertraute selbst ihr das Boot nur ungern allein an.

»Oh, geil. Kann ich mitkommen?« fragte Haley.

Lucas schmunzelte; es gelang ihm nur mit Mühe, seine Zufriedenheit über ihr wiedererwachtes Interesse am Bootsfahren und am Fischen zu verbergen. Hätte er seine Tochter jedoch genauer betrachtet, wäre ihm bestimmt aufgefallen, mit welchen Augen Haley Simon ansah. Sie flirtete ganz eindeutig mit ihm. Aber man mußte Simon zugute halten, daß er nicht darauf einging.

»Ich denke, dieses Mal noch nicht«, erwiderte Cat.

»Wieso nicht, was ist denn schon dabei? Wenn Daddy mich nur lassen würde, könnte ich das Boot auch ganz allein fahren. Schließlich habe ich mein großes Lebensretterabzeichen gemacht, ganz wie ihr wolltet. Wieso habe ich mir dann eigentlich die Mühe gemacht, wenn ihr mir das allein nicht zutraut?« »Ich traue es dir doch zu. Du darfst schließlich mit deinem eigenen Boot hinaussegeln, oder etwa nicht?«

»Aber dabei muß ich immer in Ufernähe bleiben«, erwiderte Haley schmollend.

»Schau, Schätzchen, es werden noch viele andere Tage kommen, an denen du zum Fischen hinausfahren kannst. Wieso willst du nicht von der Mole aus angeln?«

»Igitt.«

»Hören Sie«, meldete sich Simon zu Wort, »ich möchte mich ja nicht einmischen. Aber wenn Ihre Tochter unbedingt mitkommen will – ich habe nichts dagegen.«

»Ich denke nicht –«, setzte Cat erneut an, aber Lucas schnitt ihr das Wort ab. »Haley weiß ganz genau, was sie da draußen zu tun hat. Sie könnte vielleicht sogar mal das Steuer übernehmen.«

Haley war im siebten Himmel, küßte ihren Vater und sicherheitshalber auch ihre Mutter, obwohl sie wußte, daß diese eigentlich nicht so recht einverstanden war. Dann setzte sie zu einem Redeschwall an und plapperte in bester Teenie-Manier auf Simon ein, der leicht überfordert wirkte. Cat fing heftig zu lachen an.

»Weshalb lachen Sie?« wollte Simon wissen.

»Du machst gerade ein Gesicht, als würdest du dir überlegen, daß es vielleicht doch keine so gute Idee war.«

Haley warf Simon einen besorgten Blick zu, den er aber mit einem beruhigenden Nicken erwiderte. »Keine Angst, ich mache keinen Rückzieher. Aber könntest du vielleicht ein bißchen langsamer reden, wie wär’s damit?«

Cats Gelächter verebbte schlagartig, als Lucas plötzlich aufstand. »Geht es dir nicht gut?« fragte sie.

Er hob die Hand, um ihr anzudeuten, daß sie sitzen bleiben sollte, aber plötzlich fing er zu schwanken an. Simon stand ebenfalls auf, packte ihn am Ellbogen, und Cat schob Lucas die Hand in den Rücken. Dann halfen sie ihm beide ins Schlafzimmer, ohne auf seine Bitten einzugehen, ihn doch in Ruhe zu lassen. Sobald er im Bett lag, zog sich Simon jedoch taktvoll aus dem Zimmer zurück.

»Du hast Schmerzen, nicht wahr?« sagte Cat besorgt.

»Ein wenig. Aber in erster Linie bin ich müde.«

Müde war wohl kaum der richtige Ausdruck dafür. Fünf Minuten, nachdem Lucas die Schmerztabletten genommen hatte, war er schon fest eingeschlafen. Nicht einmal das Telefon auf seinem Nachttisch konnte ihn aufwecken. Eines der Kinder meldete sich noch vor dem zweiten Läuten, und Cat schaltete den Anschluß in Lucas’ Zimmer ab. Dann nahm sie die Holzkiste mit dem Revolver aus dem Schrank und verließ leise das Zimmer. Die Kinder waren mit Simon draußen auf der Veranda und unterhielten sich; als Simon sie kommen sah, stand er auf und sah sie fragend und mit ernstem Gesicht an.

»Was fehlt ihm?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nichts. Er ist nur müde und hat Schmerzen. Ich habe ihm seine Medikamente gegeben, die haben ihn regelrecht von den Füßen geholt. Lucas ist nämlich einer von diesen Macho-Männern, die man nur mit Gewalt davon überzeugen kann, mal etwas kürzer zu treten.« »Aber Mommy!« meinte Haley vorwurfsvoll, die überrascht war, so etwas aus dem Mund ihrer Mutter zu hören, noch dazu in Gegenwart eines Fremden wie Simon.

Cat lächelte. »Ist schon gut, wer war es denn?«

»Was?« fragte Haley.

»Das Telefon hat doch vor ein paar Minuten geläutet. Wer war es?«

Haley zuckte die Achseln. »Oh, das, der hat wieder eingehängt, ohne was zu sagen. Falsche Nummer, schätze ich.«

Kurz danach ging Simon, nicht ohne Haley zu versprechen, am nächsten Morgen gegen acht wiederzukommen. Während Cat die Küche aufräumte, fragte sie sich, was sie wohl getan hätte, wenn Lucas vorhin wirklich gestürzt wäre. Winnie kam zwar drei Tage in der Woche ins Haus, aber bei ihrem angeknacksten Rücken wäre sie keine große Hilfe, einen schweren Mann wie Lucas wieder auf die Beine zu stellen. Und in dem Moment kam ihr spontan die Idee: Im Strandhaus selbst und in der näheren Umgebung gab es so viele Dinge zu tun, die Lucas eigentlich hatte wegarbeiten wollen, die er bei seinem Bein aber trotz aller guten Absichten gleich wieder vergessen konnte.

So fragte sie sich, ob Simon nicht vielleicht Lust haben könnte, diese Arbeiten für sie zu übernehmen.

Lucas schlief bis acht Uhr abends, so daß Cat draußen auf der Veranda ein spätes Abendessen für sie beide servierte, nachdem die Kinder bereits im Bett waren. Als sie gegen halb zwölf zusammen ins Bett gingen, beschloß sie, über den Revolver zu sprechen.

»Lucas, ich möchte lieber keine geladene Waffe im Haus haben. Ich habe kein gutes Gefühl dabei.«

»Sie ist geladen, und dabei bleibt es.«

»Habe ich denn bei dieser Entscheidung gar nicht mitzureden?«

»Da gibt es nichts mehr zu reden. Wir leben in gefährlichen Zeiten. Da draußen treibt sich ein Haufen kranker Gehirne herum, die dir liebend gerne die Kehle durchschneiden, wenn du ihnen im Weg bist. Du brauchst doch bloß die Zeitung in die Hand zu nehmen und zu lesen, Cat; es gibt jede Menge anständiger und ganz normaler Leute, die ihre Häuser, ja ganze Viertel hinter Mauern verschanzen.«

»Verdammt, wieso versuchst du eigentlich, mir solche Angst zu machen? Es ist vorbei, Lucas, oder etwa nicht? Bitte! Wenn wir es einfach dabei belassen könnten –«

Ihre Augen füllten sich mit Tränen, so daß er seine Arme um sie legte. »Tut mir leid, Kleines. Das letzte, was ich will, ist, dir Angst einzujagen. Das weißt du doch. Aber nur, weil man sich wünscht, daß etwas so ist, muß es noch lange nicht so sein. Wir müssen unbedingt vorbereitet sein auf das nächste Mal, falls es ein nächstes Mal gibt.«

Cat ließ ihren Kopf an seine Brust sinken und versuchte, sich mit dem guten Gefühl zu trösten, das sie normalerweise spürte, wenn sie in seinen Armen lag. Vierundzwanzig Stunden zuvor war ihre Welt noch in Ordnung gewesen. Natürlich hatte sie auch da schon gewußt, da es gewalttätig zuging auf dieser Welt – und das nicht zu knapp –, aber das schien nie etwas mit ihnen zu tun gehabt zu haben. Nicht, bis ihre Familie selbst zum Opfer dieser Gewalt geworden war.

Die Nacht war jedoch noch nicht vorbei. Gegen ein Uhr morgens wurde sie von einer plärrenden Hupe geweckt. Verwirrt schreckte sie hoch und versuchte sich zu orientieren. Lucas, der das Geräusch offensichtlich als erster gehört hatte, war bereits aus dem Bett und auf dem Weg in die Küche.

»Warte, Lucas«, sagte sie, griff nach ihrem dünnen Morgenmantel und verließ das Bett, aber sie holte ihn erst ein, als er schon am Küchenfenster stand und hinaus in die Nacht lauschte, wo die Hupe inzwischen wieder verstummt war. Lucas hielt den Oberkörper nach vorn gebeugt und spähte in die Dunkelheit hinaus, eine Hand krampfhaft in die Tasche seines weißen Frotteebademantels gesteckt. Sie spähte über seine Schulter. Mitten in der Sackgasse war ein Fahrzeug geparkt, aber da die hellen Scheinwerfer direkt auf sie gerichtet waren, konnte sie nicht viel erkennen.

»Was meinst du, Lucas?«

»Keine Ahnung.«

»Das könnten ein paar junge Leute sein, die sich einen Scherz erlauben«, sagte sie und sah Lucas um Bestätigung heischend an.

Aber er reagierte nicht. Doch endlich konnte sie sehen, wie alle Anspannung aus Lucas’ Gesicht wich, als der Wagen langsam zurücksetzte. Als er ungefähr hundertfünfzig Meter vom Haus entfernt war, wendete er und fuhr davon. Es sah so aus, als sei es ein Bronco gewesen.

In Simons Bann

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