Читать книгу In Simons Bann - Gloria Murphy - Страница 6

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Die Klippen lagen einen fünfzehnminütigen Fußmarsch vom Strandhaus entfernt. An einem über sechzig Meter langen Abschnitt des Strandes, an dem die Wellen gigantische Felsbrocken ausgespült hatten, hausten Schildkröten und sonstige Kriechtiere, und Geschöpfe des Meeres klammerten sich mit ihren Schalen an den nassen Stein, während in den Zwischenräumen geheimnisvolle Untiefen anschwollen und wieder abebbten. Doch am besten von allem war eine zwei auf drei Meter große, ovale Höhle, die die Brandung aus dem Fels gewaschen hatte und die nur Zack kannte und die ihm als Versteck diente. Im Jahr zuvor hatte Zack zur Abschreckung für Eindringlinge zwei Felsblöcke vor den Eingang gerollt, um ihn dahinter zu verstecken.

Als er früh am nächsten Morgen dorthin kam und über den rutschigen Fels kletterte, lagen die Steine noch an ihrem Platz. Er rollte sie beiseite, kroch in die Höhle und sah sich um – sie war noch genauso düster, wie er sie aus dem Jahr zuvor in Erinnerung hatte. Zwar war sie nicht einmal so groß wie Mommys und Daddys Bad zu Hause mit dem Jacuzzi-Whirlpool, dafür aber viel geheimnisvoller.

Hier war der Ort, an dem er seine Fundstücke unterbringen, sich mit ihnen beschäftigen und sie untersuchen konnte. Hier konnte er auch allein sein und in aller Ruhe nachdenken.

Lucas wachte bereits früh durch das Klingeln des Telefons in der Küche auf. Er schaltete rasch auf seinen Anschluß um, ehe alle im Haus davon geweckt wurden. Aber wer immer es auch gewesen war – entweder hatte er sich verwählt oder seine Meinung geändert und wieder eingehängt. Lucas richtete sich langsam auf, wobei er merklich zusammenzuckte, denn jeder Muskel seines Körpers machte sich schmerzhaft bemerkbar. Statt das Tylenol und das Codein zu nehmen, das ihm der Arzt verschrieben hatte, ging er lieber zum Medizinschrank im Bad und holte sich ein Aspirin. Er haßte es, irgendwelche Drogen zu nehmen – zumindest alles, was über ein paar Bier oder ein Aspirin hinausging.

Sein Vater war Alkoholiker gewesen – mit allen schaurigen Exzessen, die dazugehörten; irgendwann einmal, als Lucas elf Jahre alt gewesen war, hatte er sich von dieser Gesellschaft verabschiedet und seinen Sohn allein zurückgelassen, sodaß Lucas von diesem Zeitpunkt an der Mann im Haus war. Und von dem Moment an hatte der Junge beschlossen, daß er immer fest mit beiden Beinen auf der Erde bleiben würde. Diese Einstellung machte sich nie deutlicher bemerkbar als damals in den sechziger Jahren, als er auf einer Party zum ersten Mal Marihuana ausprobierte. Als die betäubende Wirkung einsetzte, verließ er in heller Panik fluchtartig die Party und rannte ungefähr fünf Meilen durch die Januarkälte, bis er seinen Kopf endlich wieder frei hatte. Lucas mochte es, wenn er seine Welt unter Kontrolle hatte, etwas, das in den vergangenen sechsunddreißig Stunden nicht der Fall gewesen war, wie er zugeben mußte.

Hatte er in der vergangenen Nacht überreagiert? Möglicherweise. Als die Hupe ertönte, war er schon einige Zeit wach gewesen und hatte den Überfall in seinem Kopf hin und her gewälzt; und je länger er über diese beiden Bastarde nachgedacht hatte, desto größer war sein Zorn auf sie geworden.

Deshalb war es nicht überraschend, daß ihm beim Geräusch der Hupe gleich als erstes die beiden in den Kopf kamen und er sofort nach seiner Waffe griff. Zum Glück hatte Cat nicht gesehen, daß er sie in der Tasche seines Bademantels hatte, wenigstens hatte sie nichts gesagt.

Jetzt kippte er drei Aspirin auf seine Handfläche. Dann schloß er die Tür des Medizinschranks, trat näher an den Spiegel heran und betrachtete sein Gesicht. Er sah müde und alt aus. Die Prellungen und blauen Flecken unterstrichen noch zusätzlich seine schweren Augenlider, die welke Haut und die Falten, die ihm zuvor noch nie aufgefallen waren. Er schluckte die Aspirintabletten, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und trocknete sich ab. Dann klemmte er sich die Krücken wieder unter den Arm und humpelte in Richtung Küche.

Ein paar Minuten später war er auf dem Weg hinaus auf die Veranda, unter einem Arm trug er eine Tüte mit Orangensaft. Er schaute den Strand entlang, wo er in der Ferne ein paar Jogger laufen sah. Sobald sein Bein wieder geheilt war, würde er auch zu joggen anfangen, um wieder in Form zu kommen.

Er hatte gerade die Tüte mit dem Saft geöffnet und den ersten Schluck getrunken, als er eine Stimme hörte: »Was machst du da?« Lucas zuckte so heftig zusammen, daß der Saft herausspritzte. Er stellte die Tüte auf den Tisch und schüttelte die Flüssigkeit von seiner Hand. Mittlerweile war Zack links neben ihm aufgetaucht. Er trug ein Sweatshirt, Badehose und Turnschuhe, außerdem einen Eimer. »Tut mir leid«, sagte der Junge, »ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Das hast du auch nicht«, erwiderte Lucas. »Ich würde aber gerne wissen, was du schon so früh hier draußen zu suchen hast.«

»Ich war draußen bei den Klippen«, antwortete Zack und deutete auf den Eimer. »Ich habe eine Krabbe gefangen. Willst du sie sehen?« Die Klippen, die mehr als eine halbe Meile entfernt waren, gehörten mit ihren messerscharfen, unregelmäßigen Felsen, den zerbrochenen Bierflaschen und dem stinkenden Seetang nicht unbedingt zu Lucas’ Lieblingsplätzen. Tagsüber war die Gegend noch relativ unbelebt, aber nachts war sie ein bevorzugter Treffpunkt für junge Leute.

»Ich mag es eigentlich nicht, wenn du dich dort herumtreibst, ohne daß deine Mutter oder ich Bescheid wissen.«

»Mommy sagt aber, daß ich dorthin darf, solange ich Turnschuhe trage und auf die Scherben aufpasse.«

»Ohne ihr Bescheid zu geben?«

Wortlos starrte Zack eine Weile auf den Sand. »Davon hat sie nichts gesagt.«

»Na, dann sage ich es dir jetzt. Und ich möchte nicht, daß so etwas noch einmal vorkommt. Hast du schon gefrühstückt?« »Nein.«

Lucas deutete auf den Eimer. »Sieh zu, daß du dieses Ding los wirst, und hol dir was zu essen.«

Zack erwiderte, er sei nicht hungrig. Immer wieder dieselbe alte Leier, dachte Lucas verärgert.

Haley stand vor lauter Aufregung, mit dem Boot hinauszufahren, bereits vor sieben Uhr auf; der erste Ausflug im Sommer war immer der beste. Dieses Mal wäre es sogar noch besser – sie würde mit Simon zum Fischen hinausfahren. Neunzehn Jahre alt und zum Verlieben schön! Haley brachte allein eine halbe Stunde damit zu, mit ihren langen, aschblonden Haaren alles Mögliche auszuprobieren, ehe sie sich entschied, sie zu einem extravaganten Zopf geflochten zu tragen. Als sie damit fertig war, trug sie Wimperntusche und Lidschatten auf. Make-up war eigentlich nicht erlaubt; diese Regel hatte Daddy aufgestellt, und in diesem Punkt war sogar Mom seiner Meinung.

»Um Himmels willen, Haley«, pflegte sie zu sagen, »warum etwas verschönern, das ohnehin schon perfekt ist?«

Ja, klar, sie hatte gut reden, dachte Haley. Mom sah auch ohne Make-up umwerfend aus, und wenn ihre Augen auch so groß und dunkel gewesen wären, hätte sie wahrscheinlich auch keines gebraucht.

Als Haley endlich fertig war, stolzierte sie prüfend vor dem Spiegel auf und ab. Nach vier Anläufen hatte sie sich endlich für einen pinkfarben und weiß karierten Bikini entschieden und – um Daddys Ansprüchen zu genügen – für ein langes, marineblaues Sweatshirt und eine Sonnenbrille. Sie warf einen raschen Blick um die Ecke auf die Wanduhr im großem Zimmer: schon zehn vor acht.

Schnell lief sie in die Küche, nahm eine Thermoskanne aus dem Schrank und füllte sie mit Gatorade und Eis. Dann nahm sie den Picknickkorb und warf Servietten, Plastikgeschirr und alle möglichen Lebensmittel hinein, die sie wahllos aus dem Kühlschrank holte.

Fix und fertig angezogen, saß sie bereits ungeduldig auf einem Hocker vor der Küchentheke, als Simon endlich an die Küchentür klopfte. Sie sprang zu Boden, rannte zur Tür und öffnete sie voller Elan. Und da stand er nun vor ihr in seinen abgeschnittenen Jeans, einem Sweatshirt und Turnschuhen; außerdem trug er wieder eines dieser Schweißbänder um den Kopf. »Ich dachte schon, du würdest nicht mehr kommen«, sagte sie.

»Ich sagte doch, daß ich dich abhole.«

Sie deutete auf die Uhr. »Du kommst mehr als eine Viertelstunde zu spät.«

Er überging ihre Bemerkung mit einem Achselzucken.

»Willst du nun mitfahren oder nicht?«

Sie mußte sich zusammenreißen, sonst hätte sie vor lauter Freude am liebsten lauthals gejubelt . . . und dann? Sie gab ihm keine Antwort, sondern ergriff wortlos ihren Picknickkorb und ging voraus zu der Angelausrüstung draußen im Schuppen. Sie konnte es kaum erwarten, ihren Freundinnen davon zu erzählen . . .

Nachdem sie mehrere Male von einem Alptraum – sie träumte von dem fremden Wagen und dessen gleißenden Scheinwerfern vom Abend zuvor – aus dem Schlaf gerissen worden war, stand Cat erst um halb zehn auf, und das auch nur, weil es an der Tür läutete. Rasch schlüpfte sie in ihre Shorts und ein T-Shirt und wollte öffnen. Aber Lucas war bereits an der Haustür, wo er sich auf einer Krücke aufstützte, während ihm ein Bote ein großes, blühendes Pflanzenarrangement mit bunten Kieselsteinen und winzigen Figuren überreichte.

Als er sie hinter sich hörte, drehte er sich um. »Morgen, Liebling«, sagte er und deutete auf ihren Geldbeutel auf der Küchentheke. »Würdest du mir bitte mal ein paar Scheine rübergeben?«

Sie holte das Trinkgeld für den Boten heraus und gab es ihm. Dann nahm sie Lucas den Topf mit den Pflanzen ab und trug ihn zum Eßzimmertisch hinüber.

»Das ist ein sogenannter europäischer Garten, Lucas. Ist der nicht prachtvoll?«

»Diese Mühe hättest du dir wirklich nicht zu machen brauchen. Du weißt doch, daß ich mir nicht so viel aus –«

»Aber das ist doch nicht von mir«, erwiderte sie in der Annahme, daß Jack und Linda die Pflanze geschickt hätten. Wer sonst konnte denn schon von dem Vorfall wissen? Lucas hatte keine nennenswerte Verwandtschaft mehr, und sie hatte keine Notwendigkeit darin gesehen, ihre Mutter oder andere Verwandte in New Hampshire mit ihrer Geschichte zu ängstigen. Sie pflückte die kleine Karte von der Pflanze und hielt sie Lucas hin.

»Nein«, sagte er mit barscher Stimme. »Lies du mir vor.«

Cat nahm die Karte aus dem Umschlag. »›Gute Besserung‹, steht darauf. Unterschrift: ›Die Jungs‹.«

»Die Jungs in der Arbeit wissen davon? Was hast du getan, Cat, ein Rundschreiben an alle rausgeschickt?«

»Nun, Jack mußte ich es wenigstens sagen . . .« Sie hatte jedoch nicht daran gedacht, Jack zu bitten, den anderen gegenüber den Vorfall nicht zu erwähnen. Sie hatte nicht gewußt, daß es für Lucas ein Problem darstellen würde. Aber offensichtlich was das so.

Haley dirigierte Simon an einen Platz in der Nähe von Mirra’s Island, eine winzige Insel, die ungefähr zwei Meilen vor der Küste lag. Es war ein guter Platz zum Fischen; manchmal waren die Makrelen so reichlich und so hungrig, daß sie fast von selbst an den Haken sprangen. Na ja, mit eigenen Augen hatte sie das zwar noch nicht gesehen, aber Daddy erzählte es immer wieder. Heute jedenfalls ließen die Fische auf sich warten – um elf Uhr hatte weder bei Simon noch bei ihr einer angebissen.

Ein warme Brise kräuselte das Wasser, aber die Sonne brannte heiß und stark vom Himmel; den ganzen Vormittag über hätte Haley am liebsten ihr Sweatshirt ausgezogen, hatte aber bisher noch nicht den Mut dazu aufgebracht. Sie war doch wirklich eine dumme Kuh – zu Hause am Swimmingpool stolzierte sie schließlich auch im Bikini vor Dutzenden von Jungen herum, ohne deswegen gleich rot zu werden! Aber mit Simon war das irgendwie anders. Nicht, daß sie sich deswegen Gedanken hätte machen müssen, im Gegenteil, seit sie ausgelaufen waren, hatte er sie noch nicht ein einziges Mal richtig angesehen. Als sie vorhin versucht hatte, etwas Small talk zu machen, hatte er ihr sogar mit der Bemerkung das Wort abgeschnitten, daß sie mit ihrem Geplapper nur die Fische vertreiben würde.

So war sie sehr überrascht, als er sich nun zu ihr umdrehte, auf den Picknickkorb deutete und fragte: »Was hast du denn da mitgebracht?«

»Was zu essen«, erwiderte sie so kühl wie möglich und beschloß, von nun an ebenso cool und desinteressiert zu tun wie er.

Er grinste. »Es ist dir wirklich schwer gefallen, die ganze Zeit über so wenig zu sagen, habe ich recht?«

Sie gab ihm keine Antwort – das war genau die Art von demütigender Frage, die keine Antwort verdiente.

»Siehst du? Aber ich möchte wetten, je mehr du üben würdest, desto besser würdest du darin werden, deinen Mund zu halten.«

»Vielleicht will ich ja gar nicht besser darin werden.«

Er zuckte die Schultern. »Du willst doch, daß die Jungs dich mögen, oder nicht?« Klar wollte sie das, aber sie haßte die Art, mit der er versuchte, sie dazu zu bringen, daß sie sich wie ein kleines Kind fühlte. Er deutete hinüber auf die Insel.

»Warst du schon mal drüben?«

»Nein, nie.«

»Willst du rüber? Wir könnten vielleicht dort unser Picknick machen, was meinst du?«

Obwohl ihr sein Benehmen immer noch gewaltig gegen den Strich ging, erschien ihr die Idee gar nicht so übel. Im Gegenteil, verlockend, geradezu romantisch. Sie fragte sich, wie lange er wohl schon überlegte, sie dort hinüber zu lotsen. Wer weiß, vielleicht hatte er die ganze Zeit über daran gedacht. Vielleicht hatte er die ganze Nacht lang wach gelegen und nicht schlafen können. Na klar, Haley, träum schön weiter. Sie mußte trotzdem grinsen, und mit einem wesentlich besseren Gefühl als zuvor begann sie den Anker zu lichten.

Während Lucas sich auf der Veranda sonnte, bereitete Cat ein paar Sandwiches zum Mittagessen vor. Als das Telefon läutete, nahm sie ab. Es war Linda, und die beiden unterhielten sich erst einmal angeregt eine halbe Stunde, ehe Jack an den Apparat kam. »Cat, wie geht es Lucas?«

»Hallo, Jack, ganz gut soweit. Er ist noch immer etwas gereizt, aber das habe ich bereits Linda erzählt. Wahrscheinlich sind wir das beide.«

»Das war zu erwarten. Die Praxen der Psychologen sind doch voll mit Leuten, die ähnlich traumatische Erfahrungen hinter sich haben. Ihr müßt nur geduldig sein. Hat sich eigentlich schon etwas ergeben, was diese beiden Männer angeht?«

»Bis jetzt haben wir noch nichts gehört, und deswegen nehme ich an, daß es auch nichts Neues gibt.«

»Aha. Hör mal, ist Lucas zufällig in der Nähe? Ich würde ihm gerne hallo sagen.«

»Warte, ich sage ihm, daß er auf der Veranda abnehmen soll.« Sie wollte bereits den Hörer beiseite legen, aber dann fiel ihr wieder Lucas’ beleidigte Bemerkung von vorhin ein, und sie fügte noch rasch hinzu: »Tu mir doch bitte einen Gefallen, Jack. Sprich bitte nicht diese Pflanzen an, die eure Angestellten ihm geschickt haben.«

»Wird mir nicht schwerfallen, ich wußte ja nicht einmal, daß sie euch etwas geschickt haben. Wieso, wo liegt das Problem?«

»Es gibt kein Problem, mit der Pflanze ist alles in Ordnung. Es ist Lucas. Es stört ihn, wenn die Leute wissen, was ihm zugestoßen ist.«

»Er hat wohl Angst, zu zeigen, daß auch er nicht unbesiegbar ist, unser Lucas, schon klar. Wahrscheinlich hätte ich besser meinen Mund halten sollen, aber ich habe mich richtig aufgeregt, als du mich deswegen angerufen hast. Greg Fielding ist es natürlich aufgefallen, wie durcheinander ich danach war, und er hat mich gefragt, was denn los sei. Ich habe nicht daran gedacht –«

»Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen, Jack. Aber jetzt weißt du wenigstens, wie schwer Lucas diese Sache getroffen hat. Warte, ich gebe ihn dir.«

Als sie ein paar Minuten später den Imbiß auf die Veranda hinausbrachte, hatte Lucas das Gespräch bereits beendet. Sie stellte die Teller mit den mit kaltem Huhn belegten Sandwiches und die Gläser mit Eistee auf den Tisch und setzte sich. »Und, was hat Jack so alles erzählt?«

»Nicht viel. Im Geschäft ist soweit alles in Ordnung.«

Da gab es etwas, das ihr wirklich immer seltsam erschienen war – denn ganz gleich, wie nahe Männer sich auch stehen mochten, abgesehen von Gesprächen über ihren Beruf, über Sport oder irgendwelche technischen Dinge, schienen sie sich nur wenig zu sagen zu haben. Nicht so wie Frauen, die immer ein Thema fanden, über das sie endlos reden konnten. Cat biß von ihrem Sandwich ab, und dabei fiel ihr der Wortwechsel mit Zack vom Tag zuvor wieder ein. »Lucas, ich denke, du solltest mit Zack einmal ein ernsthaftes Gespräch über Sex führen.«

»So, und warum?«

»Weil sein einziges Wissen darüber nur aus irgendwelchen Bemerkungen anderer Kinder besteht. Es wird Zeit, daß endlich mal ein Erwachsener mit ihm darüber redet, und ich halte es für angebracht, wenn dieser Jemand sein Vater ist. Meinst du nicht auch?«

Er stimmte ihr zu . . . wenn auch nur zögernd. »Was soll ich ihm denn deiner Meinung nach sagen?«

»Das überlasse ich ganz dir.«

»Wo ist er eigentlich?«

»Er hat sich mit einem Jungen getroffen – Andy Canter. Offensichtlich haben die Lansings ihr Haus heuer vermietet.« Die Lansings waren ihr nächsten Nachbarn, und es war das erste Mal, daß sich den Sommer über auch andere Kinder in unmittelbarer Nähe ihres Strandhauses aufhielten, was sie für Zack sehr freute. »Soviel ich weiß«, fuhr sie fort, »haben sich die Jungen etwas zum Essen mit hinaus auf die Mole genommen.«

Lucas runzelte die Stirn. »Meinst du nicht, du solltest ihn etwas besser im Auge behalten?«

»Wieso, was ist los?«

»Er muß ja bereits in aller Herrgottsfrüh wach, fix und fertig angezogen und aus dem Haus gewesen sein. Er kam nämlich gerade wieder von den Klippen zurück, als ich um sieben Uhr auf die Veranda hinaus bin. Keine Ahnung übrigens, was er an diesem schrecklichen Ort so toll findet.«

»Jetzt komm aber, Lucas, kannst du dich denn nicht mehr daran erinnern, wie du als kleiner Junge warst? Bestimmt bist du auch gerne auf Entdeckungsjagd gegangen.«

»Weiß ich nicht mehr, so weit kann ich mich nicht zurückerinnern.«

Er sagte das so schelmisch, daß sie lachen mußte. Sie stand auf und kniete sich vor ihn hin. »So? Also ich kann mich schon noch erinnern.« Mit geschickten Fingern knöpfte sie seine Shorts auf, schob langsam ihre Hand hinein und streichelte ihn. »Außerdem hätte ich nichts dagegen, jetzt ein wenig auf Entdeckungsreise zu gehen.«

Er seufzte, und sein Penis wurde hart in ihrer Hand, was wiederum ihre Erregung steigerte. »Gott, Cat, hier draußen?« Als Antwort ließ sie ihre Zungenspitze über seine Lippen gleiten. Er stöhnte, und dann war es ihm plötzlich egal, wo sie waren; mit beiden Händen umfaßte er ihr Gesicht und drückte es zu sich hinunter. Doch genauso schnell wie sie gekommen war, war es auch schon wieder vorbei mit seiner Erektion.

Sie wollte es zwar noch mal versuchen, aber er ließ es nicht zu. Statt dessen beendete er abrupt ihre Bemühungen, knöpfte seine Hose wieder zu, stand auf und griff nach einer seiner Krücken, die am Geländer lehnte.

»Tut mir leid, Cat, ich bin zu müde, schätze ich. Himmel, schließlich bin ich schon vor sieben aufgestanden . . . sogar der Arzt hat zu mir gesagt, daß ich mir genug Ruhe gönnen soll. Aber was bist du eigentlich für ein wollüstiges Weib, daß du einen Mann in meinem Zustand verführen willst?«

Es war ein lahmer Scherz, und keiner von beiden lachte darüber. Schon wieder war es diesen Mistkerlen gelungen, sich in ihr Leben zu drängen; sie mußte Lucas nicht erst fragen, um zu wissen, was seine Erregung hatte schrumpfen lassen.

Sie gingen mit dem Boot ein Stück vom Ufer entfernt vor Anker, und Simon vertäute es an einem Felsen, der in der Nähe aus dem Wasser ragte. Als Haley aus dem Boot stieg, reichte ihr das Wasser fast bis zur Taille. Sie trug den Krug, Simon den Picknickkorb, und gemeinsam wateten sie ans Ufer.

Nachdem sie ihre Last abgestellt hatten, sah Haley sich an, wo sie gelandet waren; die Insel war klein und vollkommen unberührt, der Sand warm und weich wie Seide. Aber irgendwie machte es sie verlegen und schüchtern, so ganz allein mit Simon hier zu sein. Vielleicht ging es ihm ja ebenso, da er auch nicht viel sagte.

»Oh, weißt du, was? Ich habe ganz vergessen, eine Decke mitzunehmen«, sagte sie, das Schweigen brechend.

»Macht doch nichts.« Simon ließ sich in den Sand fallen, schloß die Augen und streckte seine Gesicht der Sonne entgegen. Gott, sieht der gut aus, dachte sie, und folgte mit den Augen den Linien seines starken Kinns und der ausgeprägten Kieferpartie. Aber in dem Moment drehte er sich zu ihr um und bemerkte ihren Blick; hastig zog sie den Korb mit dem Proviant zu sich heran und machte sich darin zu schaffen. »Ich habe nur schnell ein paar Kleinigkeiten hineingeworfen –«, setzte sie an, aber er legte seine Hand auf die ihre und stoppte sie.

»Halt, warte«, sagte er. »Das hat doch keine Eile. Oder doch?«

»Nein, natürlich nicht.«

Er hob sein Sweatshirt ein Stück in die Höhe; darunter trug er eine Gürteltasche, deren Reißverschluß er öffnete und der er einen durchsichtigen Beutel entnahm, in dem ein paar zigarettenähnliche Stäbchen und andere Utensilien waren.

»Was ist das?« fragte sie.

»Schon mal Gras gesehen?«

Sie schüttelte den Kopf. Sie wußte zwar alles über Marihuana, hatte es aber noch nie mit eigenen Augen gesehen. An ihrer Junior-High-School wagte keiner, auf dem Schulgelände irgendwelche Drogen zu nehmen. Zwei Jahre zuvor war ein Junge vom Unterricht suspendiert worden, weil er Gras bei sich hatte; obwohl die Eltern sofort beim Schulausschuß dagegen Beschwerde einlegten und auch gewannen, versäumte der Junge drei ganze Monate Unterricht und mußte die achte Klasse wiederholen.

Klar gab es Kids, von denen sie wußte, daß sie Marihuana rauchten, aber die waren nicht an ihrer Schule und gehörten auch nicht zu ihrem Freundeskreis. Nächstes Jahr an der richtigen High-School würde natürlich alles anders werden – das sagte ihr jeder.

»Keine Angst, das beißt dich schon nicht«, sagte Simon und lachte.

»Ich habe auch keine Angst.« Sie schaute sich die Sache etwas näher an. »Es sieht aus wie Heu«, meinte sie. »Was sind das für Fasern?«

»Knospen.« Er fuhr mit der Hand in den Beutel, holte ein paar Stengel und Blätter heraus, schüttelte sie und brach mit den Fingern die Knospen auf. Dann legte er den Kopf schief, kniff die Augen zusammen und sah sie scharf an. »Hallo, das ist doch kein Problem für dich, oder?«

»Nein, selbstverständlich nicht«, erwiderte sie. Schließlich war er bereits neunzehn Jahre alt und nicht irgendein kleiner Junge von der High-School, der von der Schule fliegen konnte, wenn man ihn dabei erwischte. Schließlich war er sogar schon auf dem College gewesen! Er konnte tun und lassen, wozu er Lust hatte, und mußte niemanden um Erlaubnis bitten. Am allerwenigsten sie.

»Gut. Ich war nämlich eine Sekunde lang unsicher. Als ich dich das erste Mal sah, war mir nämlich nicht klar, daß du noch so jung bist. Aber da habe ich mich getäuscht. Ist auch gar nicht so einfach heutzutage, da viele Mädchen älter aussehen und sich auch erwachsener benehmen, als sie sind.«

»Ich werde vierzehn im Oktober«, beeilte sie sich zu sagen, obwohl er sie gar nicht danach gefragte hatte.

»Tatsächlich? Wenn ich hätte raten sollen, hätte ich dich auf sechzehn, bestimmt aber auf fünfzehn geschätzt.«

Viele ihrer Freunde hatten ihr schon gesagt, daß sie älter aussah, einen richtig erfahrenen Eindruck machte. Einmal hatte sogar einer von der Junior-High-School versucht, sie vor dem Kino anzumachen. Sie war überzeugt, daß das nur an ihrem langen Hals lag; so ein langer Schwanenhals war schon ziemlich elegant. Aber sie hatte diesen Jungen selbstverständlich links liegenlassen, obwohl es durchaus ein gutes Gefühl war, so begehrt zu sein. Im Moment hatte sie auch ein ganz gutes Gefühl, kein Wunder, bei einem Jungen wie Simon. Sie wollte ihm eine passende Antwort geben, aber welche? Danke?

Sie beobachtete ihn, wie er ein dünnes weißes Papierchen herausnahm, es am unteren Ende wie eine Tüte einknickte und dann etwas von dem grünlichen Tabakzeug hineinbröselte. Er schüttelte den Inhalt, verteilte ihn regelmäßig und rollte das Papierchen zusammen. Schließlich glitt er mit der Zunge am Rand des Papierchens entlang, um es zu verschließen, und steckte zum Schluß noch mal beide Enden der Zigarette in den Mund, um sie anzufeuchten.

»Geil. Wieso machst du das?«

»Damit der Joint nicht auseinanderfällt.«

»Aha.« Sie war eine Weile still, ehe sie sagte: »Meine Familie ist absolut dagegen, daß man Drogen nimmt.«

»Gras ist doch keine große Sache – das heißt natürlich nur, wenn man alt genug ist und weiß, was man tut. Die meisten Kids sind das natürlich nicht, jedenfalls nicht die, die ich kenne. Man muß eben damit umgehen können und es nicht mißbrauchen. Hier, schau her.« Er steckte sich den Joint in den Mund, sog den Rauch ein, behielt ihn eine Weile in der Lunge und stieß ihn wieder aus. Er hatte einen merkwürdig süßlichen Geruch. »Du weißt doch, wie man inhaliert? Wie man den Rauch in die Lunge zieht, Haley?« fragte er, nachdem sie ihm eine Weile dabei zugesehen hatte.

»Keine Ahnung, ich habe es noch nicht ausprobiert.«

»Nicht einmal eine Zigarette?« Sie schüttelte den Kopf und hoffte, daß er sich nicht über sie lustig machen würde, was er auch nicht tat. »Hier, versuch’s mal«, sagte er statt dessen und reichte ihr den Joint.

»Nein, lieber nicht«, erwiderte sie.

»Ein Zug wird dich schon nicht umbringen. Schau mich an, mach ich vielleicht einen toten Eindruck auf dich?« Er ließ sich mit dramatischer Geste rückwärts in den Sand fallen, Arme und Beine gespreizt. Das lockerte die Stimmung merklich auf und brachte sie beide zum Lachen. Schließlich richtete er sich wieder auf. »Hallo, tut mir leid. Ich wollte dir keine Angst einjagen.«

»Wer sagt denn, daß ich Angst habe?«

»Na ja, wie auch immer. Das Kiffen soll auf jeden Fall Spaß machen und keinen Streß. Außerdem mag ich dich, Haley, ich will nicht, daß du dich in meiner Gegenwart unwohl fühlst.«

»Tue ich auch nicht«, sagte sie, obwohl das nicht ganz ehrlich war. Und ein wenig in Versuchung geführt hatte er sie auch – zumindest, es mal auszuprobieren. Aber sie mußte dauernd an ihre Eltern denken. Und so wich sie seinem Blick aus und tat so, als sei sie intensivst in die Betrachtung der Landschaft vertieft, doch irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und drehte sich wieder zu ihm um. »Wenn meine Eltern das jemals herausfinden –«

»Keine Panik«, sagte er und legte seine Hand auf ihren Arm. »Ich habe nicht die Absicht, es ihnen zu erzählen. Du vielleicht?«

Sie klopfte sich auf ihre Brust. »Ich . . . ich soll es ihnen sagen? Willst du mich veralbern?«

Sie fingen beide gleichzeitig zu lachen an, und er reichte ihr den Joint. Sie bemühte sich, nachzumachen, was sie bei ihm gesehen hatte, schaffte es aber nicht, den Rauch zu inhalieren. Sie probierte es noch einmal . . . und dann noch einmal. Schließlich nahm er ihr den Joint wieder aus der Hand. »Du mußt lockerer werden, du bist viel zu angespannt. Bist du schon mal mit einem Stethoskop untersucht worden?«

»Klar«, antwortete sie, obwohl sie keine Ahnung hatte, was er damit meinte. Ihr Interesse galt einzig und allein seiner zum Niederknien tiefen und heiseren Stimme, und sie schaute ihm ganz tief in seine unglaublich blauen Augen. Aber er blieb weiterhin völlig neutral.

»Okay, gut«, fuhr er fort und griff nach einer Muschelschale, die neben ihm im Sand lag. »Du sollst dir jetzt vorstellen, daß das hier ein Stethoskop ist, okay? Ich werde dir den Joint an den Mund halten, und wenn ich die Schale an deine Brust drücke, dann holst du ganz tief Luft.«

In Simons Bann

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