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3. KAPITEL

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Obwohl Andys Anwalt die Wünsche des Jungen klar herausstellte, schien sein emotionsloser Vortrag doch nur wenig Eindruck auf Greenspon gemacht zu haben. Als O'Malley sich wieder setzte, stand Maggie auf und hoffte, daß die eiligen Arrangements, die sie an diesem Morgen getroffen hatte, nicht umsonst gewesen seien.

»Herr Vorsitzender, ich möchte bezüglich meines Mandanten eine Anregung geben«, sagte sie.

Greenspon seufzte hörbar auf. »Ja, was gibt es denn, Frau Rechtsanwältin?«

»Obwohl es im allgemeinen besser ist, Kinder vom Gerichtssaal fernzuhalten, bin ich der Meinung, daß es in diesem Fall für Sie nützlich wäre, direkt mit dem Kind, mit Andrew Chandler, zu sprechen.«

Sondras Anwalt, Clyde Wentworth, sprang sofort auf.

»Ich erhebe Einspruch, Hohes Gericht. Das hier ist kein Platz für ein Kind.«

»Kommen Sie zur Bank«, sagte der Richter, und die beiden Anwälte traten vor.

»Wenn Sie mich bitte anhören wollen …«, sagte Maggie.

»Reden Sie. Aber machen Sie es kurz.«

»Obwohl Andy erst neun Jahre alt ist, ist er ein kluger, reifer Neunjähriger, ein Junge, der sich über seine eigenen Gefühle durchaus im klaren ist. Er selbst hat sogar den Wunsch geäußert, vor Gericht zu erscheinen. Ich schlage Ihnen deshalb vor, sich doch unter vier Augen und hinter verschlossenen Türen mit ihm zu unterhalten.«

»Der Junge ist in der Schule, Euer Ehren«, sagte Wentworth. »Es würde nicht nur eine gewisse Zeit dauern, ihn hierherzubringen, seine Mutter ist auch noch strikt dagegen, daß er den Unterricht versäumt.«

Der Richter schaute auf die Uhr, dann wieder zu Maggie. »Frau Anwältin, ich habe nicht die Absicht, diese Verhandlung hinauszuzögern. Trotz Ihrer ständigen Bemühungen, dieses Verfahren in die Länge zu ziehen, werden wir diese Angelegenheit heute termingerecht zu Ende bringen.«

»Euer Ehren, ich habe bereits für eine Transportmöglichkeit gesorgt, die vor der Schule wartet, und der psychologische Betreuer der Schule ist bereits über eine solche Eventualität informiert. Ein Anruf, und Andy kann in einer halben Stunde hiersein. Und was das Unterrichtsversäumnis angeht, der Junge hat momentan Sportunterricht, und die beiden nächsten Stunden sind Musik und Kunst. Ich glaube doch wohl nicht, daß die Folgen eines eventuellen Versäumnisses des Musik- und Kunstunterrichtes mit der Entscheidung zu vergleichen sind, die heute über seine Zukunft getroffen wird.«

»Aha … offensichtlich sind Sie also keine große Kunstliebhaberin, Frau Anwältin.« Wentworth lachte über den schwachen Scherz des Richters, aber Maggie konnte nur mit Mühe den Schein wahren. »Wie auch immer, Frau Anwältin«, sagte Greenspon wieder im selben strengen Tonfall wie zuvor, »eine Unterhaltung mit dem Jungen ist völlig unnötig. Ich habe nicht nur den Bericht der Jugendamtsvertreterin hier vor mir liegen, sondern bin auch noch weitschweifig vom Anwalt des Jungen informiert worden.«

»Aber wenn Sie den Sachverhalt direkt aus dem Mund des Jungen hören, können Sie sich ein weitaus besseres Bild von dieser einmaligen familiären Situation machen.«

»Rechtsanwältin Grant, seit zwei Tagen höre ich mir jetzt Ihr ununterbrochenes Gejammer und Gezeter an. Ich bin ein sehr geduldiger Mensch, aber nicht Sie sind für diese Verhandlung verantwortlich, sondern ich bin es nun mal. Vielleicht sollten Sie sich darüber im klaren sein, wenn Sie das nächste Mal vor meine Richterbank treten. Dieser Fall hier wird nach sorgfältiger Überlegung und nicht auf rein emotionaler Basis entschieden werden, so, wie Sie es gerne hätten. Ersparen Sie mir also bitte Ihre effekthascherischen Auftritte in letzter Minute.«

Maggie konnte fühlen, wie ihr die Wut heiß ins Gesicht stieg.

»Gut, wenn wir damit also fertig wären«, sagte er und schaute erneut auf die Uhr. Dann wandte er sich wieder an sie und Wentworth. »Es ist jetzt elf Uhr. Die Verhandlung wird unterbrochen. Seien Sie bitte um zwei Uhr wieder hier, dann werde ich Ihnen meine Entscheidung mitteilen.«

Maggie eilte an ihren Tisch zurück, und es fiel ihr entsetzlich schwer, sich den Schmerz auf Frank Chandlers Gesicht ansehen zu müssen. Es geschah schon selten genug, daß ein Sorgerechtsfall innerhalb einer Woche entschieden wurde, geschweige denn in drei Stunden. Und die dreistündige Unterbrechung bedeutete nicht mehr, als daß Greenspon in dieser Zeit in aller Ruhe zu Mittag essen oder ein Nickerchen im Richterzimmer machen würde. Ganz offensichtlich hatte der Mistkerl die Entscheidung bereits getroffen, bevor er an diesem Morgen seinen Richtersitz eingenommen hatte.

Als Daisey an diesem Morgen zur Arbeit gekommen war, hatte sie Liz auf der Stelle von Benny, dem Mann, den sie am Abend zuvor kennengelernt hatte, erzählt. Liz, eine mollige junge Frau mit langem, strähnigem Haar und Brille, die normalerweise überschwenglich auf die bloße Erwähnung eines Mannes reagierte, zeigte nur wenig Begeisterung über Daiseys Glück.

»Das ist keine gute Idee, sich mit einem geschiedenen Mann einzulassen. Du kennst doch den Spruch, daß man sich damit nur den Ärger anderer einhandelt.«

»Es ist mir egal, was man sagt. Tatsache ist, daß Benny ein wunderbarer Mensch ist. Das konnte ich bereits nach unserer kurzen Unterhaltung sehen. Ich meine, es ist doch ganz klar, so, wie er über sein Kind spricht.«

»Genau das hat dir noch gefehlt – ein Mann, der Probleme mit seiner Exfrau hat.«

»Nun, ich weiß natürlich nicht mit Sicherheit, ob das stimmt. Aber wenn ich mir vorstelle, daß sein Sohn Angst vor ihm haben soll, dann fällt mir automatisch ein, daß das an der Mutter liegen muß.«

»Ich hoffe, du wirst nicht gleich mit ihm ins Bett hüpfen.« Daisey sah sie an. »Warum bist du nur so verdammt kritisch?«

»Ich sage doch nur, daß du dich hoffentlich nicht mit ihm einlassen wirst, bevor du nicht weißt, wer er ist. Das ist alles, was ich sage. Und warum reagierst du so abwehrend, Daisey? Himmel, du kennst den Mann doch kaum.«

Wann immer es in der Arbeit eine Pause gab, eilte Benny in den vierten Stock, in die Kinderabteilung. Er brachte die Kinder gern zum Lachen, alle … aber am liebsten Charlie. Der siebenjährige Charlie Rosetti war ein Straßenkind, so, wie Benny eines gewesen war. Von seinen neun Schwestern und Brüdern – die beengt in einer Fünfzimmerwohnung in einem heruntergekommenen Block in Chelsea hausten – war Charlie der große Pechvogel, der, der sterben würde.

Niemand hatte Benny das gesagt. Nie wurden einem Krankenpfleger solche Dinge anvertraut, aber er konnte sich selbst davon überzeugen: Charlies Ausflüge nach Hause wurden immer weniger, und seine straff gespannte Haut wurde grau und übelriechend wie bei den Leichen, die Benny jeden Morgen in die Leichenhalle hinunterfuhr.

Als die Oberschwester ihren Kopf in das Sechsbettzimmer steckte, war Benny gerade dabei, die verschiedensten Tierstimmen nachzumachen, doch während die restlichen fünf Patienten vor Entzücken quietschten, konnte er Charlie nicht einmal ein Lächeln entlocken.

»Benny«, rief die Schwester, »tut mir leid, euren Spaß unterbrechen zu müssen, aber du wirst in der Notaufnahme gesucht – ein Exitus, Herzstillstand.«

»Geh nicht weg«, sagte Charlie plötzlich und packte Bennys Arm.

»Ich muß, sie rufen mich, und ich muß gehen. Das weißt du doch.«

»Kommst du zurück?«

»Klar komme ich wieder … tue ich das nicht immer?« Benny schob die Rollbahre zum Fahrstuhl. Vielleicht würde er nach dem Mittagessen wieder hochkommen und Charlie eine Tüte mit Doritoes bringen können; das Kind mochte zur Zeit kein Essen, aber es mochte diese besonderen Chips.

Benny dachte wieder an die Verhandlung des heutigen Tages zurück. Er war sofort, nachdem Greenspon unterbrochen hatte, gegangen und hatte nicht einmal mehr das Urteil abgewartet. Warum sich die Mühe machen, wo er es doch bereits wußte? Die Mutter würde das Sorgerecht bekommen, den Vater würde man mit Brosamen abspeisen … und die würden immer weniger werden. So langsam, daß Frank vielleicht nicht einmal bemerken würde, daß das der Fall war. Und das Kind … ja, das war das schlimmste von allem, das Kind. Es würde bei lebendigem Leib aufgefressen werden. So wie der kleine Charlie da oben.

Greenspon sprach die Scheidung aus, übertrug das alleinige Sorgerecht Sondra Chandler und gestand Frank jedes zweite Wochenende (Samstag morgen bis Sonntag nachmittag vier Uhr), den Vatertag, Franks Geburtstag und zwei Wochen während der Sommerferien zu und legte ihm eine Zahlung von dreitausendzweihundert Dollar monatlich für das Kind auf.

»Ziemlich schäbig, aber ich nehme an, das ist momentan die übliche Regelung«, sagte Frank bei einer Tasse Kaffee in Maggies Büro, das zwei Blocks vom Gericht entfernt war.

»Eigentlich übersteigt sie sogar Greenspons Norm; ich habe schon erlebt, daß er grundlos Übernachtbesuche verweigert hat. Deswegen wird es Ihnen wahrscheinlich nicht bessergehen, aber ich bin überzeugt, daß er seine Regelung für ziemlich großzügig hält.«

»Großzügig, daß ich mein Kind zweimal im Monat sehen darf?«

»Viele Richter, die bei solchen Fällen den Vorsitz haben, halten einen Vater schon dann für engagiert, wenn er sein Kind ab und zu mal am Samstagnachmittag ins Sportstadion führt. Einen wirklich engagierten Vater wie Sie erkennen sie nicht an, und die Einstellung, die dahintersteckt, ist ihnen erst recht fremd. Und Greenspon ist schlimmer als die meisten.«

»Dann war es ein Fehler, vor diesem Kerl zu verhandeln.« Maggie nickte. »Ja, meiner.«

»Kommen Sie, gönnen Sie sich mal eine Pause. Schließlich waren es nicht Sie, die Campbell außer Gefecht gesetzt hat.«

»Ich hätte versuchen können, die Sache zu verschieben. Ich weiß nicht, ob es mir gelungen wäre, aber ich hätte es versuchen sollen.«

Ein paar Minuten herrschte Schweigen. »Wir haben ein Rechtsmittel in der Hand, Frank«, sagte Maggie. »Eines, das Erfolg haben und eine Wiederaufnahme in Gang setzen dürfte. Doch grundsätzlich ist zu sagen, daß eine echte Chance besteht, eine großzügigere Umgangsregelung herauszuholen, vorausgesetzt, wir bekommen einen anderen Richter; ich kann aber nicht sagen, ob ein erneutes Verfahren uns das Sorgerecht einbringen wird – besonders bei dem bereits vorliegenden Urteil –, es sei denn, wir können Sondra gegenüber stärkere Geschütze auffahren.« Maggie schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, Egoismus, materialistische Einstellung und Gefühlskälte allein scheinen die meisten dieser Richter nicht sehr zu beeindrucken. Der Grund ist der, daß sie diese Eigenschaften allen Frauen als Makel zuschreiben.«

»Warum begünstigen sie sie dann?«

»Weil sie Mütter sind. Und in diesem System ist Mutterschaft immer noch ein geheiligtes Wort.«

Wegen einer kurzen Geschäftsreise, die Frank unternehmen mußte und die sich eventuell bis zum folgenden Wochenende hinziehen konnte, bat er Maggie, es so zu arrangieren, daß sein ihm zustehendes Wochenende mit seinem Sohn sofort stattfinden konnte. Kurz danach verließ er die Kanzlei; er wollte über eine Berufung nachdenken und sie dann seine Entscheidung wissen lassen. Im Augenblick konnte er nur daran denken, wie er die Sache seinem Sohn erklären sollte. Wie sollte man einem Neunjährigen erklären, daß irgend so ein Fremder, der in einem majestätischen Sessel in einem Gerichtssaal sitzt, die Macht hatte, seinen Vater, der ihn sein ganzes Leben geliebt und umsorgt hatte, einfach so zu verbannen?

Maggie schlang sich ihre Tasche um die Schulter und verließ die Kanzlei im siebten Stock, die sie sich mit vier anderen Anwälten teilte. Sie würde früh nach Hause fahren, den Babysitter heimschicken und Richie damit überraschen. Maggie sang keinesfalls ein Hohelied auf alle Väter, aber der hier schien ihr der Mühe wert zu sein. Und Greenspons Urteil stank zum Himmel.

Später an diesem Abend trafen sich Benny und Daisey bei Bennigans; statt sich an die Theke zu setzen, nahmen sie einen Tisch in der Ecke. Und es dauerte nicht lange, bis Benny anfing, seine Geschichte vor ihr auszubreiten. Daisey saß da, hörte ihm aufmerksam zu und schüttelte dann den Kopf.

»Das ist ja schrecklich, Benny. Vielleicht sollten Sie versuchen, Adam wiederzusehen.«

»Ich habe es einmal auf dem Schulhof versucht. Einmal in der Woche gehe ich dorthin, um wenigstens zu sehen, wie es ihm geht. Nun, dieses eine Mal ging ich bis zum Zaun und rief seinen Namen.«

»Wie hat er reagiert?«

»Er ist davongelaufen, als dachte er, ich würde ihm weh tun.«

»Vielleicht sollten Sie noch einmal den Versuch unternehmen, mit Claire darüber zu reden. Sagen Sie ihr, wie Sie sich fühlen.«

»Sie begreifen Frauen wie Claire nicht. Verstehen Sie nicht, das ist es doch genau, was sie will. Je weiter sich der Junge von mir entfernt, desto besser gefällt es ihr.«

»Aber warum, was haben Sie ihr angetan?«

Er zuckte mit den Achseln. »Es ist mehr das, was ich nicht getan habe – ich hatte nie einen großartigen Job, habe nie das große Geld verdient und mich selbst als starker Mann bewiesen. Das einzige, was ich ihren Eltern gezeigt habe, war, daß ich ein Versager bin.«

»Hören Sie auf damit. Sie sind kein Versager, Benny.«

»In ihren Augen war ich das. Ich bin nicht aufs College gegangen, ich habe nicht einmal die High School abgeschlossen.«

»Nun, das ist doch nicht alles.«

»Für diese Art von Menschen ist es das. Auf jeden Fall, sobald Claire mich losgeworden war, ist sie wieder in den Schoß ihrer Familie zurückgekehrt. Sie haben einen Haufen Geld, und Claire ist auf meine magere Unterstützung gar nicht angewiesen. Die wollen alle doch nur, daß ich verschwinde. Und ich glaube, irgendwie haben sie auch bekommen, was sie wollten.«

Daisey wünschte sich, sie könnte ihm etwas sagen, damit er sich besser fühlte, aber es gab nichts.

»Wo haben Sie sich denn kennengelernt?« fragte sie schließlich.

»Im Krankenhaus. Sie war im ersten Semester am College und mußte sich ihren Blinddarm rausnehmen lassen. Ich war derjenige, der sie in die Chirurgie gefahren hat.« Bei der Erinnerung schüttelte Benny den Kopf. »Himmel, hatte die eine Angst. Ich blieb in der Nähe, während sie darauf wartete, in den OP gebracht zu werden. Sie wissen schon, um sie aufzuheitern, damit sie sich besser fühlte. Nach der Operation besuchte ich sie dann öfter und brachte ihr alberne kleine Geschenke.«

»Ich möchte wetten, daß; sie sehr hübsch war.«

Benny nickte. »Damals dachte ich das … große blaue Augen und langes, sandfarbenes Haar. Aber man sieht den Menschen eben nicht immer an, wie sie innerlich sind.«

Ein paar Augenblicke war es still, dann fragte sie: »Lieben Sie sie immer noch?«

Benny nahm einen Schluck Bier und stellte dann das Glas auf das karierte Tischtuch.

»Ich hasse sie. Und das ist das Spaßige daran. Wenn ich jetzt an sie denke, dann sehe ich nur Häßlichkeit. Vermutlich weil ich deutlich sehen konnte, wie es in ihr aussieht.«

Daisey wurde rot, wußte aber nicht einmal, warum das geschah. Sie hoffte, Benny würde sehen können, wie es in ihr aussah.

»Wollen Sie eigentlich wieder zu ihr zurück? Sie wissen schon, um sie dafür zu bestrafen, daß sie Adam gegen Sie aufgehetzt hat?«

»Ich würde sie umbringen, wenn ich könnte.«

»Das meinen Sie doch nicht so.«

»Doch, das tue ich. Glauben Sie ja nicht, ich hätte nicht schon x-mal darüber nachgedacht. Das einzige, was mich davon abhält, ist der Junge. Er haßt mich. Wenn ich jetzt seine Mutter umbringe, was wird dann aus ihm?«

Darüber nachzudenken war eine Sache, es zu tun eine andere, und Daisey glaubte nicht einen Augenblick daran, daß ein Mensch wie Benny fähig sein sollte, einem anderen weh zu tun. Es war der Schmerz, der aus ihm sprach, und das konnte sie verstehen. Als sie gegen ein Uhr nachts zusammen die Bar verließen und er sich zu ihr umwandte und fast schüchtern fragte: »Wollen Sie mit zu mir kommen? Das Zimmer ist zwar nicht schön, aber das Bett ist bequem«, da nickte sie.

Und es war wirklich nicht schön – zumindest das Zimmer nicht. Aber mehr als einen Mann wie Benny hätte sie sich nie erträumen können: Er sah gut aus, war freundlich und hatte große, sanfte Hände, die ihre Verkrampfung wegstreichelten. Als sie zu zittern begann, da hielt er sie einfach fest und liebkoste sie, und erst als sie dazu bereit war, ging er einen Schritt weiter. Er sagte kein Wort, aber Daisey war sich sicher, daß er inzwischen bemerkt hatte, daß sie eine vierundzwanzigjährige Jungfrau war.

Benny lag noch stundenlang wach, nachdem Daisey eingeschlafen war. Daisey hatte die Gewohnheit, ihre Decke wegzustrampeln, und Benny konnte dann jedesmal ihren Körper ein paar Minuten betrachten, bevor er sie wieder zudeckte. Sie war so mager und zerbrechlich, daß er fast Angst gehabt hatte, sie zu fest zu umarmen. Aber sie schien es gewollt zu haben – zumindest, nachdem sie ihre anfängliche Nervosität überwunden hatte. Und er hatte sich so wohl dabei gefühlt, daß er ganz verwundert war. Obwohl er seit seiner Scheidung gelegentlich mit Frauen ins Bett gegangen war, hatte er sich hinterher immer schmutzig gefühlt. Mit Daisey, die so kindlich und unschuldig war, war es etwas anderes gewesen. Er vermutete, daß das derselben Art von Beschützerinstinkt zuzuschreiben war, den er seiner Mutter gegenüber empfunden hatte.

Er stand auf und ging auf Zehenspitzen zum Fenster; er schlief nie mehr als zwei oder drei Stunden pro Nacht, aber das war kein Grund, sie wach zu halten. Er starrte nach draußen wie in hundert anderen Nächten auch. Heute nacht dachte er über Frank Chandler nach … konnte er schlafen, oder starrte er ebenfalls aus dem Fenster seines Schlafzimmers? He, Frank, wenn du irgendwo da draußen bist, dann hör mir genau zu. Es vergeht nicht … es wird höchstens immer schlimmer. Es verursacht dir so starke Schmerzen, daß du manchmal das Gefühl hast, eine Batterie von Vorschlaghämmern würde dir dein Gehirn herausmeißeln. Aber mach dir keine Sorgen, mein Freund, Benny ist hier und kümmert sich darum, daß alles wieder in Ordnung kommt.

Beiläufig kam Douglas an diesem Abend wieder auf den Mordfall Silvers zu sprechen.

»Das Seltsame daran ist, daß ich in einer abgelegten Akte auf einen ähnlichen Fall gestoßen bin. Es war einer jener Fälle, die leicht durch das Netz der polizeilichen Ermittlungen schlüpfen. Eine schwarze Frau aus West Roxbury ist vor drei Monaten erwürgt aufgefunden worden.«

»Besteht die Ähnlichkeit in der Todesursache durch Erwürgen?« fragte Maggie träge, deren Gedanken immer noch stark mit dem Chandler-Fall beschäftigt waren.

»Das ist mir zuerst aufgefallen, aber das ist es nicht allein. Die Frau hatte zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen von fünf und drei Jahren. Kurz zuvor hatte ihr Exmann wegen des Sorgerechts über die Kinder Klage eingereicht mit der Begründung, sie sei unfähig. Er warf ihr außerdem Prostitution vor. Aber er hat den Fall verloren. Unser eigener Richter Greenspon hatte den Vorsitz.«

»Du willst also sagen, daß der Exmann der Täter war?«

»Nein, im Gegenteil. Die Polizei hat sein Alibi zur fraglichen Zeit überprüft. Er war in dieser Woche in Atlanta und hat seine Familie besucht.«

»Was ist mit Beruhigungsmitteln?«

»Man hat keine Autopsie durchgeführt.«

Maggie zuckte mit den Achseln. »Wenn es eine Verbindung gibt, dann vielleicht die, daß es jemand auf alleinstehende Mütter abgesehen hat.«

»Das ist vermutlich eine Möglichkeit. Aber es ist ein ganz schöner Weg von Beacon Hill nach West Roxbury. Mit anderen Worten, zu viele Abweichungen, was den familiären Hintergrund betrifft. Die eine, eine reiche Angehörige der Oberschicht, die andere, eine Asoziale aus dem Ghetto.«

»Was willst du denn dann damit sagen?«

»Eigentlich nichts. Ich habe nur laut nachgedacht.«

Verlassene Väter

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