Читать книгу Fregatte in grüner Flusslandschaft - Günter Helmig - Страница 6
Rückenlage
ОглавлениеAls Georg Smolec eines Morgens aus unruhigem Schlaf erwachte, lag er nicht in seinem eigenen Bett. Er öffnete die Augen, sah über sich eine weiß getünchte Zimmerdecke, sonst nichts, und versuchte sich aufzurichten, was jedoch misslang. Auch den Kopf konnte er nicht heben. Als er die Stirn hochzog, tat es ihm weh. Etwas stimmte nicht. Die Beine waren gespreizt, er konnte sie nicht zusammenlegen. Was war mit ihm geschehen? Er träumte nicht.
Irgendetwas war in seinem Penis, er spürte einen Druck in der Blase, wollte seine Hand auf seinen Bauch legen und merkte, dass sein linker Arm und die Hand sich nicht bewegen ließen. Er testete die anderen Seite und war froh, dass er den rechten Arm etwas anheben konnte, aber kam nicht sehr weit, spürte etwas Hartes, das mit seinem Unterarm fest verbunden war. Es erschien ihm, als wenn regelmäßig eine Flüssigkeit in ihn hinein tropfte. Was war das nur?
Jemand näherte sich, beugte sich über ihn.
„Schön, dass Sie aufgewacht sind, Herr Smolec.“
Er blickte in das Gesicht einer Krankenschwester, versuchte zu fragen: Wo bin ich hier? Was ist mit mir geschehen? Aber es gelang ihm nicht.
„Sie sind schon seit einiger Zeit bei uns, Herr Smolec, aber Ihr Zustand hat sich immer weiter verbessert.“ Er verstand sie, was war aber geschehen?
„Sie werden hier gut versorgt, immer ist einer da für Sie, jetzt muss ich die Infusionsflasche wechseln.“
Als sie damit fertig war, deckte sie ihn auf und bewegte nacheinander die einzelnen Glieder. Das tat ihm gut, wie sah die Frau nur aus, die Stimme gefiel ihm.
Das Bett wurde zur Seite gedreht, und er konnte sie genauer ansehen. Große, braune Augen, eine leicht nach oben gebogene Nase, die vollen Lippen nicht geschminkt. Sonst nur weiße Haube und Kittel, Mitte dreißig vielleicht.
„Ich lasse Sie jetzt einige Zeit allein, bin aber stets in Ihrer Nähe.“
Neben ihm ein Abstellwagen mit einer nierenförmigen Schüssel, Mulltupfern und einer Schale mit Flüssigkeit. Wie riecht es denn hier, nirgendwo Pflanzen, im Hintergrund ein Fenster mit Tageslicht, überall Apparate und Schläuche, war wohl tagelang bewusstlos, was ist geschehen?
Er schloss die Augen. Vielleicht war alles nicht wahr, wenn er aufwachte, er tauchte weg, saß in einem Pkw, fuhr schnell, immer schneller, raste in einen Abgrund, Dunkelheit, seine Brust schmerzte, bekam keine Luft, war unter Eis, wie damals als Junge, wo ist das Loch, ich ersticke, von fern eine Frauenstimme.
„Haben Sie gut geschlafen, Herr Smolec?“ Sie beugte sich über ihn, er glaubte ihren Duft zu spüren, tief atmete er ein, sog die Luft ein wie ein Erstickender, das tat ihm gut, langsam wurde er ruhiger.
„Sie werden sich jetzt die andere Seite des Zimmers näher ansehen können, übrigens haben Sie Besuch.“ Sie trat zur Seite.
Auf einem hellgrau lackierten Stuhl saß seine Mutter, trug auch einen weißen Kittel, aber kein Häubchen. Ihr glattes, braunes, halblanges Haar ließ sie etwas streng aussehen. Er freute sich, ihre Augen trafen sich.
„Schön, dass du wach bist. Kannst du mich erkennen?“ Georg wollte mit dem Kopf nicken, aber es ging nicht. Seine Mutter spürte aber, dass er sie erkannt hatte, sie lächelte ihn an und erzählte von draußen, vom Wetter, dem Vater und seinen Freunden. Er hörte kaum zu. Warum erzählt sie nicht, was geschehen ist, was mit mir los ist? Ich muss es wissen, alles will ich wissen? Schließlich musste sie gehen.
„Sie sollten noch etwas schlafen, bis ich ihr Bett wieder zurück in die Rückenlage bringe.“
Immer wieder blickte er den leeren Stuhl an, der jetzt in einem milden, grünlichen Licht erschien, fühlte seine Lider schwer werden, tauchte wieder ein ins Nebelland, lag in einem Hubschrauber, der starten wollte, immer lauter die Rotoren, tief drang ihr rhythmisches Flattern in ihn ein, langsam hob er vom Boden ab, stieg immer höher, wachte auf. Sein Bett neigte sich langsam in die Horizontale.
Die Krankenschwester schaute ihn freundlich an.
„Jetzt werde ich wieder ihre Glieder bewegen und Sie anschließend waschen.“
Die Vorstellung war ihm angenehm, er ließ sich gerne von ihr berühren, ließ alles mit sich geschehen, wurde wieder zum Kind, vertraute ihr vollständig. Doch warum erzählte sie nicht, was geschehen war? Auch seine Mutter hatte geschwiegen, nur Unverfängliches geäußert. Wenn es ein Unfall war, wie kam er in dieses Auto, war es nicht sein alter Mercedes, in dem er zuletzt gesessen hatte, ein schwarzer Diesel, schon ziemlich betagt, war irgendwo gewesen, mit Freunden zusammen, richtig, ein Mädchen auf einem Fahrrad, sah sie zu spät, merkte nur den Schlag an der Seite, fährt trotzdem los, denn er hat einiges getrunken mit seinen alten Kumpeln, zwanzig Jahre Abitur, den Lappen darf er nicht verlieren, und rast Richtung Autobahn, ein Heutransport nervt , will überholen, ein Auto, muss ausweichen, das Steuer nach links, die Böschung herab, und dann ist es schwarz.