Читать книгу Der Schoppenfetzer und das Maulaff-Mysterium - Günter Huth - Страница 11

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28. Juli

Filipp Filißter, von seinen Bekannten nur Fili genannt, saß in seinem pompösen Büro in der Würzburger Innenstadt und brütete über Plänen. Filißter-Immobilien war eines der erfolgreichsten Immobilienbüros der Domstadt. Fili verdankte diese Stellung seinem nimmermüden Geist, der immer über irgendwelchen Plänen brütete. Planungen, die er natürlich in erster Linie im Interesse der Stadtentwicklung seiner Heimatstadt verfolgte. Eigentum verpflichtete. Dass er sich dabei auch ein beträchtliches Vermögen erarbeiten konnte, war ihm einfach so widerfahren. Allerdings hatte er sich auch nicht dagegen gewehrt.

Nachdenklich stieß er bei diesen Überlegungen mit dem Kugelschreiber gegen den postkartengroßen Bilderrahmen, der immer in Sichtweite vor ihm stand und sein Konterfei hinter Glas zeigte. Das Foto war nicht ganz aktuell, es präsentierte einen wesentlich jüngeren Fili – eine Aufnahme, die in der Gründerzeit von Filißter-Immobilien entstanden war und einen schlanken jungen Mann zeigte, der am Beginn seiner Karriere stand und freundlich in die Kamera lächelte. Fili betrachtete das Foto mit einer gewissen Wehmut. Heute müsste der Rahmen für die Stimmigkeit der Proportionen etwas großformatiger ausfallen. Die Jahre hatten ihm nicht nur Erfolg, sondern auch ein paar Pfunde Übergewicht eingebracht. Aber was sollte es: Ein Mann ohne Bauch war praktisch ein Krüppel. So verkündete es jedenfalls der Volksmund und der hatte ja bekanntlich meistens recht.

Das Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Sein „Herein“ war noch nicht verklungen, als Rosemarie Engelstoß, seine altgediente Sekretärin, ihren Kopf zur Tür hereinstreckte. Sie war, wie Fili, ergraut, trug aber eine flotte Kurzhaarfrisur. Ihr lindgrünes leichtes Kostüm trug den sommerlichen Temperaturen Rechnung und betonte ihre schlanke Figur. Vor ihrer Brust baumelte an einer Kette eine Lesebrille.

„Herr Filißter, draußen steht ein Herr Lupo. Er möchte Sie dringend sprechen. Er hat allerdings keinen Termin. Es gehe um eine eilige Immobilienangelegenheit, hat er gesagt, die keinen Aufschub duldet.“ Sie trat ganz ein und schloss die Tür, dann trat sie näher an ihren Chef heran und erklärte mit gedämpfter Stimme: „Der Mann ist mir völlig unbekannt. Ein sehr mürrischer Zeitgenosse. Italiener, wie ich vermute. Sein Deutsch ist allerdings ganz annehmbar.“

Fili überlegte eine Sekunde, dabei warf er beiläufig einen Blick auf seine Armbanduhr. Elf Uhr. Um zwölf wollte er zum Mittagessen zu Hause sein. Es blieb also noch etwas Zeit. Er nickte: „Also gut, Engelchen, ich lasse bitten.“ Eine Formulierung, die er nur bei Besuchern benutzte, die er beeindrucken wollte. Geschäftsverbindungen nach Italien standen zurzeit an oberster Stelle seiner Agenda. Die krisenbehafteten wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem Stiefel führten dazu, dass sich manche Menschen von ihren Immobilien trennen mussten. Da half man als Geschäftsmann mit europäischen Verbindungen doch gern aus.

Der Mann, dem Engelchen, wie er seine Sekretärin gern nannte, die Tür aufhielt, war für einen Italiener recht groß. Mehr als eins achtzig, schätzte Filißter. Er war schlank, trug einen hochwertigen dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd und eine dunkelrote Seidenkrawatte. Seine schwarzen Schuhe waren auf Hochglanz poliert – vermutlich italienische Designerschuhe. Das schwarze Haar trug er dicht an den Kopf gegelt, sein Teint war gebräunt. Unter buschigen dunklen Augenbrauen musterten zwei dunkle Augen den Immobilienmakler. Diese Eindrücke hatte sich Filißter mit einem schnellen Blick verschafft. Es gehörte zu seinem Geschäft, Menschen blitzschnell einzuschätzen. Im Immobiliengeschäft, wo sich nicht wenige Scharlatane tummelten, war das die Basis des Erfolgs.

Filißter erhob sich und streckte dem Besucher die fleischige Hand entgegen. „Grüß Gott, Herr Lupo, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?“

Sie schüttelten sich kurz die Hände und Filißter wies auf den Besucherstuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches. Der Mann nahm entspannt Platz.

„Herr Filißter, ich bin gekommen, um Ihnen zu helfen.“ Dabei zog ein angedeutetes Lächeln über seine Gesichtszüge.

Der Immobilienmakler hob verwundert die Augenbrauen. Bis jetzt war ihm nicht bewusst, dass er Hilfe benötigte. Dann kam der Besucher sofort zur Sache. Schon nach wenigen Sätzen überzog Filißters Gesicht eine fahle Blässe und er riss ungläubig die Augen auf. Als er etwas entgegnen wollte, hob der Mann herrisch die Hand.

„Sie haben verstanden, was ich gesagt habe. Ich empfehle Ihnen eindringlich zu kooperieren. Sie sollten die Ernsthaftigkeit dieses Angebots keinesfalls in Frage stellen. Die Konsequenzen müssten Sie tragen.“ Er erhob sich langsam. Dabei beugte er sich leicht nach vorn und der Immobilienmakler konnte unterhalb seiner linken Achsel eine Ausbeulung erkennen, über deren Ursache er nicht rätseln musste. Filißter war regelmäßiger Konsument einschlägiger Fernsehkrimis.

„Ich werde Sie in zwei Stunden anrufen, dann erwarte ich eine positive Antwort. Ihre Mobilnummer habe ich ja.“ Er hob eine Visitenkarte Filißters in die Höhe, von denen an mehreren Stellen im Büro kleine Stapel herumlagen. Vor der Tür blieb er noch einmal kurz stehen und sah über die Schulter. „Habe ich Ihnen schon gesagt, dass Sie eine sehr nette Frau haben?“ Ohne ein weiteres Wort verließ er Filißters Büro.

Fili saß wie versteinert in seinem Bürosessel und starrte auf den leeren Besucherstuhl. Hatte er das gerade nur geträumt? Er sog die Luft ein und roch den Hauch eines herben Rasierwassers, den sein Besucher hinterlassen hatte. Kein Traum, brutale Realität! Hastig griff er zum Telefonhörer und wählte seine Privatnummer. Nach dem zweiten Läuten ging seine Frau an den Apparat.

„Hallo Filischatz“, begann sie sofort zu sprechen, „du, es ist gerade ungünstig. Es stellt sich gerade Herr Rossatello, der neue Nachbar, vor, dem du das Haus gegenüber verkauft hast. Ein sehr netter Mann. Du hast mir gar nicht davon erzählt. Gibt es etwas Wichtiges?“

Fili Filißter wurde plötzlich ganz schlecht. Es war richtig, dass das Anwesen schräg gegenüber seinem Wohnhaus zum Verkauf stand. Es stimmte auch, dass ihn der Eigentümer beauftragt hatte, den Verkauf vorzunehmen. Allerdings hatte er noch mit niemandem einen Kaufvertrag abgeschlossen. Er musste an die Worte seines Besuchers denken. Jetzt gab es keinerlei Zweifel mehr an der Ernsthaftigkeit seiner Ausführungen.

„Ach Miez“ – er nannte seine Frau, die eigentlich Marianne hieß, immer bei ihrem Kosenamen – „ich wollte dir nur sagen, dass ich schon jetzt nach Hause komme.“

„Fein, dann kannst du Herrn Rossatello gleich kennenlernen.“

Filißter legte den Hörer auf, sprang hoch und ließ alles stehen und liegen. Sehr zum Erstaunen seiner Sekretärin rauschte er im Eiltempo aus seinem Büro. Sie konnte sich gar nicht erinnern, ihren Chef jemals so in Eile gesehen zu haben.

Fili Filißter warf sich in seinen Pkw, der in der Tiefgarage des Bürogebäudes stand. Das Haus gehörte auch ihm. Zwölf Minuten später steuerte er den Wagen auf sein Grundstück im Steinbachtal, ließ den Mercedes vor der Garage stehen und hastete durch eine schmiedeeiserne Seitentür in den großen Garten, um seinen Bungalow über die Terrasse zu betreten. Im Unterbewusstsein nahm er den Geruch des frisch gemähten Rasens wahr.

„Miez!“, rief er, da sie nicht im Wohnzimmer war. Keine Antwort. Völlig panisch rannte er jetzt in jeden Raum des Bungalows auf der Suche nach seiner Frau. Sie war nirgendwo zu finden. Es gab keine Nachricht, keinen Hinweis. Verzweifelt ließ er sich auf einen Küchenstuhl fallen. Plötzlich vernahm er Essensgeruch. Fili Filißter hob den Kopf und sah zum Herd. Im Backofen brannte Licht. Durch die Scheibe der Bratröhre konnte er eine Auflaufform erkennen. Jetzt war er absolut sicher, dass etwas geschehen war. Seine Frau hätte niemals ein im Ofen befindliches Gericht allein gelassen. Langsam drehte er den Ofen aus.

In diesem Augenblick läutete das Telefon. Der Immobilienmakler sprang auf und hastete ins Arbeitszimmer, griff sich den Hörer und bellte ein „Ja!“ in den Hörer.

„Hallo, Herr Filißter“, drang Lupos Stimme an sein Ohr, „Ihre Frau war so freundlich, der Einladung meines Kollegen zu einem Aufenthalt außer Haus zu folgen. Machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Sie unserer Bitte Folge leisten, werden Sie sie unversehrt zurückerhalten. So lange ist sie unser Gast. Sie wissen ja, was Sie zu tun haben. Ich werde Sie in zwei Stunden wieder anrufen.“ Es trat eine kurze Pause ein, dann fuhr er fort: „Ihre Frau lässt Ihnen noch etwas ausrichten. Sie sollen sich das vegetarische Gericht, das sich in Ihrem Backofen befindet, gut schmecken lassen. Miez, wie Sie sie nennen, hat es mit viel Liebe für Sie zubereitet.“ – Pause – „Wir hören voneinander.“ – Pause – „Da wäre doch noch eine Kleinigkeit. Die Polizei dürfte unser kleines Arrangement sicher nicht interessieren. Die Schlüssel zur Weinstube haben wir an uns genommen. Sie wissen ja warum.“ Das Gespräch wurde unterbrochen.

Filißter erhob sich und eilte in den Flur. Einen Moment starrte er wie hypnotisiert auf das Schlüsselbrett an der Wand. Tatsächlich fehlte der Bund mit den Zweitschlüsseln zum Maulaffenbäck. Die Hilflosigkeit, die er empfand, war schrecklich. Er konnte einfach nicht verstehen, wieso dieser Italiener so harte Mittel einsetzte, um sein Ziel zu erreichen. Warum war ihm das so wichtig? Voller Angst erhob er sich, verließ das Haus und setzte sich in sein Auto. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Wünschen des Entführers seiner Frau nachzukommen.

*

Nepomuk Schlossisweg, der Pächter des Maulaffenbäck, stand in der Küche der Weinstube und diskutierte mit dem Koch über die Spezialität der Woche. Im wöchentlichen Wechsel bot die Küche der Weinstube den Gästen eine fränkische Spezialität an. Dieses Schmankerl wurde, seit man dieses Angebot kreiert hatte, bestens angenommen. Nächste Woche sollten Fränkische Schnickerli mit Kartoffelbrei auf der Speisenkarte stehen – ein Gericht, das traditionsgemäß aus Rinderpansen hergestellt wurde. Früher ein „Armeleuteessen“, jetzt eine Delikatesse.

Der Wirt zog sich sein Trachtenjackett an, das er in der Küche abgelegt hatte. Seit er Gastronom dieses traditionsreichen Weinlokals war, zeigte er sich dort gern bodenständig und konservativ. Passend zu den Dirndln seiner Bedienungen. Seine Gäste mochten es stimmig.

Als alles besprochen war, läutete sein Handy. Am Telefon war seine Frau Annalena. Sie hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. „Nepomuk, komm bitte so schnell wie möglich nach Hause. Herr Filißter ist hier und möchte dich umgehend sprechen. Es sei sehr dringend!“ Das Drängen in ihrer Stimme war unüberhörbar.

„Ich komme“, gab Schlossisweg zurück. Er war alarmiert. Wenn seine Frau ihn beim vollen Vornamen nannte, hing Ärger in der Luft. Für gewöhnlich sprach sie ihn mit Neppi, seinem Spitznamen, an. Da er seinen Lieferwagen in der Maulhardgasse direkt vor dem Maulaffenbäck geparkt hatte, war er eine Minute später auf dem Weg.

Schlossisweg traf Filißter in der Küche an. Seine Rechte um ein Wasserglas gelegt, saß er am Küchentisch. Seine Miene war sehr angespannt. Frau Schlossisweg saß ihm gegenüber und sah ihrem Mann mit ernstem Gesicht entgegen. Als er sie fragend ansah, zuckte sie nur leicht mit den Schultern. Sie wusste offenbar auch noch nicht, worum es ging. Die Spannung im Raum war fast körperlich zu spüren. Schlossisweg gab Filißter mit knappem Gruß die Hand, dann kam er ohne Umschweife zur Sache. „Fili, was ist passiert?“ Filißter und Schlossisweg kannten sich schon seit langem auf privater Ebene und duzten sich.

Der Immobilienmakler räusperte sich, dann nahm er einen Schluck Wasser. „Neppi, es tut mir sehr leid, dir das sagen zu müssen, aber du musst ab morgen den ‚Maulaffenbäck‘ bis auf Weiteres schließen! Es sind, wie du weißt, im Gewölbekeller einige dringende Sanierungsarbeiten zu erledigen, für die ich jetzt überraschend einen preisgünstigen Handwerker bekommen konnte.“

Diese Ansage schlug beim Wirtsehepaar wie eine Bombe ein. Sie sahen sich völlig entgeistert an. War das ein makabrer Scherz? Nach ihrer Kenntnis war der Immobilienmakler nicht gerade für seine humorige Ader bekannt, wenn es ums Geschäft ging. Nach einer kurzen Pause, in der Filißter keine Anstalten machte, seine Aussage als Witz zu entlarven, fand Neppi Schlossisweg die Sprache wieder.

„Das ist nicht dein Ernst!“, stieß er ungläubig hervor.

Filißter nickte. „Doch.“

„Wie kommst du denn auf eine derart abartige Idee?“, rief Schlossisweg in höchster Erregung. „Das ist, jetzt in der Hauptsaison, völlige Idiotie!“

Filißter legte ebenfalls übergangslos den Schalter um. Seine Hand klatschte verärgert auf die Tischplatte.

„Ich habe keine Veranlassung, das mit dir zu diskutieren! Dir ist bekannt, dass im Gewölbekeller an einer Stelle Einsturzgefahr besteht, die sofort beseitigt werden muss. Schließlich habe ich als Eigentümer auch eine Verkehrssicherungspflicht dir gegenüber. Wenn dir oder einem deiner Mitarbeiter ein Steinbrocken auf den Kopf fällt, bin ich dran!“

„Davon weiß ich gar nichts“, brauste der Wirt auf. „Da unten ist doch alles in Ordnung!“

„Ist es eben nicht“, gab Filißter zurück. „Ich war am Wochenende, als ihr geschlossen hattet, mit einem Statiker unten und habe die schadhafte Stelle begutachten lassen. Da muss sofort gehandelt werden!“

„… und wer ersetzt mir den Ausfall?“

„Verdammt noch mal, schau in deinen Pachtvertrag. Für derartige Gefahrenfälle gibt es in Paragraf 123 eine Klausel. Bei Gefahr in Verzug hat der Pächter die erforderlichen Handlungen, die zur Beseitigung der Gefahr erforderlich sind, ohne Schadensersatzansprüche vorzunehmen beziehungsweise zu dulden!“

Das Ehepaar Schlossisweg starrte den Immobilienmakler an, als hätten sie einen Verrückten vor sich. Schließlich löste sich Schlossisweg aus seinem Schock, beugte sich nach vorn, schlug mit der Faust auf den Tisch und brüllte: „Du kannst mich mal! Ich werde auf keinen Fall schließen! Verklag mich, wenn du willst! Und jetzt komm in die Gänge und verlasse auf der Stelle mein Haus!“

Filißter blieb erstaunlicherweise völlig ruhig und sah ihn einen Moment nur durchdringend an, dann erhob er sich. „Du hast ja keine Ahnung, welchen Ärger du dir mit deiner uneinsichtigen Haltung einhandelst“, sagte er leise, dann wandte er sich zur Tür. „Danke, ich finde allein raus.“

Das Zuschlagen der Haustür war deutlich hörbar. Annalena sah ihren Mann nachdenklich an. „Neppi, hoffentlich hast du da gerade keinen Fehler gemacht.“

Er stand auf und nahm sie in die Arme. „Der Kerl ist doch völlig verrückt. Jetzt sind die Geschäfte gerade richtig ins Laufen gekommen und der Spinner will, dass wir schließen, nur damit er ein paar Euro sparen kann. Da können wir ja gleich Insolvenz anmelden! Das kann er vergessen!“

Er gab ihr einen Kuss, dann ließ er sie wieder los. „Machst du mir bitte einen Kaffee, ich muss dann wieder in die Weinstube.“

Filißter saß kaum im Wagen, als auch schon sein Handy klingelte. Am Apparat war der Italiener. Woher wusste er, dass er gerade bei Schlossisweg gewesen war? Wurde er möglicherweise bespitzelt? Sein Blick irrte durch alle Scheiben seines Wagens und prüfte die Straße. Er konnte kein verdächtiges Fahrzeug in der Nähe erkennen.

„Waren Sie erfolgreich?“

„Es tut mir schrecklich leid. Ich habe alle Register gezogen, aber Schlossisweg war völlig uneinsichtig. Bitte tun Sie meiner Frau nichts, ich habe wirklich alles versucht!“

Für einen Moment war Stille in der Leitung, dann sprach der Mann weiter: „Wir werden uns selbst der Sache annehmen. Fahren Sie nach Hause und warten Sie auf meinen Anruf.“

Filißters nervöser Magen entließ einen Schwall Magensäure in seinen Mund. Hustend würgte er sie wieder hinunter, dann startete er den Motor und fuhr los.

Ihr Mann war gerade mal zwanzig Minuten aus dem Haus, als es an der Tür klingelte. Annalena Schlossisweg öffnete. Draußen stand ein gut aussehender südländischer Typ mit dunkler Sonnenbrille und lächelte sie an.

„Liebe Frau Schlossisweg, bitte entschuldigen Sie diesen Überfall, aber ich muss Sie bitten, mich auf einem kleinen Ausflug zu begleiten.“

Annalena runzelte ärgerlich die Stirn. „Was soll der Blödsinn? Ich kenne Sie nicht. Ich gehe nirgendwo mit hin. Verschwinden Sie oder ich rufe die Polizei!“

Die freundliche Miene des Mannes veränderte sich nicht, als er mit einer fließenden Handbewegung sein Jackett zurückschlug und den Blick auf eine Pistole freigab, die er in einem Holster am Gürtel trug.

„Ich verstehe, dass Sie überrascht sind, aber ich muss trotzdem auf meiner Bitte bestehen.“ Seine Stimme wurde etwas schärfer. „Ich hoffe doch, dass ich keine härtere Gangart einschlagen muss.“

Die junge Frau war völlig gelähmt vor Schreck. Schließlich stotterte sie: „Wer sind Sie, was wollen Sie von mir?“

„Machen Sie sich keine Sorgen, Ihnen wird nichts geschehen. Wir möchten nur gern die Einsicht Ihres Ehemannes in eine für uns wichtige geschäftliche Transaktion beschleunigen.“ Seine Tonlage wurde schlagartig schärfer. „Also los jetzt!“ Er legte die Hand an den Pistolengriff.

„Ich muss meinem Mann eine Nachricht hinterlassen, sonst macht er sich Sorgen“, wandte sie ein.

„Wir werden ihn schon informieren, glauben Sie mir.“ Er trat einen Schritt zur Seite, so dass sie einen Blick auf einen Pkw mit getönten Scheiben werfen konnte, der direkt vor dem Gartentor parkte. Sie sah ein, dass Widerstand keinen Sinn hatte. Gewohnheitsgemäß nahm sie einen Schlüsselbund vom Schlüsselbrett hinter der Eingangstür, dann lief sie dem Mann voraus zum Auto.

Zehn Minuten später erhielt Nepomuk Schlossisweg einen Anruf auf sein Handy. Die Nummer war unterdrückt. Sekunden später wich dem Maulaffenwirt alles Blut aus dem Gesicht.

„Dieser verdammte Filißter!“, fluchte er, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hatte. „Sagen Sie ihm, dass ich mich beugen werde. Sagen Sie ihm aber auch: Wenn er meiner Frau auch nur ein Haar krümmt, werde ich ihn totschlagen! So wahr ich Schlossisweg heiße!“ Seine Stimme brach.

„Bleiben Sie gelassen“, erwiderte der Mann. „Mit solchen unangebrachten Reaktionen tun Sie Ihrer Frau keinen Gefallen. Es geht ihr gut und daran wird sich auch nichts ändern, wenn Sie sich den Anweisungen von Herrn Filißter beugen.“ Das Gespräch war zu Ende.

Der Wirt stand hinter dem Tresen und starrte sein Handy an. War dieser Filißter nun völlig verrückt geworden? Nur mühsam konnte er sein cholerisches Temperament so zügeln, dass er das Mobiltelefon nicht wütend auf den Boden schmetterte. Erneut bat er einen Mitarbeiter, ihn zu vertreten. Im Stechschritt verließ er das Lokal und hastete durch die Innenstadt. Sein Ziel war das Immobilienbüro Filißter. Dieser Schweinehund konnte was erleben!

Engelchen bekam einen gewaltigen Schrecken, als der ihr bekannte Nepomuk Schlossisweg wie ein wütender Stier mit hochrotem Kopf in ihr Büro stürmte.

„Aber Herr Schlossisweg, was ist das für ein Benehmen? Sie haben keinen Termin!“

„Ist er drinnen?“ Die Wut des Mannes war unübersehbar.

„Sie haben keinen Termin!“, zeterte die Sekretärin. „Außerdem ist Herr Filißter geschäftlich außer Haus.“

„Das werden wir ja sehen“, fauchte er, drehte sich wortlos um und peilte die Tür von Filißters Büro an. Ohne anzuklopfen stürmte er hinein.

Der Immobilienmakler saß hinter seinem Schreibtisch und starrte dem ungestümen Besucher völlig verdattert entgegen. Vor ihm stand ein Cognacschwenker, in den er sich großzügig eingeschenkt hatte und den er gerade an die Lippen führen wollte. „Was soll das?“, brachte er hervor.

„Entschuldigung, er ließ sich leider nicht aufhalten“, schimpfte die Sekretärin, die Schlossisweg nachgeeilt war, ziemlich aufgelöst. „Soll ich die Polizei benachrichtigen?“

„Nein, nein! Ist schon gut“, winkte Filißter ab.

Schlossisweg drehte sich um, schob die Frau zur Tür hinaus und schlug sie hörbar zu. Anschließend wandte er sich wieder Filißter zu.

„Du verdammter Drecksack! Was hast du mit meiner Frau angestellt?“

Schlossisweg beugte sich über den Schreibtisch, packte den Makler an der Hemdbrust und zog ihn aus dem Sessel heraus. Dabei warf er einen Stapel Akten auf den Boden. Das Cognacglas kippte um und die hellbraune Flüssigkeit ergoss sich über die Schreibunterlage aus hellgrünem Leder.

„Lass mich sofort los! Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst!“ Mit beiden Händen versuchte Filißter sich aus dem schraubstockartigen Griff des jungen Mannes herauszuwinden.

Schlossisweg war außer Rand und Band. Mit der freien Hand holte er aus und gab Filißter eine klatschende Ohrfeige.

„Du weißt genau, wovon ich spreche. Du hast doch deinen Handlanger losgeschickt, um mich unter Druck zu setzen!“

„Was redest du denn da für einen Unsinn?“, stieß der malträtierte Immobilienmakler keuchend hervor und stieß in verzweifelter Abwehr beide Fäuste gegen die Brust des Angreifers. Der musste seinen Griff lockern und taumelte nach hinten gegen einen Besuchersessel. Mit einem krachenden Geräusch plumpste er in die Polster. Die Tür wurde erneut aufgerissen und die Sekretärin stand schreckensbleich im Türrahmen.

„Herr Filißter, um Gottes willen, ich rufe jetzt wirklich die Polizei!“

„Nichts machen Sie! Raus!“, brüllte ihr hocherregter Chef sie an. „Sie sehen doch, dass ich alles im Griff habe!“

Sie zuckte zusammen und schloss wortlos die Tür von draußen. So einen Ton war sie nicht gewohnt.

Der Sturz in den Sessel brachte Schlossisweg wieder etwas zur Besinnung. Wütend starrte er sein Gegenüber an.

„Mich hat einer angerufen und gesagt, ich soll deinen Anweisungen Folge leisten und den ‚Maulaffenbäck‘ schließen. Er habe meine Frau in seiner Hand.“

Filißter hatte schwer atmend beide Hände erhoben und hielt sie als Demonstration seiner friedfertigen Absichten nach oben.

„Neppi, bitte beruhige dich. Ich habe deine Frau bestimmt nicht entführen lassen. Glaube mir.“ Er unterbrach sich und ließ sich wieder in den Bürostuhl fallen. Mit der Rechten wischte er sich den Schweiß von der Stirn, dann schlug er vor: „Wir müssen uns dringend unterhalten. Es gibt ein paar Dinge, die du wissen musst.“ Er senkte seine Stimme: „Ich werde genauso erpresst wie du … Bitte warte einen Moment.“

Er kam hinter seinem Schreibtisch hervor, wobei er sich mit den Fingern durch seine derangierten Haare fuhr, ging zur Verbindungstür zu seinem Vorzimmer und öffnete sie. Seine Sekretärin stand wie ein aufgescheuchtes Huhn im Zimmer und sah ihn mit entsetztem Blick an.

„Engelchen, jetzt beruhigen Sie sich. Es ist ja alles gut. Lediglich eine kleine Meinungsverschiedenheit. Machen Sie uns bitte einen Kaffee … und bringen Sie einen Lappen mit, ich habe etwas Cognac verschüttet.“

Frau Engelstoß sah ihren Chef prüfend an, aber nachdem offenbar wirklich wieder alles friedlich war, machte sie sich daran, Filißters Wunsch zu erfüllen. Als Sekretärin eines Immobilienmaklers musste man manchmal hart im Nehmen sein.

Nachdem das Büro wieder aufgeräumt und der gewünschte Kaffee serviert war, beugte sich Filißter über den Schreibtisch seinem Besucher entgegen und erklärte mit gesenkter Stimme: „Das, was ich dir jetzt sage, muss absolut unter uns bleiben. Denn wenn etwas davon nach außen dringt oder gar die Presse davon Wind bekommt … ich mag es mir gar nicht ausmalen.“ Er räusperte sich. „Du musst wissen, die Kerle, die von mir verlangen, dass der ‚Maulaffenbäck‘ geschlossen wird, haben auch meine Frau entführt!“

Betroffen riss Schlossisweg seinen Augen auf. „Du meinst, auch deine Frau ist …?“ Er konnte es nicht fassen.

Filißter nickte. „Sie haben Miez in ihrer Gewalt. Und wenn ich nicht für die sofortige Schließung des ‚Maulaffenbäck‘ sorge, dann …“ Mit einer resignierenden Handbewegung ließ er den Satz unvollendet.

„Das ist ja schrecklich!“ Nach einer kurzen Pause fuhr Schlossisweg fort: „Hast du wenigstens den Hauch einer Ahnung, was das alles soll? Schuldest du jemandem Geld? Oder bist du sonst jemandem auf die Zehen getreten?“

Fili Filißter schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Nichts von all dem! Ich schwöre dir, ich habe keine Ahnung, was diese Typen von mir wollen. Wie es aussieht, sind es Italiener. Einer war vor kurzem hier bei mir im Büro. Dabei habe ich gar keine Geschäftsverbindungen nach Italien. Es ist für mich einfach unverständlich!“ Er wischte sich über die schweißnasse Stirn.

Schlossisweg hatte sich erhoben und war ans Fenster getreten. „Fili, wir müssen uns was einfallen lassen. Wir können doch nicht wehrlos zusehen, dass sie unsere Frauen entführen!“

„Aber was? Polizei kommt nicht in Frage. Wenn die Kerle das merken, wäre das Leben unserer Ehefrauen keinen Pfifferling mehr wert.“

Es trat eine bleierne Stille ein. Jeder hing seinen Gedanken nach. Plötzlich drehte sich Schlossisweg abrupt um.

„Ich habe da eine Idee. Bei mir im ‚Maulaffenbäck‘ gibt es einen Stammtisch. Die nennen sich ‚Die Schoppenfetzer‘. Einer der Stammtischbrüder ist Erich Rottmann, ein ehemaliger Kriminaler. Du hast sicher schon von ihm in der Zeitung gelesen. Er hat hier in Würzburg schon einige knifflige Kriminalfälle gelöst. Soweit ich weiß, war er früher einmal ein hohes Tier bei der Mordkommission.“

„Ja, jetzt wo du es sagst, kann ich mich auch an den Namen erinnern. Und du meinst …?“

„Wir könnten diesen Rottmann doch ins Vertrauen ziehen. Ich könnte mir vorstellen, dass er uns helfen wird. So gewissermaßen als Privatermittler.“

„Wir müssten halt sicher sein, dass nichts nach außen dringt.“

„Wenn er merkt, wie brisant die Sache ist, wird er sicher den Mund halten. Die Kosten dafür übernimmst allerdings du!“

Filißter winkte ab. „Das wäre meine geringste Sorge. Sei mir nicht böse, aber darüber muss ich noch einmal schlafen. Sorge du auf jeden Fall dafür, dass die Forderungen der Entführer erfüllt werden.“

„Okay, ab morgen ist der ‚Maulaffenbäck‘ geschlossen – und du bekommst keine Pacht mehr.“

Der Schoppenfetzer und das Maulaff-Mysterium

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