Читать книгу Romy spielt sich frei - Günter Krenn - Страница 21
Vom Büro zur Bühne
ОглавлениеIn diesem Geschäft, sagt man zu ihrer Zeit über das Filmen, bist du als Frau mit dreißig Jahren alt und mit fünfundreißig so gut wie tot. Es gilt demnach, die Zeit zu nützen, und das hat sie sich frühzeitig antrainiert. Sie lernt, studiert, probiert und verbessert sich, wenn es geht. Dass sie nach einer Zwangspause mit Mitte vierzig noch einmal an frühere Erfolge anschließen kann, die Resultate dieser Zeit ihr sogar eine gewisse „Unsterblichkeit“ zumindest im Feiertagsprogramm diverser Fernsehsender sichern, ist eine der zahlreichen Unwägbarkeiten in ihrem unberechenbaren Geschäft. Der Übergang von Liebhaberinnen- zu Mutterrollen kann Karrieren knicken oder sogar vorzeitig beenden, wie sie es bei vielen erlebt hat. So ist es verständlich, dass Magda Schneider 1956, nachdem ihr Ernst Marischka seine Pläne für eine Fortsetzung von Sissi dargelegt hat, vor allem im Hinblick auf ihre Tochter Romy eine kritische Anmerkung hat: „Nachdem Du uns Sissi II in groben Zügen erzählt hast, musste ich mal 1 Nacht darüber schlafen. Es hat mir sehr gefallen, aber Ernstl, es ist zu früh für Romy, eine Frau und Mutter zu spielen! Der ganze schöne Aufbau geht flöten u. wir unterbrechen mit dieser einen Rolle die ganze schöne Entwicklungslinie. Ich erinnere Dich an Deine eigenen Worte!! Junge, taufrische Geschöpfe muss sie spielen! Ich habe sehr genau überlegt, und ich verstehe Dich gut, es ist sehr naheliegend den Sissi-Erfolg weiter auszunützen, aber ich muss ja in erster Linie an die Weiterentwicklung des Kindes denken.“1
Besagte Weiterentwicklung wird sie vor allem interessieren, als Romy ein Teenager ist und sich zum Motor ihrer eigenen Karriere entwickelt hat. „Diese Jahre möchte ich noch einmal erleben“, das wird sie in Gesprächen deshalb später oft wiederholen und damit die Zeit meinen, in denen sie in den 50er Jahren gemeinsam mit ihrer Tochter acht Filme dreht, sich neuen Starruhm festigt, von Publikum und Presse gefeiert wird, nachdem der erste Erfolg, der sich zwanzig Jahre davor nur um ihre Person drehte, bereits verblasst ist. Dass ein Teil davon während der NS-Zeit stattfand, thematisiert in jenen Tagen niemand. Magda profitiert von der Ära des Wirtschaftswunders, in der man nicht über die zurückliegenden Jahre reden möchte, zumal viele der im Dritten Reich engagierten Personen in Politik und Wirtschaft wieder in guten Positionen sitzen, sondern lieber nach vorne blickt.
Oder weit zurück in die Historie. So lässt sich mit jener Art von „Papas Kino“, in dem Magda ihre erste Karriere begann, wieder gutes Geld verdienen. Sie feiert 1953 ihr Comeback, bei dem sie an ihre Zeit als Ufa-Star anschließen kann. Innerhalb weniger Jahre wurde sie ein Vierteljahrhundert davor zu einem der bekanntesten Gesichter des deutschen Tonfilms und ihr Allerweltsname ein Erfolgsgarant für zahlreiche Kinohits. Inhaltlich oft austauschbar, präsentierten die frühen Musiktonfilme ein Ensemble beliebter Schauspielerinnen und Schauspieler in ihrem Zentrum, vom dem sich das Publikum die immer gleiche Geschichte in leicht variierter Form stets neu erzählen zu lassen bereit war. Auch Magdas Privatleben gab Anlass zu Phantasien, denn im Gegensatz zu anderen Kolleginnen war sie tatsächlich mit einem prominenten, von der Masse verehrten Filmpartner verheiratet und schien somit privat ebenfalls in einer Märchenwelt zu leben. Ihre Tochter, zunächst nur in Homestories als familiärer Background erwähnt, wird später zu einem Weltstar. Allerdings hat Magda früh gelernt, dass das Leben abseits eines gesicherten Drehbuchs, ohne Schminke, schicker Abendkleidung und ausgeklügeltem Lichtdesign für einen Filmstar genauso unwägbar ist wie für eine Durchschnittsperson aus dem Publikum.
Geboren wird Magda am 17. Mai 1909 mittags um 12:30 Uhr in Pfersee, damals noch ein Industrievorort im Westen von Augsburg, der zwei Jahre später eingemeindet wird. Zu jener Zeit drückt ein anderer Augsburger, der später von sich reden machen wird, gerade die Schulbank am heutigen Peutinger Gymnasium auf der anderen Seite des Flusses Wertach: Bertolt Brecht. Später übersiedelt die Familie Schneider zunächst in die Stadtjägerstraße 26 und dann auf den Fasanenweg Nr. 2. Man tauft sie katholisch auf den Namen Maria Magdalena Schneider, ruft sie Leni, Lena, später Magda. Ihre Eltern sind der Installateur Xaver Schneider, geboren am 28. Dezember 1878, und seine Frau Maria, die am 28. Januar 1879 unter ihrem Mädchennamen Meier-Hörmann im Geburtenregister eingetragen wird. Xaver und Maria heiraten am 1. Mai 1904 in Marias Geburtsort Deubach, übersiedeln 1907 nach Pfersee und wohnen dort zunächst in der Stadtbergerstraße auf Nr. 45. Aus den Dokumenten im Augsburger Stadtarchiv geht auch hervor, dass Magda eine Schwester namens Irmengard hatte, die am 15. Dezember 1913 geboren wurde und bereits am 1. März 1917 in Augsburg verstarb.
Im Gegensatz zu ihrem ersten Ehemann hat Magdas Familie keinerlei Beziehung zum Theater. Sie muss sich ihre Karriere daher allein aufbauen und darf sich in der Branche später zu Recht als „Außenseiterin“ definieren. Um sich herum sieht sie in ihrer Kindheit Industrie- und Gewerbebetriebe, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts hier angesiedelt haben. „Und sonst hast du keine Wünsche?“2, fragt ihr Vater sie daher, als sie ihm als Heranwachsende erstmals ihre Träume von einer Bühnenkarriere offenbart. Er selbst hat sich als Sohn des aus dem bayerischen Memmingen stammenden Tagelöhners Thomas Schneider und seiner Frau Anna, geborene Gut, vom Erdarbeiter, Soldat und Tagelöhner zum Installateur hochgearbeitet. Wenn auch rhetorisch gemeint, beantwortet Magda die Frage im Laufe der nächsten Jahre doch mit einem klaren Nein. Sie hat ein Ziel vor Augen und wird es mit der ihr eigenen Gründlichkeit, ihrem Fleiß und dem Hang nach Perfektion auch erreichen.
Das für ein Mädchen aus ihrem Stand vorgegebene Muster – einen einfachen Beruf ergreifen und dann möglichst schnell heiraten – ist nicht nach ihren Vorstellungen. Etwas scheint sich früh in ihr ausgebildet zu haben: Sie weiß genau, wie sie nicht leben will, hat eine vage Ahnung davon, wohin sie sich entwickeln möchte, und dabei sehr früh erkannt, dass sie dafür hart arbeiten muss und auch dazu bereit ist. Das sind Charaktereigenschaften, die sich später auf ihre Tochter übertragen.
Ihre ersten Bühnenerfahrungen macht sie, wie andere Kinder, bei Weihnachtsspielen. Sie tritt einem Gesangsverein bei, nimmt Geigenunterricht. Immer wenn ihr Chor bei festlichen Anlässen ein Stück aufführt, ist Magda mit dabei, adaptiert Geschichten für die Bühne, hilft bei der dramaturgischen Konzeption. Ein von ihr geschaffenes und betreutes Werk öffentlich aufgeführt zu sehen, macht sie stolz, doch bleibt alles noch auf den Amateurbereich beschränkt.
Dem Wunsch der Eltern folgend, ergreift Magda nach dem Abitur zunächst einen bürgerlichen Beruf und wird Stenotypistin in einer Augsburger Getreidehandlung, ohne den Beruf jemals schätzen zu lernen. Im Grunde spielt sie die subalterne Bürokraft nur, wie später in Filmen, dort dann jedoch für bedeutend mehr Gehalt. Über ihren Gesangsverein, dessen Leiter auch dem Chor des kommunalen Theaters vorsteht, gerät sie in Kontakt mit der Bühnenwelt – und dieser Chorleiter ist es, der ihren Vater von ihrem Talent überzeugen kann. Sängerin zu werden ist ihr Berufsziel, sie besteht die Aufnahmeprüfung in das Leopold-Mozart-Konservatorium, studiert dort mit dem sie auszeichnenden Fleiß und eignet sich nach eigenen Angaben über zwanzig Partien an. Ihre Stimme ist nicht groß genug für eine Opernprimadonna, aber in ihrer Leichtigkeit und Beweglichkeit ideal für das in vielen Sparten einsetzbare Fach einer Soubrette. Magda studiert Schauspiel, Gesang, Ballett – all das wird ihr später beim Tonfilm helfen, der sich um 1930 in Deutschland etabliert. Neben dem Theater besucht sie das Kino regelmäßig, sieht zunächst die mit Livemusik begleiteten Stummfilme jener Zeit. Im Augsburger Adressbuch sind 1919 sechs „Lichtspieltheater“ verzeichnet, darunter der Gloria-Palast, die Schauburg und die Hofbräu-Lichtspiele. In Pfersee eröffnet bei wesentlich günstigeren Kartenpreisen in der Augsburger Straße im Jahr 1926 das Odeon. Ab 1928 beherbergt die Stadt mit dem Emelka-Palast sogar eines der zehn größten Kinos in Deutschland, das ab 1930 Tonfilme zeigt, nur ein paar Jahre später auch solche, in denen Magda agiert.
Magda Schneider in Die heimlichen Bräute. 1944. Im deutschen Film punktet Magda durch Natürlichkeit und Charme.
Sammelbild für das Salem Gold-Film-Bilder-Album Nr. 2. 1930er Jahre. Ein „Fan-Artikel“ dokumentiert ihre Beliebtheit.
Die Deutschland erfassende Wirtschaftskrise der späten 20er Jahre scheint Magdas Pläne zu vereiteln, der Vater verliert sein Geld, das Konservatorium wird dadurch unbezahlbar. Doch Magda kämpft um ihren Beruf, will nicht umsonst gelernt haben, ist bereit für ein Engagement. Ihr Lehrer auf dem Konservatorium schickt sie zur Überbrückung der Situation in die Ballettschule des Stadttheaters, wo zunächst niemandem auffällt, dass sie kein Schulgeld bezahlt. Der Unterricht ist fordernd, doch sie hat Disziplin und Stärke, und wenn er beendet ist, trainiert sie weiter und perfektioniert sich in Eigeninitiative. Die Ballettschülerinnen erhalten regelmäßig die Chance, in den laufenden Opern- und Operettenproduktionen des Theaters eingesetzt zu werden. Magda ist fest entschlossen, diese Chance zu nutzen, bis ein Ereignis beinahe alles wieder vereitelt. Als man sie auffordert, das Schulgeld zu bezahlen, muss sie eingestehen, dass sie das nicht aufbringen kann. Das würde ihren sofortigen Ausschluss bedeuten, doch Magda reagiert, wie sie das künftig immer tun wird: Mit offensivem Selbstbewusstsein und zutiefst pragmatisch. Sie verweist auf ihr erlerntes Repertoire, bittet um die Möglichkeit, ihr Können unter Beweis stellen zu dürfen. Karl Lustig-Prean, der Leiter der Schule, der später auch in Wien am Konservatorium arbeitet, ist amüsiert von dem Monolog der selbstbewussten kleinen Elevin und teilt ihr mit, es sich überlegen zu wollen. Tatsächlich wird Magda von einer Probe spontan zum Vorsingen abberufen, ist entsprechend nervös, aber dann tritt etwas ein, auf dass sie ihr Leben lang zählen wird. Im Augenblick der Bewährung kann sie sich auf ihre Fähigkeiten verlassen, wird sie ruhig, agiert präzise, überzeugt mit der Arie der Adele (Mein Herr Marquis) aus dem 3. Akt der Fledermaus von Johann Strauß Sohn.
Am nächsten Tag unterschreibt Magda einen Dreijahresvertrag als zweite Soubrette mit für sie fürstlichen 150 Mark Gehalt im Monat – da sind genau 149 mehr, als sie bisher an Taschengeld erhielt. Damit kann sie sich und ihren Eltern das Leben erleichtern. Nachdem die erste Soubrette öfter als Tänzerin eingesetzt wird, singt sie in der Spielzeit 1929/30 in Operetten wie der Fledermaus, der Puppenfee, dem Land des Lächelns, dem Zigeunerbaron. Ihren ersten Auftritt hat sie in einer Statistenrolle in Giacomo Meyerbeers Oper Die Afrikanerin am 19. Februar 1929. Elf weitere Partien, zumeist Nebenrollen, folgen in dem Jahr. Auf den Fotos aus jener Zeit verkörpert sie den aus Amerika bekannten Typus des „Flapper-Girl“ mit kurzen Röcken und kurzem Haar. Das Publikum nimmt die Neue mit dem hübschen Gesicht und dem bodenständigen Charme freundlich auf, der erste Soloapplaus für sie erschreckt sie fast, doch ist es genau der Moment, auf den sie hingearbeitet hat. Auf dieses Gefühl der Bestätigung, auf das sie nie wieder verzichten will.
Andere Theaterdirektoren werden auf sie aufmerksam, darunter das renommierte Theater am Gärtnerplatz in München. Am 10. Mai 1930 singt sie dort in Robert Gilberts Operette Die leichte Isabell die Titelpartie. Ihr Partner ist der vom Film her bekannte Paul Heidemann, der erste prominente Star, mit dem sie zusammenarbeitet. Er hat unter anderem mit Ernst Lubitsch gedreht, stand mit Harry Liedtke und Marlene Dietrich vor der Kamera. Dennoch ist Magda das Ereignis der Produktion, das Münchener Tageblatt nennt sie einen aufgehenden Stern, der seine ersten, wenn auch noch schüchternen Strahlen aussendet und voll gewinnender Jugendlichkeit sei. Der Münchener Intendant Julius Dewald bleibt vom Lob der Presse nicht unbeeindruckt, möchte sie fest engagieren, doch sie ist für drei Jahre an Augsburg gebunden. Der dortige Direktor entlässt das Talent jedoch großmütig aus dem Vertrag, so kann Magda ihre Karriere an einer der wichtigsten Operettenbühnen Deutschlands fortsetzen. Zwei Souvenirs aus der Anfangszeit sitzen in den folgenden Jahren auf allen ihren Schminktischen in Theatern bis hin zu Filmateliers: die Figur einer Micky Maus, die sie bei ihrem ersten Auftreten in Augsburg erhielt, und ein kleiner Teddy, der sie seit ihrer Premiere in München begleitet.
Bis zu vierzig Mal steht sie innerhalb eines Jahres in insgesamt 14 Produktionen im Monat auf der Bühne, arbeitet wie besessen, kann sich in der teuren bayerischen Großstadt jedoch keine eigene Wohnung leisten, wohnt zur Untermiete. Vom 24. Mai 1930 bis zum 1. Mai 1931 logiert sie in der Klenzestraße Nr. 27 und danach bis 24. Juni 1931 in der Müllnerstraße Nr. 20. Bei einer Gastspielreise nach Wien im Jahr 1930 ist der Direktor des Theaters an der Wien, Hubert Marischka, von ihrer Leistung so begeistert, dass er ihr spontan das Angebot macht, ihre Karriere in der österreichischen Hauptstadt fortzusetzen, doch München will Magda nicht gehen lassen. Die Verbindung zu Wien und Marischka bleibt dennoch bestehen, mit Huberts Bruder Ernst wird Magda ein Vierteljahrhundert später einige ihrer (und seiner) erfolgreichsten Filme drehen.
Standfoto für Die Puppenfee. 1936. In dem von Joseph Bayer komponierten gleichnamigen Ballett, das motivisch in den Film eingebaut wurde, tanzte Magda Schneider sechs Jahre zuvor noch in Augsburg auf der Bühne.