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Einleitung

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»Ich möchte über Dinge schreiben, die ich nicht verstehe. Wer schuf die Erde und die Meere und alles? Was macht die Sonne heiß? Wo war ich, ehe ich zur Mutter kam? Wie groß ist der Weltenraum? Wer hat ihn erschaffen?«

(Helen Keller)

Stille. Langsam hebe ich den Kopf. Mein Blick erfasst die Leh­rerin, die anderen Schüler, die Tische, die Tür, die Tafel. Heute steht eine Klausur auf dem Programm. Zwei Stunden. Grund­kurs. Übermorgen soll dann die nächste Klausur bewältigt werden, in einem weiteren Fach. Und in den anderen Fächern werden in den nächsten Wochen ebenfalls Klausuren auf dem Stundenplan stehen. Einige unseres Kurses sind fleißig dabei und schreiben und schreiben. Sie scheinen die Aufgabe ver­standen und die richtigen Gedanken gefasst zu haben. Hat die Lehrerin beim Ausarbeiten der Aufgaben für die Klausur die­selben Gedanken gehabt? Auf welchen Wegen kommen die in die Gehirne von uns Schülern? Wenn die Lehrerin mit uns allen in einem Raum sitzt, müssten dann nicht alle die gleichen Gedanken haben und die Antworten wissen? Fragen über Fra­gen.

Zurück zum Thema: Wer sich mit der W-Formel auseinan­der setzen will, landet früher oder später unvermeidlich bei zwei einander scheinbar widersprechenden Thesen. Sowohl zur allgemeinen als auch zur speziellen Erklärung der Welt und aller damit verbundenen Dinge wie Weiblichkeit oder Weisheit herrscht in der (natur-)wissenschaftlich geprägten Anschauung die Meinung vor, dass sich der Mensch über ei­nen langen Zeitraum von Jahrmillionen über verschiedene Formen eines einfachen Organismus, mehrzellige Lebewesen, niedere und höhere Tiere schließlich aus einem Affen entwi­ckelt habe. Der andere Pol wird von religiös eingestellten Personen vertreten, die der Ansicht sind, dass Gott die Welt und den Menschen geschaffen habe. Ende der Durchsage.

Bei beiden Meinungen existieren diverse Nuancen und Ab­stufungen, und in gewisser Weise sind sie sogar berufsbedingt per Definition geistiges Eigentum nicht weniger Menschen. Ein Angehöriger des Vatikans, einer Kirche etc. wird in der Regel ein Anhänger der Gottes-Variante sein, während ein (Natur-)Wissenschaftler zumeist die Theorie der Entwicklung des Menschen aus untergeordneten Tieren vertreten wird. Doch beide Seiten scheinen den wahren Schlüssel für das Ver­ständnis der Zusammenhänge in der Welt bzw. das Grund­prinzip noch nicht gefunden zu haben. So berichtete das Ham­burger Abendblatt im August 2011 genauso wie Die Welt im März 2010 von Wirtschafts-, Politik- und Finanzproblemen mit regionalem und überregionalem, ja globalem Charakter. Im März 2010 wurden Gewalt und Missbrauch in der Katholi­schen Kirche offenbar, und im September 2010 gab es zwi­schen Israelis und Palästinensern einen »neuen Anlauf im Jahrhundertkonflikt« (Stuttgarter Zeitung). Doch schon im Mai 2011 gab es wieder »Tote bei Protesten gegen Israel« (FAZ).

Eine einseitige Betrachtung der Welt ist also in dieser Bezie­hung nicht erstrebenswert, weder die religiöse Seite noch die wissenschaftliche scheinen im Laufe der Menschheitsevoluti­on alle Teilprinzipien für die W-Formel erarbeitet zu haben. Für den Hochschulbereich formulierte im November 2000 der Präsident der Berliner Humboldt-Universität, Prof. Dr. Jürgen Mlynek, in einem Interview mit Spektrum der Wissenschaft Leit­linien für eine zukünftige Entwicklung der Universitäten: »Hochschulen müssten der Pflege der Gesamtheit der Wissen­schaften dienen«, und »Forschungsarbeiten auf zukunftsträch­tigen Wissensgebieten setzen interdisziplinäres Arbeiten vor­aus«.

Auf die W-Formel angewandt bedeutet das, dass man sich also grundsätzlich mit beiden Glaubensrichtungen auseinan­der setzen muss und zu keiner der beiden Theorien uneinge­schränkt ja und Amen sagen, sondern eine Art Mittelweg ge­hen sollte. Um diesen Weg verfolgen zu können, muss man sich konsequenterweise mit beiden Denkrichtungen vertraut machen, gewissermaßen beide Seiten zu Wort kommen lassen. Nur muss man dann das richtige Maß finden, denn sonst geht es einem wie Faust, den Goethe sagen ließ:

»Habe nun, ach! Philosophie,

Juristerei und Medizin,

Und leider auch Theologie

Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.

Da steh' ich nun, ich armer Tor,

Und bin so klug als wie zuvor!«

Was die Welt im Innersten zusammenhält, beschäftigte nicht nur Goethe, sondern mittlerweile immer mehr Menschen - und auch Wissenschaftler: »Gott oder Physik« titelte GEO im Juni 2008, »Theologen und Wissenschaftler suchen nach dem Ursprung der Welt«, berichtete das Hamburger Abendblatt fünf Monate später, und Universitäten wie zum Beispiel die Uni Köln bieten zur individuellen Qualifizierung zahlreiche Studi­engänge in verschiedenen Fakultäten an.

Auch Old Shatterhand hatte studiert, bevor er in den Wilden Westen reiste und Winnetou kennen lernte, aber rückblickend erkannte er: »Ein Greenhorn ist eben ein Greenhorn - und ein solches Greenhorn war damals auch ich. ... Ich glaubte im Ge­genteil, ein außerordentlich kluger und erfahrener Mensch zu sein, hatte ich doch, wie man so zu sagen pflegt, studiert und nie vor einer Prüfung Angst gehabt. Daß dann das Leben die eigentliche und richtige Hochschule ist, deren Schüler täglich und stündlich geprüft werden und vor der Vorsehung beste­hen müssen, das begriff mein jugendlicher Sinn damals noch nicht.«

Da kommt mir die Lebensweisheit meiner Eltern in den Sinn: »Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.« Es reicht also nicht, nur ein guter Theoretiker zu sein, man muss diese Kenntnisse dann auch in der Praxis anwen­den und üben. Schließlich machte auch erst die Praxis und so­mit das Leben Old Shatterhand zu dem, der er war.

Also lassen Sie uns Fragen stellen! Seit über 40 Jahren beglei­ten uns »Wer? Wie? Was?« auf unserem Weg, oder wie es Thomas Osterkorn, Chefredakteur des stern, im April 2009 et­was konkreter formulierte: »Der Mensch ist das einzige Lebe­wesen, das weiß, dass es sterben muss. Das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit macht Angst und wirft Fragen auf: War­um leben wir überhaupt? Was kommt danach? Gibt es ein Le­ben nach dem Tod? Und wenn ja, wie sieht es aus?«

Um diesen Dingen auf den Grund zu gehen, lade ich Sie zu einer Reise ein. Und zwar sowohl im räumlichen als auch im zeitlichen Sinne. Aber wir nutzen dazu kein Raumschiff und auch kein Auto oder eine sonstige Maschine, sondern vollfüh­ren die Reise in Gedanken. Das hat den Vorteil, dass alle Leser mitkommen können, denn die Plätze selbst in einem großen Schiff wären sonst schnell belegt. Außerdem kostet es keinen Sprit, ist somit umweltschonend und damit zeitgemäß. Wir werden unterwegs auch mal Pause machen, um die Dinge Re­vue passieren zu lassen, und einen Blick auf die Karte werfen, um uns nicht zu verfahren; denn wie schon Daliah Lavi wuss­te: »Die Welt ist groß und kompliziert, so wie ein Labyrinth«.

Und da wir auf unserer Reise auch kein Gepäck brauchen, können wir uns schnurstracks auf den Weg machen. Die erste Frage lautet: Wen soll man fragen, wenn man etwas nicht weiß?

Bei der inwischen über zehn Jahre alten Spielshow »Wer wird Millionär?« mit Günther Jauch gibt es mehrere Joker für diese Zwecke, und auch wir werden ohne weitere Quellen nicht auskommen. Versetzen wir uns also kurz in unsere Schulzeit zurück: Der erste Schultag eines jeden Schuljahres diente nicht selten der Quellenbeschaffung; als Schüler musste man sich mit einem Haufen neuer Bücher eindecken, die im I­dealfall aus der Schulbücherei zu entleihen waren. Andern­falls gab es dann abends ein Gespräch mit den Eltern, denen feierlich eine Liste überreicht wurde.

Die ersten Lehrer eines Kindes sind in der Regel die Eltern, die Großeltern oder ältere Geschwister. Mein Vater wurde so zugleich mein erstes Vorbild, denn er wusste viel, und aus meiner Kinder-Perspektive fast alles. Egal ob Mathe oder Deutsch, Geschichte oder Erdkunde, Englisch oder Franzö­sisch, ja sogar Sport - ich genoss eine umfangreiche (Aus-)Bil­dung, ergänzend zur Schule. Später fand ich heraus, dass er soviel wusste, weil er es selber einmal gelernt hatte, sei es in der Schule, in der Ausbildung, im Beruf oder im Laufe des Le­bens. Historisches, Geographisches und Technisches vertiefte er durch Briefmarken sammeln, einem seiner Hobbys. Es ist ganz erstaunlich, was für Geschichten sich hinter so einer klei­nen Marke verbergen. So war es naheliegend ihm nachzuei­fern, ich würde schließlich auch einmal ein Mann werden. Al­lerdings war das in den jungen Jahren eher unbewusst. Denn er war ja einfach da. Und so nahm ich es ganz natürlich hin. Später sollte es anders werden, als das Selbstbewusstsein an­fing sich zu entwickeln. Aber dahin kommen wir auf unserer Reise noch früh genug.

Zurück zu den Quellen und deren Beschaffung: Nicht jeder, der etwas zu erzählen oder mitzuteilen hat, verarbeitet seine Gedanken in einem wissenschaftlich aufgemachten Buch oder Artikel in einer Zeitschrift. Heutzutage gibt es weitere Mög­lichkeiten: Zunächst wäre hier das Buch zu nennen, in dem die Geschichte in Romanform dargestellt wird. Eine andere Möglichkeit ist die der Verfilmung, denn Filme wirken nach­haltig. Wem ist zum Beispiel ein Spruch wie »Ich schau dir in die Augen, Kleines?« nicht geläufig?

»Der Film ist ein Spiegel der menschlichen Seele«, so Dirk Blothner, Professor für Psychologie an der Uni Köln, denn »er führt Zusammenhänge anschaulich vor Augen«, wenn auch vielleicht nicht immer so unmittelbar wie im bildgewaltigen »Jenseits von Afrika«. Das Prinzip jedoch wird auch in der Slapstick-Komödie »Is' was, Doc?« verdeutlicht: »Ist das nun Zufall?«, fragte (sich) Howard Bannister, als er Barbra Strei­sand auf dem Klavier fand. Sie hatte Politische Wissenschaf­ten, Geologie, Musikkunde, Literaturwissenschaften, Archäo­logie und Semantik studiert.

»Was wolltest du überhaupt werden?«

»Ein kluges Kind«. Und während des Studiums galt: »Ich hab' 'nen ganzen Schwung Bücher gelesen und war ziemlich oft im Kino.«

Im Film werden Bild und Ton verarbeitet, doch eine der wohl ältesten Möglichkeiten der Menschheit zu kommunizie­ren, ist nur der Ton, die Musik: eine der direktesten Arten, sei­nen Gegenüber zu erreichen. Man muss sich nur an die Szene­rie in einer Disco oder auf einem Konzert erinnern. Das gilt Generationen-übergreifend, etwa bei Klängen von John Miles und »Music was my first love«. Ebenso werden viele beim Hö­ren des Songs »Mrs. Robinson« von Simon & Garfunkel an den Film denken, oder beim Lesen des Buches an das Lied. Wem würde bei der Titelmelodie vom »Weißen Hai« nicht ein gewisses Bild im Geiste aufsteigen? Wer hätte nie bei einem Sport-Event den Queen-Klassiker »We are the Champions« gehört und eventuell sogar mitgesungen? Und was wäre ein Film wie »Dirty Dancing« ohne Musik? Undenkbar!

Oder wie die Queen of Pop es ausdrückte: »Music makes the people come together, yeah!« (Madonna, Music)

Speziell seit den späten 1990er Jahren stellt das Internet eine mehr als umfangreiche Quelle dar, Zeitschriften und Zeitun­gen runden das Angebot weitestgehend ab. So baut sich also das für dieses Buch verwendete Quellenverzeichnis zunächst aus sechs Kategorien auf: Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Fil­me, Musik und Internet-Artikel. Des Weiteren kommen Quel­len persönlicher Natur hinzu, so das Tagebuch von meiner Großmutter mit Erinnerungen aus der Zeit des Zweiten Welt­kriegs. Da es nicht öffentlich zugänglich ist, werde ich es im entsprechenden Kapitel im Original wiedergeben. Eine weite­re Quelle stellt das sich vor allem in jüngerer Vergangenheit verstärkt etablierende Public Viewing, eine andere das Radio dar. Dazu gesellen sich Erfahrungen aus meinem Studium, die Lebensweisheit meiner Eltern, die sie mir in den 1980er Jahren beigebracht haben: »Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir!«, und meine eigene Lebenserfahrung, die ich im Laufe von vier Jahrzehnten gesammelt habe. Wie ich in­zwischen herausgefunden habe, gilt die Weisheit meiner El­tern nicht nur für die Schulzeit, sondern für das ganze Leben. Da jeder sein eigenes, individuelles Leben und somit auch sei­ne eigenen Erfahrungen macht, werde ich meine jeweils an ei­nem allgemein verständlichen Beispiel erläutern.

Da auch die interessanteste Reise mit ein wenig Esprit ange­nehmer gestaltet werden kann, werden wir Anekdoten des »Grandseigneur des deutschen Humors«, Loriot, (Stuttgarter Zeitung) genauso begegnen wie Autobiografien, zum Beispiel der von dem »Geheimagenten wider Willen« Thomas Lieven, die Johannes Mario Simmel zu Papier brachte. Lieven war nicht sein richtiger Name, aber aus gewissen Gründen war die Nutzung dieses Namens unumgänglich. Daher werde ich, wenn ich auf dieses Buch bzw. diese Geschichte eingehe, auch bei diesem Namen bleiben. Lieven hatte zwei Schwächen: Frauen und Kochen, und während seiner unfreiwilligen Agen­tentätigkeit lernte er in Frankreich auch Josephine Baker ken­nen. Von dieser Szene leitet sich auch der Titel des Buches »Es muss nicht immer Kaviar sein« ab. Es kam 1960 auf den Markt, fand sich im Bücherschrank meiner Eltern und hat mir gewisse Einblicke in die Geschehnisse während des Zweiten Weltkriegs aus der Perspektive eines »Augenzeugen« ermög­licht. Es ist eine Autobiografie in Romanform und gehört da­mit zu meinen bevorzugten Büchern. Denn »je näher man am Ball ist, um so besser« (Helmut Schön).

Eine Erfahrung, die auch die fernab der Zivilisation im indonesischen Urwald aufgewachsene Sabine Kuegler in ihrer Autobiografie »Dschungelkind« beschreibt: Sie las zahlreiche Zeitschriften, um ihre Kenntnisse auf den »westlichen Stand« zu bringen, nachdem sie als Siebzehnjährige zurück nach Eu­ropa kam und somit auf eine Schule nach westlichem Modell gelangte. Diese Zeitschriften entstammten allen Sparten unse­rer mehr als vielfältigen Kulturlandschaft. Immerhin hatte sie aus den Zeitschriften und aus Gesprächen mit (Schul-)Freun­dinnen genug gelernt, um im europäischen Großstadt-Dschungel zu überleben. Dieses Prinzip werden wir auf unse­rer Reise auch verfolgen.

Ebenfalls ganz nah am Ball war Albert Schweitzer, der Theo­logie, Philosophie und Medizin studierte. Mehrere Jahrzehnte lebte er in Lambarene, im heutigen Gabun, in Westafrika, so auch von 1939 bis 1948, während des Zweiten Weltkrieges. Als er im August 1948 nach Europa kam, machte er die Erfahrung, »daß durch den Krieg und seine Greuel die Menschen für die Idee der Ehrfurcht vor dem Leben noch empfänglicher gewor­den waren.« Eine Beobachtung, die er im darauf folgenden Jahr in den USA bestätigt fand. Hier machte er die Bekannt­schaft von Ärzten, die ihn 1942 mit einer großen Medikamen­tenlieferung just zu dem Zeitpunkt unterstützten, als er im - von der Welt, die mit dem Weltkrieg beschäftigt war - nahezu abgeschnittenen Lambarene diesen Nachschub dringend brauchte.

Alle angesprochenen Quellen gehören zum Kulturgut der Menschheit. Also sollte man darauf auch zurückgreifen, um etwas derart Umfassendes wie die W-Formel darzustellen. Denn die Welt ist groß und kompliziert!

Die W-Formel oder das Spiel des Lebens

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