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Zukunftsträume

Das schmale, steil ansteigende Seitental, in dem Duana ihren geheimen Lieblingsplatz hatte, war einsam. Die Menschen mieden es. Es zweigte oberhalb von Magos vom Ahrtal ab und wurde von einem kleinen Bach durchzogen. Die Schlucht führte zu den Bergen hinauf, wo der unwegsame Urwald begann, der finstere Ardennerwald, der sich bis zum fernsten Horizont erstreckte und dessen geheime Pfade lediglich ein paar Wildhirten kannten.

Kaum hatten Caradoc und seine Liebste Hand in Hand die Klamm betreten, fühlten sie sich in eine andere Welt, eine andere Wirklichkeit versetzt. Es war die Welt der Feen, der Elfen und der Zwerge. Sie spürten: Hier hörte die Herrschaft der Menschen und die Herrschaft des Fürsten Marbod auf. Caradoc wusste, wie groß die Ehre war, dass sie ihm ihren Lieblingsplatz zeigte. Es war zugleich eine Versuchung, von der er jedoch wusste, dass er ihr widerstehen würde. Bei den keltischen Mädchen war es etwas anderes als bei den Jungen, die manchmal mehrere Lieblingsplätze hatten, die sie mit ihren Freunden und Freundinnen teilten. Der Lieblingsplatz eines Keltenmädchens hatte eine ganz besondere Bedeutung. Er war nur für das Mädchen und für ihren Bräutigam bestimmt. Er war ein Platz der Hingabe. Wo die Körper sich miteinander vereinten. Caradoc war zum ersten Mal mit Duana hier, obwohl sie schon so lange zusammen waren.

Als Junge war er manchmal mit seinen Freunden auf Erkundungsstreifzügen bis in diese Klamm gelangt, aber sie hatten sich nicht wohl gefühlt, hatten geglaubt, dass irgendetwas oder irgendjemand sie beobachtete, und sich als Eindringlinge empfunden. Sie waren kaum über die ersten Schritte, wo die kleine Schlucht noch nicht so steil war, hinausgekommen, und waren wieder umgekehrt.

Jetzt war alles anders. Er fühlte sich eins mit Duana und somit auch eins mit ihrem Lieblingsplatz und auch eins mit allen Wesen, die hier irgendwo zwischen den Wurzeln, in den Spalten der moosbewachsenen Steine oder irgendwo am Rande des kaum erkennbaren Pfades hausen mochten.

„Ich freue mich so, dass wir endlich zusammen hierhergekommen sind“, seufzte Duana. Sie drückte die Hand ihres jungen Geliebten. „Du kennst mich nur, wenn du auch meinen Lieblingsplatz kennst.“

„Ja, mein Herz“, erwiderte Caradoc voller Wärme. „Ich bin froh, dass ich hier bin. Es ist eine große Ehre für mich. Ich wollte dich doch immer ganz genau kennen lernen. Wollte wissen, wer du bist. Jetzt werde ich es erfahren.“

Duana lachte. „Schön, mein starker Schmied!“ Gern spielte sie auf die große Kraft seiner Muskeln und auf die geschmeidige Stärke von Caradocs Körper an, weil ihr beides gefiel und ihn für sie anziehend machte. „Es ist schön für mich, dass du so genau wissen willst, wer ich bin. Die anderen Jungen sind nicht so. Sie sind viel oberflächlicher und unbedachter als du. Ich teile meinen Platz so gern mit dir. Mit niemand anderem.“

„Ich will alles von dir wissen, weil ich dich so gerne habe, Duana.“

„Alles ist so schön mit uns beiden … Wenn es doch immer so bleiben könnte.“

„Wenn wir es nur ganz fest wollen“, erwiderte Caradoc bedächtig, „dann können wir unser Glück festhalten.“ Duana schwieg. „Warum antwortest du nicht?“

„Ich musste daran denken, was meine Mutter sagt. Sie sagt, man kann auf dieser Welt nichts festhalten. Und dass die Götter einem jederzeit wieder nehmen können, was sie einem gegeben haben.“

Caradoc machte ein trotziges Gesicht und legte den Arm um Duana. Die Tochter Donaghues und Gwenfrews schmiegte sich gern an ihn. „Wir Menschen müssen nur wollen. Unser Wille kann selbst den Göttern trotzen. Wir müssen nur fest an unsere Zukunft glauben.“

„Ich hoffe, du hast Recht“, entgegnete Duana.

Das junge Paar ging langsam weiter. Jetzt begann der steilere Teil der Klamm, die schmaler und dunkler wurde. „Und … Glaubst du an unsere Zukunft, mein Liebster?“

„So sehr wie ich an mein Leben glaube“, erwiderte der junge Schmied, der Sohn des Caileass, ohne einen Augenblick zu zögern. „Ich glaube ganz fest daran, dass du und ich … dass wir beide eine schöne, gemeinsame Zukunft haben. Dass wir ein gemeinsames Haus haben werden, dass wir zusammen Kinder haben werden …“

„Oh, Caradoc“, seufzte Duana und schlang ihre Arme um den kräftigen Hals ihres Geliebten. „Ich hoffe, dass du es nicht bereust, was wir uns versprochen haben. An meinem Lieblingsplatz. Wir wissen ja beide, was es für uns Mädchen bedeutet, wenn wir unseren Liebsten zu unserem geheimen Platz mitnehmen.“

„Ich bereue nichts, mein Schatz. Es bleibt dabei, dass wir erst beieinanderliegen werden, wenn wir von der Druidin als Mann und Frau zusammengebracht worden sind. Das meinst du doch?“ Der junge Schmied lachte. Ein volles, schönes, angenehmes Lachen, das sich in den Ästen der mächtigen Bäume verfing. Duana liebte Caradocs Lachen. „Mach dir keine Sorgen, Liebste. Es ist genauso mein Wunsch, wie es dein Wunsch ist. Doch auch wenn wir jetzt noch nicht unsere Körper miteinander vereinen, so spreche ich trotzdem gern von unseren gemeinsamen Kindern.“

Sie erreichten endlich die einsame Stelle, an der der Bach eine scharfe Biegung machte. An der Strömungsseite war eine kleine Ausbuchtung ausgewaschen, an der eine gewaltige Luftwurzel einen natürlichen Sitzplatz geformt hatte. Hinter der Wurzel ragten mächtige Felsen aus dem Erdreich, von kleinen Spalten und Schlünden durchzogen. „Hier … Wir haben ihn erreicht“, sagte Duana mit einem Anflug von Stolz in der Stimme: „Meinen Lieblingsplatz. Der schönste Platz auf der Welt.“

Caradoc konnte Duana verstehen, denn es war wirklich ein wunderbarer geheimer Platz, wie geschaffen für sie beide. Ein auserwählter Ort auf dieser Welt, weitab von Magos. Die beiden setzten sich, küssten sich liebevoll. Streichelten sich, bedachten sich mit den Koseworten, die sie im Laufe der Zeit füreinander gefunden hatten. Der Gesang der Vögel umgab sie.

„Unsere ungeborenen Kinder …“, flüsterte Duana nach einer Weile, als Caradocs Lippen ihre Lippen für einen Augenblick freigaben. „Wie stellst du dir unsere Kinder vor?“

Caradoc schaute verträumt die Klamm hinab. Dort unten lag das Ahrtal, lag Magos, lag die Schmiede, lag das Haus ihres und seines Vaters, inmitten des Handwerkerviertels, wo auch die Töpfer, Zimmerleute, Glashersteller, Bernsteinbearbeiter und Bronzegießer ihre Werkstätten hatten. Da unten lag das Leben, lag ihre Zukunft, zum Greifen nahe und doch in diesem Augenblick so weit weg, als wäre es eine andere Wirklichkeit. „Sie sollen eine Mischung sein … eine Mischung aus uns beiden“, sagte er beherzt. „Stark und sanft, geradeaus und klug, zierlich und anmutig wie du die Mädchen …“

„… und kräftig und selbstbewusst wie du, unsere Jungen.“

„Oh, mein Herz. Ich liebe unsere Zukunft. Und ich freue mich schon so sehr darauf.“

Ihre Lippen fanden sich erneut. In diesem Augenblick sah Duana im Augenwinkel unterhalb der Wurzeln im Halbschatten der Felsen eine kleine, geschmeidige Bewegung, so als wäre dort eine winzige Gestalt. Sie lächelte, sagte aber nichts. Sie wusste, dass sie an ihrem Lieblingsplatz Freunde hatte. Kleine, freundliche Wesen, die in einer unentdeckten, geheimnisvollen Welt lebten und die erfüllt waren von einem unergründlichen, uralten Wissen, älter als alles Wissen der Menschen.

Jene Wesen lebten schon immer an diesem Platz. Sie kannte sie seit ihrer frühen Kindheit als ihre wohlmeinenden, verborgenen, namenlosen Freunde. Sie spürte tief in ihrem Herzen, dass sie ihr alles Glück, Heil und Freude wünschten für ihr zukünftiges Leben an der Seite Caradocs. Duana war unendlich glücklich, und sie wusste, dass auch Caradoc jetzt und hier glücklich war. Sie wünschte sich, dieser Moment möge niemals vergehen.

Die Blutkönigin

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