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Die Waffenschmiede

„Ich bringe das Eisen zum Glühen und ich mache es weich und ich zwinge ihm die Form auf, die ich haben will, siehst du … Genau so!“

Caradoc musste brüllen, um sich verständlich zu machen. Er holte mit seinem Schmiedehammer aus und traf das Werkstück so gezielt, dass der alte Tamnais mit der Zunge schnalzte. Obwohl Caradoc noch jung war, galt er schon als Meister seines Handwerks und als ein würdiger Nachfolger seines Vaters, den er an Kunstfertigkeit im Umgang mit dem edlen Stahl noch übertraf.

„Du kannst das besser, als selbst dein Vater es je gekonnt hat“, gab der Alte unumwunden zu, der einer der sieben Schmiede in der Großwerkstatt des Waffenschmiedes Caileass war.

„Ist das wirklich deine Meinung? Oder willst du mir nur schmeicheln?“ Caradoc setzte den Schmiedehammer schnaufend ab.

„Schmeicheln?“, fragte Tamnais. „Kenne ich gar nicht. Das weißt du doch, Junge. Kennst mich doch.“ Er entspannte seinen muskulösen Körper. „Jeder, der ein bisschen Ahnung davon hat, sieht das“, schrie Tamnais gegen den ohrenbetäubenden Krach, der die Schmiede erfüllte. Man merkte ihm nicht an, dass nur wenige Tage zuvor seine Schwester gestorben war, das letzte Mitglied seiner Familie. Jetzt waren die Menschen aus der Werkstatt seine Familie.

Es war brüllend heiß in der Schmiede. Der Sohn des Meisters trug genauso wie die sieben Vollschmiede und die Handwerksgehilfen vor dem nackten Oberkörper eine lederne Schürze zum Schutz vor herumfliegenden Funken sowie Hosen und feste Schuhe. Auf dem Kopf hatte er ein ledernes Kopftuch. Die nackten Oberkörper waren verschwitzt und rußgeschwärzt. Es war ein ständiges, lautes, metallisches und rhythmisches Hämmern in der Schmiede Caileass’, ein Klang, den man im ganzen Tal hören konnte. Der Meister selbst war nicht da. Der Alte ließ sich immer seltener in der Schmiede blicken und scheute das schmutzige, harte Handwerk zusehends. Caradocs Vater trug lieber wertvolle Kleider, die er für teures eburonisches Geld aus Rom ins Ahrtal bringen ließ.

Er konnte es sich leisten. Viele beauftragten die Meisterwerkstatt mit Schmiedearbeiten. Das Eisen, das Caradoc und seine Mannschaft an den Ambossen bearbeitete, nannten sie stolz den Stahl der Götter. Selbst von den rechtsrheinischen, germanischen Stämmen, aus dem dunklen Land der endlosen Wälder jenseits des Rheins, kamen Aufträge. Die Germanen bezahlten gern in Bernstein, der bei den Römern hoch im Kurs stand.

Für die ubischen und suebischen Krieger von der anderen Rheinseite war ein keltisches Schwert der höchste Besitz eines Mannes auf dieser Erde; noch vor einem edlen Pferd und einer schönen Frau. Immer öfter kamen auch Händler aus Rom über beschwerliche Wege bis ins Ahrtal, um ihre Waffen abzuholen. Caradoc hatte gehört, dass selbst Offiziere aus der Armee Caesars keltische Schwerter führten. Er hatte ein ungutes Gefühl, dass die Werkstatt seines Vaters die Feinde des keltischen Volkes mit Waffen ausstattete. Doch Caileass sah das anders. „Ich gebe es zu: Ich heule mit den Wölfen“, pflegte er zu sagen. Für Gold und goldene Münzen verkauft er seine Seele, dachte sein Sohn mit Verdruss. Es bedeutete dem Vater nicht viel, ob er von einem eburonischen König oder von einem römischen Militärlegaten beherrscht wurde. Hauptsache, er konnte seine Geschäfte machen.

In diesem einen Punkt bestand zwischen Vater und Sohn keine Einigkeit. Reichtum und Geld – keltische Goldschüsselchen oder römische Denare –, die der Vater so sehr liebte, interessierten den Sohn nicht. Ansonsten liebte der Junge seinen Vater sehr, seine Geschicklichkeit, seine Geschäftstüchtigkeit, die Freundlichkeit und Vorsicht, mit der er den Klan führte. Caileass scheute dabei möglichst jede Konfrontation.

Draußen an der Werkstatt, in einer gemauerten Rinne, floss der Mühlbach. Er war unter der Palisade hindurchgeführt und verschwand in einem dunklen Durchfluss, der in der Ahr mündete. Für die Jungen der Siedlung war es eine beliebte Mutprobe, sich durch den engen, gemauerten Kanal gleiten zu lassen und auf der anderen Seite der Palisade wieder ans Tageslicht zu kommen. Auch Caradoc hatte das als Kind gemacht.

Der Bach trieb eine Mühle an, wie es sie weit und breit nicht noch einmal gab: Das Mühlrad bewegte keinen Mahlstein, sondern ein hölzernes Schlagwerk, das wiederum einen mächtigen Hammer antrieb. Das war die andere Seite Caileass’. Seine Neugierde. Seine Offenheit für das Ungewöhnliche. Er war erfinderisch. Kelten waren so. Seit Caradocs Vater die Mühle und das Schlagwerk vor zwei Jahren für die groben Arbeiten hatte bauen lassen, hatte sich die Fertigung der Großschmiede mehr als verdoppelt und damit auch der Gewinn. Die groben Arbeiten war ihnen zudem sehr erleichtert worden.

Tamnais, der älteste der Schmiede, arbeitete gern mit dem mechanischen Hammer, dessen Bedienung weniger Kraft erforderte. Er war der Herr des Hammers. Die manchmal eintönige Arbeit war ihm gleich. Am mechanischen Amboss wurden all jene Dinge bearbeitet, die sie in vielfacher Ausfertigung herstellen mussten. Zum Beispiel die zweihundert soliden, aber einfachen Schwerter, die König Catuvolc bestellt hatte. Er war einer von zwei gleichberechtigten Königen der Eburonen – Catuvolc und Ambiorix. Der eine ein König für den Kult und die heiligen Zeremonien, der andere der König für den Krieg, der Heerführer.

Tamnais war klein von Wuchs und hatte ein grobes, vierschrötiges Gesicht, das bartlos war wie bei allen Schmieden. Sie waren ständigem Funkenflug ausgesetzt; ein Bart hätte da schnell mal Feuer gefangen.

Es war ein nachdenklicher Tag. Der Tod von Tamnais’ Schwester hing gleichsam wie Rauch in der Luft. Draußen vor den offenen Toren der Großschmiede regnete es schon seit dem Morgengrauen, ein dünner, feiner Regen. Typisches Frühsommerwetter. Über Nacht waren die Wolken vom fernen Westmeer herübergekommen, wo das sagenhafte keltische Inselreich Britannien lag. Sie zogen tief über das Land hinweg. Über Nacht war es merklich kühler geworden. Melancholie lag über dem Eburonenland, eine unerklärliche Traurigkeit. Das Tal mit seinen Weiden und Getreidefeldern, den Obstwiesen und Gemüsegärten hüllte sich in Nebelschwaden, und wenn der mechanische Schmiedehammer schwieg, so wie während der gemeinsamen Einnahme des Mittagsmahles, lag eine geradezu weihevolle Stille über dem Tal. Manchmal zischte es, ein Geräusch wie von einer Schlange. Es kam aus der Werkstatt des Nachbarn, des Bronzegießers.

Am späten Mittag gab es für alle Eintopf aus Bohnen und Gerste, den die Küchenmagd in die wegen der Feuergefahr etwas abseitsstehende Werkstatt brachte. Um sich abzukühlen und Luft zu schnappen, gingen sie zum Essen hinaus vor die Schmiede. Dort standen drei Rosskastanien. Sie setzten sich unter das Vordach schweigend auf den Boden. In einem Kreis Caradoc und die sieben Schmiede, daneben in einem zweiten Kreis die Gehilfen.

Der Weg vor der Schmiede war menschenleer. Er führte vom schwer befestigten Stadttor durch das Handwerkerviertel zur Mitte des Oppidums, wo eine tausendjährige Eibe ihr Dach über dem Gerichtsstuhl der Druidin Meredyd ausbreitete.

Nachdem sie sich den Mund abgeputzt, die hölzernen Essschalen mit Sand ausgewischt und einen kräftigen Schluck Wasser aus dem gemeinsamen Lederbeutel getrunken hatten, saßen sie noch ein paar Minuten beisammen.

Der alte Tamnais, der auf einem Auge fast blind war, seit es von einem winzigen Metallsplitter getroffen worden war, erzählte voller Melancholie von den alten Zeiten, die für immer vergangen waren. Alle lauschten aufmerksam. Die Traurigkeit, die in seinen Worten lag, ließ den Zuhörern die Tränen in die Augen steigen. Dann erzählte er von Caradoc, als er noch ein Kind gewesen war. Der errötete. „Ach, lass doch!“, sagte er, denn er war bescheiden und machte weder viel Aufhebens um seine Person noch darum, dass er der Sohn des Klanältesten Caileass war oder dass sein Klan zu den reichsten und angesehensten Häusern des Gaus zählte.

„Doch, doch!“, fuhr Tamnais in seinen Erinnerungen an Caradocs Kindheit fort. „Unser Caradoc wollte schon als kleiner Junge nichts anderes als den Hammer schwingen. Genauso wie sein Vater, stimmt’s?“

„Bis ich einmal ein so guter Waffenschmied sein werde wie mein Vater, verlieren die Bäume noch oft die Blätter.“

„Du bist einfach zu bescheiden, mein Junge“, sagte der alte Schmied. Die anderen nickten zustimmend.

„Und du bist zu redselig, mein Alter“, erwiderte Caradoc mit einem säuerlichen Lächeln.

„Ist es verboten, sich zu erinnern? Was habe ich denn sonst noch als die Erinnerungen. Du weißt doch, dass du für mich wie ein Sohn warst.“

Für einen Moment versank Caradoc in Gedanken. So als taste er sich in seinen eigenen Erinnerungen zurück. „Eigentlich wollte ich immer so werden wie du“, sagte der Sohn Caileass’ leise. „Vater war oft sehr beschäftigt und hatte wenig Zeit. Du bist es gewesen, der mir das Schmieden beigebracht hat.“

Tamnais senkte verschämt den Blick. „Du ehrst mich, Sohn des Caileass. Wenn ich dir nur ein wenig von meinen bescheidenen Kenntnissen beigebracht habe, dann freue ich mich schon sehr.“

„Du hast die Grundlagen gelegt. Durch deine Anleitung habe ich gelernt, den glühenden Stahl und den Schwung des Hammers zu lieben.“

„Und solide, männliche Arbeit zu verrichten, für die überall auf dieser Welt gutes Geld bezahlt wird.“

Alle fuhren herum. Caileass stand in der offenen Türe der Werkstatt.

„Der Meister!“

„Du weißt gar nicht, wie dankbar ich dir bin, Tamnais, dass du meinen Sohn gelehrt hast, unser schwieriges Handwerk noch mehr zu lieben, als ich es liebe. Weshalb ich gekommen bin … Das mit deiner Schwester … Es tut mir leid. Ich wäre gern zu ihrem Leichenbegängnis gekommen, doch du weißt ja … die Pflichten.“

„Ist schon gut, Meister“, erwiderte Tamnais ohne Groll. „Du musst dich schließlich darum kümmern, dass wir alle zu essen haben. Und zu trinken.“ Er lachte künstlich. „Wenn du wenigstens zu meinem Leichenbegängnis kommst.“

„Mein guter Tamnais“, erwiderte der Meister, Caradocs Vater, „damit haben wir aber noch sehr, sehr viel Zeit.“

Plötzlich drang von draußen lautes Geschrei und Wehklagen in die Schmiede, wie es die alten Frauen der Klans anstimmten, wenn jemand gestorben war.

„Was ist da los?“ Das Jammern und Wehklagen wurde lauter.

Caradoc rannte hinaus. Jetzt kamen auch die anderen aus der Werkstatt gelaufen. Alle redeten durcheinander.

„Hast du eine Ahnung, was da los ist?“, fragte Tamnais.

„Na, seht euch das an!“, rief der junge Schmied Gombo und deutete in Richtung des Druidenhofes.

Aus dem Tor des Hofes kamen die Priester der Druidin gelaufen. Sie trugen ihre dunkelblauen Gewänder mit dem dünnen, goldenen Saum. Um den Hals hatten sie goldene Torques. Die schweren Halsketten mussten einen doch behindern, dachte Caradoc. Sie liefen, sich die Haare raufend, in Richtung des Schanzentores einer Reiterin entgegen. Es war die Druidin Meredyd.

„Seht Ihr was, Herr?“, fragte der alte Schmied. „Ihr wisst doch, wenn ich in die Ferne blicke, bin ich nahezu blind.“

„Es ist Meredyd“, erklärte der Sohn des Schmiedemeisters. „Und der Krieger Cearnach ist bei ihr.“

„Cearnach? Ist das nicht der, der den Heiligen Hain beschützt?“, fragte der Alte verwundert. „Hat der nicht seit dem Krieg vor zwei Jahren den Heiligen Hain nicht mehr verlassen?

„Ja, er ist einer der treuesten Krieger der Druidin.“

„Warum jammern die Priester so?“

„Ich weiß es nicht … Warte – die Druidin hat ein zweites Pferd am Zügel“, erklärte Caradoc aufgeregt. „Und bei Cearnach … Was ist das?“

„Sag schon!“

„Scheint, dass er einen Gefangenen hinter seinem Pferd herschleift.“

„Ach du meine Güte! Einen Gefangenen? Was? Er schleift ihn hinter sich her?“ Tamnais reckte den Hals. „Ja, jetzt erkenne ich auch was.“

„Da liegt doch jemand auf dem zweiten Pferd.“

„Ja, ich seh es auch. Wie zu einem Paket verschnürt.“

Die Druidin kam näher. Ihr Gesicht war starr und ausdruckslos.

„Es ist eine Leiche“, sagte der junge Schmied Gombo.

„Und der Gefangene, den Cearnach hinter sich herschleift … Der sieht aus wie ein Germane von der anderen Rheinseite.“

Jetzt konnten sie verstehen, was die Leute riefen, die die Druidin wehklagend in Empfang genommen hatten. Es war der Name ihrer schönen Tochter Sinned, die sie bald in ihrem Amt beerben sollte.

„Hört ihr das? Sinned! Sinned ist tot, rufen sie. Die Tochter der Druidin ist tot! Und sie rufen, schneidet dem Germanen die Kehle durch! Hört ihr das denn nicht? Ich hör es ganz genau!“

Die Blutkönigin

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