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Erster Teil

Der Himmel bebt

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Das Ritual des Hirschgottes

Die Dienerin Eiblin kam beim ersten Hahnenschrei des Beltanetages mit ihrem Talglicht in die Kammer von Sinned, der Tochter der alten Druidin. Sie wollte sie mit ätherischen Ölen einreiben, unter den Armen und im Schambereich mit einem scharfen Messer rasieren und ihre Augenbrauen zupfen – so wie es das Ritual des Hirschgottes vorschrieb.

Vom Licht des beginnenden Tages konnte man eben einen spärlichen, graublauen Schimmer erahnen. Beltane. Das Fest des Sommers und der Liebe. Sinned zog das Nachtkleid aus und legte sich mit dem Rücken auf ihr Schlaffell. Sie genoss es, wie die geschickten Hände Eiblins das Öl auf ihrer nackten Haut verteilten.

Eiblin hatte in einem kupfernen Becher den blutroten Trank mitgebracht, der von der Druidin zubereitet worden war und der Sinneds Körper und ihren Geist leicht und geschmeidig machen sollte. Sie kostete von dem Trunk und schloss die Augen. Eiblin hatte mitbekommen, dass sie sich am Abend zuvor mit der alten Druidin gestritten hatte. Gerne hätte sie deshalb mit Sinned gesprochen, aber sie durfte es nicht. So wollte es das Ritual des Hirschgottes.

Die Dienerin war die gute Seele des Druidenhofs. Von kleiner Gestalt, war Eiblin dennoch kräftig und geschickt. Sie gehörte zum Hof, solange sich Sinned erinnern konnte, stammte aus einer der fleißigen Bauernfamilien des Tales. Ihr langes, schlohweißes Haar hatte sie nach alter Keltensitte zu drei dicken Zöpfen gebunden. Sie war wie alle Bauerntöchter von zupackender Art, dabei aber bedächtig und gleichmütig. Sinned mochte sie gern.

„Im Pferdemonat beschließe ich mein doppelzwölftes Jahr, aber meine Mutter behandelt mich immer noch wie ein Kind“, sagte Sinned nach einer Weile. „Weißt du, dass es das dreizehnte Mal ist, dass ich den Hirschgott in meinem Schoß empfange? Und trotzdem traut sie mir keine eigene Entscheidung zu und will nicht einsehen, dass ich in manchen Dingen meinen eigenen Kopf habe. Sie glaubt, dass sie ganz alleine weiß, was die Götter wollen. Und nicht nur die Götter, sondern auch die Menschen.“

Eiblin begann mit der Rasur der Achselhöhle. Sie benutzte dabei das überaus scharfe Schermesser, das in der Werkstatt des Meisterschmieds Caileass hergestellt worden war. Sinned vertraute der Vorsicht und der Geschicklichkeit der Dienerin.

Der jüngste der Priester, ein hübscher Bursche namens Cameron mit hellen, munteren Augen, bewachte den Zugang der Kammer, während Sinned für das Ritual des Hirschgottes vorbereitet wurde: Für die kultische Vereinigung mit einem gehörnten, gesichtslosen Mann. Später, nach Einbruch der Dunkelheit, wenn am Beltaneabend auf den Höhen die Feuer der Fruchtbarkeit brannten. Der schwere Geruch von Duftkräutern und glimmendem Räucherharz durchwob die Kammer.

„Ich habe die beiden letzten Jahre im Wald verbracht“, fuhr die Tochter der alten Druidin fort. Offenbar hatte sich einige Wut über die Mutter in ihr aufgestaut. „Ich habe auswendig gelernt, gefastet und meditiert und nochmals auswendig gelernt, bis es mir zum Hals herausgehangen hat. Ich werde bei jedem Hohen Fest von einem Hirschgott in Menschengestalt bestiegen, bis ich schwanger bin. Und ich soll nächstes Jahr die neue Hohe Druidin unseres Gaues werden, ausgerechnet in dieser beunruhigenden Zeit.“ Sinned schüttelte den Kopf. „Sie setzt mich einfach auf den Druidenstuhl, wenn sie geruht, auf ihre letzte Wanderschaft zu gehen, sie lässt mich alleine zurück … Aber auf der anderen Seite tut sie so, als hätte ich nicht die geringste Ahnung und als dürfte ich nicht selbst nachdenken und zu anderen Schlüssen kommen als sie.“

Sinned trank einen weiteren Schluck des süßlich riechenden Saftes aus dem Kupferbecher. Mehr denn je lagen Trotz und Widerwillen in ihrer wohlklingenden Stimme.

„Und außerdem kann ich es nicht mehr ertragen, dass niemand außerhalb des Heiligen Haines mit mir sprechen darf, bis meine Lehrzeit vorbei ist. Weder du noch irgendjemand anderes, den ich kenne. Was will die Große Göttin Dana eigentlich damit bezwecken?“ Es klang nicht so, als wäre Sinned mit dem Schweigegebot der Großen Göttin von ganzem Herzen einverstanden, auf dessen Einhaltung ihre Mutter Meredyd mit solchem Nachdruck beharrte.

„Ich will, dass wir uns ganz viel Zeit lassen. Den ganzen Morgen sollst du meinen Körper verwöhnen, Eiblin.“ In ihre Stimme trat etwas Sinnliches. Vorfreude. Sie fieberte der kommenden Nacht entgegen. Der Winter war endgültig besiegt. Mit der Zeit des Wachstums und der Fruchtbarkeit begann die helle Hälfte des Jahres. Die Bauern trieben das Vieh durch die Beltanefeuer, um es gegen Krankheiten zu wappnen und es fruchtbar zu machen. Und auch die jungen Paare, die Kinder haben wollten, sprangen durch das reinigende Feuer der Fruchtbarkeit, und auch in Sinneds Körper loderte das Feuer von Beltane. Ein intensives, tief körperliches Gefühl. Ihr Herz pochte schneller, wenn sie daran dachte, was in der Heiligen Grotte geschehen würde. Die Stätte für das Ritual. Eine geheimnisumwitterte, unzugängliche Höhle, die kein Uneingeweihter so schnell finden konnte. Wer sie ohne Zustimmung der Hohen Druidin betrat, war des Todes.

„Wenn ich nur wüsste, wer es diesmal ist. Bei meinem letzten Hirschgott an Samhain im vergangenen Jahr hatte ich eine ganz bestimmte Ahnung … Reib diese Stelle noch etwas kräftiger ein … Gut so, gut!“

Keine andere Dienerin konnte das so gut wie Eiblin! Wie geschickt sie ihre Finger, ihre Hände, ihre Daumenballen einsetzte!

„Wünsch mir Glück, Eiblin“, sagte die junge Druidin nach einer geraumen Weile. „Ich will endlich schwanger werden von dem Hirschgott! Ich will in den Augen meiner Mutter nicht mehr ständig diese Vorwürfe lesen müssen. Du kennst sie doch. Du weißt, wie sie ist. Verstehst du? … Ah! Ja! Etwas tiefer …“ Sinned kicherte unvermittelt. „Du kitzelst mich ja.“ Der süße Trank der Mutter tat mehr und mehr seine Wirkung. „Weißt du, sie schaut dich mit ihren stechenden grauen Augen an, und es ist so, als würdest du ihre Stimme in deinem Kopf hören, obwohl sie kein Wort sagt.“

Unfruchtbar – diese unausgesprochene Anklage sah sie im harten Gesicht ihrer Mutter. Immer. Jedes Mal wenn sie sich sahen. Schuld. Sinned konnte sich diesem Eindruck nicht entziehen. Sie fürchtete und hasste ihre Mutter dafür, jedenfalls manchmal. Im Druidenhof atmete sie wie die meisten auf, wenn Meredyd fort war. Ihre Strenge und ihre Unnachgiebigkeit waren bei Priestern, Dienern, Knechten und Mägden gefürchtet. Die Bauern jedoch, die die Felder der Druidin bestellten, sprachen stets mit Respekt und Ehrfurcht von ihrer Herrin, die zwar hart, aber auch gerecht, pflichtbewusst und unbeugsam war.

Für ihre Tochter war der gnaden- und freudlose Charakter der Mutter von Anfang an wie ein Mühlstein gewesen, den sie um ihren Hals trug. Trist. Kalt. Sinned empfand die Unnachgiebigkeit und Härte der Mutter als tyrannisch, selbstquälerisch und letztlich sinnlos. Liebe – die hatte sie von ihrer Mutter niemals erhalten. Zärtlichkeit – keine Spur. Wärme und Nähe – da musste das Schlaffell ihres Lagers reichen oder eines der Haustiere, die den Druidenhof bevölkerten. Sinned hatte viel geweint, als sie jünger war, doch das war vorbei.

Geblieben war, dass sie in Vielem ganz anders dachte als Meredyd mit ihren altmodischen Ansichten, die längst der Vergangenheit angehörten. Ihre Mutter beharrte unnachgiebig und geradezu halsstarrig auf den alten Werten, Vorstellungen und Gesetzen, genauso wie ihr Handlanger, der düstere Altpriester Taran mit dem einen Arm, den Sinned als Kind mehr gefürchtet hatte als jeden anderen.

Sie verscheuchte diese üblen Gedanken. Eiblin machte Sinned ein Zeichen. Die Tochter der Druidin nickte und drehte sich auf den Bauch. Vielleicht war das Ritual ja dieses Mal ganz anders als sonst. Denn die Macht einer geheimnisvollen Zahl entfaltete sich in der kommenden Beltanenacht: Es war das dreizehnte Mal, dass der Hirschgott zu ihr kommen würde, um sie zu schwängern, nach den vergeblichen Anläufen in den vergangenen Jahren. Die Dreizehn. Eine Zahl, den Kelten heilig. Eine Zahl, die ebenso mysteriös wie mächtig und undurchsichtig war.

„Ahh, das tut gut!“

Eiblin ölte mit kreisenden Bewegungen Sinneds Pobacken ein. Das Öl duftete verführerisch. „So, wie du das machst, könnte kein Mann es machen“, lachte Sinned. „Am besten, ich werde doch noch etwas länger nicht schwanger, ganz egal, wie meine Mutter mich anschaut. Von mir aus kann ich eigentlich jedes Jahr drei neue Hirschgötter hintereinander verbrauchen. Warum auch nicht? Wenn wir fertig sind, lege ich mich noch etwas nieder und bereite mich innerlich vor. Ich werde schlafen. Ich werde träumen. Ich werde mich selbst massieren. Ich werde alles weich und warm massieren. Das hungrige Raubtier zwischen meinen Beinen vorbereiten. Ich will, dass mich mein Hirschgott geschmeidig und empfänglich vorfindet. Ich bin die Göttin für ihn.“

Die Blutkönigin

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