Читать книгу Mords-Wut - Günther Dümler - Страница 5
Rödnbach
ОглавлениеEndlich ist der Frühling doch noch in die Gänge gekommen. Die angenehm wärmende Maisonne strahlt huldvoll auf die zu neuem Leben erwachte Natur herab und animiert die riesige Vielfalt der bunten Blumen zu ungeahnten Höchstleistungen. Das kleine fränkische Dörfchen Röthenbach oder Rödnbach, wie die Einheimischen ihren Heimatort liebevoll nennen, scheint jedoch in tiefem Schlaf zu liegen. Unverändert friedlich liegt es an den Ufern des munter dahinfließenden gleichnamigen Bächleins inmitten der anheimelnden, von schroffen Felsen und sanften Wiesen geprägten Landschaft Mittelfrankens. Der Ort vermittelt bei erster, oberflächlicher Ansicht das Idealbild eines klassischen Postkartenidylls. Er gibt dem Betrachter ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit, ist sprichwörtlich ein Hort von Gediegenheit und Tugend, wie es ihn eben nur noch auf dem Lande gibt. Hier erwartet man fleißige, ehrbare und bescheidene Bürger, die pflichtbewusst ihrer Arbeit nachgehen, in perfektem Einklang mit Gott und der Welt.
Gott ist hier eindeutig katholisch, wenn auch nicht mehr so allgegenwärtig wie in früheren Zeiten. Ein bisschen hat die Moderne schon Einzug gehalten, mit ihr einhergehend eine gewisse Mündigkeit der Menschen. Man glaubt nicht mehr alles was die Kirche sagt und gleich gar nicht mehr im wörtlichen Sinne, wie damals noch im Kindergartenalter, als man sich aufgrund der recht anschaulichen Darstellungen in der Kinderbibel den dreifaltigen Gott noch als alten Mann mit weißem Bart und mit drei Augen vorstellte. Einen mit stets wachsamen Augen, denen nichts, was auf der Welt geschieht, entgeht und als gütigen Großvater, der darüber wacht, dass seinen Schutzbefohlenen kein Leid geschieht. Schade eigentlich, dass dem Menschen mit zunehmendem Alter und damit einhergehender schmerzlicher Erfahrung immer weniger von diesem grenzenlosen, kindlichen Gottvertrauen bleibt.
Als oberster irdischer Vertreter dieses göttlichen Wesens fungiert in Röthenbach der hochwürdige Herr Pfarrer Willibald Stiegler, ein gewissenhafter, älterer Geistlicher, der entgegen dem heute üblichen Trend von den Dörflern immer noch allgemein als Respektsperson betrachtet wird, was er sich allein schon durch seine unaufgeregte, einfühlsame und gerechte Art verdient hat. Er lebt vor, was er glaubt und verdient sich damit die Anerkennung auch derer, die der Kirche schön längst die Gefolgschaft aufgekündigt haben. Allerdings ist auch er nicht mehr die unfehlbare moralische Instanz des Dorfes, wie das seine Vorgänger als Rödnbacher Ortspfarrer kraft ihres Amtes noch vor etwa fünfzig Jahren ohne Wenn und Aber für alle Bürger waren. Damals ließ sich kaum einer in aller Öffentlichkeit zu einer Ungehörigkeit, gleich welcher Art hinreißen, schon nicht aus Furcht vor dem berechtigten Tadel des damaligen Hochwürdigen Herrn Geistlichen Rates. Die erschrockene Frage, „Woss wärd nern dou der Pfarrer derzou soong?“, wäre unweigerlich gestellt worden.
Spätestens seit dem letzten Sommer ist in Rödnbach vieles anders geworden. Damals war der Geist des Bösen wie ein Blitz aus heiterem Himmel eingeschlagen und in dem verträumten Dorf hatte sich ein Alptraum aus Lügen und Geldgier breit gemacht, der am Ende sogar in zwei sinnlosen Morden seinen Höhepunkt fand. Ein prominentes und beliebtes Mitglied der Gemeinde war von der eigenen Ehefrau aus eigensüchtigen Gründen heimtückisch ermordet worden. Sie hatte ihm heimlich Gift ins Bier geschüttet, ein doppeltes Sakrileg. Da geben sich seit Jahrhunderten ganze Generationen von Bierbrauern die größte Mühe, sich peinlichst genau an das bayerische Reinheitsgebot zu halten, die letzte Bastion, auf die man bisher immer blind vertrauen konnte und dann kommt eine solche unsäglich schändliche Person daher und macht alles Können zuschanden. Pfui Teufel!
Die ländliche Idylle war für lange Zeit, wenn nicht für immer, aufs empfindlichste gestört, nahezu zerstört. Nicht einmal vor der allseits beliebten und frommen Pfarrhaushälterin Fräulein Lohmaier, dem Fleisch gewordenen und auf Erden wandelnden Sinnbild der Unschuld, machte das Verbrechen Halt. Sie war seinerzeit aus niedrigen materiellen Gründen und auf brutalste Art und Weise beseitigt worden.
Ja, die Moral! Sie ist nicht mehr so gefestigt, wie in der guten alten Zeit. Allerdings muss man wohl oder übel zugestehen, dass die Lohmaierin, zumindest im ursprünglichen Wortsinn, auch nicht mehr als hundertprozentig unschuldig durchgehen konnte. Schließlich waren der Grund für ihre Ermordung ein heimliches Verhältnis mit dem Malermeister Georg Schiffermüller, sowie die körperlichen Folgen, die aus dieser Verbindung entstanden waren und die, wäre das Kind erst einmal geboren, eine ernste Bedrohung für das Erbe von Georgs Tochter Bettina dargestellt hätten.
Inzwischen war weitgehend Gras über die Sache gewachsen und es bestand große Hoffnung, dass die Wunden verheilt wären und das Dorf erneut zu einem Hort des Friedens und der Sicherheit werden würde.