Читать книгу Mords-Wut - Günther Dümler - Страница 7
Wer jetzig Zeiten leben will Wer jetzig Zeiten leben will, muss habn ein tapfers Herze,
Es sein der argen Feind so viel, bereiten ihm groß Schmerze.
Da heißt es stehn ganz unverzagt in seiner blanken Wehre,
Dass sich der Feind nicht an uns wagt:
Es geht um Gut und Ehre. Aus der „Mundorgel“
ОглавлениеBärbel Reinwald war zufrieden. Alles hatte bisher prima geklappt. Nur noch zwei Tage, dann würden sie mit den Fahrrädern die wenigen Kilometer in die „Fränkische“ hinausradeln, um nahezu eine ganze Woche in Gottes freier Natur zu verbringen. Ihrer Jugendgruppe würde es gut tun, einmal fernab von Mutters Verwöhnprogramm und ganz auf sich alleine gestellt, unter einfachen Verhältnissen, selbst für mindestens eine tägliche Mahlzeit zu sorgen. Verantwortung übernehmen war das Ziel. Zudem würde das geplante Handyverbot, mit Ausnahme von Notfällen und zwei Stunden am Nachmittag, vermutlich der Gruppendynamik gut tun. Erholung von den Anforderungen in Schule und Lehrzeit und Besinnung auf das Wesentliche standen ganz oben auf dem Programm. Vielleicht gelang es auch, einige nicht so ohne weiteres definierbare, aber nahezu mit bloßen Händen zu greifende diffuse Verstimmungen in der Gruppe aufzuklären und einem guten Ende zuzuführen.
Auch für sich selbst erhoffte sich die Leiterin ein bisschen Ruhe und die Gelegenheit, mit der eigenen Situation ins Reine zu kommen. Bis vor drei Monaten, vor ihrer urplötzlichen Vertreibung nach Röthenbach, war sie noch in einer Nürnberger Pfarrei in gleicher Position tätig gewesen. Die Arbeit mit den Jugendlichen hatte ihr großen Spaß gemacht, den Religionsunterricht hatte sie tadellos absolviert, die Schüler hatten sie voll akzeptiert. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass sie selbst eine junge Frau mit modernen Ansichten ist, deren Unterricht sich von den langweiligen, moralisierenden und vor allem knochentrockenen Vorträgen ihrer Vorgänger wohltuend abhebt.
Jedoch, es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Ein paar ewig gestrige Mitglieder des Pfarrgemeinderates rieben sich an den moralischen Ansichten von Barbara Reinwald. Sie hatten gewaltig etwas auszusetzen. Vor allem daran, dass sie in der Diskussion mit ihren Schülern bezüglich der Frage der Empfängnisverhütung gewissermaßen dem Papst regelmäßig in höchst pflichtvergessener Weise in den Rücken fiel, indem sie die Antibabypille für obligatorisch erklärte, sobald die Mädchen sexuell aktiv wurden. Das war für sich alleine bereits untragbar. Erstens haben anständige unverheiratete Frauen keine sexuellen Aktivitäten, egal welcher Art, und zweitens darf die Zeugung eines Kindes keinesfalls verhindert werden, denn der liebe Gott freut sich über jedes neue Menschenkind, wie man schon bei Beckenbauers Offenbarungen, Kap1, Vers2 nachlesen kann.
Als sie aber zudem zwei Wochen später den Einsatz von Kondomen zur Verhütung von ansteckenden Krankheiten dringend empfahl, war das Fass mehr als voll. Nein, nein, es war nicht nur voll, es war bereits übergelaufen. Zunächst wurde der „Fall Reinwald“ unter den zwölf Aposteln, wie nicht wenige, teils offen, teils hinter vorgehaltener Hand, die Pfarrgemeinderäte nannten, intern diskutiert. Durchaus kontrovers. Auf diese Weise kamen also die Gemeindepharisäer nicht entscheidend weiter. Anscheinend war selbst der Kreis der Vorzeigekatholiken bereits zu sehr mit modernen Ansichten verseucht. Es folgte die sofortige, direkte Intervention durch eine Abordnung der aufrechten, gesetzestreuen Gläubigen beim Gemeindepfarrer. Allen voran Hubertus Heigl, ein bigotter alter Mann, der aufgrund seines tadellosen Charakters, den er in der öffentlichen Wahrnehmung hatte, in den Rosenkranzandachten regelmäßig als Vorbeter zum Einsatz kam.
„Aber hören Sie doch, Herr Pfarrer, was ist denn das für ein Beispiel, das diese, immerhin von unseren Kirchensteuern finanzierte, impertinente junge Dame da unseren Kindern gibt. Diese Person“, wobei das Wort Person in eindeutig abwertender Intention ausgesprochen, ja ausgespuckt wurde, „verführt unsere Jugend auf eine geradezu diabolische Art und Weise. Jawohl, ich scheue mich nicht es beim Namen zu nennen, sie tut das Werk des Teufels. Sie müssen dem sofort Einhalt gebieten. Sie müssen! Es ist ihre heilige Pflicht!“
Das war nur der Anfang einer längeren, ausführlichen Hasstirade, gespickt mit unzähligen Beispielen übelster Pflichtverletzung seitens des sauberen Fräulein Reinwalds. Doch der Pfarrer, selbst eher ein ziemlich liberaler Mann, versuchte abzuwiegeln und war nicht bereit, dem Häuflein der Bigotten und Selbstgerechten kampflos nachzugeben. Fräulein Reinwald blieb.
Doch die Verteidiger von Moral und Anstand waren mit ihrem Latein noch nicht am Ende. Ganz besonders Hubertus Heigl nicht. Er hatte eine heilige Mission. Genau! Mission! Das war gut. Genauso wie es Pflicht der Missionare ist, den armen irregeleiteten Negerkindlein in Afrika den wahren Glauben zu bringen, so war er berufen, für die einzig richtige, reine Gesinnung in seiner Heimatpfarrei zu sorgen. Und so folgte ein Beschwerdebrief dem Anderen, fein säuberlich adressiert an das bischöfliche Ordinariat, stets gewürzt mit einem Seitenhieb auf den nachlässigen Gemeindepfarrer, der sich der gerechten Sache verweigerte und stets gespickt mit Unterstellungen bezüglich des Benehmens des unwürdigen Fräulein Reinwald. Eben hatte Hubertus der Fromme erneut ein Kuvert zugeklebt. Auf dem Weg in die Kirche würde er es in den Briefkasten werfen, um dann den aufrechten Gläubigen als Vorbeter bei der abendlichen Rosenkranzandacht zu dienen.
Vom bischöflichen Ordinariat gab es jeweils Rückfragen beim Pfarrer, einmal wurde er sogar einbestellt, aber es gab immer noch keine Konsequenzen für Barbara. Also mussten schwerere Geschütze aufgefahren werden. Warum dauerte das nur so lange? Die Eltern der Schüler wurden jetzt massiv mit der moralischen Keule bearbeitet. Weitere, schärfere Beschwerdebriefe mit immer eindringlicheren Worten folgten. Ohne Erfolg. Es wurde bereits in Erwägung gezogen, seine Exzellenz, den Hochwürdigen Herrn Bischof anlässlich der anstehenden Firmung anzusprechen, um ihn persönlich zu informieren. Die gemeindeeigenen Taliban waren verzweifelt. Da ließ der Herr ein Wunder geschehen.
„Herr Heigl! Hallo, Herr Heigl!“, zischte eine der Getreuen des obersten Pharisäers diesem zu. Sie hatte einen geradezu professionell frömmelnden Gesichtsausdruck aufgesetzt und doch wirkte ihr Antlitz eher so, als ob ein atheistischer Holzschnitzer sich an einer Madonnenfigur versucht hätte. Es fehlte eindeutig das demütige und gütige in ihrem Ausdruck.
„Ich hab gude Neuichkeidn für sie. Endlich hommer des abdrünniche Weibsbild am Wiggl. Ich hobb aus zuverlässicher Quelle erfahrn, dass die mit an gschiedner Moh a schlamberds Verhäldnis hodd. Mei Nachbarin hodd dee Matz scho a boar Mal gseeng, wies mit dem Kerl in sei Haus nei is und aa wies erschd in der Früh widder rauskummer iss. Alles woss rechd iss! Für sowoss kommer sich ja bloß schämer.“
Dabei lief sie im Gesicht dunkelrot an, ob nun wegen dieser Ungeheuerlichkeit oder wegen eines restlichen Funken Anstands, der ihr noch geblieben war. Die Geschichte war schnell in der Gemeinde herum, tatkräftig unterstützt von den einschlägig bekannten Gutmenschen. Barbaras Freund erwies sich als einzige Enttäuschung. Aus Angst um seinen guten Ruf ließ er Barbara wissen, dass er keine Zukunft für sie beide sähe. Wenigstens hatte er den Anstand, ihr dies in einem persönlichen Gespräch mit zu teilen.
Die zutiefst enttäuschte junge Frau zog ihre Lehren aus dieser Hetzjagd und bat um ihre Versetzung. Zu ihrem großen Glück, bisher jedenfalls, hatte sie es hier in Röthenbach entschieden besser getroffen.
Sie hatte teilweise die Nachfolge des im vorigen Jahr brutal zu Tode gekommenen Fräulein Lohmaier angetreten, allerdings nur so weit es die Pfarreiarbeit anging. Als Haushälterin konnte Barbara nicht einspringen, das hätten weder ihre haushaltstechnischen Kenntnisse, noch ihr straffer Zeitplan hergegeben. Dafür engagierte sie sich sehr in der Jugendarbeit und in der Organisation der Erwachsenengruppen der Gemeinde. Die Röthenbacher waren mit dieser neuen Konstellation ausnehmend zufrieden.