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Eier, wir brauchen Eier

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Samstag, 30. Juni 2018, vormittags

Mittlerweile waren drei Tage ins Land gegangen und im Hause Kleinlein war der Alltag schon lange wieder eingekehrt. Es war Samstag. Peter lümmelte auf dem Sofa und langweilte sich. Seine Ehefrau, die Marga schien nicht so ganz im Hier und Jetzt zu weilen, zumindest nicht in vollem Umfang. Ihr Geist schwebte jedenfalls ganz sicher in anderen Dimensionen. Zumindest konnte man das vermuten, denn ihr besorgter Ehegatte, der Peter, hatte sie nun schon zum x-ten Male gefragt, was sie denn vorhabe mit all den aufgeschlagenen Büchern, die billige Lesebrille aus dem Drogeriemarkt ganz vorne auf der Nasenspitze sitzend und mit zwinkernden Augen das Geschriebene zu entziffern versuchend.

„Kauf der hald amal a gscheide Brilln, Mensch Marga, mer konn der ja gar nedd zouschauer, wie du dich ohstellsd zum Lesn. Dess iss doch bestimmd aa nedd goud für deine Augn.“

„Ach lass mer mei Rouh“, hörte er sie genervt murmeln, „dess bassd scho. Wemmer dee Brilln ganz nach vorn schiebd, dann gehds scho. Wo sollin etz auf die Schnelle a andere hernehmer. Außerdem bassd zu derer Bluusn ner blouß die dunglblaue.“

Wieder etwas, was der Peter nur mit Verwunderung und typisch männlichem Unverständnis registrieren konnte. Seine Marga hatte bis dato nie einen Augenarzt aufgesucht, sondern immer nur vorgefertigte Sehhilfen gekauft, wie sie überall in Drogeriemärkten in unterschiedlichen Stärken angeboten wurden. Neulich hatte er sogar ein Brillenregal in einem Schreibwarengeschäft gesehen. Immer nur, das bedeutet, dass sie mindestens zehn Exemplare davon hat, in jeder nur denkbaren Farbe, denn eine Brille ist für Marga erst in zweiter Linie eine Sehhilfe, in erster aber vielmehr ein modisches Attribut. Aber was verstehen Männer schon von Mode. Der ihre jedenfalls so gut wie nichts. Und so fuhr sie denn auch ungerührt fort:

„Ich hobb doch gar ka Zeid für sowoss, ich muss mi hald um mein Haushald kümmern und schauer, dass heid abnd a gescheide Nachschbeis gibbd. Ich konn mi nedd in ganzn Dooch mid irgend an Blödsinn befassn, su wäi du.“

Das saß. Peter war schlagartig klar, dass es sich um eine jener Situationen handelte, bei denen er besser den Mund hielt und sich allenfalls seinen Teil dachte. Recht würde er sowieso nicht bekommen, jedenfalls nicht so lange diese, glücklicherweise seltene Stimmung bei seiner Angetrauten vorhielt. Und der Blödsinn, auf den seine Marga anspielte, betraf ein Thema, das er aus gutem Grund besser auch nicht vertiefen wollte. So bezeichnete sie nämlich in der Regel seinen Hang zum Detektivspielen, der ihm in den vergangenen Jahren zwar große Erfolge und Anerkennung weit über die Grenzen seines Heimatdorfes Röthenbach hinaus eingebracht hatte, aber auch genau so viel Ärger mit seiner Ehefrau, die von einem derart gefährlichen, ja geradezu selbstmörderischen Hobby nicht das Geringste hielt.

So schnappte er sich die Zeitung, setzte sich mit hochgezogenen Mundwinkeln in seinen Fernsehsessel und las schmollend, heute schon zum zweiten Mal, die Nachrichten, diesmal sogar auch noch den Kulturteil. Ein weniger subtiler Protest wäre aus langjähriger Erfahrung nicht ratsam gewesen und hätte nur zu einer Ausweitung der Diskussion auf ihm ebenfalls nicht unbedingt angenehme Themenfelder geführt.

Bald war er so sehr in seine Lektüre vertieft, dass er das unschlüssige Gemurmel der Marga nur mehr sehr oberflächlich mitbekam.

„Sechs Eier, wo nimm in etz sechs Eier her. Herrschafdszeidn nochamol, etz konni nu amol lousrenner. Dunnerwedder abber aa!“

Mit jedem Wort schwoll der Lautstärkepegel an, so dass Peter bald genervt die Zeitung beiseite legte und seine sich selbst auferlegte Vorsicht außer Acht lassend, fragte:

„Woss issn etz scho widder?“

„Ach, frische Eier brauchi und hobb nadürlich kanne derhamm. Wäi immer, wenns bressierd!“

„Na horch amol, heid früh warn doch nu bestimmd zehn Stück im Kühlschrank, wo hosdn dee hiebrachd? So vill wärsd ja denn doch nedd braung.“

„Naa, sechs brauchi, abber frische, vom Bauern, nedd anne dee scho drei Dooch im Kühlschrank liegn. Ich hobb mi etz doch endschlossn, dass heid abnd, wenn die Gisela und die Maria kummer, a selbergmachds Dirramisu als Nachdisch gibd und dou kummer rohe Eier nei. Und dee kenner nedd scho drei Dooch ald sei. Suwoss gibds bei mir nedd. Mid denne Salmonelln, dou machd mer

kann Schbass nedd!“

Sie sprach von Gisela und Maria. Das schloss aber durchaus auch deren jeweilige Ehegatten mit ein, den Metzgermeister Simon Bräunlein und den Dorffriseur Lothar Schwarm. Männer sind für die Marga offenbar nur Anhängsel ohne besondere Relevanz, die eigentlich wichtigen und bestimmenden Figuren schienen demnach die drei Damen zu sein. Im Fall von Simon und Lothar mag das auch tatsächlich zu einem gewissen Grad zutreffen, wenngleich beide in ihren Berufen absolute Spitzenkönner sind. Sie überlassen ansonsten aber freiwillig, ob nun um des lieben Friedens willen oder aufgrund besserer Einsicht ihren jeweiligen Ehefrauen sämtliche organisatorischen Fragen. Und dazu zählen natürlich auch Terminvereinbarungen im privaten Rahmen. Bei Peter und Marga sieht das etwas anders aus, was nicht zuletzt an Margas normalerweise gutmütigem Wesen liegt. Peter wird meistens wenigstens gefragt, wenn auch eher rhetorisch, denn im Falle einer ablehnenden Antwort wird solange nach gebohrt, bis er schließlich doch resignierend nachgibt, womit Marga das gleiche zufriedenstellende Ergebnis erzielt wie ihre Freundinnen, wenn auch auf deutlich subtilere Weise.

Im aktuellen Fall musste sie nicht einmal zu irgendwelchen raffinierten Tricks greifen um ihn herumzukriegen. Ihm war anscheinend wieder einmal langweilig und so war er offenbar direkt froh über die Abwechslung, als sie ihn losschickte, um auf dem Zeltnerhof frische Eier zu holen. Vom Zeltner mussten sie sein, denn der war noch ein Landwirt von echtem Schrot und Korn, bei dem die Hühner den Hahn nicht nur von der Wasserleitung her kannten. Glückliche Hühner halt und das merkte man auch am Geschmack.

„Nimm an Korb mit und a boar leere Eierschachdln ausn Keller, damidsd ers nedd glei widder derdrüggsd. Ich brauchs ganz und schau, dassd braune grichsd, dee sinn ganz sicher vo seine eigner Henner, von die freilaufendn und kanne dazukauftn von wassgoddwoher. Zehn Stück langer, zum Backn nimmi sowieso die andern ausn Kühlschrank!“

Peter nahm den Auftrag mit demütigem Nicken zur Kenntnis. Widerspruch wäre ohnehin sinnlos gewesen. Wenn die Marga im Stress ist, dann hat sie sowieso keinen Sinn für irgendwelche Einwände und seien sie noch so begründet. Zum Beispiel hätte ihr der Peter gerne gesagt, dass braune Eier keinesfalls auf freilaufende Hühner hinweisen, sondern von der Rasse des Federviehs abhängig sind, davon, welche Farbe das Ohrläppchens der Henne aufweist. Weißer Fleck gibt weiße Eier, brauner Fleck gibt braune. Das hatte er nämlich erst gestern in der Gartenwelt gelesen, einer monatlich erscheinenden Illustrierten, die sich die Marga wegen der schönen Bilder von herrlich gestalteten Parks voller üppig bunter Blumen und exotischer Bepflanzung abonniert hat. So aber behielt er seine Weisheit für sich. Sie wäre bei Margas augenblicklichem emotionalen Ausnahmezustand ohnehin nicht auf fruchtbaren Boden gefallen und hätte ihm vielleicht sogar ein dahingeworfenes „Ja, Herr Oberlehrer“ eingebracht. Vielmehr suchte er seine Utensilien zusammen, Korb, Schachtel und Fahrradhelm und machte sich auf den Weg zum Zeltnerhof.

Bald darauf rollte er mit seinem Fahrrad über das holprige Pflaster auf die Haustür des Hofes zu. Früher hätte er sich das nicht getraut, denn der zeltnersche Hofhund war im ganzen Dorf als Musterbeispiel für treue Pflichterfüllung bekannt und es war alles andere als ratsam sich ohne Begleitung eines Familienmitglieds in sein Territorium vorzuwagen. Oft genug war es damals vorgekommen, dass der Arco sein Amt in einem Anflug von vorauseilendem Gehorsam derart gründlich ausgeführt hatte, dass sich ein Besucher im Nu von zwei kräftigen Vorderpfoten an die Stadelwand genagelt wiederfand. Heute aber brauchte Peter nichts dergleichen mehr zu befürchten. Arcos aktueller Nachfolger Harras erweckte durchaus, sowohl dem Namen nach, als auch äußerlich, den Eindruck eines ausgewachsenen Wachhunds. Sein Charakter jedoch war eher von Sanftmut und Verspieltheit gekennzeichnet, was er auch sofort mit heftigem Schwanzwedeln zum Ausdruck brachte.

Peter nahm den Helm ab, befestigte den Riemen an der Fahrradstange und nahm den Korb vom Gepäckständer. Dann lehnte er das Rad an die Hausmauer und betrat den Flur durch die weit offen stehende Tür.

„Hallo. Iss jemand derhamm?“

Die Frage hätte er sich sparen können, denn aus dem Wohnzimmer drang unüberhörbar das Geräusch eines Fernsehers, genauer gesagt das von der Übertragung eines Fußball-WM-Spiels. Also rief er in der berechtigten Annahme, dass es sich bei dem Zuschauer nicht um die Hausfrau handelte nun noch einmal:

„Herr Zeltner! Konni reikummer?“

Konnte er, wie ein zustimmendes Brummen aus der guten Stube signalisierte.

„Wer spilldn heid eigndlich?“

„Franggreich geecher Argendinien“, gab der Zeltner tonlos zurück.

„Und wäi stäids? Ich hobb mers fei glei gar nimmer angschaud, su bläid wäi sich di Unsern gstelld homm. Dou iss mer ja direggd schad um mei Zeid“, sagte Peter als er den Raum betrat.

„Iss scho aus. Vier-drei für die Franzuusn“, gab der Zeltner zurück, der zusammengesunken auf seinem altmodischen Sofa mehr lag als saß.

„Dee stelln sie wenigsdns ned su bläid wäi die Unsern“, stellte Peter fachmännisch fest und als der Bauer keine Anstalten machte darauf einzugehen, fügte er noch hinzu: „Zwei Null für Korea! Unglaublich, heier iss abber amal su richdich in Bach nunder ganger!“

Peter hatte zwar schon nach dem Schwedenspiel mit den Erfolgsaussichten der deutschen Elitekicker abgeschlossen, die Realität hatte ihn dann lediglich bestätigt, aber dass der Zeltner sich das gar so zu Herzen nahm, sogar noch drei Tage später, das war doch erstaunlich. Peter kannte ihn eher als gemütlichen Menschen mit einer Engelsgeduld, als Einen, der normalerweise eine unerschütterliche Ruhe und Zufriedenheit ausstrahlte. Ein Musterbeispiel des in sich ruhenden Menschen, der mit sich und der Welt im Reinen ist, den nichts und niemand erschüttern kann. Sein gegenwärtiger Zustand passte so gar nicht zu ihm. Es musste schon etwas besonders Schlimmes passiert sein. Mit dem frühzeitigen Ausscheiden bei der Weltmeisterschaft war das aus Peters Sicht kaum zu erklären, aber man konnte ja in niemand hineinschauen. Wer weiß, am Ende war der Zeltner gar ein ganz und gar eingefleischter Anhänger, so dass er auch nach Tagen noch so sehr am Boden zerstört wirkte. Er versuchte ihn daher ein wenig zu beruhigen.

„Wieso gehd ner ihner dess gar aso arg nouch? Dee Kerl, dee homms doch gar nedd verdiend, dass mer si dessweeng sein ganzn Dooch versaud. Mier braung doch unsere Nervn heier nu länger. Woss glaubns, woss uns heier nu für Prüfunger bevorstänner, wenn der Glubb erst amal widder in der erstn Liga ohgreifd.“ In diesem Moment konnte Peter ja noch nicht ahnen, dass der Begriff „angreifen“ in der kommenden Saison bei seinem Lieblingsclub kaum in Anwendung kommen würde.

Der abgrundtiefe Seufzer, der daraufhin anstatt einer fachmännischen Antwort des bekanntermaßen bekennenden Club-Fans folgte, ließ den Peter sofort vermuten, dass es schon noch ganz andere Gründe für des Zeltners gegenwärtige Schieflage geben musste. Mit dem Fußball allein war das nicht zu erklären. Er traute sich aber nicht nach zu bohren. Vielleicht war es ja etwas sehr persönliches. Das war auch gar nicht nötig, denn der Verzweifelte fing sogleich selber an zu erzählen.

„Ach, sie glaubn ja nedd, woss mir bei dem bewussdn Spill am Middwoch bassierd iss!“

Und er erzählte Peter in schonungsloser Offenheit von seinem allzu erhellendes Erlebnis in der Halbzeit, zu der Zeit, als es noch Hoffnung gegeben hatte. Für Beides. Die Deutschen und seine Ehe. Als er endlich geendet hatte schloss er beinahe tonlos die bange Frage an:

„Woss sollin ner etz blous machn? Mid allem hobbi grechned, abber doch nedd mid suwoss. Naa, naa.“

Dabei schüttelte er kraftlos sein niedergesunkenes Haupt. Immer wieder.

Peter fiel auf Anhieb auch nichts Vernünftiges ein, was den armen Mann wieder aufrichten konnte, ganz zu schweigen davon, dass er ihn wieder in den gewohnt souveränen Zustand zurückbringen konnte. Und so blieb nur noch der Rat, den man in allen aussichtslosen Fällen standardmäßig hervorholen konnte:

„Horngs Herr Zeltner, villeichd homm ser si ja daischd, konn doch sei. Dess wärd bestimmd widder wern. Dou schloofns etz erst amal a Nachd drüber, dann schaud die Weld vielleichd scho widder ganz anderster aus. Und morgn, dou redns amal mit ihrer Frau drüber, in aller Ruhe. Villeichd iss ja wergli alles ganz harmlos.“

Um ein Haar wäre er vor lauter Mitgefühl noch ohne die dringend benötigten Eier weggegangen, konnte sich aber gerade noch an seinen eigentlichen Auftrag erinnern, der ihn erst in dieses Elend hineingeraten ließ. Das wäre erst etwas gewesen, wenn er nun auch noch ohne die frischen Gaggerler für das Tiramisu nach Hause gekommen wäre. Obwohl, so schlimm wie beim Zeltner wäre es sicher nicht ausgegangen.

Mords-Zinken

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