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Dirramisu und Andibasdi

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Samstag, 30. Juni 2018, gegen Abend

Die Vorbereitungen für Margas abendliches Mahl hatten sich über den gesamten Nachmittag hingezogen. Das Tiramisu und die Antipasti waren perfekt gelungen und im Kühlschrank geparkt. Das Filetto maiale alla Sarda ruhte bereits bei exakt der richtigen Nachhitze im Backofen und die Rosmarinkartoffeln, die dazu gereicht werden sollten, lagen in der Pfanne und in den letzten Zügen. Eigentlich konnten die Gäste jetzt auch endlich erscheinen.

Normalerweise waren die Freunde stets pünktlich, aber am Samstag musste man doch auch immer mal mit Unwägbarkeiten rechnen, denn beide Paare waren aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeiten immer ein wenig darauf angewiesen, dass der letzte Kunde den Laden rechtzeitig verließ und man den verdienten Feierabend einläuten konnte. Das galt sowohl für Simon und Gisela Bräunlein, die die beste Metzgerei von Röthenbach mit weit über dessen Grenzen hinaus berühmten Spezialitäten betrieben, als auch für die Schwarms, den Lothar und die Maria. Die konnten als Friseur beziehungsweise Kosmetikerin mit angeschlossenem Nagelstudio ebenfalls nicht über mangelnden Zuspruch klagen und kamen deshalb nicht immer pünktlich aus dem Geschäft heraus.

Heute aber schien es geklappt zu haben, denn kurz darauf klingelte es bereits an der Haustüre der Kleinleins. Und da standen sie alle vier, geschniegelt und gebügelt. Nur einem sehr aufmerksamen Beobachter wäre aufgefallen, wie müde sie allesamt als Folge einer anstrengenden Arbeitswoche noch immer waren. Da passte die Marga momentan perfekt ins Bild dieser Gruppe geschlauchter Schwerstarbeiter. Den ganzen Tag hatte sie mit Vorbereitungen auf diesen Abend verbracht, gekocht, gebacken, geputzt und gewienert bis es sogar ihrem ansonsten eher geduldigen Ehemann zu viel wurde. Der hatte sich schließlich in den Garten verzogen, um dem ultimativen Reinigungsinferno so gut es ging zu entgehen. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass er als Einziger einen ausgeruhten Eindruck machte. Dazu kam seine geradezu unverschämt dunkle Bräune, die ihm der häufige Aufenthalt im Garten bescherte und nicht nur dann, wenn er im trauten Heim im Weg war.

Er war als Einziger bereits seit Jahren im Ruhestand und hatte deshalb alle Zeit der Welt, um das und eben nur das zu tun, was ihm Spaß machte und auch nur genau dann, wenn er gerade Mal dazu Lust hatte. Ja, eigentlich wäre er zu beneiden gewesen, der Peter, wenn er sich nur nicht selbst ständig unter Druck gesetzt hätte. Er konnte auch nach fünf Jahren in Rente mit so viel Freizeit einfach immer noch nicht richtig umgehen. Ihm fehlte eindeutig eine sinnvolle Beschäftigung, und zwar eine, die für ihn auch eine intellektuelle Herausforderung bedeutete. Angesichts derart anspruchsvoller Kriterien schieden natürlich nahezu alle Arten von Hausarbeit von vorne herein aus. Jeden Tag das Gleiche zu tun, das hatte ihm noch nie gelegen, auch nicht während seiner aktiven Zeit im Beruf. Und außerdem hätte er als Spätberufener auf dem weiten Feld des Haushalts nie die qualitative Reife erreichen können, die seine Marga als Mindeststandard voraussetzte. Wenn er beispielsweise einmal, was zugegebenermaßen selten vorkam, diese Tatsache kurzzeitig vergessend zum Staubsauger griff, um ihn nach getaner Arbeit und mit seinem Werk zufrieden, wieder in die Ecke zu stellen, dann kam sie garantiert gerade zur Tür herein mit der Bemerkung:

„Staubsaung müsserd mer aa amol. Wäis dou scho widder ausschaud!“

Peter verfügte bereits als Kind über eine angeborene Neugierde. Dies hatte sich während seiner Schulzeit eindeutig als sehr hilfreich erwiesen. Diese Eigenschaft, die fehlende Anerkennung seiner Leistung nach dem Wegfall der beruflichen Aufgaben, sowie der eklatante Mangel an akzeptablen Alternativen hatten letztendlich dazu geführt, dass Peter sich immer wieder einmal in Dinge einmischte, die ihn aus Sicht seiner Ehefrau überhaupt nichts angingen. Außerhalb des gemeinsamen Haushalts und aus lauter Verzweiflung. In der Folge war es ihm gelungen einige spektakuläre Mordfälle aufzuklären und dabei seinen hauptberuflichen Konkurrenten, den leider bestenfalls mittelmäßig begabten Hauptkommissar Erwin Schindler das eine oder andere Mal deutlich über dessen wahre Jahre hinaus alt aussehen zu lassen. Der Marga war diese ungebührliche Einmischung in die Angelegenheiten anderer Leute, ja sogar in die der Polizei, äußerst suspekt. Sie mochte es nicht, wenn ihr Peter, wie sie es ausdrückte, sich mit gefährlichen Verbrechern einließ und dabei sein Leben aufs Spiel setzte. Vielleicht sah sie auch einfach zu viel Krimis im Fernsehen.

Wenn sie den Peter darauf ansprach, dann zog dieser höchstens genervt die Augenbrauen nach oben angesichts einer derartigen Übertreibung. In Gefahr war er noch nie wirklich gewesen, jedenfalls war er selbst davon felsenfest überzeugt. Vielleicht mit Ausnahme seines ersten Falles. Damals hatte ihn die Schiffermüllerin, eine Giftmörderin, mit der Jagdwaffe ihres Ehemannes bedroht, als er sie mit ihrer Tat konfrontierte. Dass sie diesen auf hinterhältigste Weise zuvor ermordet hatte, das hatte Peter damals anstelle des eigentlich zuständigen Schindler herausgefunden. Nein, wenn es ernst wurde, dann überließ er das Handeln schon lieber der Polizei. Er beschränkte sein Tun viel mehr auf die Nachforschungen in seiner gewohnten Umgebung, innerhalb des Dörfchens Röthenbach, wo er auf einen entscheidenden Vorteil zurückgreifen konnte. Er kannte fast jeden der gut achthundert alteingesessenen Einwohner und konnte deshalb bei seinen Erkundigungen oftmals auf verborgene Quellen zugreifen, auf Menschen, die ihr Wissen niemals mit dem Kommissar aus der Stadt geteilt hätten. Die hatten oftmals gar nicht die Absicht etwas zu verschweigen. Meistens war den Zeugen selbst nicht einmal bewusst, dass sie tatsächlich etwas Relevantes wussten. Um diese wertvollen Informationen ans Tageslicht und anschließend in den Zusammenhang mit den Fällen zu bringen, dazu brauchte es schon die begnadete Kombinationsgabe eines Peter Kleinlein. Er hatte die große Begabung, aus vereinzelten, zum Teil zufällig aufgeschnappten Informationsfetzen, eine schlüssige Beweiskette zusammen zu setzen. Darin war er Meister, der Peter Kleinlein.

*

Während die Kleinleins noch auf ihren Besuch warteten, war die Zeltneroma endlich mit den Vorbereitungen für das Abendessen fertig geworden. Die Schwiegermutter des Bauern war im ganzen Dorf nur als „die alte Zeltnerin“ bekannt, obwohl sie mit bürgerlichem Namen Gertrud Lämmermann hieß, von fast allen aber nur „die Gerdi“ genannt wurde.

Der Tisch war gedeckt und nun wartete sie nur noch darauf, dass sowohl ihr Sohn samt Frau, als auch deren Sohn, ihr Enkel Lukas nach vollbrachtem Tagwerk pünktlich zum Abendessen erscheinen würden. Es wäre ja jammerschade, wenn der bestens gelungene Auflauf und der im Moment noch knackige Salat in sich zusammenfallen würden.

„Wos ner alle bleim? Irgndwann will unseraans ja aa endlich amal ferdich wern!“, schimpfte sie ungnädig vor sich hin. Just in diesem Moment kam jemand durch den Flur herein. Man konnte deutlich das Geräusch der schweren Arbeitsstiefel auf dem gefliesten Boden vernehmen.

„Und die Schouh homms aa widder nedd draußn auszäing kenner. Zum Dunnerwedder, abber ich hobb ja nix anders zum dou, als wäi hinder alle herzubutzn!“

Die Bäuerin, die diese Tirade gerade noch beim Eintreten in die geräumige Wohnküche mit einem Ohr mitbekommen hatte, beeilte sich, das Versäumte um des lieben Frieden willens umgehend nachzuholen.

„Allmächd Mudder, hobbi scho widder nedd droo denkd. Doud mer Leid“, brummelte sie schuldbewusst und in dem Bestreben, den Hausfrieden sofort wieder herzustellen. Nichts war ihr mehr zuwider, als eine ungute Stimmung während des gemeinsamen Essens.“

„Wo isn der Hans? Hosd den nedd midbrachd?“, fragte die Alte.

„Scho, abber der iss erschd amal nu midn Bulldog hinder in die Maschienerhalln und äs Werkzeich aufrahmer. Der kummd aa glei.“

Das kam der alten Frau doch etwas seltsam vor. Bisher war der Hans immer der erste gewesen, der am gedeckten Tisch Platz genommen hatte. Sein Hunger war geradezu legendär. Hoffentlich steckte nicht etwas ganz anderes dahinter. Sie hatte sehr wohl bemerkt, dass die beiden seit ein paar Tagen sich zwar nicht gerade aus dem Weg gingen, das war denn bei der Feldarbeit auch kaum möglich, aber ihr Umgang miteinander erschien ihr schon etwas verkrampft zu sein. Irgendetwas war zweifellos im Busch, wenngleich sie auch nicht im Entferntesten eine Idee hatte, was dieses eigenartige Benehmen ausgelöst haben konnte.

Es dauerte fast eine Viertelstunde bis der Bauer endlich in der Tür erschien. Auch er hatte die Stiefel natürlich wieder nicht ausgezogen.

„Mensch Hans, du trägsd mer ja den ganzn Dreck rei. Wäi oft muss i denn noch sagn, dass dess nedd gäihd?“

„Endschuldichung Mudder, ich hobb scho widder nedd dran denkd. Ich butz dann glei wech.“

„Nix dou. Etz hoggsd di hie. Dess machi dann scho.“

Der Bauer tat wie ihm geheißen. Um von seinem Versäumnis abzulenken, schob er vorsichtshalber gleich hinterher:

„Wo issn nacher der Bou? Der iss doch scho einiche Zeid vor uns hamm ganger.“

Und als ihm keiner antwortete, sprach er seine Vermutung selbst aus.

„Wahrscheinli isser scho widder zu sein Moddorrad naus. Dauernd hodder woss zum Rumbasdln an dem Deiflsding. Naja, ich gäih hald nu amal nüber in die Maschienerhalln, wo sollern na sunsd sei“.

„Bleib hoggn!“, bedeutete ihm seine Schwiegermutter mit einer entsprechenden Handbewegung. „Ich schau scho selber. Wer wass, nocher kummd er alle zwaa nimmer. Des kennd mer ja! Der Bauer schiggd den Jockl aus, soochi dou bloß.“

Gleichzeitig schlüpfte sie in ihre Pantinen und machte sich auf den Weg zu der großen Halle, die neben den landwirtschaftlichen Fahrzeugen auch das neue Motorrad des Enkels beherbergte. Dort stand es auch, feuerrot und mit allerlei glänzendem Chrom bestückt. Aber von seinem Besitzer war weit und breit nichts zu sehen.

„Herrschaft na, wo isser denn scho widder?“

Sie ging weiter in Richtung des Heuschobers. Dabei kam sie an dem von hölzernen Stangen eingezäunten Bauerngarten mit seinen blühenden Blumen und gepflegten Gemüse- und Kräuterbeeten vorbei. Sie konnte nicht vorübergehen ohne einen von Stolz erfüllten Blick darauf zu werfen. Das war alles ihr Werk. Doch halt, was war das? Irgendjemand hatte schon wieder die Gartentür sperrangelweit offen stehen lassen. Dabei wusste doch jeder, dass sie eine solche Nachlässigkeit nicht duldete. Nicht zum ersten Mal hatte der Harras nämlich schon den einen oder anderen Knochen just in einem ihrer Gemüsebeete vergraben und dabei eine heillose Unordnung hinterlassen.

„Schlamberei, suwoss!“, murmelte sie vor sich hin und ging auf das hölzerne Türchen zum Gemüsegarten zu. Sie kam gar nicht erst dazu, dieses zu schließen, denn sie sah auf den ersten Blick, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmen konnte. Die Bohnen waren komplett plattgedrückt und oben auf lag mit weit geöffneten, starren Augen und glasigem Blick Vincenzo Perotta, einer der eifrigsten Kunden des Zeltnerschen Hofladens. Da wo sie laienhaft das Herz vermutete, war eine erstaunlich kleine Menge Blut durch sein ehemals blütenweißes Hemd an die Oberfläche gesickert. Der Schädel war eigenartig deformiert, wie mit einem schweren Hammer zertrümmert.

„Allmächd, der Enzo!“, entfuhr es ihr, bevor sie augenblicklich anfing in einen schrillen Schrei des Entsetzens überzugehen. Es dauerte nicht lange, bis der Zeltner und gleich darauf auch seine Frau über den gepflasterten Hof daher gerannt kamen. Sie mussten auch nicht lange fragen, was es mit dem hysterischen Schrei der Oma auf sich hatte. Es musste etwas Schreckliches geschehen sein, so bleich und erschrocken, wie sie dastand. Als sie näher kamen, erkannten sie sofort den Grund für deren Ausnahmezustand. Dass der Mann tot war, der da blutbesudelt im Gemüsebeet lag, darüber gab es selbst auf den ersten Blick hin keinen Zweifel.

*

Zur selben Zeit hatte Simon gerade seine zweite Scheibe Fleisch genüsslich verdrückt und spülte sie mit einem kräftigen Schluck Veldensteiner hinunter. Das gute Essen und die ebenso gute Stimmung hatten nach einem arbeitsreichen Tag für eine erste leichte Entspannung gesorgt. Eine leichte, denn völlig ließen sich die Probleme des Arbeitslebens nicht so ohne Weiteres abschütteln.

„So“, gab der Röthenbacher Fleischsommelier denn auch von sich, „dess hädd mer widder amal gschaffd. Subber wars alles, Marga, wäi hald immer. Konn ja gornedd anderschd sei, schließlich kummd dess Fleisch ja aa aus anner Qualidädsmetzgerei. Dee Sau hobbi nu bersönlich kennerglernd, wenn aa blouß kurz. Und äs Vergnügn wor aa bloß ganz auf meiner Seidn.“

Er gab einen abgrundtiefen Seufzer von sich, der durchaus ausgereicht hätte, das ganze Leid der Welt zu beschreiben, bevor er fortfuhr.

„Ich bin ja scho ziemlich gspannd, wäi dess mid derer Metzgerei in den neier Subbermarkd nausgäihd. Dou iss dann wahrscheinlich verbei mit der heiln Weld. Dou binni etzerdla scho neigierich, wer vo meine Kundn dann abwanderd, wenns dord äs Kilo für die Hälfde gibd als wäi bei mir.“

„Ach, so schlimm wärds scho nedd werdn, Simon“, meinte Lothar, der Berufsoptimist. „Qualidäd setzd sich immer durch. Dou brauchsd der nix denkn.“

Und dann erzählte ihnen Simon, was ihn wirklich quälte. Es war nicht die Sorge, dass der Umsatz zurückgehen könnte und damit die Einnahmen. Er hatte genug, mehr als genug für das was er und seine Gisela von Leben verlangten. Auch ihr Sohn Patrick stand mittlerweile mit seinem Partyservice auf soliden Beinen. Was ihm offenbar so sehr zu schaffen machte war die Sorge, wie er mit dem zu befürchtenden Liebesentzug seiner Kunden zu Recht kommen würde.

„Ach woss“, beruhigte ihn die Gisela, die immerhin die Seele und das Gehirn des Geschäfts war, „dou mach mer uns etz erschd amal gar kann Kubf, wall erschdns kommd es anders und zweidns als man denkd. Oder wäi der alde Hercules, der Erfinder des Fahrrads gsachd hodd: Kummd Zeid, kummd Rad.“

Simon war vielleicht nicht wirklich überzeugt, aber er war es gewohnt, dass seine Gisela in jeder Angelegenheit das letzte Wort hatte und so wechselte er auch gleich das Thema.

„Also neilich, dou hobbi woss derlebd, dess moußi eich etz amal derzilln.“

Gerade eben wollte er anheben, diese interessante Begebenheit aus der Metzgerei Bräunlein zum Besten zu geben, als ihn etwas stutzen ließ.

„Hochd amol, hobbd ihr dess aa ghörd?“

„Wie denn, Simon, du hosd doch nu nedd amal angfanger zum Derzilln.“

„Bin ich etz der Aanziche, der nu einichermaßen goud hörd?“

„Woss etz?“, fragte Gisela, seine Angetraute und beste Fleischereifachverkäuferin weltweit, bevor auch sie stutzte und sprach: „Etz hobbis aa ghörd. Dess iss doch a Bollizeiaudo odder die Feierwehr odder es sinn die Sani. Auf jedn Fall iss dess a Sirener. Allmächd, woss ner dou widder bassierd iss.“

„Iss mir egal“, meinte Marga, „Haubdsach nedd scho widder a Leich.“

Mords-Zinken

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