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Karibische Träume
Оглавлениеan einem ganz normalen Tag im Mai 2018
Die Metzgerei Bräunlein war schon von jeher ein Ort des regen Gedankenaustauschs. Dafür sorgte alleine schon das hochentwickelte Kommunikationstalent der rotbackigen Frau hinter der Wursttheke. Gisela Bräunlein, früher eine versierte Fleisch- und Wurstverkäuferin war, seit Michel Müller, der Dreggsack aus der Rhön, beim Frankenfasching in Veitshöchheim das gleichnamige Lied vorgetragen hatte, zur Fleischereifachverkäuferin mutiert. Und dazu gehört nicht nur die Scheibe Gelbwurst, die alle Kinder bekommen, sofern sie ihre Mutti beim Einkauf begleiten, sondern eben auch ein gepflegtes Verkaufsgespräch. Plus der Austausch jeglicher darüber hinausgehenden Informationen von öffentlichem Interesse.
Heute ging es hauptsächlich um die Errichtung des neuen Supermarktes, der die Bezeichnung Super zumindest in Bezug auf die geplante Größe bereits lange vor seinem Bau mehr als verdient hatte. Ansonsten waren aber viele von Giselas Kunden im Bezug auf das, was in ihren Augen im Zuge des Neubaus unvermeidlich auf ihr Rödnbach zukommen würde, äußerst sparsam mit dem Begriff „Super“.
„Mit unsern gemütlichn Dorflebn wärds etz dann ball verbei sei, wenn jedn Dooch in der Fräih um vierer scho die Lasder anrolln. Ich fürchd, mit der Nachtrouh wärds dann endgüldich aus sei.“
Die Kundin erklärte anschließend im Detail und mit vollem Körpereinsatz, was ihr so sehr Sorge bereitete. Sie wohne immerhin unmittelbar an der Zufahrtsstraße zu dem geplanten Supermarkt und konnte sich schon lebhaft ausmalen, was ihr in Zukunft blühen würde. Jetzt schon ratterten den ganzen Tag schwer beladene Baustellenfahrzeuge an ihrem Haus vorbei. Eine Sauerei, wo sie es doch erst vor zwei Jahren gekauft hatten und aufs Land gezogen waren um dem Großstadtlärm zu entfliehen.
„Und etz simmer widder dou, wo mer vorher scho amal warn. Dou derfür hobbi nedd mei wunderbare hundertsechs Quadradmeder Dreizimmerwohnung in der Nämbercher Altstadt aufgebn, dassi am Arsch der Weld hock und trotzdem den Lärm und die Abgase hobb.“
Hatte sie bisher reichlich Zuspruch bekommen, so machte diese Bemerkung den guten Eindruck, den sie sich in den letzten beiden Jahren sorgsam aufgebaut hatte und der dafür gesorgt hatte, dass sie fast schon als Einheimische betrachtet wurde, nahezu völlig zunichte. Arsch der Welt! Unser Rödnbach! Das war eindeutig zu viel. Die anderen Kundinnen rückten unwillkürlich etwas von ihr ab und beäugten sie auf eine Weise, auf die man allenfalls einen mit üblem Geruch behafteten undichten Kehrrichteimer betrachtet.
In diesem kritischen Moment brachte Giselas eine ihrer wertvollsten Eigenschaften zum Einsatz, eine, die eine gute von einer begnadeten Fleischereifachverkäuferin unterscheidet. Sie wusste natürlich wer Umsatz bringt und dass man solchen Kunden in der Not auch einmal beispringen muss, wenn dies so bleiben soll.
„Ach, ich versteh scho, Frau Holzer, aa wenni etz nedd grad AdW zu unserm Rödnbach sagn däd. Mer baut sich wos auf und dann kummer irgndwelche Wildfremde derher, dee mit uns nix am Hout homm und machen die ganze Idylle kabudd.“
Das Wort „Wildfremde“ hatte sie keinesfalls leichtfertig eingestreut, denn der Sprachsünderin sollte schon unmissverständlich unter die Nase gerieben werden, dass sie, entgegen sonstiger Gepflogenheiten schließlich auch erst seit kurzer Zeit gnädigerweise in die Dorfgemeinschaft aufgenommen worden war. Doch die Frau Holzer hatte inzwischen, nachdem sie Giselas Seitenhieb und die sie umgebenden Gesichter richtig gedeutet hatte, ihren Fauxpas bereits erkannt und stimmte daher bereitwillig in den Refrain ein.
„Idylle, genau dess war dess Word, wos mir vorhin nedd glei eigfalln iss. Arsch der Welt! Wie ich ner bloß auf so woss Absurdes kommer hobb könner. Endschuldichung! Also sowoss! Iss mer ja etz direggd beinlich.“
Die wartenden Hausfrauen rangen sich zu einem versöhnlichen Lächeln durch und das Gespräch konnte ohne weitere Eskalation fortgesetzt werden.
„Ich konn mich nu ganz genau erinnern, wäi dess vorigs Jahr in Erlnbach wor, wäi dee neie Bizzeria aufgmachd hodd. Mit an Schlag hosd nedd amal in an su an glann Ord mer an Barkblatz grichd. Es wärd nedd immer alles besser mit solche Neuerunger. Dee Idaliener wohner ja alle sugor bei uns in Rödnbach. Wer wass, woss dess für anne sinn. Affd Letzd ghörn dee alle zu derer Maffia. Wass mers?“
„Gschmarri, nedd a jeder Idaliener iss a Mafioso. Genauso goud könnd mer soong, a jeder Frangge iss maulfaul. Dess stimmd ja aa nedd. Ich mach mer mehrer Sorng, dass dess ganze Kaufhaus einfach zu grouß iss für Rödnbach. Wer soll nern dou alles kaufn? Wahrscheinli kommer dann die Kundn vo überall her. Und wer wass, woss für a Gsindl dass dann zu uns her dreibd.“
Die Meinungsäußerungen waren allesamt nicht gerade positiv. Man fürchtete sogar, dass es zu einem Einkauftourismus aus der Stadt kommen könnte, Menschen, die dann anschließend noch im Adler essen gehen und mit ihren Bemerkungen über die viel zu großen Portionen und niedrigen Preise das bisher hervorragende Preis-/Leistungsverhältnis komplett ins Wanken bringen könnten. Die heile Welt von Röthenbach war in ernster Gefahr.
„Und wer übernimmdn etz die Fleischabdeilung dord. Wissen sie scho woss, Frau Bräunlein?“
„Nedd wergli. Ich hobb aa bloß ghörd, dass a Großmetzgerei dordn eisteign soll. Aber wer und wie, keine Ahnung.“
„Allmächd!“, rief die Holzerin entsetzt auf. „Na dou wird ihr Moh ja begeisderd sei, wenn er etz a so a mächdiche Kongurrenz vor die Nasn gsetzd grichd.“
„Konkurrenz? Dassi fei nedd lach! Dess Glumb woss dee verkaufn, dess iss doch ka Konkurrenz nedd für uns. Mei Simon machd die besde Worschd im ganzn Landgreis und den möchdi seeng, der sie mit unserer Woar messn kann. Ja, in hunderd Jahr nedd!“
So selbstbewusst wie ihre Worte waren, so sehr war ihr doch angesichts dieser lächerlichen Unterstellung der Kamm geschwollen. Offenbar war ihr der zukünftige Mitbewerber doch ein Dorn im Auge. Es wurde erst wieder etwas besser als die Damen abrupt das Thema wechselten.
„Wass jemand eigndlich, warum der Zeldner den Agger verkaufd hodd? Geld brauchd der doch nedd, mit dem mordsdrumm Hof und dene villn Ägger und Felder.“
Wieder war es die Holzerin, die etwas bisher Unbekanntes dazu beitragen konnte.
„Wer wass. Villeichd brauchd er a Bargeld für die Abfindung wo er seiner Frau zohln muss.“
„Wäi etz? Lässd sie dee scheidn odder wie?“
„Naja, soong mer amal so. Sicher konn ichs nadürli nedd sagn, abber wie ich neilich dord war, wall ich in dene ihrn Hofladn a frisch gschlachts Giegerler abholn wolld, dou war ner blouß die alde Zeldneri, die Gerda dou. Und bis dee mein Gieger ghold ghabd hodd, dou hobb ich aweng zum Fenster nausgschaud. Und woss glaubd ihr, woss ich dou gseeng hobb? Die Bäueri iss mit zammds dem anner Idaliener, der wo dee Bizzeria hodd, ausn Stodl rauskummer. Und grinsd homms alle zwaa miternander. Direggd heimlich homms dou. Und dann hobb er mer nadürlich mein Deil denkd.“
Davon hatte selbst die Gisela noch nichts gehört.
„Na dou binni abber etz baff“, war ihr einziger Kommentar.
*
Wesentlich ruhiger ging es derzeit im Kommissariat 1 im Polizeipräsidium zu. KHK Erwin Schindler war außer Haus und sein Assistent Heinz Havranek beschäftigte sich mit langweiligen Routineaufgaben. Im Moment hatten sie keine Leiche und die freie Zeit nutzte er, um ein wenig Ordnung in die Unterlagen zu bekommen, die normalerweise die Schreibtische der beiden Kriminalbeamten in ein unübersichtliches Chaos verwandelten. Schindlers Abwesenheit sei Dank, lief auch leise das Radio, genauer gesagt der Sender Radio Frankenland 99-3 und das aus gutem Grund. Havranek legte den schmalen Hefter, den er gerade in der Hand hielt, zur Seite und lauschte gespannt den Worten der Moderatorin. Seit zwei Wochen lief auf diesem Kanal eine Aktion, bei der man eine Reise nach Jamaika gewinnen konnte, wenn man erstens das Glück hatte angerufen zu werden und zweitens auf Verlangen auch noch das richtige Codewort parat hatte. Das aktuell laufende Musikstück vermittelte Havranek schon mal vorab ein unterschwelliges Karibikfeeling, Sunshine Raggae von Bob Marley. Gleich würde die Dame am Mikrofon eine Andeutung machen, wen sie als nächstes anrufen würde. Eine zweite Chance sozusagen, denn der zuvor ausgeloste Einsender hatte den Hörer nicht abgehoben. Wie dumm kann man denn sein, sich eine solche Traumreise entgehen zu lassen.
„Unser nächster Kandidat ist ein Mann, ein Beamter, der tagtäglich im Dienste der Allgemeinheit und für die Sicherheit von uns allen im Einsatz ist. Na, wissen sie schon, bei wem das Telefon gleich klingeln wird? Dann gehen sie, sobald sie es hören, ganz schnell ans Telefon und sagen sie mir den Lösungssatz und schon sind sie der glückliche Gewinner einer phantastischen Traumreise in die herrliche Karibik, blauer Himmel, weißer Sand, einen Cocktail in der Hand, im Arm eine rassige Schönheit … Eins, zwei, drei…“
In diesem Moment klingelte das Diensttelefon von Heinz Havranek, der sofort den Hörer abnahm, ihn fest ans Ohr presste und aufgeregt verkündete:
„Ich höre bei der Arbeit Radio Frankenland neunundneunzigdrei, blauer Himmel, weißer Sand. Ich wäre gern dabei."
Die Dame vom Radiosender meldete sich nicht gleich, wahrscheinlich war sie verblüfft, wie schnell und fehlerfrei er die Lösung heruntergerasselt hatte. Als Havranek es vor Spannung kaum mehr aushielt, da dröhnte urplötzlich auf ihre unnachahmliche Art die hoch erregte Stimme von Hauptkommissar Erwin Schindler aus dem Äther:
„Das kann schon sein, Havranek, aber ganz bestimmt zum letzten Mal. Ab sofort hören sie ausschließlich was ich ihnen zu sagen habe, verstanden. Hier spricht Erwin Schindler, falls sie es noch nicht gemerkt haben sollten. Blauer Himmel, weißer Sand! Ich sage ihnen, dass sie von Glück reden können, wenn sie nächste Woche nicht mit ein paar wunderschönen weißen Handschuhen und einer blauen Uniform auf einer Kreuzung stehen und den Verkehr regeln. Haben wir uns verstanden?“
Und mehr zu sich selbst fügte er hinzu:
„Es wird höchste Zeit, dass wieder einmal etwas passiert. Dieser Müßiggang ist pures Gift für die Disziplin.“
Er konnte ja nicht ahnen, dass sein Wunsch schon sehr bald in Erfüllung gehen und auch nicht, wie sehr er diesen Spruch noch bereuen würde.