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4. Geschichte: Der Weihnachtsmarkt

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Emden im Dezember im leichten Schneegriesel am Weihnachtsmarkt am Hafen, genauer gesagt in der Straße ‚An der Unteren Hafenmole’, hatte etwas Märchenhaftes und Beschauliches. Die Dämmerung hatte eingesetzt und so war das Ambiente mit den Punschgerüchen des Glühweines, der Zimtstangen und duftenden Weihnachtskeksen so richtig kommod. Die unzähligen Stände boten allerlei Weihnachtliches feil.

Die Menschen schoben sich schon seit dem frühen Nachmittag durch die Budengassen, blieben in Gruppen stehen und unterhielten sich. Die Glühweinstände waren an diesem letzten Tag vor dem Heiligen Abend besonders gut besucht und man musste schon einiges an Geschick mitbringen, wenn man die bepfandeten Glühweinbecher über die Köpfe der anderen durstigen Weihnachtsmarktbesucher hinweg heil vom Stand ohne ein Überschwappen zu seinen Arbeitskollegen bringen wollte. Die Besucher waren voller weihnachtlicher Vorfreude, die mit dem wohlschmeckenden Glühwein mit einem Schuss Rum oder Amaretto wunderbar untermalt wurde.

Es war kalt und von der Nordsee kam ein eisiger Wind in Schüben, der die Wohlgerüche des Marktes sanft in die Gassen wehte. So hatten auch die Anwohner, wenn sie denn das Fenster kurz öffneten, etwas von dem Weihnachtsmarkt in Emden.

Eine Gruppe war am Stand besonders ausgelassen. Sie sangen bereits leicht alkoholisiert Weihnachtslieder und der Wirt vom Stand sah immer wieder in Abständen nach, ob dort alles in Ordnung war und es keinen Streit gab. Er hatte auch Angst um seine teuren Becher, die das Pfand nicht annähernd ersetzen würden, falls einer dieser Becher zu Bruch ginge. Der Gast würde sich wohl mehr grämen, wenn sein Becher mit dem gut riechenden und heißen Gesöff auf dem Boden entzwei ginge. Die Stimmung war gut und hier an seinem Stand standen ungefähr zwanzig lustige und zum Teil beschwipste Menschen mit vom Glühwein roten Wangen und gelockerten Zungen. Wenn man den Versuch unternahm, ihren vielen, gleichzeitig geführten Gesprächen zu folgen, war man zum Scheitern verurteilt. So war es wohl beim Turmbau zu Babel zugegangen. Doch dass sich diese Gruppe streiten oder gar, wie es woanders schon vorgekommen war, sich mit bösen Taten an die warmen Jacken und Mäntel gehen würde, war eher nicht zu erwarten.

Es waren Beamtinnen und Beamte der Kriminalpolizeiinspektion aus dem nahen Oldenburg, die wie jedes Jahr einen Bus zum Weihnachtsmarkt in Emden organisiert hatten. In diesem Jahr hatte die Polizeipräsidentin von Oldenburg, Frau Anke Weintraut, ihre Kollegin, die Polizeipräsidentin aus Bremen, Frau Sieglinde Hartkopf, eingeladen.

Aus der Gruppe hatten schon reihum die Kollegen jeder einmal eine Runde Glühwein spendiert und als die Polizeipräsidentin aus Bremen Anstalten machte, die Becher zu sammeln und die nächste Runde ausgegeben wollte, bemerkte freundlich, aber bestimmt ihrer Kollegin aus Oldenburg: „Nein, nichts da, Frau Hartkopf, Sie sind mein, nein, unser lieber Gast und Sie lassen sich heute verwöhnen. Ich gebe im Namen der Polizeiführung aus Oldenburg einen aus! Wer kommt mit und hilft mir die Becher zu tragen?“ Es meldeten sich mehrere Kollegen und unter einem Hallo wurden die Glühweinbecher in die Mitte gereicht und auf ein Tablett gestellt. Frau Weintraut und zwei Beamte der Drogenfahndung liefen den kurzen Weg zum Tresen hinter ihrer Chefin her. Sie mussten hinter einer Traube von Fußballfreunden warten, bis diese laut singend mit ihren Glühweinbechern zu ihrem Tisch gezogen waren. Frau Weintraut rief der Bedienung laut die Zahl der Glühweinbecher zu und da diese quasi im Tausch waren, entfiel eine erneute Pfandberechnung.

Als sie wieder an ihren Tisch kamen, wurden sie mit lautem Gegröle und Klopfen auf den runden Tisch empfangen. Das Klopfen auf den Tisch erinnerte Frau Hartkopf an ihre Studienzeit in Bremen. Es wurde zugeprostet und der dampfende Glühwein wurde als besonders lecker und schmackhaft gelobt. Frau Sieglinde Hartkopf hob den Becher und sprach auf die Kollegin aus Bremen einen Toast aus. Sie stießen mit den Bechern an, lachten und waren allesamt ausgelassen und fröhlich.

Frau Weintraut klackte ihren Becher heftiger als sonst an den Becher von Frau Hartkopf, wobei etwas Glühwein auf ihre Hand schwappte. Sie entschuldigte sich sofort für ihre Ungeschicklichkeit und holte aus der Manteltasche ein Herrentaschentuch aus Leinen und tupfte damit die Hand der Kollegin trocken. Diese bedankte sich: „Ist nicht so schlimm.“ Als sie das Taschentuch einsteckte, stieß die Runde singend einen lauten Trinkspruch aus und Frau Hartkopf aus Bremen lauschte fasziniert dem Text. Sie sangen eine ganze Weile, und Frau Hartkopf versuchte, bei dem nächsten Lied mitzusingen, sie wollte sich zumindest den Refrain merken.

Plötzlich fiel ihr halbvoller Glühweinbecher aus der Hand auf den Tisch, zerbrach und der heiße Glühwein bahnte sich auf der Fläche den Weg zum Rand, um dann auf den Boden zu tropfen. Sie rang nach Atem und versuchte, sich den warmen Schal vom Hals zu ziehen. Wie von einer Sichel gefällt sackte die Polizeipräsidentin aus Bremen in den Kniekehlen ein, fiel krachend erst mit dem Oberkörper auf den runden Glühweintisch, riss eine große Schale mit Erdnüssen um und rutschte samt einem Schwall von Erdnüssen seitwärts vom Tisch auf den Boden.

Es war mucksmäuschenstill, keiner sagte ein Wort, auch kein Aufschrei war zu hören. Sofort beugte sich Anke Weintraut auf den Boden und sprach ihre Kollegin an: „Was ist, Frau Hartkopf, können Sie mich hören?“ Nun gingen mehrere Beamte in die Hocke und legten die ohnmächtige Polizeipräsidentin von Bremen in die stabile Seitenlage. Eine noch am Tisch stehende Kollegin zog ihr Handy und rief die Feuerwehr an: „Bitte kommen Sie schnell, wir brauchen einen Notarzt zum Weihnachtsmarkt in Emden am Hafen. Wir stehen hier ungefähr auf der Höhe des großen Weihnachtsbaumes, so ziemlich in der Mitte des Marktes. Wir sind alle Polizeibeamte aus Oldenburg. Von der Straße werden die Kollegen Sie einweisen.“ Schon liefen einige Beamte durch die Menge, die jetzt wohl mitbekam, dass hier etwas passiert sein musste. Einer von den Fußballern grölte: „Wenn ihr keinen Glühwein abkönnt, trinkt doch einfach nur Kinderpusch.“ Seine Kollegen lachten und grölten: „Macht die Becher voll, macht die Becher voll, wir haben Durst.“

Mareke Menke hatte heute frei. Sie saß im Wellnessbad an der Wilhelmshavener Straße, genoss mit einem Glas alkoholfreien Cocktail und einem guten Buch die schöne Zeit im Bad, als aus ihrer Badetasche das wohlbekannte Klingelgeräusch kam und sie dezent aufforderte, das Gerät aus der Tasche zu holen und das Gespräch anzunehmen. Vor dem Drücken des grünen Hörersymboles sah sie auf das Display und wurde unruhig. Diese Telefonnummer kannte sie zur Genüge, es war ihre direkte Vorgesetzte, Frau Polizeirätin Jelte Oltmanns.

„Mareke Menke. Hallo, Frau Oltmanns.“ „Bitte entschuldigen Sie, ich weiß, dass Sie frei haben. Aber auf dem Weihnachtsmarkt an dem Glühweinstand an der großen Weihnachtstanne haben wir einen Notfall. Dort ist jemand zusammengebrochen. Aber deswegen würde ich Sie nicht behelligen, wenn diese Person nicht die Polizeipräsidentin von Bremen wäre, die mit der Polizeipräsidentin aus Oldenburg und einer Reihe von Kripoleuten dort feierten. Was ich eben als ersten Lagebericht von den Kollegen bekam, ist, dass die Kollegin aus Bremen am Glühweintisch stand, wo alle Lieder sangen, als Frau Hartkopf krampfte, nach Luft rang und tot seitlich vom Tisch fiel.“

Mareke traute ihren Ohren nicht und sagte zögernd: „Oh, ha, normalerweise würde ich sagen, da war wohl ein Becher Glühwein mit Schuss zu viel. Aber hier bei den Kollegen, ich weiß nicht, obwohl da gibt es auch einige darunter, die dem Alkohol nicht abhold sind.“ Frau Oltmanns lachte auf: „Da sagen Sie etwas Richtiges, obwohl das keiner hören will. Bitte kommen Sie zum Tatort. Ich habe schon mit Frau Kaufmann gesprochen, die ist auch auf dem Weg dorthin. Sie möchten nach Absprache in unserem Haus ermitteln, diskret natürlich. Der Oberstaatsanwalt Großerjahn besteht darauf. Er will vorbeugen, dass uns die Presse nicht rupft.“

Mareke stand von der warmen Liege auf, das rote Licht an der Decke war richtig warm, klemmte beim Einpacken das Handy an ihr rechtes Ohr. „Klar, ich bin im Wellnessbad und packe schon meine Sachen zusammen. Ich bin gleich dort.“ Sie drückte den roten Hörer und rief ihre Assistentin, Frau Heist, an, die mit ein paar Freunden an der Bar eines Kinos saß und auf den Einlass zum Film wartete. „Hallo, Frau Heist, ich brauche Sie dringend auf dem Weihnachtsmarkt.“ Als Mareke ihr mit dürren Worten den Sachverhalt erzählte, meinte Marlies trocken: „Da haben wir jetzt ja drei Polizeipräsidentinnen auf dem Markt an der Glühweinbude. Das glaubt mir hier keiner, ich lasse mein Kino sausen und komme.“

Mareke stand eine Weile in sicherer Entfernung zur rückwärtigen Seite des Glühweinstandes und beobachtete die gespenstische Szene. Auf der einen Seite hatte sich eine Menschentraube angesammelt, auf der anderen Seite hatten die uniformierten Kollegen mit dem Flatterband den Raum gesperrt und nur einen Zugang gelassen. Dort standen zwei Streifenwagen, ein Rettungsfahrzeug sowie der Notarztwagen. Nur das helle Blaulicht der Streifenwagen zuckte in gleichmäßigem Abstand wie ein Metronom, um den genauen Takt anzugeben. Mareke sah sich um und prägte sich alles ein. Es sah aus, als hätte das Orchester Platz genommen, die Instrumente gestimmt und wartete nur noch auf den Dirigenten.

Nun zwängte sie sich durch die Reihen. Als die Beamten sie erkannten, hob einer das Absperrband und sie ging gebückt hindurch. Die Polizeipräsidentin von Emden bemerkte sie. „Hallo, Frau Menke, gut, dass Sie da sind. Die Frau Kollegin aus Bremen ist tot. Der Arzt sagte mir, es sieht nach einem Infarkt aus. Wir sind alle sehr erschüttert.“ Eine Dame kam auf sie zu und ihre Chefin, Frau Kaufmann, ergänzte: „Frau Menke, darf ich Ihnen meine Kollegin aus Oldenburg vorstellen.“ Mareke nickte und meinte: „Guten Abend, ich kenne Sie, ich war in Oldenburg zur Ausbildung und Sie haben einige interessante Kurse geleitet. Guten Abend, Frau Polizeipräsidentin Weintraut. Sagen Sie mir bitte, was genau geschehen ist.“

Frau Weintraut blickte erstaunt zu Frau Kaufmann und diese sah Mareke nun nicht mehr so freundlich an: „Das hat Zeit, es wird alles im Protokoll stehen. Alle Beamten aus Oldenburg werden, wenn sie nächste Woche wieder im Dienst sind, ihren Bericht zu Protokoll geben. Das habe ich bereits mit der Kollegin aus Oldenburg abgesprochen. Hier geht es nur um Formalien, es sieht nach einem natürlichen Ableben aus.“

Mareke merkte, wie ihr Blutdruck anstieg und sah auch die Augenpaare der Glühweingesellschaft aus Oldenburg, die doch allesamt Profis sein sollten. Marekes Assistentin, Frau Heist, kam an, im Gehen noch die Jacke fest schließend. Der Wind war wirklich eisig.

Aber es sollte - im übertragenen Sinne - noch eisiger werden, als Mareke ihre Stimme hob: „Meine Damen und Herren Kollegen aus Oldenburg, meine lieben beiden Polizeipräsidentinnen. Ich wurde eben in meiner Freizeit von meiner Vorgesetzten, Frau Polizeirätin Oltmanns, angerufen und sofort in den Dienst gesetzt, um die Ermittlungen hier auf dem Weihnachtsmarkt zu führen. Ich muss Ihnen als polizeiliche Profis doch nicht sagen, wie man in einem Fall einer ungeklärten Todessache vorzugehen hat, zumindest wo hier unter uns noch zwei amtierende Polizeipräsidentinnen weilen, die uns an der Akademie der Polizei das Wissen vermitteln, wie gute Polizeileute vorzugehen haben. Dabei stand in meiner Ausbildung nichts davon, dass man Unterscheidungen zwischen einer normalen Bevölkerung und Polizeileuten vornimmt. Und wenn heute hier am Tresen die Oberstaatsanwälte von Deutschland mit Richtern der Landgerichte Glühwein getrunken hätten - das Gesetz dürfte keinen Unterschied machen.

So, nun aber zum Ablauf. Sie kommen bitte jetzt alle auf das Präsidium, wo wir Ihre Aussagen zu Protokoll nehmen werden. Anschließend wird von Ihnen allen eine Blutprobe entnommen werden.“

Es setzte ein ungläubiges Murren ein, von dem Mareke sich aber nicht beeindrucken ließ. Sie sah nur noch das erstaunte Gesicht ihrer Vorgesetzten und meinte, in dem Gesicht ihrer Assistentin Frau Heist ein anerkennendes Lächeln gesehen zu haben. Mareke drehte sich zu dem Streifenführer um: „Bitte holen Sie per Funk drei Mannschaftsbusse! Damit sollten wir die Zeugen, so denke ich, alle ins Präsidium bekommen. Und sagen Sie dem Arzt Bescheid, der soll sich gleich Verstärkung für die Blutproben mitbringen.“

Die Menge am Absperrband klatschte spontan Beifall und einer rief besonders laut: „Bravo, Mädel, nicht einschüchtern lassen.“ Mareke aber sah den Rufer nur böse an.

Sie wandte sich nun an den Notarzt Doktor Werner Korbmann, der etwas ratlos vor der toten Frau Sieglinde Hartkopf stand und langsam seine Sachen einpackte. Mareke sah ihn an: „Guten Abend, Herr Doktor, was können Sie mir nach Ihrem ersten Eindruck sagen?“ Der Arzt schien von Marekes kurzer Ansprache beeindruckt zu sein. „Nun, ich befragte nach der Untersuchung der Toten hier die Umstehenden und im Gespräch erfuhr ich, wer diese Herrschaften waren. Sie redeten aufgeregt alle durcheinander und ich verstand nur, dass es ein gemütlicher Abend war und alle irgendwann an der Reihe waren, eine Runde Glühwein auszugeben. Ihre Entscheidung ist richtig, von allen hier eine Blutprobe entnehmen zu lassen. Sicher ist sicher. Ich denke, der Staatsanwalt hätte nichts dagegen. Zur Toten. Es handelt sich nach meinen ersten Untersuchungen um einen klassischen Herzinfarkt. Was ich bei dem Durcheinander herausbekam, war, dass sich die Polizeipräsidentin von Bremen an den Hals fasste, den Schal abzog oder zumindest versuchte, ihn abzuziehen. Das sind die ersten Merkmale der Atemnot. Ich konnte nur noch einen Herzstillstand feststellen. Was ich sehr bedauernswert fand, ist, und das müssten diese Herrschaften der Polizei doch wohl können, dass keiner versuchte, eine Herzmassage vorzunehmen oder zumindest eine Mund zu Mund Beatmung anzuwenden. Darüber bin ich sehr erbost und das werde ich auch in meinem Bericht dick unterstreichen.“

Die beiden Damen der Polizei in den hohen Positionen nickten dazu. Frau Weintraut sah ihre Kollegin aus Oldenburg an: „Das werden wir auf einer der nächsten Tagungen thematisieren.“ Mareke sah die Spurensicherung an, die rein vorsorglich von der Polizeirätin alarmiert worden war. Einer der Kollegen ging an dem Glühweintisch vorbei, Mareke kniete sich neben die Leiche und sah diese gedankenverloren an: „Was ist nur mit Ihnen passiert? War ein Glas Glühwein schlecht?“

Zwei Wochen nach diesem Glühweinabend hatten sich die Wogen geglättet, die Presse hatte davon Wind bekommen und die Polizeiführung von Emden hatte dem Innenmister einen Bericht abgeben müssen.

Am nächsten Tag kam Frau Weintraut in Marekes Büro, wo diese gerade dabei war, mit Frau Heist einige Kollegen als Sonderkommission ‚Glühwein’ zusammenzustellen. Frau Weintraut stand etwas verloren im Büro: „Ich muss mich bei Ihnen, Frau Menke, für mein Verhalten entschuldigen. Das kommt nicht wieder vor. Sie haben recht und ich finde es von den jungen Menschen hier im Präsidium wirklich gut, sich von ‚großen Tieren’ nicht einschüchtern zu lassen.“ Mareke stand auf, gab ihr die Hand und meinte: „Den berühmten Schwamm drüber. Mein Vater sagte mir immer: Bleibe redlich und fürchte dich vor Niemandem. Das ist auch mein Lebensmotto geworden.“

Mareke trug den Vorschlag der neuen SOKO zur Personalaufstockung vor und Frau Weintraut zeichnete noch im Stehen das Anforderungspapier ab. Die Zeugenaussagen der Oldenburger Kollegen waren übereinstimmend und gaben nichts Auffälliges her, die Blutalkoholwerte waren nachgewiesen und Mareke bat alle Kollegen der ‚SOKO Glühwein’, darüber Stilschweigen zu bewahren. „Einige der Kollegen aus Oldenburg wären gut beraten, ein Gespräch mit einem Suchtbeauftragten zu suchen, das sagt alles“, meinte Mareke. „Aber, die Damen und Herren müssen wissen, was sie tun.“

Mareke sah ihre Assistentin an: „Was sollen wir machen?“ Frau Heist nahm ihre Jacke vom Haken. „Ich bekam gerade eine Mail vom Pathologen. Wir sollen doch einmal bei ihm in der Sache Glühweinbude vorbeischauen.“ Mareke stand ebenfalls auf: „Ich habe mein Postfach noch nicht angesehen. Glühweinbude ist gut. Wir fahren hin.“

Der Pathologe Doktor Holger Schreiber hatte neben der Gerichtsmedizin ein zweites Institut in seinem privaten Haus in Börßumerfehn. Dies lag etwas außerhalb von Emden in Richtung Moormerland-Warsingsfehn. Hier konnte der Gerichtsmediziner seine ungeklärten Fälle frei von der Tageshektik, die eine Gerichtsmedizin mit sich bringt, erforschen und untersuchen. Mareke war noch nie in diesem privaten, pathologischen Institut gewesen und war dementsprechend aufgeregt, was sie wohl erwarten würde.

Die Ehefrau öffnete. Im Garten spielten die Nachbarskinder. Sie lächelte: „Kommen Sie beide herein, die Nachbarn kennen die Arbeit meines Mannes und es wundert sich hier keiner mehr, wenn Leichenwagen vorfahren. Ist halt normal und gehört zum Leben dazu.“ Mareke lächelte unsicher und dachte‚ daran müsste ich mich als Nachbarin auch erst gewöhnen’.

Frau Schreiber brachte den Besuch in den Keller und rief laut: „Liebling, dein Besuch ist da.“ Der Pathologe öffnete seine Tür und helles Neonlicht fiel in den Vorraum. „Da sind Sie ja, herzlich Willkommen bei mir. Haben Sie keine Furcht, hier ist alles normal, wie in der Gerichtsmedizin. Hier geistern keine zusammengesetzten, ehemaligen Menschen durch die Räumlichkeiten.“

Marlies gruselte sich trotzdem bei dem merkwürdigen Ausdruck ‚ehemalige Menschen’. Warum sagte er nicht einfach Leichen? Herr Schreiber nickte ihnen zu und sie gingen in den Raum, nachdem sie sich Plastiküberschuhe und Kittel anzogen hatten, die ihnen Herr Schreiber überreicht hatte. Als sie im Sektionsraum waren, lag die Leiche der Frau Sieglinde Hartkopf auf dem Tisch mit dem Kopf zu ihnen gewandt. Mareke und Marlies gingen langsam an den Tisch heran und warteten auf den Pathologen, der das Deckenlicht ausschaltete, das Licht an dem hellen Übersichtsmonitor anstellte und ein Röntgenbild und ein Foto einer Hand an den oberen, beleuchteten Rand steckte.

„Sehen Sie, das ist die rechte Hand der Dame, die an dem Glühweintisch auf dem Weihnachtsmarkt am Emdener Hafen verstarb. Ich habe mehrfach die Zeugenaussagen gelesen, die Sie mir freundlicherweise aus der Polizeiakte als Kopien einreichten und sehen Sie hier, ich zitiere die Aussage einer Beamtin von der Drogenfahndung, die wohl aufgrund ihres Berufes einen schärferen Blick für das vordergründig Unwichtige im Leben hat. Sie sagte aus: Wir standen alle ausgelassen und einige sichtbar angetrunken an zwei zusammengestellten runden Stehtischen, die üblicherweise auf Weihnachtsmärkten vorhanden sind, und tranken Glühwein. Dann wollte die Frau Polizeipräsidentin Hartkopf eine Runde ausgeben. Aber da widersprach ihr heftig die Oldenburger Polizeipräsidentin Frau Weintraut. Frau Hartkopf wäre schließlich der eingeladene Gast und sie würde nun diese Runde ausgeben. Dann sammelte sie die Becher zusammen und fragte, wer zum Tragen mit an den Glühweinstand gehen würde. Sie sagte noch scherzend, das Pfandgeld entfiele ja beim Tausch der Becher. Zwei männliche Beamte von uns gingen mit. Nach einer Weile kamen sie zurück, denn am Stand herrschte großer Andrang und es dauerte eben lange bis alle Becher gefüllt waren. Sie kamen mit mehreren Tabletts zurück und verteilten die heißen Becher auf dem Tisch. Frau Weintraut stieß sehr heftig zum Prosten mit dem Becher der Frau Hartkopf an, wobei der heiße Glühwein über den Handschuh dieser Dame schwappte. Frau Weintraut entschuldigte sich für das Missgeschick und wischte mit einem Herrentaschentuch den Handschuh an der Hand ab. Zitat Ende.

Nun, ich habe bei dieser Dame hier auf meinem Tisch einen Blutalkoholspiegel von 1,6 Promille festgestellt und gebe zu bedenken, dass es sich um den wahren Wert handelt, denn ein toter Mensch kann naturgemäß keinen Alkohol mehr im Körper abbauen, wenn man die langsame Verwesung bei einem gerade verstorbenen Menschen in den ersten Stunden außer Acht lässt, die nicht ins Gewicht fällt. Bis auf einen kleinen Miniwert vielleicht, das ist aber grundlegend bei kurz Verstorbenen noch nicht erforscht worden. Das sollte ich vielleicht mal machen, wenn ich in Pension bin.“

Doktor Schreiber schob die Brille hoch und sah die beiden Damen an, die ihm gespannt weiter zuhörten, als er sich drehte und wieder auf das sehr scharfe Bild der Hand zeigte. „Nun, Sie sehen hier auf dem Foto einen kleinen, fast unmerklichen Einstich auf dem Handrücken.

Ich habe natürlich vorher das Blut und das Gewebe der Leiche untersucht und das Herz von einem Kardiologen begutachten lassen. Nach dem Kollegen vor Ort diagnostizierte auch er einen Herzinfarkt, alle Anzeichen sprachen dafür, die Körperhaltung, die Hautfarbe! Auf dem ersten Blick deutete also alles auf einen Herzinfarkt hin. Doch was war die Ursache? Das Herz war gesund, ich habe mich mit dem Hausarzt von Frau Hartkopf über ihren Gesundheitsstatus unterhalten. Sie hatte nie über Herzprobleme geklagt. Natürlich kann ein Infarkt durch verschiedene Gegebenheiten plötzlich kommen.

Doch in dem Gewebe und im Blut entdeckte ich Spuren eines Giftes. Um sicher zu sein, holte ich einen Toxikologen zur Leichenschau dazu. Der Bericht liegt vor. Hier wird eindeutig festgestellt, dass eine Tachykardie, also ein Herzrasen vorlag, der zum Tode führte. Doch was war der Auslöser? Der Glühwein bestimmt nicht, auch wenn er gepanscht sein sollte, denn die Budenbesitzer wollen Geld und keine toten Kunden. Nein, wir sind nach diversen, zum Teil komplizierten Versuchen dem Gift auf die Schliche gekommen.

Es handelt sich um unsere heimische Eibe, ein Baum, der in vielen Gärten steht, bis zu zwanzig Meter hoch wird und deshalb beliebt ist, weil er immergrün ist. Die Eibe gibt einmal im Jahr kleine rote Früchte ab, kleine Kügelchen. Diese sind aber nicht giftig. Sondern hochgiftig sind die vorher entstehenden, kleinen, grünen Samenmäntelchen, aus dem später einmal die rote Frucht wird. Außerdem sind die Rinde der Eibe sowie die Tannennadeln stark giftig. Man muss also diese drei Sachen der Eibe als eine Art Pampe in großen Mengen essen, um daran zu sterben. Oder man kocht einen Sud, zieht den auf eine Spritze oder Giftpfeil und tötet somit einen Menschen.

Das Gift kam über einen Stich in die Hand in den Körper der Frau Hartkopf. Es vergeht eine gute halbe Stunde, dann wirkt das Gift. Man bekommt Atemnot, Schweißausbrüche, Herzrasen und, wenn nicht augenblicklich ein Kardiologe mit Gegenmitteln zur Herzstabilität eingreift, ist der Exitus letales unausweichlich. Die Frau Polizeipräsidentin Weintraut, die, wie ich mitbekam, die Kollegin aus Bremen zum Weihnachtsmarkt nach Emden einlud, holte eine Lage Glühwein, stieß mit ihr heftig an den Becher an, tupfte mit einem Herrentaschentuch deren Hand ab. In diesem Taschentuch war vorher wohl eine manipulierte Spritze mit dem Gift versteckt. Die stach sie kurz beim Abtupfen in die Hand der Frau Hartkopf und nun liegt sie hier!“

Mareke und Marlies sahen sich ungläubig an. Marlies fand als erste wieder Worte: „Das Verbrechen soll eine Polizeipräsidentin an einer anderen Polizeipräsidentin vorgenommen haben? Das gab es in der Kriminalgeschichte in Deutschland noch nie!“ Doktor Schreiber löschte das Licht an dem Bildschaukasten: „Ja, einmal ist immer das erste Mal. Diese Plattheit hat etwas Philosophisches an sich. Bringen Sie mir das Herrentaschentuch der Frau Weintraut und ermitteln Sie, ob sich die Damen womöglich im beruflichen Sektor doch nicht so gut verstanden. Berufseifersucht, oder war derselbe Mann im Spiel? Das Lebensspektrum ist weit für Morde. Aber das wissen Sie am besten. Wenn meine Kunden hier auf dem Metalltisch doch ein letztes Mal plaudern könnten, hätten wir die Fälle schneller geklärt, zumindest die meisten Fälle.“ Mareke bekam eine Gänsehaut und Marlies sah auch nicht besonders glücklich aus, als sie leise sagte: „Was machen wir bloß?“

Das Gespräch der Polizeirätin Jelte Oltmanns und der Polizeipräsidentin von Emden, Helma Kaufmann, verlief heftig. Als Mareke ihnen von dem Verdacht des Pathologen Doktor Schreiber gegen Frau Weintraut aus Oldenburg berichtet hatte, konnte man die Ungläubigkeit bei den beiden Damen mit Händen greifen. Frau Oltmanns fand als erste die Sprache wieder und meinte matt: „Was machen wir bloß?“ Mareke sah sie an: „Das sagte meine Kollegin Frau Heist auch und ich habe nachts Stunden wach gelegen, aber mir fiel nichts Gescheites ein. Ich träumte schon davon und wachte auf. Als mir der Traum wieder einfiel, sah ich mich als alte Kräuterfrau verkleidet bei Frau Weintraut an ihrem Haus klingeln, sie in ein Gespräch nach Giften verwickeln und ich bekam heraus, dass sie das Gift der Eibe kannte und mich in das Labor in ihrem Keller einließ.“

Mareke hatte ganz rote Wangen vor Aufregung, als Frau Kaufmann sich plötzlich steif auf die Vorderkante ihres Stuhls setzte. „So machen Sie das, überführen Sie Frau Weintraut als Kräuterhexe, auch wenn ich das dem Oberstaatsanwalt beibiegen muss. Sie muss freilich ihr Geständnis unterzeichnen.“

Nun war schon wieder ein weiteres Weihnachtsfest vorbei. Frau Weintraut saß auf der Pritsche und starrte an die Tür, als sie ein Geräusch vernahm. Die Wärterin ließ die Beobachtungsklappe fallen und der Schlüssel wurde ruckartig im Schloss gedreht. Dann wurde die Zellentür aufgestoßen.

Ihr Anwalt, Doktor Holger von Stumpf, kam schweigend herein und seinem Gesicht sah sie an, dass sie mit dem Revisionsantrag gescheitert waren. Frau Weintraut war zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Mordes an Frau Hartkopf verurteilt worden und saß nun schon über ein Jahr in der Haftanstalt in Lingen. Ihr Anwalt hatte vergebens versucht, das Urteil in der Beweisführung anzugreifen. Er hatte beweisen wollen, dass Frau Menke als alte Kräuterfrau die Beweise auf eine gesetzwidrige Art und Weise bei seiner Mandantin beschafft hatte.

Aber das Geständnis von Frau Weintraut war übermächtig, die Beweise des Pathologen Doktor Schreiber unerschütterlich. Seine Kombination hatte in diesem Fall voll ins Schwarze getroffen. Die Justizanstalt Lingen hatte eine Bewohnerin mehr für eine lange, ganz lange Zeit.

Kriminalkommissarin Mareke

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