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1 Die Sozialversicherung

1.1 Grundlagen und Aufbau

Die Sozialversicherung ist der Eckpfeiler der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Aufgabe ist es, die Versicherten bei bestimmten Wechselfällen des Lebens zu schützen:


1.1.1 Die fünf Zweige der Sozialversicherung

Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV)

Sie kommt für die Krankheitskosten auf, die ihren Mitgliedern in Deutschland – teilweise auch im Ausland – entstehen. Hierunter fallen insbesondere:

ärztliche und zahnärztliche Behandlungen,

Krankenhauspflege,

Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln.

Darüber hinaus werden Leistungen zur Prävention und Früherkennung von Krankheiten sowie zur Rehabilitation (z. B. Mutter-Kind-Kuren) erbracht. Auch die Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschutz gehören zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung.

Insgesamt kann also festgestellt werden, dass die GKV ein sehr komplexes System zur Gesundheitsvorsorge darstellt. Allerdings sind die Leistungen in der Regel mit Einschränkungen verbunden (z. B. Eigenanteile oder Zuzahlungen).

Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV)

Sie dient sowohl dem Versicherten als auch dessen Familie. Die GRV erfüllt im Wesentlichen zwei große Aufgaben:

1. Die Zahlung von Renten bei

Erwerbsminderung (Rente wegen voller/teilweiser Erwerbsminderung),

Tod (Witwen-/Witwerrente, Waisen- und Halbwaisenrente),

Alter (Altersruhegeld).

2. Rehabilitation

Verbesserung/Wiederherstellung der Erwerbstätigkeit kranker und behinderter Menschen.

Kennzeichnend für die GRV ist der Generationenvertrag. Dies ist ein nicht schriftlich fixierter gesellschaftlicher Konsens. Dieser regelt, dass die jeweils aktiv im Arbeitsleben stehende Generation die Renten derer zahlt, die bereits aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind.

Die gesetzliche Unfallversicherung (GUV)

Im Rahmen der GUV werden Leistungen für

berufsbedingte Unfälle,

Wegeunfälle,

Berufskrankheiten

und für die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit erbracht.

Die Arbeitslosenversicherung (AV)

Sie soll zumindest die finanziellen Folgen der Arbeitslosigkeit mildern. Die wichtigsten Leistungen gliedern sich wie folgt:


Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung beschränken sich also nicht nur auf die Erbringung reiner Geldleistungen.

Die soziale Pflegeversicherung (SPV)

Seit dem 01.04.1995 werden Leistungen für pflegebedürftige Versicherte gewährt. Die Leistungshöhe richtet sich nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit.

1.1.2 Prinzipien der Sozialversicherung

In der Privatversicherung, zahlt der Versicherte individuelle Beiträge z. B. entsprechend seines Alters oder Gesundheitszustands (Äquivalenzprinzip).

Im Gegensatz dazu gilt in der gesetzlichen Sozialversicherung das Solidarprinzip. Hier richtet sich die Höhe der Beiträge nach dem Einkommen, also nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen (sozialer Ausgleich). Auch der Leistungsrahmen ist für die Versicherten gesetzlich geregelt und zu großen Teilen unabhängig von dem Umfang der Einzahlungen. Nur die Höhe der Altersrente und des Arbeitslosengeldes wird wesentlich vom Versicherungsbeitrag und der Beschäftigungsdauer bestimmt.


Für die Beitragsabführung ist der jeweilige Arbeitgeber des Versicherten verantwortlich. Dabei werden die Beiträge grundsätzlich zur Hälfte vom Arbeitgeber (Arbeitgeberbeitrag) und dem Arbeitnehmer (Arbeitnehmerbeitrag) gezahlt, jedoch nicht über die jährlich gesetzlich festgeschriebenen Beitragsbemessungsgrenzen (BBG) hinaus.

Eine Ausnahme bildet die GUV: Hier bezahlt der AG die Beiträge allein.

Hinweis:Die Beitragsbemessungsgrenzen erhöhen sich in der Sozialversicherung entsprechend der Lohn- und Gehaltsentwicklung. So kommt es, dass Versicherte mit höheren Einkommen trotz gleichbleibender Beitragssätze u. U. höhere Beiträge aufbringen müssen.

1.2 Entwicklung und Rechtsgrundlagen

Die geschichtliche Entwicklung der Sozialversicherung ist zurückzuführen auf eine Botschaft Kaiser Wilhelms I. vom 17.11.1881. Diese Botschaft zum Aufbau einer Arbeiterversicherung resultierte aus einer Anregung von Fürst Otto von Bismarck und wird als die Geburtsurkunde der deutschen Sozialversicherung bezeichnet. Die Gründe, die zu dieser Entscheidung führten, ergaben sich aus den Folgen der fortschreitenden industriellen Revolution. Mit der Einführung von immer mehr Arbeitsgeräten und Maschinen ging eine Zunahme der Arbeitsunfälle einher. Durch den Niedergang der Großfamilie bestand kaum noch die Möglichkeit, die Krankenpflege den Angehörigen zu überlassen. Die Verschlechterung der Lebensumstände der Arbeiterschaft führte letztendlich zu deren politischer Organisation. Die Sozialgesetzgebung muss also auch als eine politische und nicht nur rein humanitäre Entscheidung betrachtet werden.

Die erste Auswirkung der kaiserlichen Botschaft war die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung für Arbeiter mit Gesetz vom 15.06.1883 (Zwangsversicherung für Personen, die gegen Lohn oder Gehalt beschäftigt werden).

Entwicklung der gesetzlichen Sozialversicherung

15.06.1883:Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung
Zwangsversicherung für Personen, die gegen Lohn oder Gehalt beschäftigt werden
06.07.1884:Unfallversicherungsgesetz
Zwangsversicherung für alle Arbeitnehmer bei den Berufsgenossenschaften zur Absicherung von im Betrieb verunglückten Arbeitern oder deren Hinterbliebenen
22.06.1889:Gesetz über die Invaliditäts- und Altersversicherung
Gewährung einer Altersrente ab dem 70. Lebensjahr oder Invalidenrente bei Erwerbsunfähigkeit
16.07.1927:Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung
Spätere Einführung aufgrund der Weltwirtschaftskrise von 1925, erstmals große Arbeitslosigkeit
26.05.1994:Pflegeversicherungsgesetz
Soziale Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit für alle Krankenversicherten

1.2.1 Reichsversicherungsordnung

Die Reichsversicherungsordnung (RVO) war die Zusammenfassung der vorangegangenen Sozialversicherungsgesetze durch ein einheitliches Gesetzeswerk vom 19.07.1911. Heute werden die einzelnen Bereiche der Sozialversicherung durch die Sozialgesetz­bücher sowie angrenzende Gesetze geregelt. Die RVO gilt nur noch in sehr wenigen Teilen.

1.2.2 Sozialgesetzbuch

Das Sozialgesetzbuch (SGB) ist ein Gesetzeswerk, das zukünftig alle Sozialgesetze und die sich aus ihnen ergebenden Rechte zusammenfassen und harmonisieren soll:

Gliederung des Sozialgesetzbuchs:

SGB I:Allgemeiner Teil
SGB II:Grundsicherung für Arbeitssuchende
SGB III:Arbeitsförderung
SGB IV:Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung
SGB V:Gesetzliche Krankenversicherung
SGB VI:Gesetzliche Rentenversicherung
SGB VII:Gesetzliche Unfallversicherung
SGB VIII:Kinder- und Jugendhilfe
SGB IX:Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen
SGB X:Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz
SGB XI:Soziale Pflegeversicherung
SGB XII:Sozialhilfe

Träger der Sozialversicherung sind öffentlich-rechtliche Körperschaften. Es handelt sich hierbei um einen Zusammenschluss von Personen, wobei die Gründung dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaften durch ein Gesetz zustande gekommen ist. Dementsprechend sind Körperschaften wie beispielsweise die AOK, die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Berufsgenossenschaften unter Selbstverwaltung gestellt. Die Träger haben die Aufgabe, die Sozialversicherung zu organisieren, d. h. die notwendigen Mittel einzuziehen und die vorgesehenen Leistungen zu gewähren.

1.3 Finanzierungsproblematik der Sozialversicherung

Alle Zweige der Sozialversicherung werden durch Beiträge (im Umlageverfahren) und staatliche Zuschüsse aus Steuergeldern (vor allem für die GRV und die Bundesanstalt für Arbeit) finanziert. Mit Ausnahme der GUV (100 % durch den Arbeitgeber) teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Beiträge. In der gesetzlichen Krankenversicherung gilt dies bis zur Höhe des allgemeinen Beitragssatzes (2018: 14,6 %). Darüber hinausgehende Zusatzbeiträge zahlt der Arbeitnehmer allein. Zur hälftigen Arbeitgeber-Finanzierung in der GPV wurde als Kompensation ein gesetzlicher Feiertag in einen Arbeitstag umgewandelt. Darüber hinaus müssen bei der Pflegeversicherung „kinderlose“ Personen ab dem 23. Lebensjahr einen Zuschlag von 0,25 % auch ohne Arbeitgeberbeteiligung zahlen.

Aufgrund folgender Entwicklungen wird die Finanzierung der Sozialversicherung immer problematischer:

Kostenexplosion im Gesundheitswesen,

Alterung der Bevölkerung bzw. steigende Lebenserwartung,

Geburtenrückgang,

schwankende Arbeitslosenzahlen.

All dies führt dazu, dass die Beitragseinnahmen immer weniger ausreichen, die Aufwendungen für die Leistungen zu decken. Die Folge einer solchen Entwicklung kann nur die Erhöhung von Beiträgen und die Kürzung von Leistungen sein. Immer häufiger erfolgt eine Reduktion von gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen.

Ähnliches gilt für die GRV. Die demografische Entwicklung der deutschen Bevölkerung wird in den nächsten Jahren zu einer Veränderung in der Altersstruktur führen. Der Generationenvertrag gerät somit dramatisch ins Wanken. Grund für diese Entwicklung ist im Wesentlichen die erhöhte Lebenserwartung der Bevölkerung durch verbesserte medizinische und hygienische Versorgung. Darüber hinaus ist der Geburtenrückgang dafür verantwortlich, dass die Zahl der Beitragszahler geringer wird.

Dieser Situation soll der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor Rechnung tragen, der von der Bundesregierung eingeführt wurde. Er berücksichtigt die Entwicklung des zahlenmäßigen Verhältnisses von Beitragszahlern zu Rentnern. Sinkt das Verhältnis der Beitragszahler, wird die Rentenanpassung eher geringer ausfallen. Ein verhältnismäßiger Anstieg der Beitragszahler wirkt sich dagegen eher positiv auf die Rentenanpassung aus. Der Nachhaltigkeitsfaktor führt zu einem schnelleren Absinken des Renteniveaus als die bisherige Berechnung.

Außerdem führt die hohe Arbeitslosigkeit dazu, dass die Träger der Sozialversicherung erhebliche Beitragseinbußen hinnehmen müssen, die der Staat nicht in unbegrenzter Höhe auffangen kann. Auch die zuletzt deutlich gesunkene Arbeitslosenzahl ändert nichts an diesem grundsätzlichen Problem. Der stufenweise Abbau von Sozialleistungen – über die Auswirkungen des Nachhaltigkeitsfaktors hinaus – scheint vor diesem Hintergrund ebenso unvermeidbar wie die Notwendigkeit der eigenverantwortlichen Absicherung durch den Abschluss privater Vorsorgeverträge.

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