Читать книгу Die Piraten von Manaus - Gordon L. Schmitz - Страница 7

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Es gibt sie natürlich heute noch, die alten Piraten, wie wir sie aus den Abenteuerromanen kennen.

In der Regel tragen sie aber jetzt Talare und kennen sich in den Gesetzen aus.

Doch auch auf die Art, wie sie vor Jahrhunderten schon die Meere unsicher machten, so werden Seeräuber auch in Zukunft brandschatzen und plündern. Im ausgehenden 19. Jahrhundert jedoch fand man seit langer Zeit schon keine Piraten in langen Mänteln, mit Schärpen um die Hüften, Dreispitz-Hüten und Holzbeinen mehr – es sei denn, man wusste, wo man suchen sollte.

Manch südamerikanischer Hafen, afrikanische Bucht oder auch altes nordisches Fischerdorf war noch die Heimat der alten Piraten auf ihren Segelschiffen. So auch hier.

Alan Herb wunderte sich immer wieder, wie inmitten des brasilianischen Regenwaldes eine so große und prächtige Stadt wie Manaus existieren konnte.

Er und seine Kameraden waren schon oft das Amazonasgebiet hier hoch gefahren, quer durch den halben Kontinent, nur um vor dieser Stadt zu ankern; doch jedes Mal, wenn die Jolly Roger auf den Hafen zusteuerte und darüber die ganze Pracht, mit der die Bewohner ihren noch immer neuen, dem Kautschukboom zu verdankenden Reichtum zelebrierten, ins Blickfeld kam, war Herb von der Üppigkeit dieses Ortes gefesselt. Und jedes Mal war sie noch etwas schöner, etwas eleganter, etwas größer als beim Besuch zuvor.

Er konnte jetzt zum Beispiel zum ersten Mal ohne Gerüst die goldene Kuppel des neuen Theaters in der Sonne des späten Nachmittags strahlen sehen. Dem Kapitän würde das Gebäude sicherlich gut gefallen, wenn er denn für solche Vergnügungen Zeit finden würde.

Normalerweise verhieß ein Besuch in Manaus immer Vergnügen, Ausschweifungen und das Versorgen des leiblichen Wohles – etwas, dass im Nimmer-Nimmerland gezwungener Maßen vernachlässigt werden musste. Diesmal war sich Herb da nicht so sicher. Oh, er und die Crew würden sich schon jedem Rausch hingeben, der sich ihnen anbot, aber Hook? Er würde erst entspannen können, wenn er bekommen hatte, wofür er hier war, was auch immer das sein mochte.

Die Brigg – zwei Masten, zehn reguläre Kanonen, gut zwei Dutzend Mann Besatzung – hatte nun im Hafen festgemacht, die ersten Dockarbeiter packten bereits die Taue, um sie sicher an die schwimmende Kaimauer zu ziehen, und selbst in dem Gewirr, dass sich automatisch ausbreitete, wenn ein so altes Schiff irgendwo vor Anker ging, konnte Alan einige ihm vertraute Gesichter ausmachen. Dieser Hafen war in der wirklichen Welt das, was für die Crew, wenn schon nicht einem Zuhause, so doch wenigstens einem Lieblingsplatz am meisten glich. Einem brütend heißen, immer feuchten Lieblingsplatz.

George Scourie, stinkend, aber glücklich, ging zu ihm rüber, eine Flasche in der Hand. Alan sah ihn fragend an.

»Du trinkst schon, bevor wir von Bord sind? Mr. Smee wird das nicht gerne sehen. Gib mir wenigstens was ab«.

Alan vermisste die Zeiten auf See, in denen Frischwasser so knapp war, dass Seeleute aller Art ganz selbstverständlich Alkohol trinken mussten.

»Oh, diese Flasche ist leer…«, entgegnete Scourie und drehte sie demonstrativ auf den Kopf, »doch dagegen wollen wir gleich was unternehmen. Kommst du mit?«. Er deutete auf einige andere, die grade nicht mit dem Festmachen der Jolly Roger beschäftigt waren und voller Freude, mal wieder ein richtiges Land zu sehen, den mehr oder weniger feinen Damen am Kai in deutlichen Worten ihre Aufwartung machten.

»Wer hat denn heute Dienst?«, war Alans ein wenig sehr pflichtbewusste Antwort.

Scourie lächelte mit seinen verrotteten Zähnen.

»Der Schwarze«.

Wenn dieser Berg von einem Mann Dienst hatte, brauchte sich nicht einmal Bootsmann Smee um Wartung und Ordnung des Schiffs zu sorgen, da keiner dem Afrikaner – seinen wirklichen Namen kannte keiner – je widersprechen würde, geschweige denn unsauber arbeitete.

Bevor Herb weitersprechen konnte, trat Smee auf Deck, wünschte »seiner« Mannschaft im Namen des Kapitäns einen wunderschönen Abend und schon wurde die Gangway herbeigeholt.

»Dann bin ich heute Abend dabei!«, grölte auf einmal Alan Herb, der sich keine Sorgen mehr über irgendetwas machen musste; das Schiff lag sicher im Hafen, der Schwarze würde sich um alles kümmern, die Mannschaft hatte die Erlaubnis sich zu vergnügen und vor ihnen begann sich die reichste Stadt der Welt auf eine lange Nacht vorzubereiten.

***

»Was um alles in der Welt…?«

Die Piraten waren keine Minute an Land, da tauchte neben Herb auf einmal Whibbles auf, das neuste Mitglied der Crew, und dreht den Kopf immer wieder zurück zum Wasser. Da war noch etwas, dass Herb jedes Mal überraschte: Um Manaus zu erreichen, hatte das Schiff erst den brackig-braunen Fluss Rio Solimoes entlang fahren müssen und kam dann auf den tief schwarzen Rio Negro, oder jedenfalls zur Hälfte. Denn an dieser Stelle flossen die beiden Ströme im selben Flussbett nebeneinander her, ohne sich zu vermischen.

Herb lachte laut auf:

»Da musst du erst mal weiter nach Osten segeln – da wirst du staunen! Über drei Meilen breit ist der Fluss da!«

Auf jemanden wie Whibbles, der noch nie hier gewesen war, musste es wie ein Wunder wirken, selbst für einen Nimmerländer – der auch prompt in einen Karren lief.

»Bevor du dich weiter an der Natur ergötzt, Junge, achte erst mal auf die Stadt vor dir!«, rief ihm Skylights, der früher in der Bande des gefürchteten Kapitäns Morgan war, von der Seite zu. »Lohnt sich gerade mehr!«

Der lärmende Hafen empfing die Mannschaft wie immer mit reichlich Verlockungen und dem Versprechen sitt, satt und auf jede andere Art befriedigt irgendwann im Morgengrauen auf das Schiff zurückzukriechen. Selten konnte ein anderes Versprechen mit solcher Sicherheit eingehalten werden.

Die Gaslaternen wechselten sich mit Fackeln ab, doch noch waren nicht alle entzündet, sorgten ja die letzten Strahlen der Sonne für genug Licht, dass die Trickbetrüger ihre schnellen Finger nicht ungesehen in Rockfalten und Taschen verschwinden lassen konnten. Aber die meisten Piraten, die sich nun über den Kai schoben, hatten gar nicht vor ihr Geld überhaupt so lange bei sich zu lassen. Und im Fall der Fälle konnte man immer jemanden finden, der sich auf ein schnelles Glücksspiel einließ, sei es um den Notgroschen oder eine Flasche Teufelstöter.

***

Nachdem er der Mannschaft den Abend frei gegeben hatte, ging Mr. Smee noch kurz nach oben zum Steuerrad, wo der Schwarze bereits neben Steuermann Mullins stand und die letzten Befehle zum Klarmachen der Roger bellte. »Sei doch so gut und halte heute Abend ein Auge auf das Schiff und eins auf den Hafen gerichtet, okay?«, fragte Smee ihn und wünschte den an ihm vorbei eilenden Piraten eine wilde Nacht.

»Haltet euch ja nicht zurück!«, rief er ihnen zu.

Smee war ein leicht untersetzter Herr in den besten, leicht grauen Jahren, der als Bootsmann der Jolly Roger quasi der Hausmeister des Schiffs war. Bei einem so verrotteten Kahn sollte man meinen, dass diese Aufgabe entweder sehr beschwerlich war, oder einfach nur schlecht gemacht wurde, aber so und genau so erwartete man es von ihrem Kapitän, und solange Smee dafür sorgte, dass das Schiff segeln konnte und die Mannschaft zufrieden war, musste er nicht den Haken des Kapitäns spüren, was mit guter Arbeit gleichzusetzen war.

In den Häfen war Smee allenthalben für seine liebenswerte Art und Herzlichkeit bekannt, und wer ihn einmal in einem Scharmützel gesehen hatte, der vergaß ihn ebenso wenig: Er hatte die grausame Angewohnheit besonders sadistisch mit dem Dolch umzugehen…

Das Deck war nun verwaist.

Smee ging zur Kajüte des Kapitäns und sah dabei hinüber zu einem kleinen Kirchturm, der die Straße weiter rauf stand. Uhren waren an Bord verboten und spielten ja auf See sowieso keine Rolle. Aber sie waren an diesem Abend zum Essen verabredet und so musste der Bootsmann ein Auge auf die Zeit haben.

»Wir sollten nun aufbrechen, Käpt‘n…«, sagte er und klopfte kurz.

Kaum war das letzte Klopfen im Inneren verklungen, öffneten sich die Türen, doch die Kajüte gab nichts von sich preis: Nicht ein Licht brannte im ganzen Raum. Direkt vor Smee aber, nicht weiter als eine Handbreite entfernt, loderten plötzlich zwei große, rote Punkte auf.

Kapitän James Hook trat aus dem Schatten heraus, vor sich eine selbstgebaute Apparatur, mit der er zwei Zigarren gleichzeitig rauchen konnte. Hook tat einen tiefen Zug von diesem Teufelszeug und die Zigarren loderten erneut auf.

»Ist die Mannschaft von Bord?«, fragte Hook, als seine Augen langsam über das Deck schweiften.

»Ja, Sir, bis auf die Mannschaft am Ruder und Southey ist das Schiff nun leer«, entgegnete Smee.

Southey, die Schiffskatze, schlich auf der Reling entlang und hielt nach fetten Hafenratten Ausschau. Schiffe hatten seit jeher Katzen an Bord, als Gesellschaft für die Mannschaft, aber auch um lästige Nager fernzuhalten, die sich gerne in den Laderäumen einnisteten.

Hook ließ einen Seufzer hören und entspannte sich ein wenig. Was niemand bis auf Smee wusste, war, dass der Kapitän, trotz seiner ganzen Jahre auf See, eine panische Angst vor dem Wasser hatte. Er verließ immer als letzter das Schiff und wollte nicht, dass seine Mannschaft ausgerechnet in Manaus sah, wie unbehaglich ihm beim Gang ans Ufer war. Schon hatte Hook seine Contenance wiedergefunden.

Smee musterte ihn bewundernd. »Gut siehst du aus, Käpt‘n, wenn ich das so sagen darf.«

Hook verneigte sich kurz. Anstatt seines üblichen Kapitänsrocks trug er einen gut geschnittenen schwarzen Mantel und ein abgegriffener Zylinder, dessen Krampe einige schwarze Wachsflecken säumten, saß auf der Lockenpracht Hooks. Der Rest von Hooks Kleidung war wie immer: Kniestrümpfe, Langweste und Schnallenschuhe. Da sie hoch in die Innenstadt von Manaus wollten, wäre die auffallende Kleidung des 17. Jahrhunderts unpassend gewesen. Hier am Hafen, auf und um die Roger herum, spielte es keine Rolle, aber ihr Ziel war das vielleicht beste Restaurant der Stadt, wahrscheinlich sogar in ganz Südamerika. Der eiserne Haken, welchen der Kapitän anstatt seiner rechten Hand hatte, blieb dran. Jeder, der ihn deshalb schief anschaute, würde schon sehen, was er davon hatte.

So gingen sie von Bord der Jolly Roger, und Hook ließ nur eine Laterne zurück, die an diesigen Abenden grün durch das ganze Nimmerland leuchtete und jetzt dem wissenden, alten Seemann oben in der goldenen Stadt Manaus zeigte, wer vor Anker lag.

Die Piraten von Manaus

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