Читать книгу Die Piraten von Manaus - Gordon L. Schmitz - Страница 8

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An diesem Abend erinnerte der Hafen von Manaus ein wenig an die Piratenhäfen aus der alten Zeit, mit ihrer Mischung aus modernen Bauten und sich durch die engen Gassen schiebender Armut.

Ja, der Kautschukboom hatte die Stadt vor nicht allzu langer Zeit aufblühen lassen und aus einem kleinen Kaff eine weltbekannte Metropole gemacht. Gustave Eiffel wurde beauftragt, eine prächtige Markthalle zu errichten; Plätze nach französischem Vorbild entstanden; das neue Opernhaus war gerade fertiggestellt und man hatte keine Kosten gescheut, dafür Architekten und Maler aus ganz Europa zu engagieren, ja sogar die Bauteile dieses Teatro Amazonas aus der ganzen Welt zusammenzukaufen. Man nannte Manaus auch das »Paris der Tropen«, und keine Stadt im Land hatte eine so gut ausgebaute Infrastruktur, einen so hohen Lebensstandart und konnte sich, ohne Übertreibung, mit den Zentren Europas messen.

Vom Hafen aus wandten sich breite Zufahrtsstraßen mit üppig dekorierten Repräsentativbauten ins Stadtzentrum, die zur Frontseite mit so viel Stuck versehen waren, dass man Angst haben musste, sie würden vornüberkippen. Hier vibrierte die Luft und zitterte die Erde und das nicht nur im übertragenen Sinne:

Die Straßen waren gesäumt von Restaurants und Tanzcafés, von mondänen Nachtclubs, in denen die besten Musiker Europas manchmal nur für einen Abend spielten. Aber was machte das schon, die Kautschukbarone konnten es sich leisten. Aus allen Himmelsrichtungen hörte man das Lachen der Flaneure, wie es sich mischte mit dem aufgeregten Geplapper von schier tausenden Café-Besuchern, die es sich unter freiem Himmel oder den Intimität vorgaukelnden Marquisen bequem gemacht hatten, immer wieder durchbrochen von schweren Klaviertönen und schriller Musik der Avantgarde.

Und zwischen all den wuselnden Massen, die zwischen Innenstadt und Hafen umherliefen, die Vergnügungstempel unsicher machten, von Kunstgalerien und Botschaftsempfängen angelockt wurden oder aus der Oper heraussprangen, nur um die nächste musikalische Verführung zu finden, zwischen schicken Automobilen und eleganten Pferdekutschen, brachte sie das Straßenpflaster zum Beben: Manaus hatte die erste elektrische Straßenbahn des ganzen südamerikanischen Kontinents vorzuweisen. Denn während in der alten Welt sogar noch die Millionenstädte mit Gasfunzeln ihre Straßen beleuchteten, glühte es hier aus jedem Haus und in jedem Boulevard elektrisch, und diese Kraft nutzten die Stadtverwalter für den Transport von täglich mehr und mehr Arbeitern, Käufern, Verkäufern, Spekulanten und Glücksrittern, die in dieser Perle mitten im Dschungel ihr Glück versuchen wollten.

Und wie das mit dem Glück so ist, spuckte es die Verlierer gnadenlos in die Gossen, die sich abseits der Prunkstraßen kilometerweit vom Herzen der Stadt aus bis in die Peripherie der brüchigen westlichen Zivilisation hier erstreckten.

***

Vor dem Restaurant Estrela Negra mischte sich der schwere Duft der Büsche, die reich beblumt überall gepflanzt waren, mit dem scharfen Geruch der südamerikanischen Küche. Hook konnte sich nie sattsehen an den Sträuchern, der barocken Stadt, den Menschen, dem ganzen Licht, und er wandte sich zur Stadt zu seinen Füßen um, sah von der Jolly Roger langsam hoch zu den marmornen Kolumnen und dem Dach mit den spitzen Türmen dieses Restaurants von Weltklasse… als eine hohe Stimme in das Bild schnitt.

»Na, Hör ens – ist denn wieder ein Maskenfest in der Stadt, oder will da nur einer seine Festtagsgarderobe mal wieder ausführen?«

Hook dreht sich schlagartig um und wollte gerade mit dem Haken ausholen, als Smee seinen Arm packte und fest nach unten gedrückt hielt.

»Jetzt nicht, Käpt‘n, nicht hier!«

Vor ihnen stand ein Mann in den mittleren Jahren, makellos gekleidet, an jedem Arm eine viel zu junge Frau.

»Ich bitte um Verzeihung?«. Hook fand schnell die Fassung wieder und setze sein Feiertagsgesicht auf. »Ich meinte, ein Straßenfeger hätte mir grade ein paar Worte zugerufen – haben Sie es verstehen können?«, entgegnete der Kapitän mit übertriebener Höflichkeit.

Sein Gegenüber schien überrumpelt.

»Oh nein, das ist mir wohl entfallen. Ich bin mir aber sicher, die Straßenfeger haben hier viel zu erzählen.«

Der Mann, der grade aus dem Restaurant getreten war, schien für die Damen an seiner Seite jetzt nur noch wenig Beachtung aufbringen zu können, dafür war ihre Faszination für ihn aber ungebrochen: Sie waren ganz eingenommen von dem blassen Teint, den auffällig rosa Wangen, und Augen, die so dunkel schienen, als seien sie schwarz.

»Alleine die ganzen Münzen, die sie jeden Tag um das Rathaus herum zusammenkehren dürften ihnen eine Etage im Ritz einbringen. Ob man von der Häufigkeit der Funde auch auf die Höhe des Bestechungsgeldes schließen kann?«, entgegnete der Fremde weiter.

»Vielleicht doch eher auf die Saison – finden grade Kongresse statt, Staatsbesuche, oder ist eine Großfuhre Kautschuk grade aus dem Hafen getrieben?«, wandte Hook schmunzelnd ein.

»Da bleibt die Frage: Was führt jemanden wie Sie in diese Stadt?« Der Mann deutete auf Hooks Haken. »Ich bin mir sicher, die da drinnen haben bereits eine voll ausgestattete Küche…«

Der Kapitän trat einen Schritt näher. »Es gibt immer noch Fleisch, das ausgehangen werden muss, bevor es auf den Grill kommen kann«, und er genoss die kurz aufblitzende Angst in den Augen seines Gegenübers. »Ich kenne«, und er wandte sich zu Smee, »da ein ganz großartiges Rezept, das mir der alte Barbecue einmal verraten hat. Kurz bevor er starb. Ganz kurz davor«, und bei den Worten sah er tief in die schwarzen Augen des Mannes. Der schluckte kurz, verbeugte sich knapp und entgegnete:

»Ansonsten empfehle ich den Fisch. Wenn ihr nicht schon genug davon habt.« Dann stieg der Mann mit seinen Begleiterinnen in eine Kutsche und machte sich auf Richtung Stadtzentrum.

Die Anspielung auf ihre Herkunft als Seemänner war weder Hook noch Smee entgangen, und der Bootsmann schaute gespannt, wie sein Kapitän reagierte. Doch der sah der Kutsche nur eine Weile hinterher und trat dann, ohne ein weiteres Wort zu sagen, in das Lokal.

Smee blieb draußen stehen, und spielte vergnügt mit einigen neben dem Eingang angebundenen Hunden.

In der Kutsche waren die beiden jungen Frauen völlig in ihre neckischen Spielereien versunken, und man vernahm nur noch Kichern und anzügliche Bemerkungen aus dem passierenden Fuhrwerk. Der Mann mit diesen auffallend dunkeln Augen hingegen schien seine Begleiterinnen gar nicht zu bemerken, und kurz nachdem sie außer Sichtweite des Restaurants waren, änderte die Kutsche ihren Kurs und fuhr Richtung Hafen.

***

Das Estrela Negra war eines dieser Lokale der Belle Epoque, das man genau so gut in Paris – und sonst wirklich nur dort – finden konnte. Ausladene Räume deren hohe Decken von Marmorsäulen getragen wurden, verspiegelte Wände und üppige Goldverzierungen, wo man sie nur anbringen konnte. Die meisten der Reichen und Schönen, die hier dinierten, wollten natürlich gesehen werden, und so standen die Tische eng im Raum, doch für die Herrschaften, die lieber mehr unter sich sein wollten, gab es an den Wänden intimere Plätze, durch seitliche Trennwände voneinander abgeschirmt.

Hooks Name brachte die Menschen auf der ganzen Welt dazu, in ihren Bewegungen innezuhalten; kleine Kinder fingen an zu heulen und erwachsene Männer durchlief ein Zittern. Aber hier in Manaus genoss er darüber hinaus den Ruf der Großzügigkeit und ein stets üppiges Trinkgeld sorgte dafür, dass um ihn nicht zu viel Aufhebens gemacht wurde. Seinen Mantel behielt Hook an, und den Zylinder gab er nicht aus der Hand.

Der Maître führte Hook, dessen erhabene Erscheinung zur gleichen Zeit abschreckend und anziehend wirkte, auf die andere Seite des Lokals zu einem der Nischenplätze, in dem ein adretter Mann Mitte dreißig, modisch in einen grauen Zweireiher gekleidet, saß und unruhig in der Speisekarte blätterte. Als die Piraten an den Tisch traten, erhob er sich und streckte die rechte Hand aus. »Enoch Graham, sehr erfreut Kapitän.«

Schnell bemerkte der Mann seinen Fehler und wechselte zur linken Hand, aber Hook grinste ihn nur sardonisch an und streckte ihm den Haken entgegen. Graham schluckte und wusste nicht recht, ob er den Haken schütteln oder küssen, oder sich gleich die Spitze in den Bauch rammten sollte, um es hinter sich zu haben. Er war sichtlich erleichtert, als der Kapitän mit dem Haken nun auf die Sitzbank aus rotem Leder deutete.

»Es freut mich, dass es zu diesem Treffen kommen kann, Mr Graham«, sagte Hook. »Es ist mir zu Ohren gekommen, dass sich in Ihrem Besitz eine Antiquität befindet, die lange als verschollen galt und, wie Sie wissen, bin ich bereit, Sie mehr als angemessen dafür zu entschädigen, dass Sie sich von diesem… Kunstwerk trennen.«

Graham versuchte ein Lachen, doch mehr als ein nervöses Kichern kam nicht aus ihm raus.

»Nun, jedem Antiquar würde es schwer fallen, einen so kostbaren Schatz aus der Hand zu geben, denn egal wie viel er in Gold auch wert sein mag, seine historische Bedeutung ist im Grunde unermesslich. Wie errechnet man den Wert eines Dinges, dem wir es, mal weitergedacht, doch zu verdanken haben, dass wir heute hier so sitzen können, wie wir es tun?« Während des Sprechens versuchte der sonst so gefasste Mann Hook immer wieder in die Augen zu schauen, doch der durchdringende Blick dieser blauen Augen verunsicherte ihn nur noch mehr.

»Man möchte meinen, er gehört eher in ein Museum, dieser…«, und hier lehnte sich Graham über den Tisch, »… dieser Kompass des Kolumbus. Aber seien wir ehrlich: Ein Haufen hochnäsiger Fachidioten und eine stumpfe Meute, die ihn Tag aus, Tag ein nur angafft, würden ihm doch gar nicht gerecht werden.« Hier erlaubte Graham sich ein verschwörerisches Lächeln, dass er nur jenen Kunden zeigte, die wie er bereit waren, auch manche Gesetze zu umgehen, um die richtigen Stücke in die richtigen Hände zu legen. Hook erwiderte sein Lächeln und Graham gefror das Blut in den Adern. Der Händler lehnte sich lieber wieder zurück und versuchte so tief in die Rückenpolster einzusinken, dass er auf der anderen Seite wieder herauskam. Er richtete seine runde Brille und trank sein Glas Wein in einem Schluck leer.

Hook genoss das Unbehagen des Mannes sichtlich, jeden Schweißtropfen, der von seiner Stirn perlte und jedes Zittern, wenn er sich durch die öligen Haare fuhr.

»Mr Graham, könnte ich den Kompass denn einmal in Augenschein nehmen? Ich kann mir natürlich denken, dass Sie ihn nicht mit sich tragen, aber-«, sagte Hook mit seidiger Stimme, als sein Gegenüber ihn unterbrach.

»Nun, Kapitän, um genau zu sein… ist der Kompass gar nicht mehr in meinem Besitz-«

Mit einem Mal hatte Hook ihn am Kragen gepackt und quer über den Tisch gezogen, sodass Gläser und Kerzenhalter links und rechts herunterfielen. Ein teuflisches Rot brannte in den Augen des Piratenkapitäns und sein Haken bohrte sich tief in die Wange des Antiquars. Einige der Gäste drehten sich zu ihnen um, doch als sie sahen, was vor sich ging, wandten sie sich schnell wieder ihren eigenen Tellern zu und versuchten, gesenkten Blickes, mit angestrengt heiterer Stimme, die Spannung im Raum zu übertünchen.

»Was sagten Sie?«, presste Hook mit der aller größten Beherrschung zwischen seinen Zähnen hervor.

»Ich… ich habe den Kompass nicht mehr! Ich habe ihn gestern erst verkauft, für eine wirklich immense Summe!« Graham spürte wie Blut seine Wange hinabfloss und mit einem leisen Platschen in großen Tropfen auf dem weißen Tischtuch aufkam. »Ich weiß, Sie sind seit Jahren auf der Suche nach diesem Stück, aber Sie kennen die Regeln des Marktes-«. Graham blieb die Luft weg, als der Pirat, der nun wirklich die Regeln des freien Handels schon von Berufswegen missachtete, seinen Kragen noch weiter zuzog. »Ich hatte einen Käufer, und zwar einen, dessen Angebot ich unmöglich hätte ablehnen können… Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einen Teil des Gewinns-«

»Wer war dieser Käufer?«, fragte Hook mit ungebrochener Wut. Graham brachte keinen Ton mehr heraus, aber heiße Tränen (War es Angst, war es Schmerz?) vermischten sich nun mit dem Blut. Hook stieß ihn hart gegen die Sitze zurück.

»Es war ein älterer Mann, hochgewachsen, mit einer dieser Perücken, wie sie Richter in England tragen…«, stieß Graham mühsam hervor, nachdem er einige Male tief Luft geholt hatte.

Hook kam eine Idee. Aber wie könnte der Rover in Manaus sein? Noch bevor Hook seine Gedanken sammeln konnte, hatte Graham einen Briefumschlag aus der Innentasche seines Jacketts geholt.

»Er wollte, dass ich Ihnen den hier gebe.«

Hook blickte dem Händler tief in die Augen, aber sein Gesicht verriet nur leise Neugierde. Der Kapitän nahm den Umschlag und öffnete ihn mit seinem blutverschmierten Haken.

»Lieber Jas,

als ich hörte, dass der Kompass des Kolumbus in Südamerika aufgetaucht sei, wusste ich, dass du ein Treffen mit dem Besitzer in Manaus vereinbaren würdest, und schau an, ich hatte Recht! Ich konnte nicht widerstehen und musste ihn einfach vor dir kaufen. Bevor du nun aber denkst, dass meine Liebe zur Kunst sich zur Rivalität unter Kollegen auswächst, möchte ich dir den Kompass zum Geschenk machen.

Ich werde am Samstagabend mit der Switch in Manaus einfahren und will, dass du mein Gast bist. Es gibt Speisen in Hülle und Fülle und ich werde die besten Weine der alten Welt kredenzen.

Mit besten Empfehlungen -

Der Red Rover«

Nachdem er die Zeilen gelesen hatte, blieb Hook für einen Moment still, so still, dass man meinte, er würde nicht einmal atmen… und brach dann in schallendes Gelächter aus.

Die Piraten von Manaus

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