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ZWEITER AUFTRITT

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Recha und die Vorigen.

Recha. SO seid Ihr es doch ganz und gar, mein

Ich glaubt’, Ihr hättet Eure Stimme nur [Vater?

Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,

Für Wüsten, was für Ströme trennen uns

Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr,

Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?

Die arme Recha, die indes verbrannte! —

Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!

Es ist ein garst’ger Tod, verbrennen. O!

Nathan. Mein Kind! Mein liebes Kind!

Recha. Ihr mußtet über

Den Euphrat, Tigris, Jordan; über — wer

Weiß was für Wasser all? — Wie oft hab’ ich

Um Euch gezittert, eh das Feuer mir

So nahe kam! Denn seit das Feuer mir

So nahe kam, dünkt mich im Wasser sterben

Erquickung, Labsal, Rettung. — Doch Ihr seid

Ja nicht ertrunken: Ich, ich bin ja nicht

Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott,

Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen

Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel

Die ungetreuen Ström’ hinüber. Er,

Er winkte meinem Engel, daß er sichtbar

Auf seinem weißen Fittiche mich durch

Das Feuer trüge —

Nathan. (Weißem Fittiche!

Ja, ja! Der weiße vorgespreizte Mantel

Des Tempelherrn.)

Recha. Er sichtbar, sichtbar mich

Durch’s Feuer trüg’, von seinem Fittiche

Verweht. — Ich also, ich hab’ einen Engel

Von Angesicht zu Angesicht gesehn;

Und meinen Engel.

Nathan. Recha wär’ es wert;

Und würd’ an ihm nichts Schönres sehn, als er

An ihr.

Recha. (lächelnd). Wem schmeichelt Ihr, mein Vater?

Wem? Dem Engel oder Euch?

Nathan. Doch hätt’ auch nur

Ein Mensch — ein Mensch, wie die Natur sie täglich

Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt: er müßte

Für dich ein Engel sein. Er müßt’ und würde.

Recha. Nicht so ein Engel, nein! ein wirklicher;

Es war gewiß ein wirklicher! — Habt Ihr,

Ihr selbst die Möglichkeit, daß Engel sind,

Daß Gott zum Besten derer, die ihn lieben,

Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?

Ich lieb’ ihn ja.

Nathan. Und er liebt dich; und tut

Für dich und deines Gleichen stündlich Wunder;

Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit

Für euch getan.

Recha. Das hör’ ich gern.

Nathan. Wie? Weil

Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,

Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr

Gerettet hätte; sollt’ es darum weniger

Ein Wunder sein? — Der Wunder höchstes ist,

Daß uns die wahren, echten Wunder so

Alltäglich werden können, werden sollen.

Ohn’ dieses allgemeine Wunder hätte

Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je

Genannt, was Kindern bloß so heißen müßte,

Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,

Das Neuste nur verfolgen.

Daja. (zu Nathan). Wollt Ihr denn

Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn

Durch solcherlei Subtilitäten ganz

Zersprengen?

Nathan. Laß mich! — Meiner Recha wär’

Es Wunders nicht genug, daß sie ein Mensch

Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder

Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!

Denn wer hat schon gehört, daß Saladin

Je eines Tempelherrn verschont? Daß je

Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden

Verlangt? Gehofft? Ihm je für seine Freiheit

Mehr als den ledern Gurt geboten, der

Sein Eisen schleppt, und höchstens seinen Dolch?

Recha. Das schließt für mich, mein Vater. — Darum eben

War das kein Tempelherr, er schien es nur. —

Kommt kein gefangner Tempelherr je anders

Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;

Geht keiner in Jerusalem so frei

Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig

Denn einer retten können?

Nathan. Sieh, wie sinnreich!

Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab’ es ja

Von dir, daß er gefangen hergeschickt

Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr,

Daja. Nun ja. — So sagt man freilich; — doch man sagt

Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn

Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,

Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.

Doch da es viele zwanzig Jahre her,

Daß dieser Bruder nicht mehr lebt, — er hieß,

Ich weiß nicht wie, — er blieb, ich weiß nicht wo: —

So klingt das ja so gar — so gar unglaublich,

Daß an der ganzen Sache wohl nichts ist.

Nathan. Ei, Daja. Warum wäre denn das so Unglaublich? Doch wohl nicht — wie’s wohl geschieht —

Um lieber etwas noch Unglaublichers

Zu glauben? — Warum hätte Saladin,

Der sȩin’ Geschwister insgesamt so liebt,

In jüngern Jahren einen Bruder nicht

Noch ganz besonders lieben können? — Pflegen

Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? — Ist

Ein alter Eindruck ein verlorner? — Wirkt

Das Nämliche nicht mehr das Nämliche? —

Seit wann? Wo steckt hier das Unglaubliche? —

Ei freilich, weise Daja, wär’s für dich

Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur

Bedürf . . . verdienen, will ich sagen, Glauben.

Daja. Ihr spottet.

Nathan. Weil du meiner spottest. — Doch Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung

Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten

Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe

Der Könige, sein Spiel — wenn nicht sein Spott —

Gern an den schwächsten Fäden lenkt.

Recha. Mein Vater!

Mein Vater, wenn ich irr’, Ihr wißt, ich irre

Nicht gern.

Nathan. Vielmehr, du läßt dich gern belehren. —

Sieh! Eine Stirn, so oder so gewölbt;

Der Rücken einer Nase, so vielmehr

Als so geführet; Augenbraunen, die

Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen

So oder so sich schlängeln; eine Linie,

Ein Bug, ein Winkel, eine Falt’, ein Mal,

Ein Nichts, auf eines wilden Europäers

Gesicht: — und du entkommst dem Feu’r, in Asien!

Das wär’ kein Wunder, wundersücht’ges Volk?

Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?

Daja. Was schadet’s — Nathan, wenn ich sprechen darf —

Bei alledem, von einem Engel lieber

Als einem Menschen sich gerettet denken?

Fühlt man der ersten unbegreiflichen

Ursache seiner Rettung nicht sich so

Viel näher?

Nathan. Stolz und nichts als Stolz! Der Topf

Von Eisen will mit einer silbern Zange

Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst

Ein Topf von Silber sich zu dünken. — Pah! —

Und was es schadet, fragst du? Was es schadet?

Was hilft es? Dürft’ ich nur hinwieder fragen. —

Denn dein „Sich Gott um so viel näher fühlen“

Ist Unsinn oder Gotteslästerung. —

Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. —

Kommt! Hört mir zu. — Nicht wahr? Dem Wesen, das

Dich rettete, — es sei ein Engel oder

Ein Mensch, — dem möchtet ihr, und du besonders,

Gern wieder viele große Dienste tun? —

Nicht wahr? — Nun, einem Engel, was für Dienste,

Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?

Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;

Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;

Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,

Almosen spenden. — Alles nichts. — Denn mich

Deucht immer, daß ihr selbst und euer Nächster

Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird

Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich

Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher

Durch eu’r Entzücken; wird nicht mächtiger

Durch eu’r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!

Daja. Ei freilich hätt’ ein Mensch, etwas für ihn

Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft.

Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!

Allein er wollte ja, bedurfte ja

So völlig nichts; war in sich, mit sich so

Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel

Sein können.

Recha. Endlich, als er gar verschwand . . .

Nathan. Verschwand? — Wie denn verschwand? — Sich unter’n Palmen

Nicht ferner sehen ließ? — Wie? Oder habt

Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?

Daja. Das nun wohl nicht.

Nathan. Nicht, Daja? Nicht? Da sieh

Nun was es schad’t! — Grausame Schwärmerinnen!

Wenn dieser Engel nun — nun krank geworden! . . .

Recha. Krank!

Daja. Krank! Er wird doch nicht!

Recha. Welch kalter Schauer

Befällt mich! — Daja! — Meine Stirne, sonst

So warm, fühl’! ist auf einmal Eis.

Nathan. Er ist

Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt;

Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,

Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

Recha. Krank! Krank!

Daja. Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.

Nathan. Nun liegt er da! Hat weder Freund, noch Geld,

Sich Freunde zu besolden.

Recha. Ah, mein Vater!

Nathan. Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach,

Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

Recha. Wo? Wo?

Nathan. Er, der für eine, die er nie Gekannt, gesehn — genug, es war ein Mensch — Ins Feur’ sich stürzte . . .

Daja. Nathan, schonet ihrer!

Nathan. Der, was er rettete, nicht näher kennen,

Nicht weiter sehen mocht’, um ihm den Dank

Zu sparen.

Daja. Schonet ihrer, Nathan!

Nathan. Weiter

Auch nicht zu sehn verlangt’, es wäre denn,

Daß er zum zweitenmal es retten sollte —

Denn g’nug, es ist ein Mensch . . .

Daja. Hört auf, und seht!

Nathan. Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts —

Als, das Bewußtsein dieser Tat!

Daja. Hört auf!

Ihr tötet sie!

Nathan. Und du hast ihn getötet! —

Hätt’st so ihn töten können. — Recha! Recha!

Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.

Er lebt! — Komm zu dir! — Ist auch wohl nicht krank;

Nicht einmal krank!

Recha. Gewiß? — Nicht tot? Nicht krank?

Nathan. Gewiß, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier

Getan, auch hier noch. — Geh! — Begreifst du aber,

Wie viel andächtig schwärmen leichter, als

Gut handeln ist? Wie gern der schlaffste Mensch

Andächtig schwärmt, um nur — ist er zu Zeiten

Sich schon der Absicht deutlich nicht bewußt —

Um nur gut handeln nicht zu dürfen?

Recha. Ah,

Mein Vater! Laßt, laßt Eure Recha doch

Nie wiederum allein! — Nicht wahr, er kann

Auch wohl verreist nur sein? —

Nathan. Geht! — Allerdings. —

Ich seh’, dort mustert mit neugier’gem Blick

Ein Muselmann mir die beladenen

Kamele. Kennt ihr ihn?

Daja. Ha! Euer Derwisch.

Nathan. Wer?

Daja. Euer Derwisch; Euer Schachgesell!

Nathan. Al-Hafi? Das Al-Hafi?

Daja. Jetzt des Sultans Schatzmeister.

Nathan. Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder? —

Er ist’s! — Wahrhaftig ist’s! — Kommt auf uns zu.

Hinein mit euch, geschwind! — Was werd’, ich hören!

Nathan der Weise

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