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„Jedes Leben sei zu führen,

Wenn man nicht sich selbst vermisst;

Alles könne man verlieren,

Wenn man bliebe, was man ist“

(Goethe)

Einführung

Ein sinnvolles Leben ist wünschenswert. Seit jeher ist der Mensch auf der Suche nach Konzepten, die dem Leben einen tieferen Sinn geben – Angebote gibt es zahlreiche. Während die einen nach Selbstverwirklichung streben, glauben andere, ihr Leben in den Dienst der Mitmenschen, Umwelt usw. stellen zu sollen. Wieder andere streben nach Macht und Geld oder führen, ganz gegenteilig, ein nahezu bedürfnisloses Leben. Auch die Religionen oder esoterische Tendenzen können dem Leben einen Sinn geben.

In der Hinwendung zur Religion und in der Ausübung der religiösen Praxis versprechen sich viele Menschen, ein Lebenskonzept zu finden, das ihnen Halt, Trost, Zuversicht und Sinn gibt. Gleichzeitig findet sich aber heutzutage, stärker denn je, auch die Tendenz einer Abkehr vom Glauben. Der Glaube sei, so die Meinung vieler Atheisten, nicht mehr zeitgemäß, religiöse Erklärungen in Zeiten des wissenschaftlichen Fortschritts nicht mehr notwendig bzw. sogar schlichtweg falsch und widerlegbar.

Bieten Christen, Juden, Muslime oder Atheisten auch heute noch ein brauchbares Lebenskonzept an? Haben die Religionen noch etwas zu bieten, oder verführen sie zu einem unauthentischen Leben – einem Leben voller Fesseln und Vertröstungen? Die Frage, welche Lebensgestaltung zu einem gelingenden Leben beiträgt, ist heute genauso aktuell wie seit jeher. Daran anknüpfend muss sich jeder Mensch auch die Gretchenfrage, wie er es mit der Religion hält, stellen und für sich selbst eine Antwort finden.

Religionen stellen sich als Anbieter der Waren Sinn und Wert dar. Judentum, Islam und Christentum als sog. abrahamitische Religionen scheinen ähnliche theologische Netzwerke darzustellen, obwohl sie sich von Anfang an aufs Heftigste bekriegten und im Namen Gottes Millionen von Andersgläubigen vernichteten. Da die drei erwähnten Religionen jeweils von den anderen behaupten, Verfälschungen der Offenbarung Gottes zu sein, und dementsprechend handelten, war man am Ende des ersten Jahrtausends der Meinung, alle drei Religionen beruhten auf einem Betrug. Greifbar wurde diese Ansicht erstmals beim moslemischen Feldherrn Abû Tâhir († 932 n. Chr.), der gesagt hat: „In dieser Welt haben drei Individuen die Menschen verführt, ein Hirt, ein Arzt und ein Kameltreiber. Und dieser Kameltreiber ist der schlimmste Falschspieler, der schlimmste Gaukler von den drei gewesen.“1 Mit dem Hirten meinte er Moses, mit dem Arzt Jesus und mit dem Kameltreiber Mohammed. Die Meinung, dass es drei große Verführer der Menschheit gibt, ist daher islamischen Ursprungs. Bald verbreitete sich im Westen die Schrift „Über die drei Betrüger“.2 Papst Gregor IX. belegte den Stauferkaiser Friedrich II. (1194–1250) mit dem Kirchenbann (1239), weil er gesagt habe, dass von den drei Schwindlern, nämlich Moses, Jesus Christus und Mohammed, die ganze Welt betrogen worden sei. Im Zusammenhang damit kam im arabischen Raum die Ringparabel auf, für deren Bekanntmachung im Christentum sehr wahrscheinlich Friedrich II. sorgte. Diese ist erstmals im 13. Jahrhundert in Italien im „Il Novellino“ zu lesen:

„Ein Vater, der drei Söhne hatte, besaß einen Ring mit einem sehr wertvollen Edelstein von so großer Kraft, wie es keinen anderen je gegeben hat. Jeder der drei Söhne bat seinen Vater, ihm nach seinem Tode den Ring zu vermachen. Als der Vater sah, dass jeder der drei ihn wollte, schickte er nach einem geschickten Goldschmied und gab ihm den Auftrag: ‚Meister, macht mir zwei Ringe, genau wie diesen, und setzt jedem einen Edelstein ein, der diesem ähnlich sieht.‘ Der Meister machte die Ringe so genau ähnlich, dass niemand außer dem Vater den echten erkennen konnte. Er ließ die Söhne einzeln zu sich kommen und gab jedem insgeheim einen Ring. Und jeder glaubte, den richtigen zu haben, und nur der Vater kannte den echten. Und so ist es mit dem rechten Glauben: Nur der Vater im Himmel weiß, welcher von den dreien der richtige ist; und die Söhne, das heißt wir, glauben den richtigen zu haben.“3

G. Boccaccio (1313–1375) übernahm diese Erzählung in „Das Decameron“ und kommentiert: „Jede [der drei Religionen, Anm. d. A.] hält ihre Gesetze für wahr und glaubt ihre Gebote unmittelbar von ihm [dem Vater] zu haben. Die Frage, wer Recht hat, ist ebenso unentschieden wie die von den drei Ringen.“4 Vierhundert Jahre später machte G. E. Lessing (1779) diese Geschichte in „Nathan der Weise“ populär. Er fügte hinzu, dass die Ringe, wenn sie echt wären, vor Gott und Mensch angenehm machen müssten. Das aber tun sie nicht, da jeder nur sich selbst, in den jeweiligen Religionen, am meisten liebt.

„Oh, so seid ihr alle drei betrogene Betrüger! Eure Ringe sind alle drei nicht echt.“5 Als Lösung, die über all diesen Religionen steht, bietet Lessing an: „Es eifre jeder seiner unbestochenen, von Vorurteilen freien Liebe nach!“6

Also nicht der Ursprung einer Religion, und sei es Gott selbst, bürgt für ihre Wahrheit, sondern allein ihre Wirkung auf die Mitmenschen, wieweit sie in Achtung und Liebe einander begegnen. Wenn Benedikt XVI. sagt: „Die Wahrheit ist die Grenze des Mitgefühls“, dann wird genau dieser Sachverhalt umgekehrt und der Mensch wird der vermeintlichen „göttlichen Wahrheit“ geopfert.

Ähnlich wie bei Lessing ist in der buddhistischen Tradition die Erzählung von den „Blinden Bettlern“ zu sehen. Die von Geburt an Blinden sollten einen Elefanten betasten und beschreiben. Der eine berührte den Kopf und bezeichnete den Elefanten als Topf, ein anderer geriet an sein Ohr und nannte ihn gleich einem Palmenblatt; der ihn an den Fuß fasste, meinte, einen Pfosten zu betasten, der auf den Schwanz traf, sprach von einem Seil, das der Elefant sei usw. Ein heftiger Streit erhob sich unter den blinden Bettlern, sodass sie schließlich mit Fäusten aufeinander losgingen, da jeder meinte, nur seine Beschreibung sei richtig und alle anderen falsch.7

So steht es auch mit den Menschen, die ihre Religion die einzig wahre nennen. Wir erkennen in unserem Leben Teilaspekte einer Wahrheit. Sobald wir sie zur einzigen Wahrheit erklären, wird alles falsch und unmenschlich. Lieblose Wahrheit ist Unwahrheit, weil sie den Mitmenschen mit seinen Erfahrungen nicht respektiert. Der Streit unter den Religionen hat nur Unheil über die Menschheit gebracht. Dadurch haben sie sich als unwahre Religionen erwiesen. Die Religionsstifter werden daher zu Betrügern, und Menschen, die ihre Religion als die einzig wahre erachten, sind selbst die Betrogenen. Überall dort, wo religiöse Systeme über die menschliche Vernunft gestellt, wo sie nicht dialogisch verantwortet werden, bringen sie Unfrieden und stellen ein humanes Vernichtungspotential dar. Wenn von päpstlicher Seite zu hören ist, dass der christliche Glaube die Vernunft reinigt, oder von Seiten des Islam, dass die „entfesselte“ Vernunft das Grundübel der Zivilisation ist, dann wird das Menschsein unter ein Diktat gestellt, das die Vernichtung menschlichen Lebens zur Ehre Gottes legitimiert oder wenigstens toleriert. Darin liegt die verführerische Kraft der Religionen. Woher kommt es, dass sie Menschen um ihr menschliches Leben betrügen und es ihnen verwehren? Der religiöse Glaube wird durch „Offenbarung“ begründet – hier scheint die Rechtfertigung zu liegen. Doch erlischt damit der Verstand?

Glaube ohne Denkverbote

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