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4. KAPITEL

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Wir betraten als Hollies die Bühne im Two J’s und haben es nie bereut. Wir waren bereit, alles zu geben, und fanden gleich den richtigen Groove. Es fühlte sich intensiv und aufregend an. Wenn du fünf Jungs auf die Bühne stellst, die richtig gut zusammenspielen, dann geht die Sonne auf. Es ist, als würdest du zum ersten Mal laufen oder Fahrrad fahren. Niemand kann dich mehr aufhalten. Geradezu eine religiöse Erfahrung: Plötzlich stimmt alles mit allem überein.

Der Sound, den wir auf der Bühne erzeugten, und die Energie, die wir ausstrahlten, waren fantastisch. Unser Gesang – die Harmonie, die Allan und ich perfektioniert hatten – hielt alles zusammen. Die Songs waren nichts Besonderes, jede Band in England bediente sich mehr oder weniger aus demselben Repertoire. Aber die Hollies waren in der Lage, dem Ganzen einen einzigartigen Klang zu geben. Außerdem waren wir cool, etwas Geheimnisvolles umgab uns. Allan und ich hatten Ausstrahlung bis in die Haarspitzen, und Eric Haydock, unser Bassist, war ein besonderes Kaliber. Er war der James Dean der Band, launisch und ruppig, aber ein echter nordenglischer Kerl. Er spielte einen sechssaitigen Fender-Bass, was genauso exzentrisch war wie Eric selbst und unsere Wirkung noch verstärkte.

Je häufiger wir in Clubs und Tanzschuppen auftraten, desto besser wurden wir. Wir machten alles mit, spielten überall. Kein Ort im Norden war uns zu weit entfernt – von Blackpool bis Stoke klapperten wir alles ab. Wir hatten ja Dons Wagen, mehr brauchten wir nicht. Nach Arbeitsschluss kam er bei Kenyon vorbei, dann fuhren wir zum Beispiel zwei oder drei Stunden nach Stoke und spielten in der King’s Hall. Oft waren wir erst um drei Uhr nachts wieder zu Hause, und am nächsten Tag wiederholte sich das Programm. Wir machten das mehrere Jahre lang und dachten uns nichts dabei. Wenn du jung bist und Rock’n’Roll liebst, spielt Zeit keine Rolle.

Musik überschwemmte Nordengland. Wohin wir auch kamen, überall spielten auch andere Bands, und zwar an jeder Ecke. Einige gute Bands kamen aus Manchester: Johnny Peters and the Rockets, Pete MacLaine and the Dakotas, Herman’s Hermits, Wayne Fontana and the Mindbenders, Freddie and the Dreamers. Aber in Liverpool war die Band-pro-Kopf-Dichte wahrscheinlich am höchsten, und die Gruppen waren lauter und härter als die, die wir aus Manchester kannten. Es gab dort mehr Matrosen, mehr gewaltbereite Straßengangs, mehr Teddy Boys, und sie alle jagten uns Angst ein. Mit den Leuten aus Liverpool legte man sich besser nicht an. Sie konnten einen zu Tode prügeln. Trotzdem behielten wir die Szene dort im Auge. Die Stadt quoll über vor Bands, die auch bereits im Süden Englands Aufmerksamkeit erregten: The Big Three, Rory Storm and the Hurricanes, The Swinging Blue Jeans, The Four-most, Kingsize Taylor and the Dominoes, The Searchers und natürlich The Beatles.

Ich sah die Beatles ausgerechnet in Manchester zum ersten Mal, im Two J’s, das sich gerade in Oasis umbenannt hatte. Was ihr Auftreten anging, konnte ich mir von ihnen noch einiges abschauen. Sie sollten erst am Abend spielen, aber sie kamen schon um drei Uhr nachmittags um aufzubauen. Alle Mädchen, die vorbeikamen, blieben wie angewurzelt stehen. Es war, als hätten vier Marlon Brandos den Laden betreten: John, Paul, George und Pete. Sie besaßen eine Art angeborene, natürliche Arroganz. Abgesehen von der rohen Energie, die sie ausstrahlten, sahen sie blendend aus. Sie waren gerade aus Hamburg zurückgekommen, ganz in schwarzes Leder gekleidet und hatten diese Pilzkopf-Frisuren. Was für ein Anblick! Eine Coolness umgab sie, die mich an Westernhelden erinnerte. Als wären sie eben in den Saloon gestiefelt und stünden nun da, während der Staub sich wieder legte. Sie hatten noch nicht mal einen Ton gespielt, da fielen die Mädchen schon in Ohnmacht. Unglaublich.

Die Hollies hatten ein paar Doppelauftritte mit den Beatles. 1962 spielten wir nacheinander im King’s Ballroom in Stoke-on-Trent. Nach dem Soundcheck kamen John und Paul hinter der Bühne auf mich zu. „Graham, willst du einen neuen Song von uns hören?“ Tja, neue Songs interessierten mich immer. Aber ein neuer Song von den Beatles!? Das war ja wohl keine Frage. Also veranstalteten sie mit mir das, was wir Musiker einen „Ear fuck“ nennen: John und Paul stellten sich rechts und links von mir auf, John spielte Gitarre, und sie sangen: „The world is treating me baaaaaaaad, misery.“ Was für ein Moment! John und Paul sangen zweistimmig wie die Everly Brothers und doch auf ihre ganz eigene Art. Von der ersten Sekunde an wusste ich, dass der Song ein Hit war. Später waren die Hollies mit Helen Shapiro auf Tour, für die sie „Misery“ geschrieben hatten. Aber dass die Welt sie schlecht behandelt hätte, wie der Song behauptet, das stimmt nun wirklich nicht.

Der unvergesslichste Beatles-Hollies-Doppelauftritt fand jedoch Ende 1962 im Cavern in Liverpool statt; da hatten die Beatles die Stadt längst erobert. Das Cavern war ein Kellerclub und mit keinem anderen Ort auf der Welt zu vergleichen. Er bestand aus drei Tunneln, die durch Bogengänge verbunden waren, sodass ein Raum entstand, in den hunderte von Zuschauern hineinpassten. Es war heiß, alle schwitzten und rauchten wie verrückt, Lüftung gab es keine. Das Kondenswasser tropfte von den Wänden, die Luftfeuchtigkeit lag bei hundert Prozent, auf dem Boden bildeten sich Wasserlachen. Das Cavern war Underground im wahrsten Sinne des Wortes. Es gab nur einen Weg rein und wieder raus, und der führte über eine endlos lange Treppe, die immer feucht war von Schweiß und Urin – eine echte Todesfalle. Was für ein großartiger Schauplatz für Rock’n’Roll! Hier traf ich Ringo zum ersten Mal, er trug damals noch keinen Pilzkopf.

Ringo veränderte den Sound der Band nicht grundlegend, aber er veränderte definitiv ihren Groove. Verglichen mit Pete Best war sein Stil einfacher und subtiler. Ringos Spiel war ein Puls. Darin liegt das Geheimnis eines guten Schlagzeugers: Alles im Leben beginnt mit dem Herzschlag. Der Herzschlag der Mutter ist das erste, was der Embryo wahrnimmt, und wird zum Puls des Lebens. Kein Weg führt daran vorbei. Der Herzschlag ist der wichtigste Teil der Musik, wenn du dich auf einer persönlichen Ebene mit ihr verbinden willst. Und dabei war es nur Ringos rechter Fuß auf der Basstrommel. Er ist ein unglaublicher, von vielen völlig unterschätzter Schlagzeuger. Die Beatles konnten froh sein, ihn zu haben.

Die Band war begnadet, und alle wussten das. Sie spielten Rock’n’Roll auf eine verwaschene, verlotterte Art. Und sie waren Poser vor dem Herrn. Sie fluchten und rauchten auf der Bühne, beschimpften das Publikum, aber dieses aufsässige Verhalten trug nur zu ihrem Zauber bei.

Soviel Wucht hatten die Hollies nicht. Wir hatten zwar eine treue Fangemeinde, lieferten eine verdammt gute Show und bekamen genügend Mädchen ab, aber es lief noch nicht optimal. Wir waren noch nicht an dem Punkt, wo du die Bühne im Sturm eroberst und dir alles in den Schoß fällt. Warum? Vielleicht waren wir noch nicht oft genug aufgetreten, vielleicht brauchten wir anderes Songmaterial. Ein Grund war sicher, dass es noch zu viel Unsicherheit innerhalb der Band gab. Wir spielten an mehr als zwei Abenden in der Woche, unser Stammclub hieß Twisted Wheel. Ein toller kleiner Laden; die Bühne so groß wie ein Skateboard und in etwa auch so stabil, keine nennenswerte Soundanlage, jeden Abend gerammelt voll – ein idealer Ort, um als Rock’n’Roll-Band erste Erfahrungen zu sammeln. Unsere Gage war beachtlich. Schwer zu glauben, aber ich verdiente mehr Geld mit den Hollies als mit meiner Arbeit bei Kenyon. Die Mehrheit von uns meinte, dass es an der Zeit war, alles auf eine Karte zu setzen und Vollzeitmusiker zu werden. Leider sah Vic Steele das anders. In Nordengland lief das nämlich so: Man ging irgendwo in die Lehre und arbeitete sich hoch, um dann ein Leben lang dort angestellt zu sein und die Familie zu unterstützen. Vic wollte das nicht aufgeben – schade, denn er war ein ziemlich guter Musiker.

Wir brauchten also einen neuen Leadgitarristen, jemanden, der uns auf dem Weg nach oben begleiten wollte. Wir hatten Gutes über die Dolphins gehört; die Gruppe kam aus Colne, einem Ort in der Nähe von Manchester. Ihr Leadgitarrist hieß Tony Hicks und sollte so gut sein wie Pete Bocking. Also luden wir ihn ein, mit uns zu spielen.

Ein paar Tage später, wir traten wieder mal im Twisted Wheel auf, hieß es, vor dem Club treibe sich ein seltsamer, irgendwie verdächtig wirkender Typ herum. Das war unsere erste Begegnung mit Tony Hicks. Er war mit dem Bus aus Colne hergefahren und zu schüchtern, in den Club zu kommen. Stattdessen stand er draußen und hörte sich unser Konzert durch einen Lüftungsschacht an. Er merkte gleich, dass die Hollies es draufhatten und wollte sich uns gerne anschließen.

Im Rückblick gesehen war Tony ein ehrgeiziger Typ. Er wusste, dass er die meisten Gitarristen aus Manchester in Grund und Boden spielen konnte. Die Dolphins waren auf dem Weg nach oben, das sprach sich herum; so waren wir ja auch auf Tony aufmerksam geworden. Später, nachdem Eric Haydock und Don Rathbone bei den Hollies ausstiegen, kamen auch noch Bernie Calvert und Bobby Elliott von den Dolphins hinzu – die Hollies waren also eigentlich die Dolphins, nur mit Allan und mir als Frontmännern. Tony für uns zu gewinnen, war ein genialer Schachzug. Er war nicht nur ein unglaublicher Gitarrist, sondern hatte auch einen guten Riecher. Er erkannte Hits auf zehn Kilometer Entfernung. Er war ein tadelloser Arrangeur, seine Songs begannen mit leicht wiedererkennbaren Melodien noch vor der ersten Strophe. Man muss sich nur mal die Intros zu „Look Through Any Window“, „Stop! Stop! Stop!“ und „Bus Stop“ anhören, dann weiß man, wie einfallsreich dieser Typ war. Außerdem konnte er singen, also konnten Allan und ich unseren Gesang um einen dritten Part erweitern; Tonys Stimme unterstützte uns.

Tony war durch und durch ein Sohn Nordenglands. Er sah nicht besonders gut aus, seine Nase war zu groß, seine Zähne standen schief und krumm. Aber seinen Blick hielt er fest auf größere und bessere Bühnen gerichtet. Ein paar Jahre später spielten wir nach ein paar Monaten Pause und vor einer Tour in der Nähe von London. Tony kam mit einem Verband auf der Nase und zwei hübschen Veilchen an. Natürlich fragten wir, was passiert war. „Ach, ich habe mich geprügelt“, sagte er. „Ein Typ hat meine Freundin beleidigt, da flogen halt die Fäuste. Er hat mir die Nase gebrochen.“ Und wir glaubten ihm. So war Tony – ehrgeizig, wie gesagt.

Aber er war auch vorsichtig, und bevor er sich den Hollies anschloss, mussten wir ihm einiges versprechen – in erster Linie, was das Geld betraf. Um sich ganz auf die Band zu konzentrieren, wollte er die Garantie, soviel zu verdienen wie zuletzt als Techniker in der Firma, in der auch sein Vater arbeitete. Meine Güte, wir verdienten längst mehr. Jeden Abend bekamen wir zehn oder zwanzig Pfund, mein Anteil überstieg schon den Lohn meines Vaters, ich konnte meinen Brotjob also aufgeben. Wir wussten, dass wir Tony ein ansehnliches Einkommen garantieren konnten. Er wollte auch sichergehen, dass wir in die richtige Richtung unterwegs waren. Diese Sorge erledigte sich ebenfalls bald.

Mit Tony Hicks an Bord legten die Hollies richtig los. Im Grunde waren wir eine Drei-Musiker-Band: Schlagzeug, Bass und Tonys Gitarre; ich sorgte noch für ein wenig Rhythmus, aber das war alles. Wir entwickelten einen soliden, wiedererkennbaren Sound, knackig und frisch, mit Gesang wie dem der Everly Brothers. Allan und ich sangen so harmonisch wie nie zuvor. Unsere Stimmen umfassten einander wie bei einer warmen Umarmung – enger als eng. Wir mussten nicht einmal darüber reden. Wir sangen einfach, und alles war perfekt. Ich wusste immer, wo Allan hin wollte und blieb an seiner Seite. Es passiert einem nicht oft im Leben, dass man so auf einer Wellenlänge liegt. Mir geschah es zweimal: erst mit Allan und später mit Crosby. Wie viel Glück kann man haben?

Die Hollies verbrachten viel Zeit miteinander. Wir arbeiteten an unserem Material, verfeinerten unseren Klang. Adrian Barrett gehörte damals zu unserem Kreis. Sein Vater war Besitzer des Barrett’s in der Oxford Street, dem größten Musikladen in Manchester, wo wir Platten und Zubehör kauften. Adrian war ein sehr freundlicher, verlässlicher Typ. Er hatte die Verantwortung für den Laden und gab uns großzügigen Rabatt, gelegentlich lieh er uns Gitarren zum Probespielen. Wir suchten lange nach einem passenden Proberaum, und Adrian war unsere Rettung. Er organisierte einen freien Raum über der Wimpy Bar neben dem Barrett’s, wo wir so viel Lärm machen konnten, wie wir wollten. Zuvor hatten wir in einem heruntergekommenen viktorianischen Haus geprobt, das einer alten Frau gehörte; sie hatte ein Pfund pro Woche kassiert, und wir waren froh, dass wir uns das jetzt sparen konnten.

Es war eine sehr aufregende Zeit. Die Auftritte häuften sich, und wir waren gut im Geschäft. Die Clubs waren voll, unser Publikum begeistert. Ich arbeitete mit einer großartigen Band zusammen, war Vollzeit-Musiker und genoss mein Leben. Man darf nicht vergessen, dass ich in einer Salforder Sozialsiedlung aufgewachsen war und meine Garderobe noch vor Kurzem bei der Heilsarmee zusammengestellt hatte. Kaum vorstellbar, was für ein Gefühl es war, sich davon freizumachen. Und eins muss ich meinen Eltern lassen: Sie waren immer auf meiner Seite. Nie hörte ich einen Vorwurf, weil ich von der Schule abgegangen war, mich dem Rock’n’Roll widmete und schließlich meinen Job aufgab. Sie scheinen immer gewusst zu haben, dass das Schicksal es gut mit mir meinte. So viele Leute, die ich kannte – und einige von ihnen waren wirklich talentiert –, bekamen nie die Chance, ihre Träume zu verwirklichen, weil ihre Eltern darauf bestanden, dass sie auf dem vorgegebenen Kurs blieben. Sie lebten unter beschissenen Umständen, gingen einer langweiligen Arbeit nach, verdienten gerade so viel, dass sie durchkamen. Ächzen und buckeln bis zum Tod. Meine Eltern hingegen unterstützten mich immer. Mein Vater war stolz, dass ich nicht im Bergwerk schuftete. Sie freuten sich für mich, und ich war dankbar für die Möglichkeiten, die sie mir eröffneten. Ich wusste, wie glücklich ich mich schätzen konnte. Meinen wöchentlichen Lohn, der einem damals noch bar ausgehändigt wurde, gab ich immer an meine Familie weiter, das war gar keine Frage. Ich hatte alles, was ich brauchte – und mehr.

Und wo ich am Schwärmen bin – eines Tages kam ich ins Two J’s und traf die erste große Liebe meines Lebens. Dort, in einer dunklen Ecke des Cafés, stand ein zierliches Mädchen mit rabenschwarzem Haar und Augen, die mich von der ersten Sekunde an hypnotisierten. Ihr Name war Angie Holmes, und sie war in vielerlei Hinsicht eine Schönheit. Habe ich bereits ihre Augen erwähnt? Nun ja. Abgesehen von ihrem Äußeren hatte sie auch eine schöne Seele. Sie war lebendig, witzig und wortgewandt. Wir gingen miteinander aus, und es wurde schnell ziemlich ernst. Wir wollten die ganze Zeit zusammen sein. Ich erinnere mich nicht mehr genau, wie es dazu kam, aber am Ende lebte ich mit ihr und ihrer Familie in Didsbury, einem Vorort von Manchester. Das rechne ich ihren Eltern hoch an: Sie waren tolerante Leute. Sie ließen uns machen, ohne sich einzumischen.

Ich war also von zu Hause ausgezogen. Eine große Sache für einen 18-Jährigen. Nicht, dass es mir bei meinen Eltern nicht mehr gefallen hätte, ich liebte die beiden, und es gab nie irgendwelche Konflikte. Aber auszuziehen gehörte zum Erwachsenwerden einfach dazu, und ich hatte mich darauf gefreut, seit ich meinen Job an den Nagel gehängt hatte. Mit Angie und ihren Eltern zusammenzuleben war zwar nicht ganz so, als hätte ich eine eigene Wohnung, aber es ging in die richtige Richtung.

Kurz darauf verlobten wir uns im Parrs Wood Hotel in Didsbury. Das machte man damals so, nachdem man die Schule beendet und mit dem Arbeiten angefangen hatte. Es war der nächste große Schritt im regulären Leben eines Nordengländers. Allan hatte es mit seiner Freundin Jeni genauso gemacht, und mir gefiel die Vorstellung von einer festen Beziehung. Aber mein Leben als Rock’n’Roll-Musiker begann gerade erst, und ich sollte in Zukunft viel unterwegs sein. Man weiß ja, wie es ist. Entweder, du kommst verdammt spät oder gar nicht erst nach Hause. „Wo bist du gewesen? Und mit wem?“ Berechtigte Fragen, auf die du besser keine Antworten gibst. Es dauerte nicht lange, bis Angie und ich uns auseinanderlebten. Bei meinem letzten Besuch in Manchester vor ein paar Jahren erfuhr ich, dass Angie inzwischen an einem Gehirntumor gestorben ist. Ihr Ehemann erzählte mir, dass er ihr einen guten Wein mit ins Grab gelegt hätte. Das passt zu Angie – sie selber war wie ein guter Wein.

Musik und die Hollies begannen langsam, mich aufzufressen. Es gab so viele gute Bands und so viele neue Auftrittsorte – die Szene im Norden pulsierte. An einem Abend spielte man vielleicht zusammen mit einer zweiten Band in einem Café oder Club, und am nächsten Abend lernte man in einem anderen Laden eine ganz neue Band kennen. Einer der interessantesten Gigs war die Mittagsshow im Cavern in Liverpool. Eigentlich traten Bands dort erst abends auf, zusammen mit einer Handvoll lokaler Gruppen; das Programm erstreckte sich dann über zermürbende vier oder fünf Stunden. Wir machten da oft mit. Aber seit 1961 gab es auch eine kleine Rock’n’Roll-Show, die von zwölf Uhr mittags bis eins ging – für die Mädchen, die in den Büros ringsum arbeiteten. Anstatt irgendwo Fish and Chips essen zu gehen, brachten sie ihr Pausenbrot mit ins Cavern, zahlten einen Schilling für eine Stunde Musik, und danach ging’s zurück zur Arbeit. Es war immer unheimlich voll und die Stimmung sehr ausgelassen. Die Mädchen mochten uns, sie blieben meist noch ein Weilchen und quatschten uns an, wollten einen Hollies-Fanclub gründen.

Die Show war großartig, zumal sie in Liverpool stattfand. Die Beatles hatten soeben einen Plattenvertrag abgeschlossen – sie waren die erste Band aus dem Norden, die den Durchbruch geschafft hatte –, und wir hofften alle, dass ihr Glück auf uns abfärben würde. Jede Band träumte davon, ein Album bei einem großen Label zu veröffentlichen und soviel Erfolg zu haben wie die Beatles. Wir hofften, die Auftritte im Cavern – sozusagen auf ihrem Grund und Boden – würden uns diesem Ziel näher bringen. Ein guter Ruf eilte uns bereits voraus; im Norden waren die Hollies ziemlich bekannt. Bis nach London hatte sich das allerdings noch nicht herumgesprochen. Die soziale Kluft zwischen Nord und Süd war unüberwindlich: Alle Leute südlich von Birmingham waren reicher als wir. In ihren Augen waren wir Bauern. Und sind es wahrscheinlich noch – so ist es eben. Wir mussten nur den Mund aufmachen; mit unserem komischen Dialekt wirkten wir im Süden wie Außerirdische. Aber nachdem die Beatles die Tür einmal aufgestoßen hatten, wollten wir alle hindurchrennen.

Eines Tages im Februar 1963 beendeten wir eine besonders energiegeladene Mittagsshow im Cavern. Die Mädchen waren abgedampft, die Lichter gingen wieder an und ein paar Leute machten sauber, hoben Popcorntüten und Butterbrotpapiere auf, wischten den Boden. Wir schafften unsere karge Ausrüstung in den winzigen Umkleideraum, als ein kleiner, älterer Mann mit Brille auf uns zukam.

„Ich bin Ron Richards“, sagte er und streckte uns seine Hand entgegen. „Ich arbeite bei EMI und mir gefällt eure Show. Besonders gut fand ich den Typen, der die Gitarre ohne Saiten gespielt hat.“

Peinlich, peinlich – damit meinte er mich. Am Abend zuvor hatten wir in der Colston Hall in Bristol gespielt, und während der Show war meine letzte Saite gerissen. Neue konnte ich mir nicht leisten. Also tat ich im Cavern nur so, als würde ich auf meiner Harmony-Gitarre spielen. Wen kümmerte das schon? Tony, Eric und Don waren bei den Hollies für Dynamik und Rhythmus zuständig. Ich klimperte mit, aber mein Instrument war ohnehin nie an den Verstärker angeschlossen, also machte es im Grunde keinen Unterschied, ob meine Gitarre bespannt war oder nicht. Ron kritisierte das nicht, er fand es tatsächlich eher interessant. Ihm gefiel unsere Energie, und wir hatten eine gute Show abgeliefert. Das hatte ihm genügt.

„Ich würde gerne ein paar Aufnahmen mit euch machen“, sagte Ron. „Was denkt ihr?“

Was wir dachten? Ernsthaft!? Wir waren völlig aus dem Häuschen. Um ehrlich zu sein, wir waren überrumpelt. Wir hatten zwar gehört, dass ein Talentscout im Publikum war, und hatten noch mehr Gas gegeben als sonst, aber das war alles. Und jetzt gleich Aufnahmen?

„Wie gehen wir das an?“, fragte einer von uns.

Ron lächelte besonnen. „Nun, ihr müsstet dafür nach London kommen.“

„Wann?“

„So bald wie möglich“, sagte er. „Ich bleibe noch eine Woche im Norden, gehe in ein paar Clubs und schaue mir neue Bands an. Kommt doch Anfang April. Dann sehen wir weiter.“

Das war ein unglaublicher Fortschritt. Klar, die Hollies wollten Alben aufnehmen – davon träumt jede Band –, aber wir hatten uns nicht aktiv um einen Plattenvertrag bemüht. Es fiel uns alles in den Schoß. Natürlich waren wir gut, so gut wie jede englische Band, die gerade im Kommen war. Wir hatten alles, was es brauchte, um große Erfolge zu landen. Aber dass uns jetzt Aufnahmen angeboten wurden, war doch eine Überraschung.

Ihr müsstet dafür nach London kommen. Ich hätte den Weg dorthin in Rekordzeit zurücklegen können; ich wäre sofort losgerannt. Ich war zu allem bereit, aber innerhalb der Band hatten wir noch eine Sache zu klären. Wir hatten eine Art Manager, Allen Cheatham; seinem Vater gehörte eine Hemdenfabrik außerhalb von Manchester, wo wir probten. Er war ein netter Typ, aber wir trauten ihm nicht zu, einen Plattenvertrag mit einem großen Label für uns auszuhandeln. Die Hollies mussten sich weiterentwickeln, und das taten wir auch. Schnell wechselten wir zu Michael Cohen, einem Manager, dem in Stockport ein Laden namens Troggery gehörte. Sein Vater war zufälligerweise auch Inhaber einer Kleiderfabrik, sie war allerdings um Klassen besser. Er beschäftigte Maßschneider und hatte Michael Geld gegeben, um eine Boutique für Jugendliche zu eröffnen. Es gab Lederklamotten, Rock’n’Roll-Outfits, und ich half dort aus, um etwas dazuzuverdienen. „Darf ich Ihnen das in Schwarz bringen, Sir?“ Wie bei Spinal Tap.

Ansonsten waren alle an Bord. Tony Hicks hatte immer noch seine feste Stelle, aber er war willens, sie aufzugeben, wenn wir ihm garantierten, dass er mit uns mindestens genau soviel verdiente – 18 Pfund. Don arbeitete für seinen Vater in der Leichenhalle in Wilmslow und war froh, dieser Plackerei zu entkommen. Und Eric hatte auch irgendeinen Job, aber der hielt ihn nicht davon ab, mit uns nach London zu fahren. Allan und ich waren ohnehin bereit – das waren wir schon mit sechs Jahren gewesen, als wir das Vaterunser bei der Morgenversammlung gesungen hatten. Wir hatten unser Ziel immer vor Augen gehabt, London war für uns bereits gemachte Sache.

Wir fuhren alle zusammen, und zwar in Don Rathbones Commer-Bus, mit dem Namen der Leichenhalle auf den Türen. Es war eine unglaublich beschwingte Reise, unsere Laune war besser als bestens. Wir übernachteten in einer Absteige in Shepherd’s Bush, einem Arbeiterviertel außerhalb der Stadt, in einem großen Raum mit sieben Betten, zwei Stockbetten und drei einzelnen. Schließlich mussten wir die Unterkunft selber zahlen. Wir sagten uns immer wieder: Noch haben wir keinen Plattenvertrag, wir spielen nur vor. Aber irgendwie wussten wir schon, dass wir das Ticket zum Erfolg bereits in der Tasche hatten.

Die Probeaufnahmen fanden am nächsten Tag statt. Nicht bei EMI, sondern in einem Studio namens Delane Lea in 129 Kingsway. Es war nichts allzu Anspruchsvolles, es wurde ein Zweispurband benutzt, also spielten wir im Grunde wie bei unseren Liveauftritten, fügten keine zusätzliche Spur hinzu. Aber das war in Ordnung, wir wussten ja, was wir taten. Wir wussten, wie man spielt, und hatten eine Menge Energie. Wir nahmen „(Ain’t That) Just Like Me“ und „Whole World Over“ auf, und es lief fantastisch. Ron arbeitete sehr effizient, also waren wir im Nullkommanichts fertig. Ein Londoner namens Tommy Sanderson half ihm. Tommy war Pianist und Bandleader und außerdem Manager. Wenn man aus Nordengland nach London kam, wurde man als erstes seinen bisherigen Manager los – „Was hat der schon für eine Ahnung? Ihr braucht einen Manager!“ – und dann mit einem verkuppelt, der die Spielregeln kannte. Tommy sollte unser neuer Manager werden. Er und Ron arbeiteten zusammen mit Dick James, der John Lennons und Paul McCartneys Songs verlegte. Für den Fall, dass unsere Probeaufnahmen erfolgreich waren, war also bereits alles zusammengeschnürt: Aufnahmen, Management, Verlag. Was für ein nettes kleines Paket!


Mein Vater während des Kriegs


Meine Mutter, 1953 (© Graham Nash)


Mein Vater singt in einer Ferienanlage, 1954


Mein Vater und seine Schwester Olive, 1953. Eine meiner frühesten Aufnahmen (© Graham Nash)



Ich und Allan Clarke in der Schule (© Graham Nash)


Die Guyatones: Allan Clarke und ich im Alter von 15 Jahren, 1957


Ich spiele auf meiner Epiphone-Gitarre mit dem Hollies-Schriftzug, 19. Juni 1965 (© 1965 Harry Goodwin)


Die Hollies im Cavern, Anfang 1963


The Hollies in New York City, 1967 (© Henry Diltz)


The Hollies, 1983 (© Henry Diltz)


David in Sag Harbor, 1969 (© Graham Nash)


Stephen Stills, „Captain Many Hands“, im Caravan Lodge Motel, San Francisco, 1969 (© Graham Nash)


Selbstporträt, Plaza Hotel, September 1974 (© Graham Nash)


Wir singen den Refrain von „Marrakesh Express“ in Wally Heiders Studio 3, L.A., 1969 (© Henry Diltz)


Vor dem Haus, das am nächsten Tag verschwunden war, Santa Monica Boulevard, L.A., 1969 (© Henry Diltz)


Das Cover meines Albums Wild Tales, 731 Buena Vista West, San Francisco, 26. Dezember 1972 (© Joel Bernstein)


Mein Songtext zu „Immigration Man“, 1971 (© Joel Bernstein) )


Foto vom Cover meiner CD-Box Reflections, Surrey, England, März 1973 (© Henry Diltz)


Die Mayan (© Graham Nash)


Arbeit an einer Gesichtsskulptur von Crosby, Miami, 1977 (© Joel Bernstein)


Tokio, November 1975, der Joint wurde mit einer Seite der International Herald Tribune gedreht. (© Joel Bernstein)

Wir bekamen sofort die Zusage, dass EMI uns unter Vertrag nehmen wollte. Sie wollten uns bei Parlophone unterbringen, das Label, bei dem auch die Beatles waren. Die Hit-Maschinerie lief dort wie geschmiert, es ging alles nach Schema F, und so wurden auch wir verwurstet. „Wir stecken die Jungs in ein Studio und nutzen dann dieselbe Energie und den Vertrieb, mit dem wir auch die Beatles-Platten verkauft haben.“ Nun, ich hatte rein gar nichts dagegen einzuwenden. Es war genau das, was wir wollten: eine eigene Chance mit einer erprobten Strategie.

„Lasst uns mit der Arbeit anfangen“, sagte Ron Richards. „Kommt zu EMI und nehmt eine richtige, vierspurige Platte auf.“ EMI: Das hieß Abbey Road, das Allerheiligste. Noch am Abend nach den Probeaufnahmen fuhren wir wieder heim, und es fühlte sich an, als würden wir fliegen.

Am 4. April 1963 fand die erste Aufnahmesession der Hollies statt – nur fünf kurze Monate, nachdem wir als Gruppe zusammengefunden hatten. Wir betraten die Abbey Road Studios und wurden von Ehrfurcht ergriffen. Heilige Scheiße! Wir befanden uns an einem legendären Ort: vier riesige Studios in einer Villa im georgianischen Stil, die Musikgeschichte atmete. Abbey Road war wie eine Fabrik. Eine intime Fabrik zwar, aber eine, in der so viel los war, dass man es unmöglich gleich erfassen konnte. Nun konnten die Hollies sich in die Geschichte dieser Studios einschreiben.

Ich dachte daran, wie aufgeregt die Beatles gewesen waren, bevor sie ins Studio gingen, um ihre erste Platte aufzunehmen. Am Abend davor spielten sie zufälligerweise im Oasis in Manchester, und die Hollies traten um die Ecke im Twisted Wheel auf. Danach trafen wir uns alle in einer der Bars, die auch nach der Sperrstunde noch geöffnet hatten. In den Pubs war um halb elf Schluss, aber es gab einige illegale Läden, in denen man auch danach noch etwas zu trinken bekam. An diesem Abend quetschten sich drei Bands in die Spelunke. The Big Three waren auch dabei, eine Gruppe aus Liverpool mit zwei legendären Charakterköpfen: Johnny Hutchinson, ein furchterregender, jähzorniger Schlagzeuger, den ich als Mitglied von Johnny and the Moondogs kennengelernt hatte, und der Bassist Johnny Gustafson, ein total Irrer. Tatsächlich verspeiste Johnny Gus an diesem Abend eine Rose und anschließend eine Zigarette, was mich wirklich beeindruckte. Lennon hingegen hatte miese Laune. Wir hatten alle schon einiges getrunken, aber John war mit den Gedanken woanders. Er war sich noch nicht sicher, welche Songs die Beatles am nächsten Tag einspielen sollten.

„Ich will ‚Anna‘ aufnehmen, diesen Song von Arthur Alexander“, knurrte er. „Aber ich kann mich nicht an den verdammten Text erinnern.“

„Ich weiß ihn auswendig“, sagte ich, denn den Song hatten die Hollies auch im Repertoire. Also schrieb ich ihm den Text auf, das besserte seine Stimmung ein wenig. Ich muss sagen, die Version der Beatles gefiel mir ziemlich gut.

Jetzt bekamen also wir unsere Chance im Studio. Wir nahmen noch kein Album auf, sondern ein paar Singles, um den Markt zu testen – die Beatles hatten es mit „Love Me Do“ und „Please Please Me“ genauso gemacht. Ron meinte, wir sollten „(Ain’t That) Just Like Me“ einspielen, unsere Version von einem Coasters-Song aus dem Jahr 1960, bei dem das Publikum regelmäßig ausflippte. „Mary had a little lamb / Well, ain’t that just like me?“ Ein bisschen lächerlich, aber ziemlich eingängig. Natürlich hofften Allan und ich, dass einer unserer Songs auf der A-Seite landen würde. Wir spielten Ron zwei vor, „Whole World Over“und „Hey, What’s Wrong with Me?“, aber er konnte sich nicht dafür erwärmen. Unsere Songs waren ihm nicht kommerziell genug, und er hatte recht, sie waren ziemlich unbedarft. Trotzdem ermutigte uns Ron, weiterzuschreiben, und nahm „Hey, What’s Wrong with Me?“ auf die B-Seite, eine nette Geste.

Damals fackelte man im Studio nicht lange, niemand saß untätig da und wartete auf Inspiration. In den Abbey Road Studios drehte sich alles um das Geschäft. Die Techniker trugen weiße Laborkittel, und wir durften nichts anfassen, erst recht nicht das Mischpult. Deswegen lernten wir kaum etwas über den Aufnahmeprozess. Wir sollten spielen, das war alles. Eine Session dauerte drei Stunden, das war eine allgemeine Regel. Dann kam eine Frau mit einem Tablett mit Tee herein und übergab uns kleine braune Umschläge mit ein bisschen Bargeld, auch eine allgemeine Regel. Es hieß schnell sein: Hauptspur einspielen, Gesang darüberlegen und nach drei Stunden wieder einpacken. Wenig Spielraum für eine wirklich gute Aufnahme.

Parlophone veröffentlichte „(Ain’t That) Just Like Me“ im Mai 1963, und der Song stieg gleich in die Top Twenty der Charts ein. Höher als bis auf Platz 16 schaffte er es zwar nicht, aber in meinen Augen war unsere erste Platte unbedingt ein Hit. Wir waren Könige.

Und was machte man als nächstes? Ganz einfach: noch eine Single. Mit unserem neuen Manager Tommy Sanderson am Klavier spielten wir den Coasters-Song „Searchin’“ ein; alle Bands im Norden hatten die Nummer im Repertoire. Die Single landete – mit unserem eigenen Song „Whole World Over“ auf der B-Seite – auf Platz zwölf. Die Hollies setzten zum Höhenflug an.

Nachdem nun schon zwei Hitsingles auf unser Konto gingen, bestellte Parlophone ein ganzes Hollies-Album. Wir einigten uns darauf, das beste Material aus unseren beiden dreiviertelstündigen Sets zu nehmen und es auf eine Wahnsinnsstunde herunterzukochen. Es gab eine Menge Songs, aus denen wir wählen konnten: „Mister Moonlight“, „Poison Ivy“, „Searchin’“, „(Ain’t That) Just Like Me“ … Wir spielten das Ganze an einem Vormittag ein. Nach der Mittagspause, einer Tasse Tee und Keksen wiederholten wir unser Set, und nach zwei Stunden stand unser Album. Das war’s. Ron wählte die zwölf besten Songs aus. Er war immer in der Lage, das Wesentliche zu erkennen. Er hatte einfach ein Ohr dafür, und wir vertrauten seinem Urteil. Was mich ärgerte war nur, dass er uns erzählte, wir könnten nach halb elf am Abend keine Aufnahmen mehr machen, weil der Apparat für die Echoeffekte sich um die Uhrzeit ausschalten würde. Erst Jahre später wurde mir klar: Moment mal! Solche Apparate schalten sich doch nicht einfach von selbst aus. Es hatte wohl mehr mit der Tatsache zu tun, dass die Pubs um diese Uhrzeit schließen mussten. Ron und die Techniker wollten noch etwas trinken, bevor die letzte Runde angekündigt wurde. Deswegen schaltete sich der Apparat aus. Wie auch immer, unser erstes Album, Stay with the Hollies, erschien am 1. Januar 1964, und die Singleauskopplung „Stay“ – eine Coverversion des Hits von Maurice Williams and the Zodiacs – erreichte Platz acht der Charts und war somit unser erster Top-Ten-Erfolg.

Die Hollies bahnten sich einen Weg in die aufkeimende britische Rock’n’Roll-Szene. Es war eine aufregende Entwicklung. Die „British Revolution“, wie die Bewegung genannt wurde, war mit Cliff Richard and the Shadows gestartet, einer Londoner Band mit soliden Musikern, besonders Hank Marvin an der Gitarre. Aber seit Anfang 1963 wurde die Szene von Gruppen aus dem Norden dominiert: The Beatles, Gerry and the Pacemakers, The Searchers und jetzt: The Hollies. Zum ersten Mal in unserem Leben war es in London ein Vorteil, aus dem Norden zu kommen. Besser ging’s nicht. Anstatt wie schäbige Außenseiter durch die Gegend zu schlurfen, waren wir plötzlich begehrte Außenseiter und wurden respektvoll behandelt. Die Hollies waren ein Hit. Wir wurden auf jedem Radio-sender gespielt, unser Album stand in jedem Plattenladen, wir machten uns langsam Richtung Fernsehen auf. Wir schlossen uns der Tour von Bobby Rydell und Helen Shapiro an, die das ganze Land durchkreuzte. Auf der Straße wurden wir zwar nicht erkannt, denn damals trugen alle einen Pilzkopf, sogar die Mädchen. Aber wir hatten das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, als würde die verdammte Stadt uns gehören.

Musik stand im Zentrum unserer Welt. Unser Leben drehte sich nur um Songs, um den nächsten passenden Hit. Tony Hicks war unser Späher, was das Material anging. Er durchstreifte die Büros der Musikverlage an der Denmark Street und suchte nach Songs, die wir aufnehmen könnten. Eines Tages versammelten wir uns zur Mittagszeit in einem Folkclub namens Troubadour. Tony platzte herein, als wir gerade aßen. „Ich war bei einem Verleger und habe diesen Song hier gefunden“, sagte er und holte eine acetatbeschichtete Platte aus seiner Tasche. Er wusste nur nicht, wie er sie abspielen sollte. Einer der Jungs sagte: „Das können die hier bestimmt machen. Überlass das mal mir.“ Er verschwand mit der Platte, und ein paar Minuten später dröhnte ein unfassbarer Sound aus den Lautsprechern: Doris Troy sang „Just One Look“. Wir wussten gleich, dass wir aus diesem Song alles rausholen konnten.

Es war eine solide, verführerische Ballade. Alles, was wir bisher getan hatten, schien auf diesen Song hinauszulaufen. Er fing alles ein, was die Hollies ausmachte. Wir wussten, dass wir ein ausdrucksvolles Arrangement dafür schreiben konnten – so, dass der Song auf dem Original aufbaute, mit schönen Harmonien, atemlos, voller Gefühl, aber auch mit unserem ganz eigenen Dreh. Diesen Song konnten wir covern, ohne uns bei irgendwem entschuldigen zu müssen.

Tatsächlich probten wir ihn noch am selben Abend. Allan und Tony schmetterten den Refrain gut gelaunt und weltmännisch, und ich übernahm in der Überleitung den Leadgesang, schlüpfte in die Rolle eines zielstrebigen Liebhabers:

I thought I was dreaming but I was wrong (yeah, yeah, yeah).

But I’m gonna keep on schemin’…

Ich legte mich wirklich ins Zeug. Im Vergleich dazu klingt Doris Troys Originalaufnahme bei Atlantic geradezu verhalten. Ihre Interpretation vermittelt eine wunderbare Launenhaftigkeit, Verletzlichkeit und darunterliegende Verzweiflung. Die Hollies setzten einen ganz anderen Akzent und hauchten dem Song neues Leben ein. Tony wusste genau, was er tat, als er uns diesen Song brachte. Als er im März 1964 veröffentlicht wurde, schlug er ein wie eine Bombe und erreichte Platz zwei der Charts.

So langsam war es wirklich eine Karriere wie aus dem Bilderbuch. Es war eine großartige Zeit. Ende 1963 war ich nach London gezogen. Ich wohnte zunächst im Imperial Hotel am Ladbroke Square. Ein neuer Geist wehte damals durch die Stadt, noch bevor die Carnaby Street so berühmt wurde. Mir gefiel das sehr. Tony zog auch noch London, genauso wie Bobby Elliott, der Don am Schlagzeug ersetzte. Aber Allan blieb in Manchester. Er hatte sich entschieden, seine Freundin Jeni zu heiraten. Schließlich mietete ich eine Wohnung in einem Hinterhaus auf der Kynance Mews in Paddington; gleich um die Ecke hatte Alexander Fleming einst das Penizillin entdeckt. Hier hatte ich ein Plätzchen ganz für mich allein, einen Rückzugsort.

Obwohl ich damals kaum ein Bedürfnis nach Rückzug verspürte. Anfang des Jahres hatte ich im Two J’s eine Begegnung gehabt, die mein Leben verändern sollte. Ich erblickte eine unfassbar schöne junge Frau, blond, groß und gut gebaut. Sie trug ein tief ausgeschnittenes, langärmeliges Kleid, das so freizügig wie kurz war. Ich behielt sie im Auge, als ein Typ sie zum Tanzen aufforderte. Ach, konnte das Mädchen sich bewegen! Die durfte mir nicht entwischen. Also ging ich in der Mitte des Songs hin und schaltete mich ein. Unfassbarerweise gab der Idiot, der mit ihr tanzte, sie an mich ab, einfach so. Ihr Name war Rose Eccles. Sie war 18 Jahre alt, wohnte um die Ecke von meinen Eltern in Salford und war eine freie Seele. Ein aufrichtiges Mädchen mit einem breiten Lachen und einem großartigen Sinn für Humor. Ich mochte sie sofort.

Rosie war nicht nur ein Hingucker, sie war auch klug, eine starke Kombination. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Mir gefiel auch, dass sie nicht wusste, dass ich ein aufstrebender Rock’n’Roll-Star war – und als sie es herausfand, war es ihr völlig egal. Wir waren beide glücklich, einander gefunden zu haben. Es funkte und knisterte zwischen uns, und wir lachten unheimlich viel. Wir waren immer zusammen, wenn ich nicht auftreten musste, gingen in die Cafés und Bars in Manchester, tanzten im Plaza Ballroom, hörten eine Menge Rock’n’Roll, und wenn wir uns liebten, war es immer so, als wäre es unsere letzte Gelegenheit, bevor die Welt untergehen würde.

Wir sprachen nicht viel über unsere Träume, aber ich wusste, dass Rosie sich einen eigenen Kleiderladen wünschte, also investierten Tony Hicks und ich in ein Geschäft namens Pygmalion in Blackpool Fold in der Nähe vom Albert Square. Wir mieteten den Laden und renovierten ihn selbst. Mein Vater tapezierte, Freunde kümmerten sich um die Einrichtung. Rosie und ihre Freundin Anne waren stadtbekannte Modefans, also überließen wir ihnen alle Stilfragen und den Einkauf. Der Laden war eine der ersten Boutiquen in Manchester. Es gab dort hippe Klamotten, und die Stimmung war immer toll. Mir gefiel es natürlich, einen Laden zu besitzen, in dem schöne Frauen Kleider anprobierten – und die Boutique hatte sofort Erfolg, was definitiv Rosie zu verdanken war.

Irgendwann im Jahr 1964, mitten im Trubel um die Hollies, entschieden Rosie und ich zu heiraten. Ich weiß, was jetzt alle denken: Rock’n’Roll-Musiker, die gerade durchstarten, sollten die Ehe meiden wie der Teufel das Weihwasser. Sie sollten für all die Mädchen verfügbar sein, die zu ihren Konzerten kommen und sich die Seele aus dem Leib schreien. Aber Clarkie und Jeni waren schon ein Jahr lang verheiratet, und es schien keinen Einfluss auf unsere Beliebtheit zu haben. Ich liebte Rosie und wollte immer mit ihr zusammen sein, vor allem in London, wo sich die Szene rasant veränderte. Also heirateten wir in aller Stille im Standesamt am Albert Square in Manchester. Nur Pete MacLaine und seine Frau Susan waren dabei, und wir verbrachten unsere Hochzeitsnacht im Haus der MacLaines. Auf dem Fußboden, um genau zu sein. Danach änderte sich alles. Rosie gab das Pygmalion auf und zog zu mir nach London. Wir suchten uns eine Wohnung in einem schmalen Hochhaus in Shepherd’s Bush, und Rosie strich die Wohnzimmerwände schwarz an. Sie kam zu allen Auftritten der Hollies, freundete sich mit Allans Frau an, und wir hatten eine Zeit voller Geborgenheit. Jedenfalls eine Zeit lang.

Unsere Karriere setzte sich fort, und zwar in Riesenschritten. Nach „Just One Look“ veröffentlichten die Hollies „Here I Go Again“, der Song landete auf Platz vier der Charts, und danach kam „We’re Through“, die erste Veröffentlichung auf einer A-Seite, die Tony, Allan und ich selbst geschrieben hatten – unter dem Pseudonym L. Ransford, das wir für all unsere Gemeinschaftsarbeiten benutzten. Clarke-Hicks-Nash ging einem nicht so leicht über die Lippen, deshalb benutzten wir den Namen meines Großvaters. Die Hollies hielten sich ununterbrochen in den Top Ten und wurden im Melody Maker und im NME regelmäßig mit Artikeln bedacht. Wir traten beim renommierten Poll Winners Concert im Empire Pool in Wembley auf und wurden zur Sendung The Talent Spot eingeladen, die auf dem BBC-Kanal Light Programme lief. Unsere Liveauftritte waren der Wahnsinn: Mädchen, die Schulter an Schulter standen und sich heiser kreischten. 13-, 14-, 15-jährige Mädchen. Sie drehten durch, ließen alles raus, wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben. Das hatte ganz deutlich eine sexuelle Komponente – so ist es eben, wenn junge, gutaussehende Typen Rock’n’Roll spielen … Die Mädchen ließen sich gehen. Hysterie und feuchte Höschen – es war unglaublich. Man konnte spüren, dass diese überreizten Teens neues Terrain entdeckten und dabei alle Tabus ihrer strengen englischen Erziehung zur Seite schoben. Später waren auch junge Männer im Publikum, aber in den frühen Jahren war die absolute Mehrheit der Zuschauer weiblich.

Bei einem unserer Konzerte im Barrowlands Ballroom in Glasgow – wir spielten im Vorprogramm eines Popsängers namens Johnny Gentle – fielen 75 Mädchen in Ohnmacht und mussten aus dem Publikum gezerrt werden. Bei einigen unserer Auftritte im Norden herrschte eine bedrohliche, kriegsähnliche Atmosphäre. Die Mädchen da oben bescherten uns eine Menge Ärger. Natürlich war ich auch deswegen Musiker geworden, um Frauen zu beeindrucken – machen wir uns nichts vor –, aber wenn so eine Kleine dich aus dem Publikum anblinkte, konntest du sicher sein, dass nach der Show ihr Freund und seine Kumpels schon auf dich warteten. Und diese Kerle waren knallhart. Einmal wurden mir drei Vorderzähne rausgeschlagen, und ich habe nicht mitgezählt, wie oft ich nach unseren Auftritten zum Bus gerannt bin. Im Norden zu spielen war Selbstmord.

Alles in allem überwogen für mich aber die Vorteile. Wir hatten ziemlich viel Sex, vor allem mit Mädchen, die wir nach den Konzerten kennenlernten. Es gab immer ein paar abenteuerlustige Fans, die sich ihren Weg zu uns bahnten. Entweder über Freundinnen, die im jeweiligen Hotel als Zimmermädchen arbeiteten, oder über jemanden, der sie mit hinter die Bühne nahm. Sie fanden dich schon, wenn sie wollten. Und wenn sie dich gefunden hatten, führte der Weg meistens ins Bett. Da gab es gar kein großes Vorgeplänkel. Schnell „Hallo“ sagen und ab in die Kiste.

Was auch toll war: Brüste signieren. Im Ernst. Ich denke mir das nicht aus. Die Mädchen wollten Autogramme auf ihre Brüste haben. Sie zogen einfach ihre T-Shirts hoch: „Hier, unterschreib mal!“ – „Natürlich, sehr gerne, die Dame. Wie buchstabiert man das? Haben Sie nicht möglicherweise doch einen etwas längeren Namen?“

Mit dem Erfolg bekamen die Auftritte der Hollies einen etwas respektableren Rahmen. Die nach Pisse und Schnaps stinkenden Schuppen hatten wir hinter uns gelassen und traten jetzt in Kinos und Theatern auf, in denen selbst der Dreck irgendwie kultivierter war. Es gab in jeder Stadt einen besseren Saal, und die Hollies bespielten sie alle: das Odeon in Manchester, wo wir Bill Haley gesehen hatten, das Finsbury Park Empire, Läden in Blackpool, Bristol, Scarborough, Stoke-on-Trent, Birmingham, Coventry, Bedford. Man konnte jeden Abend an einem anderen Ort spielen, und tatsächlich taten wir eine Zeit lang genau das.

Wir nahmen alles mit und hatten keine Ahnung, wohin dieser Weg uns führte. Wir waren völlig unbeleckt. Alles passierte so schnell, alles floss ineinander. Die Szene hatte sich verändert seit der Billy Fury-Johnny Gentle-Marty Wilde-Dickie Pride-Vince Eager-Ära, als man nur ein hübsches Gesicht und einen dämlichen Namen brauchte, um seine 15 Minuten Ruhm zu bekommen. Jetzt ging es um Talent, gute Songs, vielseitige Musiker und Bands, die all das auf der Bühne zusammenbrachten. Im ganzen Land wurde großartige Musik gemacht, vor allem in den Industriestädten, wo man es am wenigsten vermutet hätte. Liverpool, Newcastle, Leeds, Sheffield, Birmingham, Manchester – sogar die aalglatten Mistkerle aus London hatten ein winziges bisschen Talent. Kein Zweifel, Rock’n’Roll hatte einen neuen Grad an Ernsthaftigkeit erreicht, sowohl als Kunstform als auch als Geschäft. Alle wussten das. Sogar die alten Knacker von der Tin Pan Alley, die nun darum kämpfen mussten, im Musikgeschäft weiterhin dabei zu sein. Eine unbestreitbare Kraft war am Werk. Mit den Beatles hatte alles angefangen. Sie hatten mit ihrer Genialität und der Begeisterung, die sie überall auslösten, den ganzen Laden aufgemischt.

Die Hollies gehörten verdientermaßen dazu. Wir waren gekommen, um zu spielen.

Wild Tales

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