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II

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Später traf ich sie in einer anderen Stadt zugleich mit der Dame, die ich immer noch hoffnungslos liebte. Ein Zufall hatte sie miteinander bekannt gemacht, und die erstere hatte wohl Gelegenheit, die für mich einzunehmen, die mich aus ihrem Herzen verbannt hatte. So sah ich sie denn eines Tages, als ich mich in einer Gesellschaft befand, zu der auch sie gehörte, auf mich zukommen und mir die Hand reichen. Wie war dieser Schritt zu deuten, wie auch der tiefe und traurige Blick, der ihren Gruß begleitete? Ich glaubte, darin Verzeihung für das Vergangene zu erblicken. Ein Tonfall göttlichen Mitleids verlieh den einfachen Worten, die sie an mich richtete, einen unbeschreiblichen Wert, als ob etwas Religiöses sich in die Süße einer bis dahin weltlichen Liebe mischte und ihr den Charakter der Ewigkeit verliehe.

Dringende Geschäfte zwangen mich, nach Paris zurückzukehren, aber ich beschloß sofort, dort nur ein paar Tage zu bleiben und zu meinen beiden Freundinnen zurückzukehren. Die Freude und Ungeduld versetzten mich in eine Art Taumel, den die Sorge um die Geschäfte, die ich abzuwickeln hatte, noch verstärkte. Eines Abends stieg ich gegen Mitternacht zu dem Vorort hinauf, in dem sich meine Wohnung befand, als ich zufällig den Blick hob und das Nummernschild eines Hauses bemerkte, das von einer Laterne beleuchtet war. Die Nummer entsprach der Zahl meiner Jahre. Als ich den Blick wieder senkte, sah ich vor mir eine bleiche Frau mit hohlen Augen, die mir die Züge Aureliens zu haben schien. Ich sagte mir: »Ihr Tod oder mein eigener wird mir so angekündigt.« Aber irgendwie versteifte ich mich auf die letztere Annahme und verbohrte mich in den Gedanken, daß das Ereignis am nächsten Tage zur gleichen Zeit eintreten würde.

In dieser Nacht hatte ich einen Traum, der mich in meiner Meinung bestärkte. – Ich irrte durch ein weitläufiges Gebäude mit mehreren Sälen, von denen einige zum Studium, andere zur Unterhaltung und philosophischen Erörterung bestimmt waren. Ich verweilte interessiert in einem der ersteren, in welchem ich meine alten Lehrer und Mitschüler zu erkennen glaubte. Der Unterricht über die griechischen und lateinischen Schriftsteller ging in jenem eintönigen Gemurmel weiter, das wie ein Gebet an die Göttin Mnemosyne ist. – Ich begab mich dann in einen anderen Saal, in dem philosophische Vorträge gehalten wurden. Ich hörte einige Zeit zu und ging dann hinaus, um in einer Art Herberge mit riesigen Treppen voller eiliger Reisender mein Zimmer zu suchen.

Wiederholt verlor ich mich in langen Fluren, und als ich eine der zentralen Hallen durchschritt, wurde ich von einem sonderbaren Schauspiel überrascht. Ein Wesen von maßloser Größe – ich weiß nicht ob Mann oder Weib – flatterte mühsam über dem Raum und schien in den dichten Wolken um Halt zu kämpfen. Kraftlos und außer Atem stürzte es schließlich mitten in den dunklen Hof, wobei seine Flügel an den Dächern und Galerien Halt suchten und vorüberstreiften. Ich konnte es einen Augenblick lang betrachten. Es war purpurfarbig, und seine Flügel schillerten von tausend Reflexen. Mit seinem langen Gewand in antiker Fältelung glich es dem Engel der Melancholie von Albrecht Dürer. – Ich konnte nicht umhin, Entsetzensschreie auszustoßen und erwachte jählings darüber.

Am nächsten Tage beeilte ich mich, alle meine Freunde aufzusuchen. Im Geiste nahm ich von ihnen Abschied, und ohne ihnen zu verraten, was mich innerlich beschäftigte, plauderte ich eifrig über Themen der Mystik. Ich setzte sie durch besondere Beredsamkeit in Erstaunen; es kam mir vor, als ob ich alles wisse und als ob die Geheimnisse der Welt sich mir in diesen letzten Stunden enthüllten.

Am Abend, als die Schicksalsstunde zu nahen schien, erörterte ich mit zwei Freunden an einem Klubtisch Fragen der Malerei und Musik und erläuterte meine Ansicht über die Entstehung der Farben und den Sinn der Zahlen. Einer von ihnen, namens Paul***, wollte mich heimbegleiten, aber ich sagte ihm, ich ginge nicht nach Hause. »Wohin gehst du denn?« fragte er. »Gen Osten!« Und während er neben mir ging, versuchte ich, am Himmel einen Stern zu finden, den ich zu kennen glaubt; als wenn er auf mein Schicksal Einfluß hätte. Nachdem ich ihn entdeckt hatte, setzte ich meinen Weg so fort, daß ich den Straßen folgte, in deren Richtung er sichtbar war. So schritt ich sozusagen meinem Schicksal entgegen, wobei ich den Stern bis zu dem Augenblick gewahren wollte, in dem der Tod mich treffen würde. Als ich jedoch zur Kreuzung dreier Straßen gelangt war, wollte ich nicht weitergehen. Es kam mir so vor, als ob mein Freund mich mit übermenschlicher Anstrengung fortdrängen wolle. Er wuchs vor meinen Augen und nahm die Züge eines Apostels an. Ich hatte den Eindruck, als ob sich die Örtlichkeit, an der wir standen, emporhöbe und die Formen der städtischen Umgebung verlöre. Auf einem Hügel, den weithin Ödland umschloß, wurde der Vorgang zum Kampf zweier Geister wie in einer biblischen Versuchung. »Nein«, sagte ich, »ich gehöre nicht deinem Himmel. Auf jenem Stern sind die, die mich erwarten. Sie waren vor der Offenbarung da, die du gebracht hast. Laß mich dorthin, denn die, welche ich liebe, gehört zu ihnen, und dort müssen wir uns wiederfinden.«

Aurelia

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