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König der Landstraße
Es ist schön, König zu sein, dachte er. Jean-Pierre Colgan stand an einem verregneten Januar-Sonntag am Fenster und ließ seinen Blick über ein atemberaubendes Paris schweifen. Paris war trotz des Regens atemberaubend, denn es gehörte ihm.
Alles was die Stadt zu bieten hatte – Frauen, Wein, die besten Tische in den besten Restaurants – konnte er sich einfach nehmen, denn er war mit nur 27 Jahren Weltmeister im Radfahren; er war französischer Meister und er war der erste Franzose seit fast einem Jahrzehnt, der eine echte Chance hatte, die Rundfahrt durch sein Land zu gewinnen; der erste Franzose seit 30 Jahren, der das Peloton, die Presse und die Fans fest im Griff hatte.
In seiner eigenen Vorstellung war er bereits eine Legende.
Wer war schon Fignon? Wer war schon Hinault? Wer war schon Leblanc? Wer waren sie schon, sie, und ihre schwachsinnigen Anhänger?
»Tifosi«, nannte er sie abfällig und lachte dabei.
Jean-Pierre Colgan hatte den italienischen Ausdruck immer gemocht. Er machte aus den schreienden zappelnden Fans am Straßenrand, gefangen in ihrer Heldenverehrung und ihrem Chauvinismus, einen Schwarm von Kakerlaken, die nur darauf warteten von seinem Heldentum zertreten zu werden.
Er war nicht einfach ein König der Landstraße. Er war der König der Landstraße und er war sich dessen voll und ganz bewußt. Es war seine Zeit auf der Bühne dieser Welt, seine Zeit im Rampenlicht, und er würde sie voll auskosten. Man machte den Gehweg frei für ihn, Kellner behandelten ihn ehrfürchtig und die Welt lag ihm zu Füßen – zumindest der Ausschnitt der Welt, in dem Teufelskerle auf zwei Rädern etwas bedeuteten.
Colgan rieb sich die Augen und erwischte sich dabei, wie er an Amerika dachte. Sein Ausflug nach Disney World war ein Desaster gewesen. Dort hatte ihn niemand erkannt. Keiner hatte um sein Autogramm gebeten. Goofy war mit einer Gruppe alter Damen aus Ohio so beschäftigt gewesen, dass er keine Zeit hatte, sich mit ihm fotografieren zu lassen. Und er hatte einen horrenden Eintrittspreis bezahlen müssen. Mon dieu! Er hatte schon seit Jahren nirgends mehr Eintritt bezahlt.
Er hatte verdammt noch mal Schlange stehen müssen. Er hatte am Space Mountain angestanden und sich dann nach der Hälfte der Fahrt übergeben. Das war nicht gerade der Stil eines Champions. Wäre er besser behandelt worden, dachte er, hätte er sein Mittagessen nicht an einen Mars aus Pappmaschee geklatscht.
Er hätte ins Euro-Disney fahren sollen.
Nein. Er würde keine n ihrer blöden Parks mehr besuchen. Soll Euro-Disney doch Pleite gehen. Er grinste. Seine amerikanischen Mannschaftskollegen begannen auf ihn abzufärben.
Sie waren miserable Fahrer, fand Colgan, aber sie kannten sich mit Geschäften aus und hatten keine Angst davor, den Bossen die Stirn zu bieten. Sie hatten die gesamte Branche aus dem Würgegriff der Team-Besitzer befreit. Seither wurde ein Champion auch wie ein Champion bezahlt – und konnte mit den richtigen Sponsorenverträgen sogar auf eine hübsche Rente hoffen.
Aber als Fahrer... pffft. LeMond ja, vielleicht Armstrong. Und eine Hand voll anderer. Hampsten. Aber so viele, die kaum mit dem Feld mithalten konnten.
Und die Fans erst. Einmal war Colgan in den USA gefahren, als er zwanzig war, irgendwo in Colorado. Das Rennen wurde von einer Brauerei gesponsort, eigentlich kein schlechter Wettkampf. Mangels ernsthafter Gegner war es für Colgan mehr ein Herbst-Training gewesen, aber es hatte niemand zugeschaut. Colgan hatte das Gefühl, dass selbst die »großen Massen« kleiner waren als die in Frankreich. Die Amerikaner begriffen es einfach nicht. Und sie würden es nie begreifen. Sie würden nie begreifen, welche Gefahr es bedeutete, welche Kraft man brauchte, welchen Stil und vor allem welches Verlangen, ein Champion zu sein. Nicht einmal ihre eigenen Champions begriffen das. Amerikanische Champions waren gepolsterte Fleischklöße. Wie viel Finesse braucht man schon dazu, sich auf einem mit Linien markierten Rasen ineinander zu verkeilen?
Amerikaner.
Colgan sah nach unten und erblickte seine Nachbarin Yvette auf ihrem Balkon. Sie schaute nach oben und ihre Blicke trafen sich. Ihrer schien zu fragen, warum er letzte Nacht verschwunden war; es hatte sich doch alles gut angelassen.
Er zuckte mit den Schultern. C’est la vie. Ich schlafe gerne in meinem eigenen Bett, Chéri.
Colgan drehte sich um und lief barfuß durch seine Küche, die größte Küche, die er je in einer Pariser Wohnung gesehen hatte. Aber, sagte er sich, der Wand, dem Sofa, niemand bestimmtem, dies ist ja auch nicht die Wohnung von irgendwem.
»Es ist schön, König zu sein.«
Er liebte große Küchen. Er liebte Lebensmittel. Jean-Pierre schnitt zwei Scheiben von einem frischen Laib Weißbrot ab und schob sie in seine neueste Errungenschaft: einen amerikanischen Toaster. Ausgesprochen hübsch. Voll verchromt und sehr Hightech. Jegliche Technologie, die je zum Toasten von Brot erfunden worden war, steckte darin. Und das war für ihn gerade gut genug.
Er schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein. Und noch ein Glas Saft. Dann setzte er sich mit der neuesten Ausgabe von L ’Equipe an den Küchentisch. Das Blatt wird vielleicht doch überschätzt, dachte er, als er die Sporttageszeitung überflog. Sein Name tauchte erstmals auf Seite drei auf. Irgendetwas lief hier falsch. Er würde mit Martin über sein Marketing sprechen müssen.
Marketing. Noch so eine amerikanische Erfindung. Sie müssten nur noch fahren können.
Das Gefühl, dass irgendetwas in der Wohnung, außerhalb seiner unmittelbaren Wahrnehmung, nicht stimmte, traf ihn nicht direkt. Es beschlich ihn so, wie eine leise tickende Uhr einen Traum stört. Nichts Plötzliches. Irgendetwas stimmte einfach nicht ganz.
Er lehnte sich zurück und schaute sich im Raum um. Irgendetwas. Nur wo? Wo?... Der Toaster, da, der Toaster. Eine dünne weiße Rauchschwade stieg aus dem Gerät. Colgan ließ seine Zeitung fallen und eilte hinüber zur Arbeitsplatte.
Er schaute in den Toaster und rüttelte dann am Griff. Das Brot sprang heraus. Immer noch weiß. Immer noch kalt. Mittlerweile müsste es doch braun und heiß sein.
Colgan drückte den Griff wieder runter, aber der rastete nicht ein. Er drückte fester. Dann schlug er ihn hinunter. Das Ding wollte nicht funktionieren.
»Du gehörst in die Seine«, murmelte er.
Colgan zog das Brot heraus und lugte in seinen neuen hochglanzpolierten, vollverchromten, amerikanischen Hightech-Toaster. Für ihn musste das Ding doch funktionieren. Maschinen funktionierten immer für ihn, als zwänge die schiere Macht seiner Persönlichkeit sie dazu. Aber diese hier verweigerte sich.
Indem er das Gerät zur Seite drehte, konnte Colgan einen tieferen Blick in das Innere werfen. Die Sonne brachte die Drähte und die Auskleidung zum Vorschein – alles schien in bester Ordnung.
Aber da – da war irgendwas – unten am Boden des Toasters.
Colgan griff nach einem Messer und stocherte darin herum. Er schmierte die, nun ja... es schien Knetmasse zu sein, über den ganzen Boden des Toasters. Er kratzte daran, er piekste hinein, er scharrte daran herum.
Kein Zweifel. Dieses Ding würde in den Laden zurückwandern mit einem verärgerten Champion im Schlepptau, der sich sehr laut darüber wundern würde, wie die Verkäufer dazu kämen, Kinder Knetmasse in einen brandneuen, amerikanischen Hightech-Toaster fallen zu lassen.
Colgan schob ein Stückchen der Knetmasse an die Seite und schaltete den Toaster ein. Die Drähte fingen langsam an zu glühen. Wenn er jetzt die Knete noch herausbekäme, würde das Ding vielleicht endlich funktionieren.
Jetzt war der Toaster am Netz, die Knete beiseite und sein Holzgriffmesser bis zum Schaft in der Maschine vergraben, und Jean-Pierre Colgan, der Favorit der diesjährigen Tour de France hatte weder die Zeit noch das Interesse, ein leichtes Glühen zu bemerken, das von einem kleinen Draht ausging, der von den Heizspiralen zu der Knetmasse am Boden des Toasters führte.
Er bemerkte das Glühen nicht. Er bemerkte das Zischen nicht. Er bemerkte den Funken nicht.
Was er bemerkte, war, dass urplötzlich und ohne Vorwarnung das Universum in eine irrsinnige Farbenpracht zerbarst, sich vor ihm öffnete und ihn wie eine Geliebte, die ihn willkommen hieß, aus der Schwerkraft der Realität löste und durch eine Tür dem Nirvana entgegenschleuderte, die, wie er in seinem letzten bewussten Augenblick fand, für ein derart bedeutendes Ereignis viel zu schmal war.
Will Ross hatte keine Ahnung, wie lange sein Telefon schon klingelte, so viel er mitbekommen hatte, konnten es gut zehn Minuten gewesen sein. Er hatte nach dem Hörer greifen wollen, aber er konnte seine Hand nicht finden. Er wusste, dass er sie mit ins Bett genommen hatte. Aber jetzt konnte er sie gerade nicht finden.
Nur deutsches Bier – echtes deutsches Bier – hatte diese Wirkung auf ihn. Schon immer. Deshalb liebte er Europa. Hier hatte man eine ganz andere Einstellung dazu, sich die Lichter auszuschießen, als in Amerika. Und jetzt, da er nicht mehr im Training stand, sprach nichts mehr dagegen, sich ab und an in der kleinen Kneipe, nur ein paar Häuser von seiner Wohnung in Avelgem entfernt, die Lichter auszuschießen.
Das Telefon klingelte immer noch.
Vielleicht sind es ja meine Eltern, dachte Ross. Sie hatten nie den Zeitunterschied begriffen und außerdem gingen sie ihm jetzt, da er keine Radrennen mehr fuhr, ständig damit auf die Nerven, er solle zurück in die Vereinigten Staaten kommen und einen richtigen Beruf ergreifen und überhaupt, Rad fahren sei ja ohnehin etwas für kleine Jungs und dabei verdiene man ja kein richtiges Geld und, und, und...
Das Telefon klingelte immer noch.
Ross war wieder eingeschlafen. Aber er hatte seine Hand wiedergefunden. Genau da, wo er sie gelassen hatte.
»Was? Was?«
»Dir auch guten Tag, Will. Wo zum Teufel hast du gesteckt? Ich versuche dich seit sechs Stunden zu erreichen.«
»Ich war indisponiert, Leonard. Ich habe nicht nur geschlafen, sondern mich auch mit den vielfältigen Engagements und Sponsoren-Angeboten beschäftigt, die du mir in den vergangenen sechs Monaten verschafft hast.«
»Tut mir Leid, Kumpel, aber irgendwie sind die großen Brauereien momentan nicht scharf auf einen abgetakelten Rennfahrer, der seit sechs Jahren nichts mehr gewonnen hat und bei der Tour de France ... wie oft? viermal? ... die Karenzzeit überschritten hat.«
»Fünfmal.«
»Fünfmal. Danke. Jedenfalls bekomme ich momentan den Werbechef von Budweiser nicht dazu, mit einem Vertrag für das Clydesdale-Rennen bei mir vorbeizukommen.«
»Tausend Dank, Leonard. Was ist denn mit der belgischen Seife – läuft da was?«
»Tut mir Leid, die haben sich für David Hasselhoff entschieden. Aber ich habe etwas für dich.«
Ross rieb sich das Gesicht, um die Falten glattzubügeln, die der Alkohol hineingezeichnet hatte.
»Was denn? Mittlerweile bin ich so weit, dass ich alles annehmen würde.«
»Wie wär’s mit ein bisschen Rad fahren?«
»Wie bitte?«
»Rad fahren, Will. Ich habe dich in einem Team untergebracht.« Bisher hatte er auf dem Bett herumgelümmelt. Jetzt schoss er auf und saß bolzengerade auf der Kante.
»Bist du wahnsinnig, Leonard? Ich kann nicht fahren. Ich bin am Ende. Fertig. Außer Form. Ich bin seit sechs Monaten nicht ernsthaft Rad gefahren und so richtig gut war ich auch nicht, als ich trainiert habe. Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?«
Will hielt für einen Augenblick inne, holte tief Luft und wog den Hass, den er in der letzten Saison auf die Straße entwickelt hatte, gegen das wachsende Minus auf seinem Bankkonto ab. So ungern er es sich eingestehen wollte, das Bankkonto siegte, auch wenn es bedeuten würde, das Leben in Belgien, das er liebgewonnen hatte, aufzugeben, um in den Vereinigten Staaten für eine Firmenmannschaft zu fahren.
»Okay. Wann und wo? Wann muss ich in den Staaten sein und für welches Team fahre ich?«
»Es ist keine amerikanische Mannschaft. Es ist eine europäische Mannschaft.«
»Waaaas? Motorola? Warum sollte sich Motorola für mich interessieren? Och hasst mich doch immer noch, weil ich letztes Jahr auf den Mannschaftswagen gekotzt habe.«
»Nein. Es ist nicht Motorola. Pass auf. Es hat einen Knick in der Schwerkraft gegeben. Das Raum-Zeit-Kontinuum ist abgerissen, mein kleiner untrainierter Kamerad. Dein lieber Freund Jean-Pierre Colgan ist jetzt dein lieber verstorbener Freund Jean-Pierre Colgan. Du, mein Bester, bist zum Dienst in der Sportgruppe Haven auserkoren worden und ich – ein echter Profi, wie ich bemerken möchte – habe die Trauer über Colgans vorzeitiges Ableben unterdrückt, um dir einen ziemlich guten Deal zu verschaffen. Mit 15 Prozent Kommission, wenn ich mich recht erinnere.«
»Zwölfeinhalb.«
»Wie auch immer. Du bist im Geschäft, Junge. Du bist versorgt. Du hast eine Saison Verlängerung.«
»Bist du verrückt? Leonard, ich konnte noch nie fahren, auch nicht, als ich gut war, ich habe nicht die Beine für die langen Strecken. Wie kommst nur darauf, dass ich ausgerechnet jetzt fahren kann? Bist du... ach, Scheiße.«
»Keine Panik, mein Freund. Ich glaube an dich, weil tief in dir, Willie, Stil, Kraft und das Herz eines Löwen stecken. Außerdem hast du einen rechtsgültigen Vertrag, weil ich von dir eine Vollmacht habe. Du musst übermorgen in Paris sein.«
Will schloss die Augen und versuchte, das alles abzuschütteln. Natürlich, das war alles nur ein langer, böser Traum und nur auf die übermäßige Einnahme fermentierter Hopfengetränke zurückzuführen. Aber es gab noch ein Frage, die beantwortet werden musste. Will brachte sie langsam, sehr langsam über die Lippen.
»Ich schicke dir die Details per Fax – hol sie dir morgen früh in dem Büro in deiner Straße ab. Sonst noch was? Sonst leg’ ich auf – das Gespräch geht auf meine Rechnung.«
»Warte, Leonard. Colgan. Was ist passiert?«
»So viel ich von Haven gehört und in den Agenturmeldungen gelesen habe, geht man davon aus, dass eine Gasleitung in seiner Wohnung hochgegangen ist – hat die ganze Ecke aus seinem Haus raus gerissen, auch einen Teil der Nachbarwohnungen. Ziemlich übel.« »Ging es wenigstens schnell? War es für ihn schnell vorbei?« »Glaub’ schon. Sie haben ihn in einem Wandschrank gefunden.« »Was?«
»Die Wucht der Explosion. Sie haben das, was von ihm übrig geblieben ist, in einem Schrank gefunden. Hat ihn quer durchs Zimmer geschleudert. Übel. Ich muss gehen. Details später. Ruf mich an, wenn das Fax da ist.«
»Leonard. Len. Bist du dir ganz sicher?«
»Meinst du seinetwegen oder deinetwegen?«
»Beides.«
»Bei ihm bin ich mir ganz sicher. Das größte Arschloch im Feld ist tot. So tot wie eine Makrele auf dem Sonntagsgeschirr meiner Mutter. Bei dir, Willie – ja, ich bin mir sicher. Du hast einen Vertrag. Du hast einen Job. Setz deinen Arsch in Bewegung und verdiene meine 15 Prozent.«
»Zwölfeinhalb.«
»Wie auch immer. Du hast heute noch eine Trainingsfahrt vor dir. Los geht’s.«
William Edward Ross hängte den Hörer ein und schaute auf die Uhr. 16 Uhr. Es war noch genügend Zeit für ein kurzes Training, wenn er jetzt losfahren würde; vielleicht schnelle 65 Kilometer, wenn er nicht außerhalb von Roubaix zusammenbräche und am Straßenrand verendete. Er schaute raus. Es war nass. Nein. Feuchter Schnee. Es sah kalt aus. Und ungemütlich.
Er rannte ins Bad und verbrachte die nächsten fünfundvierzig Minuten damit, alles auszukotzen, was er seit seinem zehnten Lebensjahr gegessen hatte.
Jean-Pierre Colgan war nie religös gewesen, aber das versuchte er jetzt gutzumachen.
»Himmlischer Vater, vergib mir alle meine Ausschweifungen und Sünden der Eitelkeit und des regelmäßigen Geschlechtsverkehrs und dass ich mein Mobiltelefon in jener Kurve in die Speichen Calabresis gesteckt habe, als gerade die Motorräder nicht in Sicht waren...«
Dieser Tunnel war gar nicht übel – er war warm und angenehm und schien so etwas Ähnliches wie Wände zu haben, obwohl man nichts berühren konnte. Die erste unangenehme Passage durch diese enge Tür zur Unendlichkeit hatte hierhin geführt und es war nicht schlecht. Der Tunnel ging so etwas wie einem hellen Licht entgegen und als er dem Licht näher kam, begann Colgan eine Figur auszumachen, die zunächst nur eine Form war, jetzt jedoch Konturen gewann: groß, schmal – und mit den muskulösesten Beinen, die er je gesehen hatte.
Jean-Pierre Colgan war zu Hause und Fausto Coppi war da, um ihn zu begrüßen.
»Friede sei mit dir, mein Bruder.«
»Monsieur Coppi... «
»Fausto... «
»Es ist mir eine große, ja eine grandiose Ehre... sind Sie nicht tot?«
»Doch, mein Freund, genau wie du. Ich bin hier, um dir den Weg zu zeigen. Und um dir dafür zu danken, dass du im Peloton mein Andenken gewahrt hast. Du hast mir Ruhm gebracht, indem du selbst Ruhm erworben hast.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Colgan das alles verarbeitet hatte. Jean-Pierre Colgan hatte die Linie überschritten. Er war auf die andere Seite getreten. Wie dieser grauenhafte amerikanische Fahrer mit den scheußlichen Socken am Ende des Feldes immer sagte: »Du hast eingeschlagen, Babe.«
Er holte tief Luft – seltsam, er spürte nicht viel mehr als Ruhe und Zufriedenheit – und widmete seine Aufmerksamkeit wieder seinem stattlichen Gegenüber.
»Sie waren mein Idol«, sagte Jean-Pierre Colgan leise.
»Ich weiß, mein Freund. Deine anderen Idole sind auch hier. Sie freuen sich darauf, dich kennen zu lernen.«
»Bartali? Garin? Anquetil?«
»Nun, Bartali lebt noch, erstaunlicherweise, bei seinem Lebenswandel, aber Anquetil ist hier, ja.«
»Wann kann ich ihn sehen?
»Bald, aber... sei geduldig. Gib ihm Zeit.«
»Zeit ... warum ist er nicht hier, um mich in der Ruhmeshalle der Champions zu begrüßen?«
»Nun, Jean-Pierre«, Coppi hielt inne. »Um ehrlich zu sein, er hält dich für ein Weichei.«
In einem kleinen Haus in Avelgem, nahe der Grenze zwischen Belgien und Frankreich, unweit von Roubaix, zog William Edward Ross an einem nassen verschneiten Sonntag die rotgestreiften Socken an, für die er bekannt war, und bereitete sich auf eine zweistündige Fahrt durch die Hölle vor.