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„Frauen im Parlament“

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Im Sommer 405 verlor Athen seine letzte Flotte und mit ihr Tausende von Kämpfern, die gefangen genommen und hingerichtet wurden (Xenophon, Hist. Graec. 2, 1, 32); der Seebund fiel auseinander; der spartanische Flottenführer Lysander sperrte die Dardanellen, das heißt Athens Kornzufuhr aus der Schwarzmeerküste, und das spartanische Landheer verheerte das attische Land: Athen war am Ende, es musste gar den Spartanern Kriegsdienste leisten.39 Ist dies der Grund dafür, dass nun auf einmal auch die Komödie des Aristophanes sich verdüsterte? In dem Spiel der „Frauen im Parlament“, den „Ekklesiazusai“ vom Jahre 392 oder 391, übernehmen die Frauen das Regiment, indem sie in die Volks- oder besser: Männerversammlung gehen und als Männer verkleidet dafür stimmen, dass ein Rat der Frauen die unter Krieg und Misswirtschaft leidende Stadt regiere. Aller Privatbesitz soll abgeschafft, alles soll abgeliefert und neu verteilt werden, Gemeinschaftsspeisung wird eingeführt, und kein Mann darf zu einer hübschen Jungen, bevor er nicht eine Alte befriedigt hat. Dieses Drama hat gegenüber den früheren einige Besonderheiten aufzuweisen.

Wenn der Chor in den früheren Stücken seine Parabase beendet hatte, pflegten in einer Reihe kleiner Szenen stadtbekannte Figuren an den Helden des Stücks heranzutreten, zum Beispiel Feldherren, Waffenmacher, Priester, Denunzianten, usw. Sie wurden je nach ihrem äußeren Tun und Beruf davongejagt oder angenommen. Immer waren es die Hauptpersonen, die urteilten, und immer waren es Standes- oder Berufseigenschaften, nach denen geurteilt wurde. Es handelte sich hier um eine fest gewordene Spielform.40 In den „Ekklesiazusai“ ist das anders. Nach der Chordarbietung tritt ein Mann auf (727ff.), der bereit ist, seine Habe abzuliefern. Neu ist, dass sich nun nicht eine Richterszene abspielt, sondern der einzige Gesprächspartner des Mannes ist ein zweiter Athener. Beide Männer tragen keine deutlich im Text erkennbaren Namen, scheinen also anonym und typisch.41 Der eine folgt also dem Aufruf der Frauen und inszeniert eine „mock Panathenaic procession of his household goods“,42 der andere ist skeptisch, wie er in einem Selbstgespräch durchblicken lässt (746ff.), will erst einmal abwarten, wie sich die Dinge entwickeln (769, 772). Aber nicht nur dieser Charakterzug zeichnet den Mann aus, er zieht auch das Nehmen dem Geben vor; Nehmen, das sei gute Väterart (778), das täten ja auch die Götter, deren Standbilder die Unterarme und Hände vorstreckten in Erwartung einer Gabe.43 Das Neue an dieser Szene ist, dass hier Gesinnungstypen einander gegenübergestellt werden, wobei die Gesinnung44 des Skeptikers erst allmählich zutage gebracht wird; mehr noch: Als plötzlich eine Meldung vom Frauenrat kommt, das Gemeinschaftsessen sei bereitet, da entpuppt sich der Zurückhaltende als gar nicht mehr zögerlich, sondern rennt zum Markt und zur kostenlosen Speisung (853). Man hat an diese Szene die Frage gestellt, ob sie vielleicht zeigen sollte, wie wenig wirksam das Regiment von Frauen sei,45 hat auch vermutet, Aristophanes wollte den Staat gegen solche Parasiten in Schutz nehmen.46 Dabei war längst das Richtige von W. Süss ausgesprochen worden,47 und es ist auch schon geklärt, was diese Szene spieltechnisch an Neuem bringt: eine fortschreitende „Selbstdemaskierung“.48

Hernach folgt statt der Parabase die Darstellung, was aus dem zweiten Hauptteil des Beschlusses im Frauenrat wurde: Ein junges Mädchen wartet auf ihren Liebsten (877ff.), mit ihr aber wartet auch eine Alte auf einen Mann, und als nun der Erwartete erscheint, gibt es ein wüstes Gerangel um seine Gunst, bis zwei noch Ältere auftauchen, das junge Mädchen verscheuchen und den Jüngling ins Haus zerren (1049ff.). Dann ruft eine angetrunkene Heroldin zum gemeinsamen Mahl, Tänzerinnen erscheinen, und im Jubel marschiert der Chor samt Heroldin und Tänzerinnen von der Bühne.

Die „Ekklesiazusai“ sind unter dem Aspekt von Kommunismus, von Mann und Frau, Arm und Reich und vielem anderen besprochen worden; festzuhalten scheint aber, dass die ganze späte Komödie von einem Schatten überzogen ist, alles ist gedämpft, alle Vorhaben verlaufen im Sande, unliebsame Typen tauchen auf, nichts hat Erfolg, und wenn jemand erfolgreich ist wie die alten Weiber, dann bleibt ein fader Nachgeschmack,49 und den Schluss hat man immer schon getadelt.50 Die Buntheit der vielen verschiedenen Versmaße in den früheren Stücken ist aufgegeben, der iambische Trimeter herrscht (Schmid [1959] 372), und mit ihm eine gewisse Eintönigkeit. Die Hauptakteure, die Führerin der Frauen und der Chor, werden im Verlauf des Stückes in einer bis dahin unerhörten Weise an den Rand gedrängt und verschwinden ganz wie die anfangs führende Frau oder spielen eine Nebenrolle wie der Chor.51 Die Zeit der fröhlichen Kraftgestalten ist vorüber. Doch das Hauptthema dieses Buches verlangt nach einem anderen Ausblick auf das Drama: Auch früher gab es bereits Selbstdemaskierungen, so zum Beispiel in den „Vögeln“ die des Wahrsagers, der am Ende sich doch nur als gefräßig entlarvt. Aber dass eine solche Selbstdemaskierung derart breit ausgespielt wird und dazu als Gegenüberstellung von Gesinnungstypen, anscheinend gar ohne Namen, das hatte es zuvor nicht gegeben in dem erhaltenen Werk des Aristophanes, das heißt, es bezeugt sein wachsendes Interesse an den Motiven von Bühnengestalten und an den charakterlichen Widerwärtigkeiten von Normalmenschen, und von hier führt dann der Weg zur Neuen Komödie, auch zu Menander.

Kleine Geschichte der antiken Komödie

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