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EDUARD VON KEYSERLING (1855 – 1918)

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Eduard Graf von Keyserling wird am 14. Mai 1855 auf Schloss Paddern in Kurland (heute: Tasu-Padures/​Lettland) als Sohn von Eduard Graf Keyserling und seiner Frau Theophile geb. von Rummel als zehntes von zwölf Kindern geboren. Nach Studien in Dorpat (heute Tartu) und Wien verwaltet er bis zum Tode seiner Mutter die heimatlichen Güter. 1895 zieht er mit drei Schwestern nach Wien. Zwei Jahre später erkrankt er an einem schweren Rückenmarksleiden und erblindet als Folge einer Syphilisinfektion.

1887 erscheint seine erste Erzählung »Fräulein Rosa Herz«. Die meisten seiner Erzählungen und Romane diktiert er – inzwischen erblindet – seinen Schwestern, mit denen er von 1900 bis zu seinem Tod 1918 eine Wohnung in München-Schwabing bewohnt, so etwa »Wellen« (1911) und »Abendliche Häuser« (1914). Hinzukommen Aufsätze zu allgemeinen kulturellen Fragen wie der Artikel vom 17. Oktober 1914 »Über die Vaterlandsliebe«. Mit seinem Œuvre gehört er zu den bedeutendsten Schriftstellern des Impressionismus.

Keyserling bleibt unverheiratet. Er stirbt kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges in München. Sein schriftlicher Nachlass wird auf seinen Wunsch hin nach seinem Tod vernichtet.

EDUARD VON KEYSERLING

ÜBER DIE VATERLANDSLIEBE

Die frühe Dämmerung des Septemberabends sinkt auf stillgewordene Dörfer herab, dunkel kauern die Häuser unter dem dunkeln Gezweige der alten Linden. Auf dem Dorfplatz stehen Männer beisammen und sprechen mit ruhig besonnener Stimme. Vor den Haustüren, auf den Treppenstufen hocken noch vor dem Schlafengehen Kinder in ihren Hemden, kleine weiße Gespenster, und singen mit dünnen, glashellen Stimmen ein Siegeslied. Alte Frauen sitzen auf den Bänken, die Hände müßig im Schoße, und blicken mit dem geduldig wartenden Blick des Alters in die Dämmerung. Am Brunnen aber stehen große blonde Mädchen, sie lassen die Hände einen Augenblick auf dem Rande des Eimers ruhen und starren mit groß werdenden Augen vor sich hin, als horchten sie hinaus in die Ferne, auf etwas Großes und Furchtbares.

Die Nacht sinkt nieder, die Dorfstraße wird still, die Haustüren fallen in das Schloß, durch die kleinen Fensterscheiben blinzeln friedliche Lichter in die Finsternis, schläfrig singt der Brunnen, und hie und da in einem dunkeln Gärtchen zwischen den taufeuchten Sonnenblumen und Nachtviolen steht einsam eine Frau und weint. In Tausenden der Männer, die begeistert an die Grenze des Reiches beim Feinde entgegeneilen, verdichtet sich der weite Begriff des Vaterlandes, für das sie kämpfen, zu dem Bilde solch eines stillen Dorfes; denn das große Gefühl Vaterlandsliebe erwächst aus der Liebe zu der Scholle, dem Heimatsdorf und dem Heimatshause. Und für die Sicherheit des großen Vaterlandes steht als Symbol die Geborgenheit des kleinen Stückes Erde, auf dem das lebt, was dem Herzen dieser Männer am nächsten steht. Die Enge dieses Gefühls gibt der Liebe zu der deutlichen Allgemeinheit seine Wärme und Intensität. Aber jene Dörfer, die friedlich inmitten ihrer wogenden Kornfelder liegen mit der stetigen und fleißigen Alltäglichkeit ihres Lebens, sie sind die Grundlage des stolzen Baues des Reiches mit seiner Macht, seinem Reichtum, seiner Kultur.

Unser modernes Leben hat sich in hohem Grade kompliziert, mit seinen Gegensätzen und Spannungen. Wir schweigen in Widersprüchen und berauschen uns an Zweifeln. Überallhin bohren die Gedanken sich hinein und nehmen den Gefühlen ihre Ganzheit und Unmittelbarkeit. Jetzt aber, da ein großes Schicksal wie ein Sturmwind über das deutsche Vaterland hinbraust, jetzt verlieren viele der Gedanken und Einfälle, der Gefühle und Gefühlchen ihren Glanz. Vieles, das groß schien, schrumpft zusammen, und was bedeutungsvoll war, wird unwichtig. Die Gefühle in jedem Deutschen vereinfachen sich unendlich. In allen lebt ein großes, einfaches Ziel, die Sicherheit des Vaterlandes, eine Hoffnung, der Sieg, ein Wille, alles für das Vaterland einzusetzen. Dieses Fühlen ist so klar, stark und einfach, daß jedes Kind es ahnt, es ist das gleiche in den Dorfbewohnern, dem Gelehrten, dem Staatsmann, es ist das Urgefühl der Menschheit und liegt in der Menschenbrust, seit der Mensch es begriff, daß es so etwas wie eine Heimat gibt. Dieses Gefühl gleicht dem vollen und reinen Glockenton, der alle die kleinen und eigensinnigen Melodien übertönt, die ein jeder vor sich hinsummte.

Moltke spricht von der reinigenden Wirkung des Krieges. Sie liegt darin, daß das Kleine, Unruhige der vielen Sonderinteressen von uns abfällt und einem einheitlichen Wollen, einem einfachen starken Fühlen Platz macht. Trotz der Spannung, der Schmerzen und der Not dieser Tage wirkt die Konzentration, der schwere Ernst des Gefühls, dennoch stählend auf die Seele wie ein tiefer Atemzug in klarer, scharfer Luft. Wunderbar transzendent ist dieses Gefühl der Vaterlandsliebe. Der Soldat ist bereit zu sterben, damit das Vaterland lebe. Das Spiel seines Willens, seiner Sehnsucht geht über sein individuelles Leben hinaus, er opfert seine Persönlichkeit einem Glücke, das nach ihm der großen Gemeinschaft des Vaterlandes zugute kommen soll, dieses Glück begeistert ihn und macht ihn stark, wie die Hoffnung auf eine ewige Seligkeit den christlichen Märtyrer freudigen Mutes den Tod erleiden ließ. Dieses Hinausgehen über das eigene vergängliche Leben ist das Mysterium jedes großen, ethischen Gefühl und jeder ethischen Tat. Jene Männer aber, die von den Schlachtfeldern in das bürgerliche Leben, in den Alltag der Arbeit und Sorge zurückkehren – wird in ihrer Seele nicht etwas stets geweiht bleiben, durch die Berührung mit dem heiligen Mysterium der Todesbereitschaft für das Vaterland?

QUELLE: Eduard von Keyserling: Über die Vaterlandsliebe, in: Der Tag, Ausgabe, Nr. 244, Berlin, 17. 10. 1914

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