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ОглавлениеNahttechniken in der Oralchirurgie
Viele oralchirurgische Eingriffe enden mit einer Nahtversorgung – primär, um einen mobilisierten und replatzierten Mukoperiostlappen möglichst in seiner Originalposition zu fixieren; sekundär aber auch, um gegebenenfalls die Wundfläche von Alveolen zu verkleinern oder eine Alveolen- oder Defektauffüllung mittels Naht zu stabilisieren; und nicht zuletzt auch, um gegebenenfalls einen stabilen plastischen Verschluss von Alveolen oder eröffneten Kieferhöhlen zu ermöglichen6,7.
Führen und Einstechen der Nadel
Die Nadel wird mit dem Nadelhalter im Bereich des Nadelkörpers gefasst (nicht an der Nadelspitze, nicht im Bereich der Armierungszone; s. Kap. 2: Nahtinstrumente und Nahtmaterialien) und mit einer Drehbewegung durch die eine Seite des Wundrandes hindurchgeführt bzw. hindurchgedreht. Der Einstich sollte je nach Situation und Gingiva-Biotyp etwa 2 mm vom Wundrand her erfolgen. Kann die Nadel an dieser Stelle nicht in einem Zug durch beide Wundränder hindurchgeführt werden, wird sie zunächst erneut mit einer Dreh-/Rotationsbewegung aus dem Weichgewebe herausgezogen und danach durch den zweiten Teil des Wundrandes geführt. Reine Zugbewegungen an der Nadel sind zu vermeiden, da sie zum Ausreißen der Wundränder, aber auch zum Abreißen des Fadens direkt an der Nadel führen können.
Bevor man mit dem Knoten beginnt, sollte der Faden soweit hindurchgezogen werden, dass noch etwa 4 cm überstehen, um beim Abschneiden Material zu sparen.
Der chirurgische Knoten
Jede Naht endet mit einem chirurgischen Knoten. Dieser soll verhindern, dass sich die Naht während der Tragezeit von allein öffnet und somit aus einer angestrebten primären Wundheilung eine sekundäre Wundheilung werden könnte. Da Wunden in der Mundhöhle ständigen mechanischen Druck- und Zugbelastungen unterliegen (Kauen, Trinken, Sprechen, Schlucken) und Wunden im Gegensatz zur Dermis nicht ruhiggestellt werden können, muss ein chirurgischer Knoten in der Oralchirurgie über etwa eine Woche bis zur Nahtentfernung stabil bleiben.
Verschiedene Knotentechniken sind für oralchirurgische Eingriffe beschrieben. Über alle Stufen zahnärztlicher Berufserfahrung hinweg hat sich jedoch nur eine bewährt, die aus drei aufeinander folgenden Knoten besteht.
Der erste Knoten ist bei eher dickem (3-0 oder 4-0) und multifilem Nahtmaterial ein Doppelknoten (Abb. 3-1), bei eher dünnem (5-0 oder 6-0) und monofilem Nahtmaterial ein Dreifachknoten (Abb. 3-2). Beim Zuziehen dieses ersten Knotens werden die Wundränder adaptiert und in Kontakt zueinander gebracht. Für den nächsten Knoten muss man danach den Faden etwas lockerlassen. Hierbei dürfen sich die gerade adaptierten Wundränder nicht wieder voneinander entfernen. Bei dickem multifilem Nahtmaterial ist die Friktion eines Doppelknotens durch die raue Fadenoberfläche genügend groß, um dies zu verhindern. Bei dünnem monofilem Nahtmaterial jedoch ist ein Dreifachknoten erforderlich, um die gleiche Friktion des glatten Fadens zu erreichen und auf diese Weise einer spontanen Dehiszenz der Wundränder vorzubeugen.
Abb. 3-1 Bei multifilem Nahtmaterial ist der erste Knoten ein Doppelknoten (aus: Rasperini5).
Abb. 3-2 Bei monofilem Nahtmaterial ist der erste Knoten ein Dreifachknoten (aus: Rasperini5).
Der zweite Knoten ist, unabhängig vom verwendeten Nahtmaterial, ein Einfachknoten, der in die Gegenrichtung des ersten Knotens geschlungen wird. Seine Aufgabe ist es, möglicherweise doch etwas voneinander entfernte Wundränder (re)adaptieren zu können, ohne die Naht von vorne beginnen zu müssen.
Der dritte und letzte Knoten ist, ebenfalls unabhängig vom verwendeten Nahtmaterial, erneut ein Einfachknoten, der noch einmal in die Gegenrichtung (beziehungsweise in die Richtung des ersten Knotens) geschlungen wird. Seine Aufgabe ist zu verhindern, dass die ersten beiden Knoten während der Tragezeit aufgehen könnten.
Das Abschneiden des Fadens nach dem Knoten
Nach Beendigung des Knotens muss die Operationsassistenz den Faden abschneiden. Die verbleibende Länge des überstehenden Nahtmaterials sollte genau so sein, dass sich der Knoten innerhalb seiner Tragezeit von alleine nicht öffnet, die Fadenenden jedoch den Patienten nicht stören. Bei multifilem Nahtmaterial sollte dieser Überstand 3 bis 4 mm betragen, bei monofilem Nahtmaterial 7 bis 8 mm. Zu kurz abgeschnittenes monofiles Nahtmaterial pikst in die umgebende Schleimhaut, ähnlich wie Bartstoppeln. Zu lang abgeschnittenes multifiles Nahtmaterial stört wie ein in die Mundhöhle hängender Wollfaden: Der Patient spielt die ganze Zeit mit der Zunge daran herum.
Damit die Operationsassistenz den Faden immer und zuverlässig mit nur einem Scherenschnitt abschneiden kann, sollte der Operateur nach dem Zuziehen des letzten Knotens die beiden Fadenenden einmal durch Übereinanderschlagen der Hände um die eigene Achse drehen (Video 3-1). Dann gelingt das Abschneiden der beiden Fadenenden mit einem Scherenschnitt immer, was Zeit und manchmal auch Nerven spart.
Video 3-1 Überkreuzen der Fadenenden zum einfacheren Abschneiden.
Nahttechniken
Für oralchirurgische Eingriffe wurden insgesamt fast 20 Nahttechniken beschrieben, die alle ihre eigene Indikation haben. Manche, wie die Einzelknopf-Naht, sind bekannt und verbreitet, andere hervorragende Nahttechniken weniger. Einige dieser Nahttechniken sollen nachfolgend etwas detaillierter beschrieben werden.
Einzelknopf-Naht
Die Einzelknopf-Naht (Video 3-2 und 3-3) besteht aus zwei Einstichen durch beide Wundränder hindurch (Abb. 3-3). Je dünner der Gingiva-Biotyp und je weiter im sichtbaren Bereich die Naht ist, umso wichtiger ist es, dass am Ende der Knoten nicht direkt auf dem Schnitt liegt (Abb. 3-4). Die Wunde wird bereits in der Heilungsphase unnötig irritiert und die Narbe wird unnötig breit. Um dies zu verhindern, wird nach dem Abschneiden der Fadenenden eines dieser Enden mit einer Pinzette gefasst und auf diese Weise der Knoten vom Schnitt weggezogen: bei krestal liegenden Schnitten grundsätzlich nach bukkal, damit die Naht für die Zunge nicht unnötig störend ist (Abb. 3-4).
Video 3-2 Einzelknopf-Naht (aus: Rasperini5).
Video 3-3 Einzelknopf-Naht.
Abb. 3-3 Einzelknopf-Naht: 2 Einstiche (aus: Rasperini5).
Abb. 3-4 Der Knoten liegt niemals auf dem Schnitt, sondern wird gegebenenfalls am Ende durch Ziehen an den Fadenenden von ihm weggezogen (aus: Rasperini5).
Horizontale Matratzen-Naht
Im Gegensatz zur Einzelknopf-Naht können Matratzen-Nähte deutlich mehr Kraft aufnehmen und deutlich mehr Kraft halten. Sie sind daher immer dann zu favorisieren, wenn Nähte strategisch wichtig sind und diese in der Heilungsphase nicht aufgehen oder sich nicht lockern dürfen. Dies ist insbesondere bei plastischen Deckungen aller Art der Fall, zum Beispiel nach plastischem Kieferhöhlenverschluss, dem plastischen Decken von Alveolen bei antiresorptiv behandelten Patienten sowie nach plastischer Deckung umfangreicher Augmentationen im Zuge von Implantationen.
Alle Matratzen-Nähte bestehen grundsätzlich aus vier Einstichen und alle Matratzen-Nähte beginnen grundsätzlich bukkal, damit auch hier die Fadenenden die Zunge während der Heilungsphase nicht unnötig stören.
Die horizontale Matratzen-Naht (Video 3-4) heißt deswegen so, weil die vier Einstiche in horizontaler Ebene angeordnet sind (nebeneinander) (Abb. 3-5). Der Abstand zwischen dem zweiten und dritten sowie ersten und vierten Einstich darf nicht zu klein sein, weil sich sonst die Möglichkeiten dieser Naht nicht ausreichend entfalten können.
Video 3-4 Horizontale Matratzen-Naht (aus: Rasperini5).
Abb. 3-5 Horizontale Matratzen-Naht: 4 Einstiche (aus: Rasperini5).
Heute wird zwischen konventioneller und modifizierter horizontaler Matratzen-Naht unterschieden. Die konventionelle horizontale Matratzen-Naht spielt in der modernen Oralchirurgie keine Rolle mehr, weil sie durch ihre Geometrie unnötig breite und bindegewebige Narben hinterlässt. Beim Zuziehen der Naht beim Legen der Knoten werden die Wundränder nicht nur adaptiert, sondern auch etwas aufgeworfen, was zu diesen nicht gewünschten Ergebnissen führt (Abb. 3-6).
Abb. 3-6 Horizontale Matratzen-Naht: häufig unnötig breite Narbe (aus: Rasperini5).
Bei der modernen Modifikation dieser Naht (auch Laurell-Gottlow-Naht genannt) (Video 3-5 und 3-6) wird nach dem vierten Einstich und vor dem ersten Knoten die Nadel durch die Schlaufe zwischen dem zweiten und dritten Einstich hindurchgeführt (Abb. 3-7). Dabei spielt es keine Rolle, von welcher Richtung die Nadel durch die Schlaufe geführt wird. Erst danach werden die Knoten gelegt. Das Ergebnis stimmt dann, wenn die Schlaufe wie die Spitze eines „V“ genau am Knoten zu liegen kommt (Abb. 3-8). Dies erreicht man nur, wenn die Knoten jeweils von bukkal zugezogen werden und nicht von krestal. Das Ganze darf weder wie ein „U“ (die Naht wurde nicht genügend zugezogen) noch wie ein „X“ aussehen (die Knoten wurde nicht von bukkal, sondern von krestal zugezogen). Die beiden Schenkel des „V“ liegen nun über dem Schnitt und drücken die beiden Wundränder nach unten (Abb. 3-8). Dies garantiert eine wirklich schmale und strichförmige Narbe.
Video 3-5 Modifizierte horizontale Matratzen-Naht (aus: Rasperini5).
Video 3-6 Modifizierte horizontale Matratzen-Naht.
Abb. 3-7 Modifizierte horizontale Matratzen-Naht: Die Nadel wird vor dem Knoten durch die Schlaufe geführt (aus: Rasperini5).
Abb. 3-8 Modifizierte horizontale Matratzen-Naht: Die Wundränder werden durch die V-förmige Fadenführung perfekt adaptiert (aus: Rasperini5).
Vertikale Matratzen-Naht
Auch die vertikale Matratzen-Naht (Video 3-7 und 3-8) besteht aus vier Einstichen und beginnt ebenfalls immer bukkal. Sie heißt deswegen so, weil die vier Einstiche in vertikaler Ebene angeordnet sind (übereinander) (Abb. 3-9). Sie ist vor allem dann gegenüber einer Einzelknopf-Naht vorzuziehen, wenn im Zuge von Schnittführungen und Aufklappungen Interdentalpapillen im sichtbaren Bereich mobilisiert wurden und sichergestellt werden muss, dass diese am Ende der Wundheilung genau an der gleichen Stelle wieder anwachsen (Abb. 3-10). Eine Einzelknopf-Naht kann dies nicht garantieren, da ein Teil des Fadens über die Papillenspitze läuft und beim Zuziehen der Naht die Papillenspitze etwas nach unten drückt4.
Video 3-7 Vertikale Matratzen-Naht (aus: Rasperini5).
Video 3-8 Vertikale Matratzen-Naht.
Abb. 3-9 Vertikale Matratzen-Naht: 4 Einstiche (aus: Rasperini5).
Abb. 3-10 Situation nach vertikaler Matratzen-Naht nach WSR Regio 36.
Double-Loop-Naht
Auch die Double-Loop-Naht (Video 3-9 und 3-10) besteht aus vier Einstichen und beginnt – aus den gleichen Gründen – ebenfalls bukkal (Abb. 3-11). Sie ist immer dann einer Einzelknopf-Naht vorzuziehen, wenn ein dentogingivaler Verschluss nach marginaler Schnittführung oder eine periimplantäre Weichgewebsadaptation bei Implantation mit transgingivaler Heilung perfekt funktionieren muss. Hervorragend ist sie auch nach operativer Weisheitszahnentfernung1: Die Naht unmittelbar distal des zweiten Molaren muss einen wirklich dichten dentogingivalen Verschluss garantieren, um lebenslang erhöhte Sondierungstiefen in diesem Bereich zu verhindern, die so weit dorsal kaum plaquekontrollierbar sind. Die Double-Loop-Naht adaptiert die mobilisierten Weichgewebe in drei übereinander liegenden Ebenen und garantiert deutlich bessere Ergebnisse als eine Einzelknopf-Naht (Abb. 3-12).
Video 3-9 Double-Loop-Naht (aus: Rasperini5).
Video 3-10 Double-Loop-Naht.
Abb. 3-11 Double-Loop-Naht: 4 Einstiche (aus: Rasperini5).
Abb. 3-12 Fertige Double-Loop-Naht (aus: Rasperini5).
Kreuz-Naht
Auch die Kreuz-Naht (Video 3-11) besteht aus vier Einstichen und beginnt ebenfalls bukkal (Abb. 3-13). Ihre Indikation liegt in der Naht-versorgung von Alveolen nach konventioneller Zahnentfernung (ohne Aufklappung). Die Kreuz-Naht hat zwei Funktionen: Verkleinerung der Wundfläche sowie Stabilisation eines eingebrachten Fremdmaterials, um es vor spontanem Verlust zu schützen (je nach Indikation, Anamnese und Fall: Kollagen, oxygenierte Zellulose [Tabotamp, Ethicon, Norderstedt], nicht resorbierbare Tamponade oder Knochenersatzmaterial)2,3. Im Gegensatz zu einer horizontalen Matratzen-Naht wird die Naht nach dem ersten Einstich von bukkal schräg durch die Alveole nach palatinal und nach einem weiteren Einstich von bukkal erneut schräg durch die Alveole nach palatinal geführt. Der Faden läuft nun wie ein Kreuz suprakrestal über die Alveole. Eine Kreuz-Naht kann man auch erzielen, indem man zunächst von bukkal schräg durch die Alveole nach palatinal und dann horizontal versetzt von palatinal erneut schräg durch die Alveole wieder nach bukkal zurückkommt. Die Geometrie und somit der Effekt der Naht sind am Ende praktisch identisch.
Video 3-11 Kreuz-Naht (aus: Rasperini5).
Abb. 3-13 Kreuz-Naht (aus: Rasperini5).
Literatur
1.AWMF: S2k-Leitlinie Operative Entfernung von Weisheitszähnen. www.awmf.org (Stand August 2019).
2.AWMF: S3-Leitlinie Zahnärztliche Chirurgie unter oraler Antikoagulation/ Thrombozytenaggregationshemmung. www.awmf.org (Stand August 2017).
3.Kämmerer PW, Stein JM (Hrsg.): Blutgerinnung – mit Blutungen richtig umgehen. Wissen kompakt 2019;13:171–219.
4.Kumar K, Sharma RK, Tewari S, Narula SC: Use of modified vertical internal mattress suture versus simple loop interrupted suture in modified Widman flap surgery: a randomized clinical study. Quint Int 2019;50:732–740.
5.Rasperini G: The oral surgery suture trainer. Berlin: Quintessenz, 2012. Verfügbar im Apple App Store.
6.Rueppell C, Meier R, Filippi A: Normale und gestörte Wundheilung nach Zahnentfernung. Quintessenz 2016;67:1225–1232.
7.Siervo S: Nahttechniken in der Oralchirurgie. Berlin: Quintessenz, 2007.