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Boomer und Millenials – Die Generationenfrage

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„OK Boomer“ wurde durch das Gremium der Züricher Hochschule 2019 zum Wort des Jahres (2. Platz) gewählt. Es handelt sich bei dieser Phrase um ein Internet-Meme als Reaktion auf stereotype, pauschalierende und abwertende Kritik an der jüngeren Generation. Der Ausdruck „Ok Boomer“ zeigt, dass Jugendliche es müde sind, sich mit einer besserwisserischen Erwachsenengeneration auseinanderzusetzen. Kritisiert wird die Phrase „OK Boomer“ als Totschlag-Argument, aber hier geht es auch nicht um inhaltliche Argumentationen, sondern um einen Streit über den Generationen-Diskurs. Es geht um die Fragen, wer oder was diesen Diskurs bestimmt. Wer darf zu diesem Diskurs beitragen und auf welche Meinungen und Statements wird geachtet? Wer wird von diesem Diskurs ausgeschlossen? Die Antwort auf diese Fragen wäre eine eigene Forschung wert.

Grob skizziert kann man den Diskurs über die Generationen als einen soziologischen Diskurs beschreiben, der von Karl Mannheim ausgegangen ist. Für Mannheim (1964 [1928]) ist jeder Mensch einer Generation zugehörig, die ihm Möglichkeiten eröffnet und Optionen verwehrt. Dies ist eine unumgängliche soziologische Tatsache, der man sich nicht entziehen kann, wie durch eine Kündigung der Mitgliedschaft in einer Organisation oder durch einen Austritt aus einem Verein. Was allerdings das Verbindende einer Generation ausmacht, also der Generationszusammenhang, ist schwierig zu bestimmen.

Als Kriterium für den Generationenzusammenhang kann die Altersspanne gelten, die sogenannte Kohortengeneration. Mitglieder einer Alterskohorte können aufgrund gemeinsamer Erlebnisse und Erfahrungen in einer bestimmten gesellschaftlichen, historischen und kulturellen Konstellation eine zeitbezogene Ähnlichkeit im sozialen Handeln aufweisen. Mitglieder einer Generationeneinheit teilen nicht nur gemeinsame zeitgeschichtliche Erfahrungen, sondern stimmen auch in der Deutung und Beurteilung dieser Erfahrungen überein und richten ihr Handeln entsprechend der daraus erwachsenden Erwartung an sich und andere aus. Moderne Gesellschaften sind allerdings Multi-Options-Gesellschaften. Der Generationszusammenhang führt nicht zwangsläufig zu ähnlichem sozialem Handeln der Einzelnen und damit zu einer Generationeneinheit.

Grundlegend für die Generationen-Vorstellung ist, dass sich Gesellschaften kontinuierlich in langfristigen Strukturveränderungen wandeln. In komplexen Gesellschaften finden aber auch abrupte Veränderungen statt wie Krieg, Rezessionen, Pandemien oder technologische Entwicklungen. Dieser diskontinuierliche Wandel wirkt sich auf gesellschaftliche Gruppen unterschiedlich aus, je nachdem, wie sensibel und empfänglich sie für diese Veränderung sind bzw. wie stark diese sich auf den lebensweltlichen Alltag Einzelner auswirken. Es kann also nicht mehr von einem die verschiedenen Lebensstile übergreifenden Konsens einer Generation ausgegangen werden.

Becker (2008) schlägt vor diesem Hintergrund die Orientierung an Typologiegenerationen vor und unterscheidet z. B. die Vorkriegsgeneration (geboren zwischen 1910–1930), die Stille Generation (1930–1945), die Protestgeneration (1945–55), die Verlorene Generation (1955–1970), die Pragmatische Generation (1970–1985) und die Screenage-Generation (1986 und später). Aufgrund weiterer empirischer Untersuchungen wird die Generationskohorte von 1986 bis 2000 als Generation Y und die nach 2000 Geborenen als Generation Z sortiert. Die Nachkriegsgeneration bis 1970 wird aufgrund der hohen Geburtenzahlen auch als Babyboomer bezeichnet. Einen aktuellen, umfassenden und detaillierten Überblick über die Typisierung der Generationen in Deutschland, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz stellen Scholz und Grotefend (2019) zur Verfügung. Die Autor*innen dieses Buches kommen zu dem Ergebnis, dass eine Generation Z mittlerweile als empirisch belegt im Unterschied zur Vorgänger-Generation Y beschrieben werden kann. Sie schränken aber auch ein, dass es nationale und regionale Unterschiede bezüglich der Wahrnehmung der beruflichen und persönlichen Zukunft sowie der Gesellschaft im Allgemeinen gibt (Scholz/Grotefend 2019: 243 ff.).

Es geht also nicht nur darum, dass Menschen denselben zeitlichen Abschnitt des kollektiven, gesellschaftlichen Geschehens erleben und erfahren, sondern daran teilnehmen und ihr Handeln an dem Erlebten und Erfahrenen ausrichten. Die Angehörigen einer Generation finden demnach nicht nur deutlich andere wirtschaftliche, politische und kulturelle Bedingungen vor als die vorangehenden Generationen, sondern verarbeiten sie auch anders. Wer zur Generation Z gehört, den verbindet z. B. die Eigenschaft, von klein auf Digital Native sein zu können, während die Angehörigen der Generation Y und der Boomer-Generation digital nachsozialisiert sind. Inwieweit sich dieses Handeln als für eine Generation typisches und normiertes Handeln etabliert, das zeigt sich erst, wenn es sich institutionalisiert, in Gesetze gegossen wird und damit auch die soziale Struktur einer Gesellschaft ändert.

Inwieweit sich eine Generationseinheit, ein Generationstyp entwickelt, kann seriös erst rückblickend festgestellt werden. Für die Beschreibung Jugendlicher als neue Generation ist eine Zuordnung zu einer Generation im Sinne einer Generationseinheit daher im besten Fall spekulativ und im schlechten Fall zuschreibend.

Die Zuschreibungen für die gegenwärtige junge Generation lauten ungefähr so: Es wächst eine selbstbewusstere und entscheidungsfreudigere junge Generation heran, die sich politisch stärker interessiert und einmischt als die Generation Y. Aufgrund der unsicheren Verläufe von Biografien bleiben Jugendliche länger in der Abhängigkeit von ihren Eltern.

Hannes Schrader (2016) schreibt launig aus der Perspektive eines Angehörigen der Generation Y über die Generation Z:

Jetzt seid ihr dran, euch von anderen sagen zu lassen, wer ihr seid, wie ihr euch zu verhalten habt und wofür ihr alles verantwortlich seid. Aber hört genau zu. Denn was diese Leute über eure Generation denken, bestimmt, wie ihr einkaufen, leben und arbeiten werdet. Was Angela Merkel heute über euch erzählt, wird entscheiden, wie viel Geld ihr in ein paar Jahren verdient. Was Werbefuzzis ihren Kunden über euch erzählen, wird festlegen, wo ihr einkauft, wie und was ihr zum Frühstück esst. […] Ein angesehener Jugendforscher nennt uns „heimliche Revolutionäre“, weil wir antimaterialistisch seien und umweltbewusst. Dass das nur diejenigen von uns sind, die es sich leisten können und deren Eltern wahrscheinlich auch so denken, sagt er nicht. So wird der Generationsbegriff von Forschern missbraucht, die endlich mal wieder interviewt werden wollen. Von Journalisten, die gefühlige Texte schreiben wollen. Sie machen Annahmen, die sich eh nicht überprüfen lassen und auf irgendwen immer zutreffen werden.

Trotzdem machen nationale und globale Jugendstudien Sinn. Jugendstudien geben Hinweise, wie der Alltag und die Lebenswelt von Jugendlichen empirisch beschreibbar gemacht werden können. Aus den Daten der Jugendstudien können Hinweise für Struktur- und Organisationsentwicklungsprozesse im Sinne von Handlungsbedarfen für die Ausgestaltung von Praxisangeboten und sozial- und kulturpolitischen Maßnahmen abgeleitet werden. Nicht zuletzt erlangen die Wünsche und Bedürfnisse von Jugendlichen eine größere Aufmerksamkeit und können so stärker als wichtiger Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden.

Um jedoch der Vielfalt der Lebenswelten von Jugendlichen Rechnung zu tragen und zu verstehen, inwieweit die Jugendlichen als neue Generation die strukturellen Bedingungen deuten, welche Handlungsmaximen für sie Gültigkeit haben, müssen auch die Unterschiede in den regionalen Strukturen und die daraus erwachsenden unterschiedlichen Alltagskulturen Berücksichtigung finden. Insoweit plädieren die Autor*innen für regionale Jugendstudien, insbesondere für Jugendstudien in den unterschiedlichen ländlichen Räumen.

Die von uns durchgeführten Jugendstudien und für verschiedene Gemeinden und Landkreise erstellten Jugendberichte zeigen, dass Jugendliche auf dem Land sich zwar durch traditionelle Werte und Grundhaltungen auszeichnen, aber durch die technologischen Entwicklungen, die Globalisierung und die strukturellen Bedingungen in der Region zu einer anderen Generationseinheit zusammenwachsen, als es die überregionalen Jugendstudien nahelegen. Unsere These lautet, dass Jugendliche auf dem Land den Idealen und Werten der Boomer-Generation folgen, aber diese im modernen Sinne interpretieren und mehr Mitgestaltungsräume für sich beanspruchen – eben die Boomer-Generation 4.0 sind.

Aus dieser Sicht ist es verständlich, dass Jugendliche und junge Erwachsene mit „OK Boomer“ keine Zuschreibungen zulassen wollen. Gleichzeitig geben sie zu erkennen, dass sie die Botschaften nicht nur verstanden haben, sondern möglicherweise teilen – oder auch nicht. Die Entscheidung darüber soll aber nicht die ältere Generation fällen, sondern sie selbst, in einem selbstbestimmten Leben. Hier zeigt sich auch der Kern des dritten Aspektes der Kritik an Jugendforschung.

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