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2 – Was Herr Nielsson mit Jugendforschung zu tun hat – Aus unserer Jugendberichtswerkstatt

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Im Rahmen von Zukunftswerkstätten lassen wir Jugendliche Collagen erstellen, um ihre Zukunftsvorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse zu ermitteln. Die Aufgabe lautet: „Wie stellst du dir das perfekte, verrückteste und coolste Leben in deiner Region vor, wenn du 25 Jahre alt bist und alle Möglichkeiten und Freiheiten hast?“

Die erstellten Collagen werden dann von den beteiligten Forscher*innen interpretiert und mit den Jugendlichen besprochen (kommunikativ validiert). In unseren systematischen Bildinterpretationen folgen wir dem methodischen Ansatz von Mollenhauer (1997). Mollenhauer geht davon aus, dass in den Bildern, von denen wir umgeben sind, ein argumentatives Repertoire enthalten ist, das über das sprachlich Ausgedrückte hinausgeht.

Es gibt keine Kultur, in der die Menschen ihre Weltsicht nicht auch in Bildern zum Ausdruck brachten; in Bildern kann ein anderer Sinn verschlüsselt sein als in den oralen oder schriftlichen Beständen; in unserer Gegenwart scheinen die visuell-artifiziellen Ereignisse derart zuzunehmen, dass diese zu einem immer wichtigeren Bestandteil unserer kulturellen Erfahrung und Selbstauslegung werden. Es liegt deshalb nahe, solche Materialien auf das hin zu untersuchen, was sie zu unserem erziehungswissenschaftlichen Wissen beizutragen vermögen. (Mollenhauer 1997 S. 247)

Fast ein Vierteljahrhundert später, in einer Zeit, in der sich Jugendliche über Selfies, Profilbilder und eine über Mobiltelefone immer verfügbare Kamera medial vermittelt begegnen, kann man von der Bildkompetenz Jugendlicher ausgehen. Jugendliche können Bilder lesen und herstellen. Sie wissen, dass Bilder mehr als tausend Worte sagen. Und so entstehen auch Collagen nicht zufällig, sondern sind bewusst komponierte Arrangements von Bildern. Diese visuellen Erzeugnisse werden einem hermeneutischen Verfahren, also einem Prozess des Verstehens kultureller Produkte, unterzogen, was über eine alltägliche Bildbesprechung hinausgeht und die Collage in ihrer Bedeutung in einen historischen, räumlichen und kulturellen Zusammenhang einordnet.

Mollenhauer fokussiert auf eine phänomenologische Perspektive und meint damit, dass das Verstehen und Erfassen des Sinngehalts von Bildern im Vorgang des Lesens von Bildern und des Decodierens von Bildelementen möglich wird. Dazu muss auf der einen Seite die generationsabhängige Bild-Sprache verstanden werden, also die für die Zeit gültigen Symbole und Regeln, und andererseits die individuelle Bedeutsamkeit der Bilder für die Produzent*innen herausgearbeitet werden, also die möglichen Deutungen derjenigen, die die Collage erstellt haben.

Für unsere Forschungsprojekte und speziell für die Interpretation von Collagen haben wir uns an den Interpretationsverfahren von Pilarczyk/Mietzner (2015) und Panofski (1955) orientiert. Mit Hilfe der ikonologischen Methode nach Panofski sollen Bilder erkannt, verstanden und erfasst werden. Die Methode umfasst drei Stufen: die vorikonografische Beschreibung, die ikonografische Analyse und die ikonologische Interpretation.

Bei der vorikonografischen Beschreibung oder dem primären Sujet geht es darum, das Bild, welches betrachtet wird, lediglich zu beschreiben. Es soll zunächst der reine Bestand eines Bildes erfasst werden. Eine reine, nicht-interpretative Beschreibung ist nicht möglich, weil die Bildbetrachter*innen nur das beschreiben können, was sie kennen und damit auch sprachlich formulieren können. Trotzdem sollen sie sich einen möglichst „fremden, naiven Blick“ bewahren. Es geht darum, das Bild in allen Einzelheiten zur Kenntnis zu nehmen; das ist ein systematisch verlangsamtes Sehen mit Aufmerksamkeit für das Nebensächliche.

Die ikonografische Analyse rückt den Bildaufbau und das Motiv in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Vorder-, Mittel-, Hintergrund, die Perspektive des zu analysierenden Motivs sowie markante Linien und Formen werden beschrieben und interpretiert. Die genaue Bedeutung eines Motivs erschließt sich durch die verwendete Symbolik. Hier wird Wissen außerhalb des Bildes einbezogen und ein externer Bezugsrahmen gebildet.

In der ikonologischen Interpretation geht es um den wahrhaften Gehalt oder die eigentliche Bedeutung eines Bildes. Spuren absichtsvoller Gestaltung werden ebenso herausgearbeitet wie die Art und Weise des Präsentierens des Abgebildeten. Die Befunde aus den vorangegangenen Schritten werden aufeinander bezogen, in ein Verhältnis gesetzt, um so einen eigentlichen Bildsinn zu interpretieren, gleich ob er von den Produzent*innen der Bilder beabsichtigt war oder nicht.

Im Folgenden wird eine ausgewählte Collage interpretiert und damit ein Einblick in die Forschungswerkstatt gegeben. Diese Collage versinnbildlicht unsere Sicht auf Jugendliche in ländlichen Räumen, die wir als Generation „Boomer 4.0“ bezeichnen würden.

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