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Besuch in der Christnacht

Der böhmische Wind sauste übers Gebirge. Es war fast kein Wind mehr, eher ein Sturm, der die Hänge hinaufjagte, über die Grate sprang, die Bäume zauste und sich in die Täler stürzte. Winzige Eisnadeln trieb er vor sich her, die aus der Höhe kamen, und dazwischen brachte er trockenen Schneestaub und mehlfeinen Erdsand, den er sich auf den Äckern errafft hatte. Es lag wenig Schnee in den Tälern, und da der kalte Wind vom Osten seit ein paar Tagen umging, war die Schneedecke im offenen Gelände allenthalben zerrissen, und staubig graue Dünen wanderten in unablässigem Gerinnsel über Weiden und gepflügtes Land. Wahrhaftig, es war ein Wetter zum Daheimbleiben, und wenn nicht gerade der Heilige Abend gewesen wäre, dann hätte heut auch kein Mensch über die Schwelle treten mögen, aber so musste man zur Christmette gehen. Es würde ein harter Gang werden in dieser Nacht.

»Heut bleib ich daheim!«, sagte der Rauhwandner-Gregor, der Einödbauer, zu seinen Leuten, die ihn verwundert anschauten. So kannten sie ihren Bauern gar nicht. Der fürchtete sich doch sonst vor keinem Wetter, und die härteste Arbeit tat er allemal selber. Jeder hatte insgeheim gehofft, er dürfe daheim bleiben und das Haus hüten, und während die andern sich den Eiswind ins Gesicht blasen lassen mussten, könne er einmal seine Glieder pflegen und sich gütlich tun an den vielen schönen Dingen des Festes. Aber das half nun alles nichts. Was der Bauer sagte, das galt.

»Ich hatte gemeint, Vater«, sagte die Bäuerin fragend, »heut sollt ich einmal das Haus hüten?«

Aber der Bauer gab ihr ganz ruhig zur Antwort: »Nein, Mutter, das geht nicht. Heut muss ich daheim bleiben.«

Sie verstand ihren Mann wieder einmal nicht ganz, aber sie gab sich in seinen Willen. Der Knecht zündete die beiden Stalllaternen an, denn es war draußen kellerschwarz und stockfinster; Bäurin, Mägde und Töchter wickelten sich in ihre wollenen, langfransigen Umschlagtücher, dass nur Augen und Nase noch herausschauten, der Knecht und die Söhne legten sich den Mantel an und zogen die Kappen tief ins Gesicht, dann nahm jeder seinen Hakelstecken, an dem Türstock besprengten sie sich mit einem Tröpflein Weihbrunn, und dann gingen sie in die stürmisch-kalte Nacht hinaus.

Der Rauhwandner legte ein paar Buchenkloben auf die Herdglut, holte den berühmten Lederband, den sie alle in frommer Scheu nur »das lateinische Büchel« nannten, und setzte sich hinter den Tisch ins Eck unter das geschnitzte Heilandsbild.

Der Rauhwandner-Gregor war nicht zum Bauern bestimmt gewesen. Er war der Jüngste unter sieben Geschwistern, und da er einen hellen Kopf hatte, war er auf Betreiben des Pfarrers auf die Schulen geschickt worden, hatte überall seine Sache gut gemacht und sollte nun geistlich werden. Seine vier Schwestern hatten fortgeheiratet, und Thomas, der Älteste, sollte den Hof übernehmen. Ludwig, sein anderer Bruder, hatte über Nacht fortgemusst; soviel man wusste, war er nach Amerika gegangen und konnte nicht wiederkommen, weil ihm bei einer Rauferei das Messer ausgerutscht war und der Kramer-Franz an der Wunde hatte sterben müssen. Und nun, als Gregor das letzte Jahr auf die Studi ging, hatte der Thomas einmal beim Gsottschneiden nicht Acht gegeben und sich eine Fingerkuppe abgeschnitten. Er hatte sich die Wunde mit einem Sacktuche fest verbunden und hatte seine Arbeit weitergetan, als wenn nichts geschehen wäre. Da war der Brand in die Wunde gekommen, und nach einer Woche mussten sie ihn schon zum Friedhof tragen. Nun hatten sie den Gregor heimgeholt, und wenn er es gleich nicht wollte, musste er den Hof übernehmen.

Das alles war nun ziemlich lange her, und jetzt hatte er selber drei Buben und vier Töchter, die alle schon nicht mehr zur Schule gingen, sondern von früh bis zur Nacht mit im Hofe arbeiteten.

Der Bauer überflog noch einmal mit einem scharfen Blick die Stube, dann schlug er das Buch auf und begann zu lesen. Es war kein Zauberbuch, wie seine Nachbarn meinten, sondern die Heilige Schrift, die er in der lateinischen Ausgabe las, um die Sprache nicht zu verlernen. Er brauchte einige Zeit, bis er sich in das Evangelium von der Christgeburt vertieft hatte, denn es war eine geheime Unruhe in ihm, die Ahnung irgendeiner Gefahr, die seinem einsamen Hof drohte. Deswegen war er auch daheim geblieben, und nicht etwa, weil er das bisschen kalten Wind fürchtete.

Die Öllampe brannte mit rötlichem Licht über dem schweren Tische, der seit seines Großvaters Zeiten auf diesem Flecke stand. Das harte Holz knatterte im Ofen, und der Wind warf sich gegen die eisverblümten Fensterscheiben, die unter dem Anprall der zahllosen kleinen Eiskristalle unablässig leise klirrten.

Halblaut las er den uralten, ewig neuen Bericht von den Hirten auf dem Felde, da hörte er draußen vor dem Haus Schritte und gedämpfte Männerstimmen. Jetzt hantierten sie vorsichtig an der Tür. Sie nahmen wohl an, sie sei mit dem Eichenbalken versperrt. Als die Männer merkten, dass sie nur eingeklinkt war, schoben sie sich leise in den Hausgang und flüsterten miteinander.

Der Rauhwandner las unentwegt weiter und spannte zugleich mit allen Sinnen und Kräften. Also hatte er mit seiner Ahnung doch Recht gehabt! Es war nur gut, dass er selber daheim geblieben war. Er fürchtete sich nicht, aber die da kamen, die sollten sich noch fürchten!

Jetzt rissen sie die Stubentür auf und polterten herein. Es waren drei Männer, dick vermummt und mit schwarzen Tuchlarven vor dem Gesicht, und die beiden vordersten hielten ihr Gewehr im Anschlag.

Der Bauer las noch immer in singendem Flüstertone das Evangelium, und davon wurden die drei ganz verwirrt. Jetzt schaute der Rauhwandner von der Schrift auf und sah die drei Fremden mit einem Blick an, der ihnen bis ins Mark drang.

Ziemlich leise, aber mit einem Tonfall, der voller Gewalt war, sagte der Bauer: »Stellt eure Kugelstutzen hinten ins Eck!« Da gingen die Kerle zum Küchenkasten, die beiden ersten stellten ihre Flinten fort, und der dritte zog eine Pistole unter seinem Rock hervor und legte sie auf den Fensterstock. Der Bauer sagte: »Sitzts nieder auf der Bank, Kolterer, ein jeder auf eine Seiten!« Und die Kolterer, drei Brüder aus Wachelried, setzten sich willenlos am Tische nieder.

»Tut eure Masken herunter, Männer!«, sprach der Bauer wieder, »dass ich euch besser zuschauen kann.«

Und die drei Männer konnten sich nicht widersetzen und nahmen ihre Larven ab.

»Legt eure Händ auf die Tischplatte, Männer!«, sagte der Bauer. »Haltet euch stad, dass ich weiterlesen kann!« Und die drei Brüder legten gehorsam ihre Hände vor sich auf den Tisch, hatten die Augen weit aufgerissen und den Mund halb geöffnet und starrten den Rauhwandner an, der wieder eintönig und doch wie singend die Verse des Evangeliums in einer fremden Sprache zu lesen begann. Sie vernahmen die Worte wie eine Beschwörung aus weiter Ferne. Keiner konnte sich rühren. Sie waren blass geworden. Langsam entwich ihnen das Blut aus Gesicht, Händen und Füßen. Sie fröstelten und spürten mit Schaudern, wie eine eisige Kälte sie immer mehr durchdrang. Einmal machte der Kolterer-Peter in seiner Angst den Versuch, sich loszureißen, um zu entfliehen, aber da merkte er, wie er mit den Händen an der Tischplatte, mit den Füßen an der Diele festklebte und sich nicht bewegen konnte. Sie waren gebannt. Der lateinische Bauer hatte sie mit seinem Zauberbuche angefroren.

Sie waren in dieser Nacht, die wie keine andere zu Einbruch und Raub lockte, losgerückt, um den Rauhwandnerhof auszuplündern. Um diese Stunde war ja alles in der Christmette, und den einzelnen Menschen, der das Haus bewachte, hatten sie schon in Schach halten wollen, wenn es Not tat, mit Gewalt, vielleicht so, dass er niemals mehr jemandem ein Wort sagen konnte – und nun hockten sie hier im Einödhofe um den Tisch, mit abgestorbenen Gliedmaßen, geronnenem Blute und einer entsetzlichen Kälte im Herzen. Unablässig fielen die fremden Zauberworte des Bauern über sie und spannten sie mit eisernen Ketten fest.

Sie waren wach und doch wie im Schlafe, wussten nicht mehr, wie lange sie da saßen, wo sie waren und welche Stunde jetzt über die Welt ging, da hörten sie plötzlich zwischen versprengten Glockenrufen, die der Wind aus dem Pfarrdorfe herauftrug, die Stimme des Rauhwandners.

»Steht auf, Männer! Die Christmetten läutet man aus!« Sie konnten sich wieder rühren, aber es war ein Krampf in ihren Gliedern, denen langsam wieder das Blut zuflog, und sie mussten sich an der Banklehne festhalten, sonst wären sie hingestürzt.

Was würde der lateinische Bauer jetzt mit ihnen machen? Er hatte sie ja völlig in seiner Gewalt. Ob er sie der Polizei auslieferte oder sie von seinen Söhnen erschlagen ließ? Da hörten sie ihn wieder:

»Eure Kugelstutzen lasst da, Männer, damit ihr nicht wieder in Versuchung fallt! Und jetzt schauts, dass ihr weiterkommt, alle drei, dass euch die Mettenleut nicht sehen!«

Sie taumelten zur Tür, durch den Hausgang, ins Freie. Sie waren immer noch halb willenlos und von dem Zauber befangen, und auch der eisträchtige Wind, durch den jetzt aus den Dörfern das Lärmen und Krachen des Christkindelschießens tönte, weckte sie nicht völlig auf. Traumwandlerisch tappten sie dem Gangsteige nach, der ins Tal führte, wo sie dann den Fahrweg nach ihrem fernen Dorfe finden konnten. Plötzlich peitschte hinter ihnen ein Schuss, und dieser Knall band sie los, dass sie wach wurden und zur Besinnung kamen. Schoss jetzt der Rauhwandner hinter ihnen drein? In wilder Flucht rannten sie bergein. Es knallte wieder, und noch ein drittes Mal. Dann war es bei der Einöd wieder still. Der Bauer hatte nur ihre Flinten und die Pistole leer geschossen. Dann verschloss er die drei Waffen in dem alten Mauerkasten, zu dem nur er den Schlüssel besaß. Er erzählte auch keinem Menschen ein Wort von dem Besuche in der Christnacht und war nur an den Feiertagen noch schweigsamer als sonst.

Johannes Linke


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