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II Seitenblick auf aktuelle (Editions-)Projekte

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Insbesondere das letzterwähnte Themenfeld von Reichweite und Art seines Austauschs wie Reflektierens sowie der privaten und geschäftlichen Vernetzung, die Puccini ab der Jahrhundertwende in der unangefochtenen Stellung des arrivierten und in der internationalen Wahrnehmung führenden Vertreters der italienischen Opernkomponisten betreiben konnte, wird sich erst nach Abschluss eines derzeit erst angelaufenen editorischen Langzeitprojekts zur Gänze begreifen lassen: Nach einer mehrjährigen Phase der Sammlung und Erschließung von Puccinis brieflichen und briefähnlichen Quellen (Postkarten, Visitenkarten, kurze Kommunikationsnotizen usw.) und seit 2007 auch mit der kulturstaatlichen Anerkennung einer »Edizione Nazionale« prämiert, konnte das vom Centro studi betriebene Projekt des Epistolario bislang zwei der auf neun Bände projektierten Briefedition (zuzüglich weiterer Ergänzungsbände) vorlegen.13 Waren Anfang der 1990er Jahre ca. 4000 Briefe bekannt, wuchs zur Überraschung auch der involvierten Forschenden die Zahl der von Puccini handgeschriebenen Dokumente auf ca. 8500 an, die nun, systematisch erfasst und dann profund kommentiert, streng chronologisch herausgegeben werden: Der zweite Band des Epistolario reicht bis ins Jahr 1901, deckt also noch die Zeit nach der römischen Tosca-Premiere ab und endet in der frühen Konzeptionsphase der Madama Butterfly. Damit sind jedoch erst ca. 1600 Briefe ediert (mehr als ein Viertel davon erstmalig), sodass die beträchtlichen Dimensionen dieses Langzeitprojekts sowie der proportionale Zuwachs der uns heute bekannten Briefquellen in Puccinis letztem Lebensdrittel recht plastisch vor Augen treten. Die stetige Vergrößerung des Korrespondentenkreises sowie der internationalen Berühmtheit des Senders, die sich auf eine Erhöhung der Überlieferungschance ausgewirkt haben mögen, wären als wesentliche Gründe hierfür zu nennen. Anhand dieser Zahlen lässt sich leicht ermessen, welch ein zukünftiger Erkenntniszuwachs sich aus diesen Quellenkorpora insbesondere für das musiktheatralische Spätwerk, für die Biografie eines routiniert ins europäische Ausland und nach Übersee reisenden Komponisten, für die spezifischen Produktionsprozesse einer ebenso international aufgestellten, verlegerdominierten italienischen ›Opernindustrie‹ sowie für das daran beteiligte Künstler- und Kunsthandwerkernetzwerk, aber auch ganz allgemein für den zeitgeschichtlichen Kontext der Kriegs- und Umbruchszeit des Ersten Weltkriegs ergeben wird. Schon jetzt gehören die beiden erschienenen Bände dieser ›neuesten‹ Grundlagenarbeit zu Puccini zum Vademekum jeder (italienischen) Opernforschung dieser Epoche.

Die »Edizione Nazionale« des Centro studi beschränkt sich nicht nur auf die Herausgabe der nicht-musikalischen Quellen, sondern bemüht sich auch um die systematische Edition der musikalischen Werke nach wissenschaftlich-kritischen Maßstäben. Dieses von Forscherseite angestoßene Großprojekt hatte und hat weiterhin mit Hindernissen umzugehen, die sich aus den unterschiedlichen Interessengewichtungen mit den Musikverlagen ergaben (vorrangig mit dem Ricordi-Verlag, bei dem mit wenigen Ausnahmen alle Werke Puccinis schon zu Lebzeiten erschienen). Eine aktuelle Kooperation zwischen Ricordi bzw. dem Verlagskonzern Universal Music Publishing Classical, zu dem Ricordi seit einigen Jahren gehört, und dem Centro studi existiert diesbezüglich nicht.14 Was unter wissenschaftlicher Federführung des Centro studi bislang publiziert und mit dem Prädikat der »Edizione Nazionale« kenntlich gemacht wurde, sind die Editionen der nicht-theatralischen Werke Puccinis, die im deutschen Carus-Verlag erscheinen. Vier Bände liegen – neben exzerpierten Einzelausgaben – bereits vor: von der Vokalmusik (Serie III) die Messa a 4 voci sowie die Klavierlieder, von der Instrumentalmusik (Serie II) die Orchesterwerke sowie die erst kürzlich wiederentdeckten, liturgiegebundenen Orgelkompositionen des jungen Puccini. Dieser jüngste Band erscheint auch als Resultat eines aktuellen Forschungsschwerpunkts auf die Jugendzeit Puccinis, der sich in den 1870er Jahren als Organist an San Girolamo und anderen Kirchen in und um Lucca zunächst einmal auf seine örtliche Organistenlaufbahn vorbereitete, die ihm, als in fünfter Generation einer in der Region etablierten Kirchenmusikerdynastie stehend, eigentlich vorgezeichnet war.15 So sehr diese editorische Erschließung wissenschaftlich unerlässlich wie gleichermaßen für viele Aufführungskontexte der heutigen Musizierpraxis äußerst attraktiv ist, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine diesen editorischen Standard fortschreibende Realisierung von Werkausgaben des theatralischen und damit zentralen Œuvres von Puccini noch nicht geleistet werden konnte und hier zukünftig – wie im Folgenden zu skizzieren – noch etliche Hindernisse überwunden werden müssen.

Ein Seitenblick auf ›neueste‹ Aktivitäten der Puccini-Forschung bliebe unvollständig, wenn nicht auf einen Bereich hingewiesen würde, der insbesondere im Kontext der deutschsprachigen Opernforschung noch nicht den Stellenwert an Selbstverständlichkeit erlangt hat, der ihm eigentlich innerhalb des wissenschaftlichen Reflexionsgeschäfts über das ästhetische Gesamtgefüge zustünde, das Oper darstellt. Was mit visueller Dimension angesprochen ist, bezeichnet umfassend und im theoretisch gleichberechtigten Sinne neben der auditiven Dimension einer Aufführung das Zusammenspiel aller optisch wahrnehmbaren theatralischen Wirkmittel: Bühnenbild samt Requisiten, Licht, Kostüm wie spezifische Körperlichkeit der Darsteller (Solisten, Chor, Komparserie usw.) und ihrer Bewegungen im Bühnenraum (bzw. die ›Personenregie‹). Auch wenn die (deutschsprachige) Erforschung historischer Szenenanweisungen im Zuge der Konsolidierung der Opernforschung als musikwissenschaftlicher Teildisziplin und im interdisziplinären Verwandtschaftsgefüge mit Theater-, Kunst-, Tanz- und Literaturwissenschaften zumeist im Kielwasser von Partitur- und vergleichender Szenenanalysen einen eher nebengeordneten Platz zugewiesen bekommt,16 besitzen die italienischen, französischen und anglo-amerikanischen Forschungskulturen bezogen auf diesen Aspekt historischer Szenografie weitaus länger schon mehr Sensibilität und partiell auch einen breiteren Wissensbestand. Vor allem basierend auf profunden Forschungen zur französischen Grand Opéra hat die Untersuchung des Verhältnisses von Musik und Szene für das 19. Jahrhundert, sowohl in notentextbezogener, musikdramaturgischer Perspektive wie auch mit Blick auf spezifische Theaterräume, Malerwerkstätten und Produktionsbedingungen, ihren unstrittigen Platz im opernhistorischen Themenspektrum erhalten und trägt außerhalb des Pariser Sonderstatus vorrangig anhand der Erforschung des Werks von Giuseppe Verdi und Richard Wagner reiche Früchte.17 Ohne Kenntnis dieses hier nur lose skizzierten Forschungspanoramas und ohne Rückbindung an die Empirie der so oft als Krisen- bzw. Transformationszeit der italienischen Oper beschworenen 1870er und 1880er Jahre kann der Frage nicht stichhaltig nachgegangen werden, auf welche Weise Puccini die visuelle Dimension einer Szene während des Kompositionsprozesses nicht nur vorab imaginierte und dann durch Musik determinierte, sondern auch, welchen Grad an Autorschaft ihm gar an manchen Bühnenraum-Dispositionen und Lichtdramaturgien18 seit seinem Durchbruch mit der Manon Lescaut von 1893 zufiel19. Puccini, der an den Probenprozessen nicht nur (fast) aller Uraufführungen, sondern auch zahlreicher Folgeproduktionen Teil oder Anteil nahm, verfeinerte sein inszenatorisches Gespür im Austausch vor allem mit dem Librettisten Luigi Illica. Ebenso wirkten seine Erfahrungen mit den hochprofessionellen Produktionsbedingungen in Paris (also im Zuge der französischen Erstaufführungen seiner Werke) wie auch seine persönlichen Erlebnisse mit der amerikanischen Theaterästhetik von David Belasco ganz entscheidend auf seine schöpferische Arbeit ein.20 Die von Michele Girardi herausgegebene und kommentierte Ausgabe des gedruckten Regiebuchs von Albert Carré (Livret de mise en scène) der ersten Pariser Butterfly-Produktion an der Opéra-Comique von 1906 macht eine wichtige Quelle innerhalb dieses sehr weiten und noch nicht abgeschlossenen Forschungsfeldes zur visuellen Dimension zugänglich. Es ist der erstveröffentlichte Band innerhalb einer Sektion der »Edizione Nazionale«, die den disposizioni sceniche vorbehalten ist.21 Sein ausführlicher Katalogteil, der auch auf die inzwischen digital (Open Access: https://www.archivioricordi.com/en) konsultierbaren Bestände des Ricordi-Verlagsarchivs (Mailänder Nationalbibliothek Braidense) rekurriert, macht eindrücklich bewusst, welch hohen Anteil bereits die Fotografie als Medium für den Herstellungsprozess der Bühnenausstattung (u. a. als Orientierungshilfe zur Darstellung realer Orte) sowie zur Dokumentation von Bühnenproduktionen einnahm. Im Zuge zukünftiger Aufarbeitung dieser visuellen Aspekte insbesondere anhand des Spätwerks von Puccini wird sich auch der Einsatz und Wandel neuer Medien22 wie dieser und der Grad ihrer Bedeutung für den Produktionsprozess von Oper genauer in den Griff nehmen lassen.

MUSIK-KONZEPTE 190: Giacomo Puccini

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