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8.2 Sprache in Nordfriesland

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Jedes Dorf in Nordfriesland ist sprachlich heterogen, da die einzelnen Einwohner über unterschiedliche Sprachkenntnisse verfügen. Die in Kap. 3.1 vorgenommene grobe Einteilung der Sprachen bedeutet nur, dass in den jeweiligen Gebieten ein gewisser Prozentsatz der autochthonen Bevölkerung die einzelnen Sprachen beherrscht. Dieser Prozentsatz variiert von Dorf zu Dorf.

Bei den Sprachen existiert eine gewisse Hierarchie: Friesisch/Jütisch → Niederdeutsch → Hochdeutsch. Dies bedeutet, dass Sprecher des Friesischen und/oder des Jütischen oft auch Kenntnisse des Niederdeutschen und auf jeden Fall des Hochdeutschen haben. Verhältnismäßig wenige Niederdeutschsprecher verfügen über Kenntnisse des Friesischen und/oder des Jütischen, sprechen aber alle Hochdeutsch. Nicht alle Hochdeutschsprecher sprechen Niederdeutsch, und noch weniger können Friesisch und/oder Jütisch. Dänischkenntnisse (Rigsdansk) haben Mitglieder der dänischen Minderheit, die verstreut über das ganze Gebiet leben, sowie Personen, die in Verbindung zur Minderheit stehen, ohne selbst Mitglieder zu sein. Sprachkenntnisse entstehen auch auf Grund eines wirtschaftlichen Interesses, etwa im Handel und Fremdenverkehr, oder durch Kontakt zu Dänemark zum Beispiel durch Verwandtschaft, Freunde oder wirtschaftliche Verbindungen.

Die indviduelle Sprachkompetenz reicht von hochdeutscher Einsprachigkeit bis hin zur Fünfsprachigkeit mit Hochdeutsch, Niederdeutsch, Friesisch, Dänisch und Jütisch. Bei der individuellen Mehrsprachigkeit sind verschiedene Konfigurationen möglich. Infolge eines Umzuges oder familienbedingt – zum Beispiel Mutter Inselfriesin, Vater Festlandfriese – beherrschen Friesen manchmal zwei friesische Mundarten.1 Durch die engen Beziehungen zu den USA verfügen viele Föhrer und Amrumer außerdem über gute Englischkenntnisse. Die gestiegene Mobilität, insbesondere der jüngeren Generation, führt ebenfalls zunehmend zur Verbreitung von Englischkenntnissen.

Der Gebrauch der Sprachen hängt von verschiedenen Faktoren ab (Walker 2009). In der Regel weiß jede Person in Nordfriesland, welche Sprache sie mit jeder anderen ihr bekannten Person sprechen kann. Dies ist der primäre Faktor bei der Sprachwahl im Gespräch. In der Domäne „Laden“ hängt zum Beispiel die zu verwendende Sprache von der üblichen zwischen Verkäufer und Kunde benutzten Sprachvarietät ab, nicht von der Domäne an sich. Wer üblicherweise miteinander Friesisch spricht, tut es auch hier. Das Thema kann allerdings die Sprachwahl beeinflussen. Bei einem Gespräch zum Beispiel in der Bank kann das informelle Gespräch auf Friesisch oder Niederdeutsch erfolgen, wenn es aber um eine finanzielle Transaktion geht, kann dies zu einem Code-Wechsel, nämlich zum Hochdeutschen führen. Dies kann damit zusammenhängen, dass der in hochdeutscher Sprache ausgebildete Bankangestellte ein formelles Gespräch mit Fachvokabeln nur auf Hochdeutsch führen kann oder will. Dieser Gedanke kann wiederum durch einen weiteren Faktor, das Sprachbewusstsein, außer Kraft gesetzt werden. Der sprachbewusste Kunde könnte darauf bestehen, das Gespräch auf Friesisch oder Niederdeutsch fortzusetzen, allerdings unter Verwendung vieler Ad-hoc-Entlehnungen.

In einem weiteren Beispiel kann die Sprache im Zwiegespräch ebenfalls gemäß dem Thema wechseln. Der Sprechende kann sich nach der Sprache der Person richten, über die gerade gesprochen wird. Im auf Friesisch geführten Gespräch wechselt er ins Niederdeutsche, wenn er von den niederdeutschsprechenden Nachbarn erzählt. Auf Hochdeutsch geht es weiter, wenn über die Politiker in Kiel gesprochen wird, auf Dänisch, wenn der dänische Schulverein Gegenstand des Gesprächs ist. Das setzt natürlich voraus, dass der Gesprächspartner ebenfalls Kenntnisse in diesen Sprachen besitzt.

Im Gespräch in geselliger Runde kann die Sprachwahl ständig wechseln. Ein Sprechender richtet sich nach seinem momentanen Gesprächspartner. Wenn er gerade jemandem in die Augen schaut, mit dem er normalerweise Friesisch spricht, wird diese Sprache auch benutzt. Wenn er aber dann einer anderen Person in die Augen schaut, mit der er Niederdeutsch spricht, ist ein sofortiger Code-Wechsel zum Niederdeutschen hin nicht unüblich.

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