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8.5 Sprachnorm und Sprachwandel

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Auf Grund der Dialektvielfalt im Nordfriesischen kann nicht von einer Norm die Rede sein, sondern fast jede Hauptmundart hat ihre eigene orthographische, grammatische und lexikalische Norm (Wilts 2001a, 2001b). Die sylterfriesische Mundart verfügt über die älteste Norm, die mit Boy P. Möllers Lesebuch (1909) und dem Wörterbuch von 1916 festgelegt worden ist. Für die Inseln Föhr und Amrum wurde die orthographische Norm mit dem „Alkersumer Protokoll“ 1971 festgelegt. Eine leichte Korrektur erfolgte 1980 bei der Herausgabe eines Wörterbuchs, die auch zu einer größeren orthographischen Differenzierung zwischen den Mundarten von Föhr und Amrum führte. Eine grammatische Norm existiert ansatzweise in Form von Formenlehren, eine lexikalische Norm mit diversen Wörterbüchern. Auf dem Festland wurde 1955 mit dem Wörterbuch von Tams Jörgensen eine orthographische Norm für die Mooringer Mundart kodifiziert, die auf der Westermooringer Mundart basierte. Diese wurde 1988 durch das Mooringer Wörterbuch ersetzt, dem die größere Ostermooringer Mundart zugrunde liegt. Für die Wiedingharde wurde 1994, in Abweichung von Peter Jensens orthographischer Norm, die er 1927 in seinem Wörterbuch und vielen Prosatexten etabliert hatte, eine neue orthographische Norm eingeführt. Auch für die Mooringer und Wiedingharder Mundarten gibt es Formenlehren, die Ansätze einer grammatischen Norm enthalten. Von Bendsens Ansatz aus dem Jahr 1860 abgesehen existiert keine ausführliche Grammatik über eine nordfriesische Mundart, obwohl viele Schriften sich mit grammatikalischen Fragen befassen.1

Der Sprachwandel im Friesischen ist Gegenstand verschiedener Untersuchungen gewesen, in denen die Anpassung der friesischen Grammatik an die dominante hochdeutsche Grammatik sowie der Verlust von Regeln, die vom Hochdeutschen abweichen, festgestellt wird (siehe z.B. Parker 1993). Ebert (1994) beklagt sich über den Verlust der von ihr entdeckten Regeln zum Gebrauch des bestimmten Artikels im Friesischen. Ein grundlegender Aufsatz zu dieser Thematik befindet sich bei Århammar (2001), in dem Kontakterscheinungen mit den benachbarten Sprachen Dänisch/Niederdeutsch/Niederländisch/Hochdeutsch/Englisch analysiert werden.

Die im Rahmen des Schreibwettbewerbs Ferteel iinjsen! veröffentlichten Texte (vgl. Kap. 7.6.5) geben oft beredtes Zeugnis über den Sprachwandel, und es kann für einen Herausgeber friesischer Texte ein Problem sein, in welchem Maße er in einen „neufriesischen“ Text eingreift. Da die wenigsten Friesen auf Grund des fehlenden oder unzureichenden Friesischunterrichts Schriftlichkeit im Friesischen beherrschen, müssen friesische Texte vor der Veröffentlichung fast immer überarbeitet werden.

Auf Grund des Sprachwandels wird darüber diskutiert, was „gutes“ und „schlechtes“ Friesisch sei. Für „new speakers“ scheint die und + Infinitiv-Konstruktion, etwa dåt as ai lacht än schriw frasch (‚das ist nicht leicht und schreiben Friesisch‘) von Echtheit zu zeugen, obwohl sie ursprünglich auf dänisches Substrat zurückzuführen sein dürfte (Hoekstra 2011). Das Reflexivpronomen 3. Pers. sik statt etwa ham/har bzw. jam scheint sich zu einem Shibboleth für schlechtes Friesisch entwickelt zu haben (Faltings 2020). In der letzten Zeit hat eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit des Normgedankens für die friesischen Mundarten die Gemüter bewegt.2

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