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I Rom 1940/41

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Veress war im November 1939, knappe drei Monate nach Kriegsausbruch, aus London, wo er fast ein Jahr zusammen mit seiner Freundin und späteren Ehefrau, der aus Bombay im damaligen Britisch-Indien gebürtigen Pianistin Enid Blake, verbracht hatte und wo sich vielversprechende Verbindungen zur Musikabteilung der BBC und zum Verlagshaus Boosey & Hawkes ergeben hatten3, nach Ungarn zurückgekehrt – von außen und im Nachhinein betrachtet wider alle kalkulierende Vernunft, aber mit der Vision einer humaneren Gesellschaft vor Augen, zu deren Verwirklichung auf ungarischem Boden er seinen Beitrag leisten wollte.4 Das Projekt – gleichzeitig ein persönlicher Lebensentwurf – lässt sich mit vier Stichworten charakterisieren: Musikethnografie, Musikpädagogik, Klavier, Komposition »guter Musik«5. Dem erstgenannten Anliegen konnte er immerhin in einer staatlich geförderten Position nachleben – einer schon 1936 angetretenen Assistenzstelle unter Bartóks, später Kodálys Federführung im großen Anthologie-Projekt der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, das ab 1951 zur Edition des Corpus Musicae Popularis Hungaricae führen sollte.6 Ein existenzsicherndes Lehramt, vorzugsweise an der Liszt-Akademie, lag aber noch in weiter Ferne. Und was die Komposition guter Musik angeht, lag zwar eine respektable, wenngleich weitgehend unpublizierte Reihe von Partituren kleiner und mittlerer Besetzungsgrößen – darunter etliche unter Beteiligung des Klaviers – vor, noch nicht aber das öffentlichkeitswirksame Werk sinfonischen Anspruchs. Die Komposition der 1. Sinfonie kurz nach der Rückkehr aus England liegt in der Logik dieser Konstellation.7 Indem Veress sie als Hungarian Greetings zum 2600-Jahr-Jubiläum des japanischen Imperiums einreichte, lief er freilich Gefahr, sein erstes groß besetztes Werk der politischen Instrumentalisierung durch die aktuell dominierenden Mächte auszuliefern. Dieses Risiko scheint in seiner Einschätzung weniger schwer gewogen zu haben als der stark gefühlte – nicht zuletzt familiär kultivierte – Imperativ, von seiner Kunst auch materiell existieren zu sollen.

Ein ähnlich dimensioniertes, jedoch in ganz anderem Gattungsfeld angesiedeltes Projekt eröffnete sich Veress Ende 1940 durch seine auf das Jahr 1937 zurückgehende Freundschaft mit dem Choreografen, Tänzer und Regisseur Aurél von Milloss. Dieser hatte 1938/39 in Zusammenarbeit mit Béla Paulini und dessen Truppe Magyar Csupajáték Veress’ Kammer-Ballett A Csodafurulya (Die Wunderschalmei) in je ca. 30 Vorstellungen in Budapest und London zur Aufführung gebracht und für November 1940 weitere Aufführungen des Stücks am Teatro delle Arti zu Rom – seinem Lebensmittelpunkt seit 1937 – unter der musikalischen Leitung von Fernando Previtali aufs Programm gesetzt.8 Im Anschluss an die dritte Aufführung vom 24.11.1940, die Veress ursprünglich selbst hätte leiten sollen, zu der er aber offenbar erst im letzten Moment hatte anreisen können9, wollten Komponist und Choreograf, unterstützt durch einen Dritten im Bunde, den Maler und Bühnenbildner István Pekáry, »etwas wirklich (S)chönes und (G)rosses (…) schaffen«10: ein längeres, größer besetztes Stück, dessen Plot wiederum auf einem ungarischen Volksmärchenstoff basieren sollte und das sich in den großen Häusern Italiens – Scala di Milano, Gran Teatro La Fenice di Venezia, Teatro del Maggio musicale Fiorentino, Teatro Reale dell’Opera di Roma –, mit denen Milloss vernetzt war, realisieren ließe. Diesem Zweck sollte ein längerer Aufenthalt in Rom dienen, der aber finanziert werden musste. Daher hatte sich Veress in seiner Eigenschaft als ausgewiesener Musikethnograf im Herbst 1940 beim Nationalen Ungarischen Stipendienrat auf ein einsemestriges Forschungsstipendium an der Römer Regia Accademia d’Ungheria (alias Collegium Hungaricum11) beworben. Als akademisches Vorhaben definierte er ein Feldforschungsprojekt, das ihn wahrscheinlich in Dörfer des Latium geführt hätte, wäre es realisiert worden.12 Das Stipendium wurde dem Gesuchsteller zwar kurz nach dessen Ankunft in Rom durch das Budapester Unterrichtsministerium bestätigt und hätte ihm einen kontinuierlichen Aufenthalt bis Ende Juni 1941 ermöglicht.13 Veress reiste jedoch schon nach einem Monat wieder ab, verbrachte Jahreswechsel und Januar zuhause und begab sich Anfang Februar 1941 zunächst mit dem Geiger Sándor Végh auf eine kurze Konzerttournee durch Norditalien, bevor er sich Ende des Monats wieder in Rom niederließ. In der Folge erwiesen sich allerdings die praktischen Hindernisse, seine Lebensgefährtin – immer noch Inhaberin eines britischen Passes, da nicht mit Veress verheiratet – nach Rom nachreisen zu lassen, als derart unüberwindbar, dass er den Versuch (vermutlich gegen Mitte April) abbrach, nach Budapest zurückkehrte und das Stipendium verfallen ließ. Was eigentlich intendiert war, die Utopie eines gemeinsamen freien Lebens in Rom, schildert einer der ersten Briefe an Enid Blake vom Dezember 1940:

»Du würdest dich (hier) sehr gut (be)finden, da trotz andere(r) kleine(r) Schwierigkeiten wir etwas haben könnten, was uns in Bpest so sehr fehlt: Unabhängigkeit und ein viel freieres Leben als in der Hunfalvy-utca. (…) Selbstverständlich nur so, dass wir uns verheiraten. Man weiss() freilich nicht, wie die Verhältnisse sich verändern werden, aber jetzt sieht es jedenfalls so aus, dass (…) für mich, mit de(m) Erfolg meines Balletts, weitere Möglichkeiten sich geben werden. Aber wenn auch nichts, nur, dass ich die Möglichkeit habe, ein halbes Jahr mit Milloss zusammen (zu) arbeiten (…), es ist der Mühe wert, diese Möglichkeit auszunützen.«14

MUSIK-KONZEPTE 192-193: Sándor Veress

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